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Urteil Verwaltungsgericht (SG - B 2012/247)

Zusammenfassung des Urteils B 2012/247: Verwaltungsgericht

Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass X.Y., eine Angestellte der Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen, aufgrund von Überforderung und mangelnder Anpassungsfähigkeit in neuen Tätigkeitsbereichen unrechtmässig entlassen wurde. Trotz wiederholter Angebote von X.Y., in einem ihren Fähigkeiten angepassten Bereich zu arbeiten, reagierte die Arbeitgeberin nicht angemessen. Das Gericht hob die Kündigung auf und entschied zugunsten von X.Y.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts B 2012/247

Kanton:SG
Fallnummer:B 2012/247
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Verwaltungsgericht
Verwaltungsgericht Entscheid B 2012/247 vom 19.12.2013 (SG)
Datum:19.12.2013
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Urteil Dienstrecht, Art. 82 Abs. 1 a StVG.Die Arbeitgeberin hat auf die ihr bekannte, durch eine Umstrukturierung mit einer Neuzuteilung von Aufgaben ausgelöste Überforderung einer langjährigen, genügende bis gute Leistungen erbringenden Mitarbeiterin mit einer Erhöhung des Drucks reagiert und ihr, trotz ihres Anerbietens und der betrieblich bestehenden Möglichkeit, keine Beschäftigung in einem den Fähigkeiten der Mitarbeiterin besser angepassten Tätigkeitsbereich zugewiesen. Die Kündigung des Dienstverhältnisses ist unter diesen Umständen nicht gerechtfertigt (Verwaltungsgericht, B 2012/247).Urteil vom 19. Dezember 2013 Anwesend: Präsident lic. iur. B. Eugster; Verwaltungsrichter lic. iur. A. Linder,
Schlagwörter: Arbeit; Bereich; Quot; Vorgesetzte; Recht; Vorgesetzten; Aufgaben; Mitarbeiter; Sozialversicherungsanstalt; VA/IK; Mitarbeiterin; Rechtsvertreter; Kündigung; Herbst; Sozialverhalten; Gespräch; Umstrukturierung; Tätigkeitsbereich; Rekurs; Dienstverhältnis; Gallen; Leiter; Auflösung; Franken; Verfahren; Dienstverhältnisse
Rechtsnorm: Art. 328 OR ;Art. 336 OR ;
Referenz BGE:125 III 70; 126 II 522; 132 III 115; 135 II 384;
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts B 2012/247

Dr. B. Heer, Dr. S. Bietenharder-Künzle; Ersatzrichterin lic.iur. D. Gmünder Perrig; Gerichtsschreiber Dr. Th. Scherrer In SachenX.Y.,Beschwerdeführerin,vertreten durch Rechtsanwalt Paul Rechsteiner, Oberer Graben 44, 9000 St. Gallen,gegenDepartement des Innern des Kantons St. Gallen, Regierungsgebäude, 9001 St. Gallen,Vorinstanz,undSozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,Beschwerdegegnerin,betreffendAuflösung des Dienstverhältnisseshat das Verwaltungsgericht festgestellt:

A./ X.Y., geboren 1966, hat keine Berufsausbildung und war seit 12. September 1988 mit einem Pensum von 50, später von 60 Prozent bei der Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen angestellt. Sie wurde als Sachbearbeiterin in der Ausgleichskasse in den Bereichen Versicherungsausweis/Individuelle Konti (kurz VA/IK) und Verbandskassenregister (kurz VBK) eingesetzt. Nach Umstrukturierungen im Jahr 2009 verlor sie die Tätigkeit im Bereich VBK und war neu im Bereich Individuelle Prämienverbilligung (kurz IPV) tätig.

