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Urteil Verwaltungsgericht (SG)

Kopfdaten
Kanton:SG
Fallnummer:B 2009/190
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Verwaltungsgericht
Verwaltungsgericht Entscheid B 2009/190 vom 28.01.2010 (SG)
Datum:28.01.2010
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Urteil vom 28. Januar 2010
Schlagwörter: Beschwerde; Beschwerdeführerin; Recht; Aufenthalt; Aufenthalts; Schweiz; Alter; Ehemann; Familie; Ehegatte; Aufenthaltsbewilligung; Wohne; Ehegatten; Entscheid; Altersheim; Hinweis; Ausländer; Vorinstanz; Eheliche; Gelebt; Pflege; Sicherheits; Justizdepartement; Schweizer; Ausländeramt; Italien; Rechtlich; Hinweise; Interesse
Rechtsnorm: Art. 13 BV ; Art. 159 ZGB ; Art. 36 BV ; Art. 8 BV ; Art. 9 EMRK ; Art. 95 BGG ;
Referenz BGE:118 Ib 152; 126 II 342; 126 II 377; 127 II 49; 128 II 145; 128 II 155; 130 II 113; 130 II 135; 130 II 136; 130 II 285;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
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Entscheid
Anwesend: Präsident Prof. Dr. U. Cavelti; Verwaltungsrichter Dr. E. Oesch-Frischkopf, lic. iur. A. Linder, Dr. B. Heer, lic. iur. A. Rufener; Gerichtsschreiberin lic. iur. R. Haltinner-Schillig

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In Sachen

N.A.,

Beschwerdeführerin,

vertreten durch Rechtsanwalt lic.iur. P. B., Postfach, 8021 Zürich 1,

gegen

Sicherheitsund Justizdepartement des Kantons St. Gallen,Moosbruggstrasse 11, 9001 St. Gallen,

Vorinstanz,

betreffend

Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung

hat das Verwaltungsgericht festgestellt:

A./ N.A., geboren am 24. Juni 1970, Staatsangehörige der Dominikanischen Republik, heiratete am 5. Juli 2003 in San Cristobal den in der Schweiz niedergelassenen italienischen Staatsangehörigen C.G., geboren am 25. März 1940. Sie reiste am

20. Februar 2004 in die Schweiz ein, wo ihr im Rahmen des Familiennachzugs eine bis

19. Februar 2009 gültige EG-/EFTA-Aufenthaltsbewilligung erteilt wurde.

Im Jahr 2005 hielt sich C.G. längere Zeit in Italien auf. Das Ausländeramt ging davon aus, er sei definitiv aus der Schweiz weggezogen, und wandte sich an N. A., unter Verwendung der bisherigen Adresse ihres Ehemannes, "R-strasse 27, 0000O S.". Weil die Post nicht zugestellt werden konnte, wurde die Tochter von C.G., N., wohnhaft an der R-strasse 27, 0000 S., am 22. August 2005 vom Einwohneramt S. befragt. Sie erklärte, ihr Vater halte sich vorübergehend aus gesundheitlichen Gründen in Italien auf und N. A. wohne bei ihr.

Am 8. Mai 2007 wurde C.G. in S. eingebürgert. Am 12. August 2008 teilte das Einwohneramt S. dem Ausländeramt mit, er sei am 15. Mai 2008 ins Altersheim L. in S. eingetreten. Gemäss Aussage von N. sei N.A. seit 2006 nicht mehr bei ihrem Ehemann in S. wohnhaft. Sie komme alle drei bis vier Monate vorbei, um die Post abzuholen. Das Einwohneramt S. gab zudem bekannt, N.A. habe sich nie am Schalter gemeldet.

  1. ./ Am 21. Oktober 2008 widerrief das Ausländeramt die Aufenthaltsbewilligung von

    N.A. und forderte sie auf, die Schweiz bis 5. Januar 2009 zu verlassen. Gegen diesen Entscheid erhob N. A., vertreten durch Rechtsanwalt Y. A., Zürich, am 5. November 2008 Rekurs beim Sicherheits- und Justizdepartement. Sie stellte die Rechtsbegehren,

    der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und es sei ihr die Aufenthaltsbewilligung zu erteilen bzw. zu verlängern. Sodann sei ihr die unentgeltliche Prozessführung zu gewähren und es sei ein unentgeltlicher Rechtsbeistand zu ernennen. Am 12. November 2008 wies das Sicherheits- und Justizdepartement das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Rechtsverbeiständung mit der Begründung ab, der Prozess erscheine aussichtslos. N. A. wurde aufgefordert, einen Kostenvorschuss von Fr. 1'000.-zu bezahlen. Am 24. September 2009 reichte sie, nunmehr vertreten durch Rechtsanwalt P. B., Zürich, ein E-Mail vom 4. August 2009 ein, mit welchem X., S., ohne Gewähr bestätigt, dass N. A. ihren Ehemann "ca 1 x pro Woche" im Altersheim besucht. Sodann gab sie einen Arbeitsvertrag zu den Akten, wonach sie ab 1. Juli 2009 als Vollzeitmitarbeiterin im Restaurant D. in M. arbeitet, einen Brutto-Lohn von Fr. 2'600.-verdient und Nachtarbeit leisten muss, deren Beginn und Ende der Arbeitgeber festlegt.

    Am 8. Oktober 2009 wies das Sicherheits- und Justizdepartement den Rekurs von N.A. ab und lud das Ausländeramt ein, ihr eine neue Frist zur Ausreise zu setzen. Der Entscheid wird damit begründet, die Ehegatten hätten ohne wichtigen Grund über längere Zeit nicht zusammengelebt, weshalb sich weder aus Art. 42 in Verbindung mit Art. 49 des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer (SR 142.20, abgekürzt AuG) noch aus Art. 8 Ziff. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (SR 0.101, abgekürzt EMRK) ein Anspruch auf Bewilligung des Aufenthalts ableiten lasse. Sodann sei die zeitliche Voraussetzung zur Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung nach Auflösung der Ehegemeinschaft nach Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG nicht erfüllt, weshalb sich Ausführungen zur geforderten Integration erübrigen würden. Im weiteren würden die öffentlichen Interessen an der Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung gegenüber dem privaten Interesse der Rekurrentin am Verbleib in der Schweiz überwiegen.

  2. ./ Am 22. Oktober 2009 erhob N. A. , vertreten durch Rechtsanwalt P. B., Zürich, gegen den Entscheid des Sicherheits- und Justizdepartements vom 8. Oktober 2009 Beschwerde beim Verwaltungsgericht. Sie stellte die Rechtsbegehren, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Vorinstanz sei anzuweisen, ihr die Aufenthaltsbewilligung zu erteilen.

    Das Sicherheits- und Justizdepartement verzichtete am 27. November 2009 auf eine Stellungnahme und beantragte, der Beschwerde sei keine Folge zu geben.

  3. ./ Am 28. Oktober 2009 teilte C. G. dem Verwaltungsgericht mit, er sei mit dem Entscheid des Sicherheits- und Justizdepartements vom 8. Oktober 2009 nicht einverstanden. Er sei Schweizer und möchte, dass seine Ehefrau hier bleibe. Sie besuche ihn immer wieder und sie hätten es gut miteinander. Früher hätten sie Probleme gehabt, aber nun sei alles besser. Mit Schreiben vom 12. November 2009 erklärte C. G. aber, er wolle keine formelle Beschwerde erheben.

Darüber wird in Erwägung gezogen:

1. Die sachliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts ist gegeben (Art. 59bis Abs. 1 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege, sGS 951.1, abgekürzt VRP). Sodann hat N.A. ein eigenes schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Entscheids und an der Anweisung, die Aufenthaltsbewilligung sei zu verlängern (Art. 64 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 45 Abs. 1 VRP). Weiter erfüllt die Beschwerdeeingabe vom 22. Oktober 2009 zeitlich, formal und inhaltlich die gesetzlichen Anforderungen (Art. 64 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 47 Abs. 1 und Art. 48 Abs. 1 VRP).

Auf die Beschwerde von N. A. ist einzutreten.