In den Standortgesprächen vom Herbst 2008 und 2009 wurden die Leistungen von

X.Y. insgesamt als gut beurteilt. Dies traf insbesondere auf die Arbeitsqualität bei Standardaufgaben sowie die Arbeitseffizienz und Prioritätensetzung zu. Das Sozialverhalten im Arbeitsumfeld wurde im Herbst 2008 als genügend, im Herbst 2009 als gut beurteilt (act. 10/6-B4 und B5). Im Herbst 2010 wurden die Leistungen von X.Y. insgesamt als genügend beurteilt. Es wurde festgehalten, X.Y. sei seit Oktober 2009 im Team IPV/Massengeschäfte tätig. Während sie im Bereich VA/IK ihre guten Fachkenntnisse gut und breit habe einsetzen können, müsse sie sich das notwendige Wissen im Bereich IPV aneignen und auch hier mitwirken, ohne den Bereich VA/IK überzugewichten. Zur als gut beurteilten Arbeitseffizienz und Prioritätensetzung wurde angemerkt, X.Y. arbeite nach bestem Wissen und Können mit einer durchschnittlichen bis guten Effizienz. Das Sozialverhalten im Arbeitsumfeld wurde als genügend eingestuft (act. 10/6-B2). Der Beurteilung des Sozialverhaltens lagen Beobachtungen des Gruppenleiters Beiträge/Zulagen zugrunde, die dieser von März bis August 2010 schriftlich festgehalten hatte und die vorab das Einhalten der Arbeitszeiten an Freitagen, an denen sie ganztags arbeitete, und die richtige Handhabung der Rückmeldungen über die Bereitschaft und Abmeldung bei der Bedienung des Callcenters betrafen (act. 10/6-A31, S. 5/6). In der Rückmeldung an den Vorgesetzten äusserte X.Y., sie habe mit der Umstrukturierung das Hauptgeschäft (Bereich VBK) verloren und vermisse die Routineabläufe. Aus ihrer Sicht erschwerten sehr viele Änderungen die Abläufe, es fehlten ihr bei Anfragen eine klare Ausbildung, Ansprechpartner und Zeit. Sie sei sehr verunsichert, habe das Gefühl, vieles falsch zu machen und sollte doch mehr leisten. Sie erhalte keine Unterstützung durch den Vorgesetzten (act. 10/6-B3). Der Vorgesetzte hielt dazu fest, X.Y. sei hinsichtlich der teilweise minimalistischen Fallverarbeitung uneinsichtig. Wenn sie im Bereich IPV arbeiten müsse, werde sie die Arbeit im Bereich VA/IK niederlegen. Zu den Arbeitszeiten an den Freitagen habe sie geltend gemacht, es genüge, wenn sie die Blockzeiten einhalte (act. 10/6-A31, S. 6/7).

Ab Herbst 2010 wurde X.Y. auch im Bereich IPV eingesetzt. In der Folge wurde ihr eine Mitarbeiterin als fachliche Unterstützung zur Seite gestellt. Diese erklärte am 12. Mai 2011 dem gemeinsamen Vorgesetzten, X.Y. sei im Bereich IPV/Massengeschäft überfordert und empfahl, sie nur noch im Bereich VA/IK zu beschäftigen. Diesen Wunsch äusserte X.Y. gegenüber ihrem Vorgesetzten am 30. Mai 2011. Sie sei

ursprünglich als Datatypistin angestellt worden und viele Jahre für die Bearbeitung der Verbandskassen zuständig gewesen. Nach der Ausbildung im Bereich IPV, den sie "einfach nicht raffe", könne sie "viele Dinge" auch im Bereich VA/IK nicht mehr anwenden. Sie sei verzweifelt, weil sie einfach nichts mehr könne. Vielleicht sei sie für die ihr auferlegten Arbeiten "zu dumm" (act. 10/6-A31, S. 10-12).