2. Das Verwaltungsgericht hat C. G. am 2. November 2009 im Zusammenhang mit seiner Eingabe vom 28. Oktober 2009 aufgefordert, zu Prozessvoraussetzungen Stellung zu nehmen und einen Kostenvorschuss zu leisten. In der Folge teilte dieser mit, er habe mit seinem Schreiben vom 28. November (richtig: Oktober) 2009 nicht formell Beschwerde erheben wollen. Er habe lediglich zum Ausdruck bringen wollen, dass er mit dem Entscheid des Sicherheits- und Justizdepartements vom 8. Oktober 2009 nicht einverstanden sei. Die Eingabe von C. G. vom 28. Oktober 2009 wird deshalb von der Geschäftsliste abgeschrieben.

  1. Die Beschwerdeführerin rügt, der angefochtene Entscheid verletze das Recht auf Privat- und Eheleben (Art. 8 Ziff. 1 EMRK und Art. 13 der Bundesverfassung SR 101, abgekürzt BV). Sodann verstosse er gegen Art. 42 in Verbindung mit Art. 49 AuG und gegen das Diskriminierungsverbot gemäss Art. 9 EMRK und Art. 8 BV. Im Weiteren

    habe die Vorinstanz ihr rechtliches Gehör verletzt, weil sie es unterlassen habe, die Heimleitung bzw. C.G. bezüglich ihrer Besuche im Altersheim zu befragen. Die Beschwerdeführerin macht zudem geltend, entgegen der Auffassung der Vorinstanz könne sie sich auf das Abkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten über die Freizügigkeit (SR 0.142.112.681, abgekürzt FZA) berufen, welches für den Familiennachzug kein "gemeinsames Wohnen" voraussetze. Der angefochtene Entscheid diskriminiere sie als Drittstaatenangehörige.

    1. Art. 8 Ziff. 1 EMRK und Art. 13 Abs. 1 BV gewährleisten das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens und haben dieselbe Tragweite (M. Spescha, in Spescha/Thür/Zünd/Bolzli, Kommentar Migrationsrecht, Aus-gabe 2008, N 12 zu

      Nr. 18 mit Hinweisen). Die Garantien verschaffen kein Recht auf Anwesenheit, können aber verletzt sein, wenn einer Ausländerin oder einem Ausländer mit Familienangehörigen in der Schweiz die Anwesenheit untersagt und damit das Familienleben vereitelt wird (BGE 130 II 285 E. 3.1 mit zahlreichen Hinweisen). Der sich hier aufhaltende Angehörige muss aber über ein gefestigtes Anwesenheitsrecht verfügen. Dies trifft zu, wenn die verwandte Person das Schweizer Bürgerrecht oder eine Niederlassungsbewilligung besitzt. Der Anspruch auf Achtung des Familienlebens ist nicht absolut. Er verpflichtet die Behörden nicht in jedem Fall, eine Aufenthaltsbewilligung zu er-teilen (BGE 126 II 342 E. 3 a). Sodann kann der Schutz des Familienlebens nur angerufen werden, wenn die Beziehung tatsächlich gelebt wird (VerwGE vom 25. Januar 2005 i.S. D.H., in: www.gerichte.sg.ch mit Hinweisen). Am Schutzobjekt des Familienlebens fehlt es, wenn eine Ehe nicht mehr als Gemeinschaft geführt wird. Dabei spielt es keine Rolle, auf welche Gründe dies zurückgeht beziehungsweise welcher Ehepartner die Verantwortung dafür trägt. Die eheliche Gemeinschaft ist in einem derartigen Fall nicht intakt beziehungsweise wird nicht gelebt (BGE 118 Ib 152 E. 4 b).

        1. Nach Art. 8 Abs. 1 BV sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich und nach Art. 8 Abs. 2 BV darf niemand diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung. Das allgemeine

          Rechtsgleichheitsgebot von Art. 8 Abs. 1 BV begründet indessen keinen Rechtsanspruch auf eine ausländerrechtliche Bewilligung (BGE 128 II 155 E. 3.5 mit Hinweisen). Eine Diskriminierung wird sodann nur bejaht, wenn eine Person allein auf Grund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe rechtsungleich behandelt wird. Die

          Gruppenzugehörigkeit stellt einen wesentlichen Bestandteil der Identität der betroffenen Person dar; die Ungleichbehandlung wirkt sich als Herabwürdigung oder Ausgrenzung aus (Spescha, in: a.a.O., N 27 zu Nr.18 mit Hinweis auf BGE 126 II 377 ff.

          E. 6 a).

        2. Nach Art. 42 Abs. 1 AuG haben ausländische Ehegatten von Schweizerinnen und Schweizern Anspruch auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung, wenn sie mit diesen zusammenwohnen. Bedingung des Nachzugsrechts ist eine gemeinsame Wohnung (Spescha, in: a.a.O., N 2 zu Art. 42 AuG). Das Erfordernis des Zusammenwohnens nach den Artikeln 42-44 besteht nicht, wenn für getrennte Wohnorte wichtige Gründe geltend gemacht werden und die Familiengemeinschaft weiterbesteht (Art. 49 AuG). Wichtige Gründe für eine Ausnahme vom Erfordernis des Zusammenwohnens können nach Art. 76 der Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (SR 142.201) insbesondere durch berufliche Verpflichtungen oder durch eine vorübergehende Trennung wegen erheblicher familiärer Probleme entstehen. Von einer bestehenden Familiengemeinschaft ist sodann auszugehen, wenn das Getrenntleben, für das wichtige Gründe nachgewiesen sind, vorübergehender Natur ist. Bei anhaltendem Getrenntleben, d.h. etwa über eine Dauer von sechs bis zwölf Monaten hinaus, ist auf Grund der Art der ehelichen Kontakte zu eruieren, ob die Trennung definitiv und die Familiengemeinschaft als aufgelöst zu betrachten ist. Regelmässige eheliche Kontakte, namentlich auch der Besuch einer Ehetherapie, sprechen trotz Getrenntlebens für einen Weiterbestand der ehelichen Gemeinschaft (Spescha, in: a.a.O., N 3 zu Art. 49 AuG).

        3. Nach Art. 7 lit. d FZA regeln die Vertragsstaaten das Aufenthaltsrecht der Familienangehörigen der Staatsangehörigen der Vertragsstaaten ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit. Nach Art. 3 Abs. 1 Anhang I FZA haben die Familienangehörigen einer Person, die Staatsangehörige einer Vertragspartei des Abkommens ist und ein Aufenthaltsrecht hat, das Recht, bei ihr Wohnung zu nehmen. Als Familienangehöriger

      gilt unter anderem der Ehegatte, ungeachtet seiner Staatsangehörigkeit (Art. 3 Abs. 2

      lit. a Anhang I FZA).

      Als Ehefrau eines italienischen Staatsangehörigen wurde der Beschwerdeführerin im Rahmen des Familiennachzugs eine bis 19. Februar 2009 befristete EG-/EFTA- Aufenthalts-bewilligung erteilt. In der Zwischenzeit ist ihr Ehemann Schweizer Bürger geworden. Die Frage, ob sich die Beschwerdeführerin dennoch auf das FZA berufen kann, braucht indessen nicht beantwortet zu werden. Zutreffend ist zwar, dass der Ehegatte nach dem FZA nicht notwendigerweise dauernd mit dem Ehegatten, der aus einem Drittstaat kommt, zusammenwohnen muss. Das Bundesgericht hat indessen seine Praxis wiederholt bestätigt, wonach es rechtmissbräuchlich ist, sich nach der Trennung der Ehegatten auf Art. 3 Abs. 1 Anhang I FZA zu berufen, wenn die Ehe vollständig inhaltslos geworden ist und nur noch zur Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung eines der Ehegatten dienen soll (Urteil vom 7. Oktober 2004 2A.569/2004 E. 2 mit Hinweis auf BGE 130 II 113 ff. und Urteile 2A.379/2003 vom 6. April 2004, E. 3.2, 2A.282/2004 vom 24. Mai 2004, E. 2.3, 2A.557/2002 vom 3. Juni