  1. ./ Am 10. Juni 2011 wurde X.Y. anlässlich einer Besprechung mit ihrem Vorgesetzten, dem Leiter Beiträge/Zulagen und dem Leiter Human Resources schriftlich ermahnt und aufgefordert, ab sofort alle definierten Aufgaben in den Bereichen VA/IK und IPV auszuführen, den erlernten Stoff weitgehend selbständig umzusetzen und ihre Funktionen zu erweitern (act. 10/6-A27). Daraufhin fiel sie krankheitsbedingt aus.

    Im Anschluss an eine Besprechung, an welcher auch der von X.Y. mittlerweile beigezogene Rechtsvertreter teilnahm, stellte der Leiter Human Resources der Sozialversicherungsanstalt am 12. Juli 2011 in Aussicht, Überlegungen zu einer angepassten Tätigkeit zu machen (act. 10/6-A19). Nach diversen telefonischen Kontakten zwischen dem Direktor der Sozialversicherungsanstalt einerseits und X.Y. und deren Rechtsvertreter anderseits (vgl. act. 10/6-A12-16) stellte der Vorgesetzte von

    X.Y. am 9. September 2011 anlässlich einer Besprechung, an welcher unter anderem

    X.Y. und ihr Rechtsvertreter teilnahmen, Überlegungen zu einer angepassten Tätigkeit vor. Danach sollte der aktuelle Aufgabenbereich von X.Y. gekürzt und die Tätigkeit ohne Gehaltsanpassung auf den Bereich VA/IK fokussiert werden. Obwohl das Gespräch zwischen X.Y. und ihrem Vorgesetzten, der ihr schlechtes Verhalten und ungenügende Sozialkompetenz in der Vergangenheit vorhielt, eskalierte, waren X.Y. und ihr Rechtsvertreter bereit, eine Vereinbarung über den neu gestalteten Tätigkeitsbereich zu unterzeichnen, den Zeitpunkt der Aufnahme der Tätigkeit aber noch offen zu lassen. Der Direktor der Sozialversicherungsanstalt hielt dazu fest, es sei nicht sinnvoll, eine solche Vereinbarung aufzusetzen, da seitens der Sozialversicherungsanstalt eine weitere Zusammenarbeit mit X.Y. unsicher sei (act. 10/6-A11). X.Y. bot daraufhin durch ihren Rechtsvertreter mehrfach die Wiederaufnahme der Arbeit im neu definierten Tätigkeitsbereich an (vgl. act. 10/6-

    A7-10).

    Am 31. Oktober 2011 teilte der Direktor der Sozialversicherungsanstalt dem Rechtsvertreter von X.Y. per E-Mail mit, die Sozialversicherungsanstalt sei leider "zu keiner neuen Beurteilung der Situation gekommen" und ersuchte, das "Angebot betreffend einer einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses nochmals zu überdenken" (act. 10/6-A6). Der Leiter Human Resources und der Leiter Ausgleichskasse der Sozialversicherungsanstalt hielten in einem Schreiben vom 13. Januar 2012 an den Rechtsvertreter fest, X.Y. habe sich "im letzten Gespräch" nach den Ausführungen ihres Vorgesetzten über in der Ermahnung von 10. Juni 2011 angesprochene Aspekte eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr vorstellen können (act. 10/6-A5). In der Stellungnahme vom 27. Januar 2012 hielt der Rechtsvertreter am Angebot von X.Y. fest, entsprechend dem Gespräch vom 9. September 2011 die Arbeit im angepassten Tätigkeitsbereich wieder aufzunehmen (act. 10/6-A3).

  2. ./ Mit Verfügung vom 27. Februar 2012 stellte die Sozialversicherungsanstalt X.Y. weiterhin von der Arbeit frei und kündigte das Arbeitsverhältnis mit ihr wegen fachlicher Unzulänglichkeiten und fehlender Kooperationsbereitschaft per 31. Mai 2012. Einem allfälligen Rekurs wurde die aufschiebende Wirkung entzogen (act. 10/6-A2). Den gegen diese Verfügung erhobenen Rekurs wies das Departement des Innern am 5. November 2012 ab und auferlegte X.Y. die amtlichen Kosten von 2'000 Franken.