      2004, E. 5, 2A.345/2004 vom 22. Juni 2004 E. 2.2). Die staatsvertragliche und die gesetzliche Regelung wollen die Führung des Familienlebens in der Schweiz allenfalls auch in einer vorübergehenden Krisensituation ermöglichen und absichern, nicht jedoch einem missbräuchlichen, ausschliesslich ausländerrechtlich motivierten Festhalten an einer klar inhaltslosen Ehe Vorschub leisten (Urteil vom 7.Oktober 2004 2A.569/2004 mit Hinweis auf BGE 130 II 113 E. 9.5 und 127 II 49 E. 5 a mit Hinweisen). Wie nach innerstaatlichem Recht muss abgeklärt werden, ob genügend konkrete Elemente für die Annahme vorliegen, dass die Ehegatten nicht oder nicht mehr ein wirkliches Eheleben führen wollen und dass die Ehe nur noch aus ausländerrechtlichen Gründen aufrechterhalten wird. Die wahren Absichten der Ehegatten können im Allgemeinen nicht durch direkte Beweise ermittelt werden, sondern wie im Fall der Scheinehe nur aufgrund von Indizien (BGE 130 II 135 E. 10.2 bzw. Pra 12/2004 999

      E. 10.1 mit Hinweis auf BGE 127 II 49 E. 5 a). Nach der Rechtsprechung dürfen die Erklärungen des Ehegatten, welcher ein Aufenthaltsrecht in der Schweiz unabhängig von der Ehesituation hat, sodann nicht entscheidend sein, wenn es um die Frage des Rechtsmissbrauchs im Bereich des Familiennachzugs geht. Massgebend ist im Gegenteil die Sicht des anderen Ehegatten, für den der Ausgang des Verfahrens

      entscheidend ist (BGE 130 II 136 E.10.3 bzw. Pra 12/2004 999 E.10.3 mit Hinweis auf

      BGE 128 II 145 E. 3.1).

  2. Die Beschwerdeführerin vertritt den Standpunkt, im Gegensatz zur Auffassung der Vorinstanz sei ihre Ehe mit C.G. intakt und es würden wichtige Gründe für eine Ausnahme vom Erfordernis des "Zusammenwohnens" vorliegen. Sie begründet dies damit, sie sei immer noch verheiratet und pflege regen Kontakt mit ihrem Ehemann. Es treffe zwar zu, dass es, wohl bedingt durch den grossen Altersunterschied, zwischen ihnen zu Diskussionen und Auseinandersetzungen gekommen und dass kürzlich sogar ein Scheidungsverfahren eingeleitet und wieder abgebrochen worden sei. Seit der Versöhnung sei das Verhältnis aber gut, und C.G. freue sich über ihren wöchentlichen Besuch bei ihm im Altersheim. Die Annahme der Vorinstanz, diese Besuche würden auf Grund des Drucks des vorliegenden Verfahrens stattfinden, sei reine Spekulation. Was das Erfordernis des "Zusammenwohnens" anbetrifft, führt die Beschwerdeführerin aus, wichtige Gründe für eine Ausnahme lägen vor, weil ihr Ehemann pflegebedürftig und sie nicht fähig sei, die Pflege zu übernehmen. Dieser Umstand habe unter anderen zu ehelichen Problemen und schliesslich zu einem Scheidungsverfahren geführt. Nach dem Eintritt C.G.s ins Altersheim habe sich die Situation mit der Zeit aber beruhigt bzw. die Ehe werde den Umständen entsprechend wieder gelebt. Der Wille zur Ehe sei wieder vorhanden, auch wenn kein "Zusammenleben" geplant sei. Ehegatten seien frei zu wählen, wie sie ihre Ehe leben wollten und das Schweizerische Zivilgesetzbuch (SR 210, abgekürzt ZGB) sehe getrennte Wohnsitze vor. Bei einem grösseren Altersunterschied sei deshalb damit zu rechnen, dass ein Ehegatte früher in ein Altersheim eintrete als der andere, und die Tatsache, dass sie und ihr Ehemann nun getrennte Wohnsitze hätten, habe der Ehe gut getan. Im übrigen zeuge die Annahme der Vorinstanz, es könnte eine Scheinehe vorliegen, weil sie im Sexgewerbe gearbeitet habe, von Doppelmoral.

    Demgegenüber ist die Vorinstanz der Ansicht, die Beschwerdeführerin wohne seit längerer Zeit nicht mit ihrem Ehemann zusammen, ohne dafür wichtige Gründe im Sinn des Gesetzes nachzuweisen, die das Getrenntleben rechtfertigen würden. Sie begründet dies damit, es sei nicht ersichtlich, warum die Beschwerdeführerin nicht in der Lage sein solle, C.G. zu pflegen und zu betreuen, weshalb dieser anderweitig Unterstützung habe annehmen müssen und heute in einem Altersheim lebe.

    1. Es sind keine Hinweise ersichtlich, die darauf schliessen lassen könnten, die Beschwerdeführerin lebe mit C.G. in einer Ehegemeinschaft. Fest steht, dass sie ihren dreissig Jahre älteren Ehemann am 5. Juli 2003 in der Dominikanischen Republik geheiratet hat. C. G. war gemäss eigenen Angaben dort in Urlaub und hat die Beschwerdeführerin bei dieser Gelegenheit kennengelernt. Der grosse Altersunterschied der Ehegatten und die kurze Bekanntschaftszeit sprechen nicht dafür, dass die Beschwerdeführerin die ernsthafte Absicht hatte, mit C. G. eine gemeinsame Zukunft aufzubauen. Nachdem die Beschwerdeführerin am 20. Februar 2004 in die Schweiz eingereist war, lebten die Eheleute vorerst an der R-strasse 27 in S., in demselben Haus, in dem auch die Tochter von C. G. mit ihrer Familie wohnhaft ist. Nachdem das Ausländeramt vom Einwohneramt S. Mitteilung erhalten hatte, C. G. sei nach Italien ausgereist, wurde die Beschwerdeführerin am 28. Juli 2005 um Bekanntgabe der neuen Adresse ihres Ehemannes ersucht. Die Post konnte ihr indessen an der R-strasse 27 in S. nicht zugestellt werden. In der Folge, am 22. August 2005, erklärte N. gegenüber dem Einwohneramt S., ihr Vater halte sich aus gesundheitlichen Gründen vorübergehend in Italien auf und die Beschwerdeführerin lebe bei ihr, wobei der Briefkasten nicht entsprechend beschriftet sei. Demgegenüber haben die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann am 8. September 2008 zu Handen des Ausländeramtes erklärt, die Beschwerdeführerin sei zu ihrer Schwester (nach L.) gezogen, weil ihr kein Visum erteilt worden sei und weil N. in ihrem Haushalt keine weiteren Personen habe aufnehmen können. Gemäss eigenen Angaben hielt sich C. G. in der Folge erneut für einige Monate in der Schweiz auf, bevor er an Ostern 2006 wiederum aus gesundheitlichen Gründen nach Italien ausreiste. Im Anschluss daran verbrachte er einige Zeit in Spitälern von St. Gallen und Zürich und wohnte bei seiner Tochter in S., wo er Hilfe und Unterstützung fand. Schliesslich kehrte er wiederum zwei Mal nach Italien zurück, bis er am 15. Mai 2008 ins Altersheim L. in S. eintrat.

      Fest steht somit, dass die Beschwerdeführerin nur während der ersten Zeit ihrer Ehe am selben Ort wie ihr Ehemann wohnte. Zutreffend ist, dass gesundheitliche Probleme eines Ehegatten zur Folge haben können, dass Ehepartner getrennt leben müssen bzw. dass ein wichtiger Grund für getrennte Wohnorte vorliegt. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn der gesunde Ehepartner aus objektiven Gründen nicht in der Lage ist, den kranken und/oder alten Ehepartner persönlich zu betreuen und zu pflegen. Es müssen aber konkrete Anhaltspunkte bestehen, dass die eheliche Beziehung trotz

      Pflegebedürftigkeit des einen Ehegatten weiterhin gelebt wird. Dazu gehört, dass sich der gesunde Ehepartner im Interesse eines intakten Ehelebens im Rahmen seiner Möglichkeiten um den kranken Ehepartner kümmert und diesem beisteht (vgl. dazu Art. 159 ZGB).