  3. ./ X.Y. (nachfolgend Beschwerdeführerin) erhob durch ihren Rechtsvertreter mit Eingabe vom 20. November 2012 und Ergänzung vom 14. Dezember 2012 gegen den Rekursentscheid des Departements des Innern (nachfolgend Vorinstanz) vom 5. November 2012 Beschwerde beim Verwaltungsgericht mit dem Antrag, der angefochtene Entscheid sei unter Kosten- und Entschädigungsfolge aufzuheben. Die Vorinstanz beantragte mit Vernehmlassung vom 15. Januar 2013, die Beschwerde sei abzuweisen. Mit Vernehmlassung vom 4. Februar 2013 beantragte die Sozialversicherungsanstalt (nachfolgend Beschwerdegegnerin) die Abweisung der Beschwerde unter Kosten- und Entschädigungsfolge. Die Beschwerdeführerin nahm am 20. Februar 2013 Stellung zu den Vernehmlassungen. Auf die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Begründung ihrer Anträge wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen eingegangen.

Darüber wird in Erwägung gezogen:

1. (…).

  1. Die Beschwerdegegnerin ist eine öffentlich-rechtliche Anstalt mit eigener Rechtspersönlichkeit (Art. 1 Abs. 2 des Einführungsgesetzes zur Bundesgesetzgebung über die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung, sGS 350.1). Für das Arbeitsverhältnis ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gilt vorbehältlich besonderer gesetzlicher Bestimmungen seit 1. Juni 2012 das Personalgesetz vom 25. Januar 2011 (sGS 143.1, abgekürzt PersG; Art. 1 und Art. 2 Abs. 2 Ingress und Ziff. 1). Gemäss Art. 110 Abs. 2 PersG werden bei Vollzugsbeginn des Erlasses hängige, das Dienstverhältnis betreffende Verfahren von der nach bisherigem Recht zuständigen Behörde und in dem nach bisherigem Recht massgebenden Verfahren erledigt. In inhaltlicher Hinsicht bestimmt Art. 107 PersG, dass auf bestehende Dienstverhältnisse neues materielles Recht anzuwenden ist. Da indessen die Kündigung des Dienstverhältnisses mit der Beschwerdeführerin am 27. Februar 2012 und damit noch vor dem Inkrafttreten des neuen Personalrechts ausgesprochen wurde, gehen die Verfahrensbeteiligten unter Hinweis auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung, wonach bei Inkrafttreten neuen Rechts jene Bestimmungen auf hängige Verfahren Anwendung finden, welche im Zeitpunkt der Verwirklichung des Sachverhalts Geltung hatten (vgl. BGer 2C_533/2009 vom 18. Februar 2010 E. 1.2 mit Hinweis auf BGE 126 II 522 E. 3b und 112 Ib 39 E. 1c; BGE 135 II 384 E. 2.3), zu Recht übereinstimmend davon aus, dass sich die Auflösung des Dienstverhältnisses der Beschwerdeführerin entsprechend Art. 1 Ingress und lit. c des Staatsverwaltungsgesetzes (sGS 140.1, abgekürzt StVG) nach den durch Art. 92 PersG aufgehobenen Art. 67 bis 94 StVG über den Staatsdienst (nGS 43-110) und den dazu ergangenen Ausführungsbestimmungen in der mit Art. 166 der Personalverordnung (sGS 143.11, abgekürzt PersV) aufgehobenen Verordnung über den Staatsdienst (nGS 43-3) richtet.

  2. Zwischen den Verfahrensbeteiligten ist die Zulässigkeit der Auflösung des Dienstverhältnisses der Beschwerdeführerin durch die Beschwerdegegnerin umstritten.

    1. Gemäss Art. 82 Abs. 1 Satz 1 StVG konnte das Angestelltenverhältnis unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von drei Monaten auf das Ende eines Kalendermonats gekündigt werden. Die Bestimmung regelte die inhaltlichen Anforderungen an eine Kündigung nicht. Soweit durch Verordnung keine weitergehenden

      Kündigungsschutzbestimmungen vorgesehen waren (vgl. dazu Art. 65 der aufgehobenen Verordnung über den Staatsdienst), wurden gemäss Art. 83 StVG Art. 336 ff. des Schweizerischen Obligationenrechts (SR 220, abgekürzt OR) sachgemäss angewendet. Gleiches gilt im Übrigen auch im neuen Personalrecht (vgl. Art. 25 Abs. 3 PersG).

      In Lehre und Rechtsprechung ist unbestritten, dass Kündigungen, welche gemäss Obligationenrecht missbräuchlich wären, im öffentlichen Dienstrecht als willkürlich im Sinn von Art. 9 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (SR 101, abgekürzt BV) gelten (vgl. ZBl 99/1998 S. 477; vgl. auch VerwGE K 2008/4 vom

      16. Juni 2009 E. 2.2.5.). Die Missbräuchlichkeit der Kündigung kann in einem krassen Missverhältnis der Interessen begründet liegen. Dies ist bei Art. 336 OR der Fall, da es hier um eine gesetzliche Einschränkung der Vertragsfreiheit zugunsten des Sozialschutzes des Arbeitnehmers geht. Die Ausübung des an und für sich bestehenden Rechts zur Kündigung darf nicht zu einer sozial stossenden Missachtung der Interessen des Arbeitnehmers durch ungerechtfertigte Auflösung des Arbeitsverhältnisses führen. Die Beurteilung der Missbräuchlichkeit setzt eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls voraus (vgl. BGer 8C_122/2009 vom

      24. Februar 2010 E. 4.2 mit Hinweis auf BGE 132 III 115 E. 2.4 f. und 131 III 535 E. 4.2). Missbräuchlich im Sinn von Art. 336 OR ist eine Kündigung insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber seine Fürsorgepflicht gemäss Art. 328 OR verletzt hat (vgl. BGE 125 III 70). Die Fürsorgepflicht kann darin bestehen, dass der Arbeitgeber in bestimmten Fällen handeln muss, um die Lage zu entspannen, und nicht untätig bleiben darf. Ob und wann eine Reaktion angezeigt ist, hängt indessen stark von der Würdigung der konkreten Lage ab (vgl. BGer 8C_340/2009 vom 24. August 2009 E. 4.3.2 mit Hinweisen). Möglich sind insbesondere der Einsatz an geeigneter Stelle sowie Massnahmen gegen psychische Belastungen wie ausufernden Stress und Überlastung (vgl. Streiff/von Kaenel/Rudolph, Arbeitsvertrag – Praxiskommentar zu Art. 319-362

      OR, 7. Aufl. 2012, N 4 zu Art. 328 OR). Stress im Sinn einer negativ empfundenen Anspannung kann beispielsweise durch Überlastungszustände aufgrund übermässigen Arbeits- und Leistungsdrucks entstehen, indem der Arbeitnehmer unter übermässigen Zeitdruck Erfolgszwang gesetzt wird ihm Arbeit zugewiesen wird, die er nach Art Schwierigkeitsgrad nicht bewältigen kann (vgl. W. Portmann, in: Basler Kommentar OR I, 5. Aufl. 2011, N 21b zu Art. 328 OR).

    2. / 3.2.1. Die Vorinstanz hat ausgeführt, es sei der Beschwerdegegnerin nicht anzulasten, wenn sich der Aufgabenbereich eines Arbeitnehmenden im Verlauf der Zeit ändere und insgesamt anspruchsvoller werde. Indem sie der Beschwerdeführerin im Bereich IPV eine Mitarbeiterin zur individuellen Einarbeitung zur Seite gestellt habe, sei sie hinreichend auf die Situation der Beschwerdeführerin eingegangen und ihrer Fürsorgepflicht nachgekommen. Die Vorgesetzten seien auch verpflichtet gewesen, darauf zu achten, dass das Team in der Lage gewesen sei, die erforderliche Gesamtleistung ohne Überbelastung anderer Mitglieder zu erbringen.

      1. Aus dem Zwischenzeugnis aus dem Jahr 1999, den ihr in den Jahren 2007 und 2010 zugesprochenen ausserordentlichen Leistungsprämien und den mit ihr im Herbst 2008 und 2009 geführten Standortgesprächen ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin, die im Jahr 1988 bei der Beschwerdegegnerin angestellt worden war und über keine Berufsausbildung verfügt, die ihr übertragenen Aufgaben bis zur Umstrukturierung und der Änderung ihrer Tätigkeitsbereiche im Jahr 2009 den Anforderungen entsprechend erfüllte. Mit der Zuweisung neuer Aufgaben in neuen Bereichen stellte sich bei der Beschwerdeführerin ein Gefühl der Überforderung ein, das sich – wie dem Standortgespräch vom Herbst 2010 zu entnehmen ist - nicht nur in einem Leistungsabfall, sondern auch – wie sich aus den Aufzeichnungen ihres Vorgesetzten zwischen März und August 2010 ergibt - in zunehmenden gesundheitlichen Schwierigkeiten und sozialen Spannungen im Arbeitsumfeld niederschlug. Die Mitarbeiterin, welche ihr in der Folge zur individuellen Einarbeitung und Betreuung zur Seite gestellt worden war, schilderte am 12. Mai 2011 gegenüber dem Vorgesetzten ein Lernhandicap und eine Überforderung der Beschwerdeführerin in weiten Teilen ihres Einsatzbereichs. Die begleitende Mitarbeiterin empfahl, die Beschwerdeführerin nur noch in den ihr vertrauten Funktionen einzusetzen. Am 30. Mai 2011 äusserte die Beschwerdeführerin den entsprechenden Wunsch gegenüber ihren Vorgesetzten.

        In der Folge wurde der Beschwerdeführerin allerdings am 10. Juni 2011 eine vom Leiter Beiträge/Zulagen unterzeichnete Ermahnung ausgehändigt. Sie wurde unter anderem aufgefordert, ab sofort alle definierten Aufgaben im Bereich VA/IK und IPV auszuführen, den erlernten Stoff weitgehend selbständig umzusetzen und die Funktionen zu erweitern. Die Beschwerdegegnerin hat in der schriftlichen Ermahnung selbst

        ausgeführt, die "Eignung für eine gesamte Aufgabenerledigung in den Bereichen VA/IK und IPV sei immer noch nicht ausreichend", die Beschwerdeführerin werde im Bereich VA/IK wieder unsicher, wenn sie die Prioritäten versuchsweise im Bereich IPV setze, und habe Mühe mit neuen Anwendungen, neuen Arbeiten und Herausforderungen. Sie hat damit auf die offensichtliche Überforderung der Beschwerdeführerin in der neuen Arbeitsumgebung mit einer Erhöhung des Drucks reagiert. Zur Möglichkeit, die Beschwerdeführerin ausschliesslich in den ihr vertrauten Bereichen einzusetzen, enthält weder die schriftliche Mahnung noch das Protokoll über das anlässlich der Aushändigung der Mahnung geführte Gespräch Ausführungen.

        Anlässlich des Gesprächs vom 9. September 2011 bot die Beschwerdegegnerin der Beschwerdeführerin zunächst einen ihren Fähigkeiten angepassten Aufgabenbereich an. Die Beschwerdeführerin war bereit, eine entsprechende Vereinbarung zu unterzeichnen. Weil die Beschwerdeführerin jedoch Vorhaltungen, welche ihr im weiteren Verlauf des Gesprächs zu ihrem Verhalten in der Vergangenheit gemacht worden waren, nicht akzeptierte, kam die Beschwerdegegnerin auf ihr Angebot zurück und weigerte sich, eine solche Vereinbarung aufzusetzen und zu unterzeichnen. Die Beschwerdeführerin bot der Beschwerdegegnerin in der Folge ihre Arbeitskraft auf der Grundlage des neu umschriebenen Tätigkeitsfeldes wiederholt erfolglos an. Die Beschwerdegegnerin reagierte darauf unter anderem mit dem Schreiben vom 13. Januar 2012, in welchem sie behauptete, die Beschwerdeführerin habe sich eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr vorstellen können. Diese Aussage steht in einem gewissen Widerspruch zum Inhalt der Aktennotiz zum Gespräch vom 9. September 2011, in welchem sich vielmehr die Beschwerdegegnerin eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr vorstellen konnte, und zum Umstand, dass diese der von der Beschwerdeführerin wiederholt geäusserten Bereitschaft, die Arbeit im bereinigten Aufgabenbereich wieder aufzunehmen, nicht entsprochen hat.

      2. Auch wenn mit Blick auf eine dauerhafte Lösung nachvollziehbar ist, dass der Vorgesetzte im Gespräch vom 9. September 2011 das aus seiner Sicht unangemessene Sozialverhalten der Beschwerdeführerin am Arbeitsplatz und teilweise fachlich ungenügende Arbeitsleistungen in der Vergangenheit ansprach und diesbezüglich von der Beschwerdeführerin eine gewisse Einsicht erwarten durfte, hätte

        dies nicht ausgeschlossen, sie im ihren Fähigkeiten angepassten Tätigkeitsfeld zu beschäftigen.

        Zwar war das Sozialverhalten der Beschwerdeführerin bereits im Herbst 2008 – und damit vor der sie belastenden Umstrukturierung - nicht als gut, sondern lediglich als genügend beurteilt worden. Indessen wurde ihr im folgenden Jahr ausdrücklich eine Besserung des Verhaltens attestiert. Zudem sprach ihr der Prozessleiter Beiträge/ Zulagen am 31. Mai 2010 eine ausserordentliche Leistungsprämie von 800 Franken zu mit der Begründung, sie habe "in der Gruppe IPV/Massengeschäft mit hohem Engagement und sehr guten Leistungen dazu beigetragen, dass die IPV- Hauptverarbeitung sowie das IPV-Telefonteam erfolgreich und fristgerecht bewältigt werden konnten" (sic!). Mit ihrer "Bereitschaft, das Arbeitspensum während der IPV- Hauptzeit von 60% auf 80% zu erhöhen", habe sie "zudem einen wichtigen Beitrag geleistet, das IPV-Geschäft sowie die übrigen Anforderungen aus dem Tagesgeschäft sicherzustellen" (sic!).

        Aus diesen Umständen ist zu schliessen, dass die Beschwerdeführerin auch nach der Umstrukturierung – soweit sie weitgehend in ihren angestammten Aufgabenbereichen tätig bleiben konnte – sowohl in sozialer als auch in leistungsmässiger Hinsicht einen Beitrag leisten konnte, welcher für die Erledigung der Aufgaben des Teams von Bedeutung war. Dies deutet zusammen mit den Schilderungen der ihr zur Seite gestellten Mitarbeiterin und der eigenen Darstellung der Beschwerdeführerin darauf hin, dass die neuen Arbeitsbereiche die Beschwerdeführerin überforderten. Dem dadurch ausgelösten Leistungsabfall und problematischen Sozialverhalten stand die Verpflichtung des Vorgesetzten gegenüber, sie in allen ihr zugewiesenen Arbeitsbereichen einzusetzen und mit seinem Team die gesetzten Ziele in einem guten Arbeitsklima zu erreichen. Diese Situation führte zwangsläufig zu Spannungen zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem Vorgesetzten. Dass er dabei auch den Befindlichkeiten der übrigen ihm unterstellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Rechnung tragen musste, ist dabei offenkundig. Wie sich indessen der Einsatz der Beschwerdeführerin in den ihren Fähigkeiten angepassten Arbeitsbereichen auf ihr Sozialverhalten am Arbeitsplatz, das Verhältnis zu ihrem Vorgesetzten und die Qualität ihrer Arbeit ausgewirkt hätten, hätte sich in erster Linie in der praktischen täglichen Arbeit gezeigt.

        3.2.4. Die Beschwerdeführerin war – was auch die Beschwerdegegnerin letztlich erkannte – in den ihr nach der Umstrukturierung zugewiesenen neuen Tätigkeitsbereichen überfordert. Angesichts des Umstandes, dass die Beurteilungen der Arbeitsleistungen und des Sozialverhaltens der Beschwerdeführerin bis dahin kaum zu Beanstandungen Anlass geboten haben, ist – zusammen mit den Schilderungen der sie betreuenden Mitarbeiterin und ihrer eigenen Einschätzung – davon auszugehen, dass die Spannungen zwischen ihr und ihrem Vorgesetzten in erster Linie auf den Umstand dieser Überforderung zurückzuführen waren. Deshalb hätte die Fürsorgepflicht der Beschwerdegegnerin als Arbeitgeberin es verlangt, die Beschwerdeführerin – wie von ihr mehrfach angeboten – in einem ihr angepassten Tätigkeitsbereich – in welchem sie im Übrigen entsprechend den Standortgesprächen gute genügende, nie aber ungenügende Leistungen erbracht hatte - auch tatsächlich zu beschäftigen. Dies hat die Beschwerdegegnerin unterlassen, obwohl aus betrieblicher Sicht entsprechend den Ausführungen ihres Vorgesetzten am 9. September 2011 eine solche Beschäftigung offensichtlich möglich gewesen wäre.

  3. Die Auflösung des Dienstverhältnisses der Beschwerdeführerin durch die Beschwerdegegnerin erweist sich dementsprechend als missbräuchlich. Die Beschwerdegegnerin hat auf die ihr bekannte, durch eine Umstrukturierung mit einer Neuzuteilung von Aufgaben ausgelöste Überforderung einer langjährigen, genügende bis gute Leistungen erbringenden Mitarbeiterin mit einer Erhöhung des Drucks reagiert und ihr, trotz ihres Anerbietens und der betrieblich bestehenden Möglichkeit, keine Beschäftigung in einem den Fähigkeiten der Mitarbeiterin besser angepassten Tätigkeitsbereich zugewiesen. Die Beschwerde erweist sich damit als begründet. Sie ist gutzuheissen und der angefochtene Rekursentscheid vom 5. November 2012 ist aufzuheben. Damit ist auch die Kündigungsverfügung der Beschwerdegegnerin vom

27. Februar 2012 aufgehoben.

5. (…).

Demnach hat das Verwaltungsgericht zu Recht erkannt:

  1. ./ Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Rekursentscheid der Vorinstanz vom

    5. November 2012 aufgehoben.

  2. ./ Die amtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens von 2'500 Franken trägt die Beschwerdegegnerin. Der Kostenvorschuss von 2'500 Franken wird der Beschwerdeführerin zurückerstattet.

  3. ./ Die amtlichen Kosten des Rekursverfahrens von 2'000 Franken werden der

    Beschwerdegegnerin auferlegt.

  4. ./ Die Beschwerdegegnerin entschädigt die Beschwerdeführerin für das Rekurs- und

das Beschwerdeverfahren mit 4'000 Franken (zuzüglich Mehrwertsteuer).

V. R. W.

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

lic.iur. Beda Eugster Dr. Thomas Scherrer

Quelle: https://www.sg.ch/recht/gerichte/rechtsprechung.html
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