    2. Die Beschwerdeführerin macht geltend, C.G. sei pflegebedürftig geworden und sie könne ihn nicht pflegen, weil sie dazu nicht in der Lage sei. Mit seinem Eintritt ins Altersheim habe sich die Situation aber beruhigt, und er habe die Scheidungsklage zurückgezogen. Es bestehen indessen keine konkreten Anhaltspunkte, wonach die Ehe in den Jahren 2005 bis 2008, als sich die gesundheitlichen Probleme C.G.s manifestierten und er sich mehrfach "zur Genesung" nach Italien begab und von seiner Tochter gepflegt wurde, tatsächlich gelebt worden sein könnte. Die Beschwerdeführerin begründet nicht näher und es ist auch nicht ersichtlich, warum es ihr nicht möglich gewesen sein soll, ihren kranken Ehemann, allenfalls mit Unterstützung Dritter, zu pflegen und ihm beizustehen, zumal sie zu jener Zeit als Tänzerin tätig war. Aktenkundig ist, dass sie im Mai 2004 in einer Table-Dance-Bar in

      A. arbeitete, im September 2004 in einem Night-Club in R., im Juni 2005 in einem Bar- Cabaret in A. und im Juli 2005 im Cabaret E. in W.. Im weiteren bestehen keine konkreten Anhaltspunkte, wonach sich die Beschwerdeführerin in den Jahren 2005 und 2008, bevor C. G. am 15. Mai 2008 ins Altersheim L. eintrat, auf andere Weise als

      durch persönliche Pflege und Betreuung um ihren Ehemann gekümmert haben könnte, was darauf schliessen liesse, sie habe das eheliche Zusammenleben mit ihm gepflegt. Die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann behaupten zwar, sie hätten während dieser langen Zeitspanne Kontakt gehabt, ohne indessen nähere Angaben dazu zu machen, wie oft und in welcher Form dieser stattgefunden haben soll. Sodann geben beide Ehegatten an, es habe zwischen ihnen nicht näher bezeichnete Probleme gegeben, die nach Auffassung der Beschwerdeführerin auf den grossen Altersunterschied zurückzuführen sind. Sie bringt in der Beschwerdeschrift vom 22. Oktober 2009 in diesem Zusammenhang vor, es sei zu Diskussionen und Auseinandersetzungen gekommen und C. G. habe "kürzlich" eine Scheidungsklage eingereicht, diese aber zurückgezogen und nicht neuerlich auf Scheidung geklagt, nachdem sich das Ehepaar versöhnt habe. Das Verhältnis sei seither gut. Nachdem das Ausländeramt die Aufenthaltsbewilligung der Beschwerdeführerin bereits am 21. Oktober 2008 widerrufen hat, liegt es nahe, dass C. G. die Scheidungsklage nach diesem Zeitpunkt,

      somit unter dem Druck des ausländerrechtlichen Verfahrens, zurückgezogen hat. Weil davon auszugehen ist, die Ehe der Beschwerdeführerin mit C.G. sei über Jahre hinweg inhaltlos gewesen, kann sodann aus der Tatsache allein, dass sie ihren Ehemann gemäss einer Aussage ohne Gewähr, die die Heimleitung am 4. August 2009 abgegeben hat, nun rund ein Mal je Woche in der Caféteria des Altersheims besucht, nicht geschlossen werden, es gehe ihr darum, mit ihm ein Eheleben zu führen. Vielmehr durfte die Vorinstanz ohne weitere Abklärungen folgern, diese Besuche würden auf Grund des Drucks des ausländerrechtlichen Verfahrens und nicht auf Grund eines Bedürfnisses der Beschwerdeführerin nach einer tatsächlich gelebten ehelichen Beziehung mit C. G. erfolgen. Im Weiteren trifft die Behauptung der Beschwerdeführerin offensichtlich nicht zu, die Annahme verschiedener Wohnsitze habe der Ehe gut getan bzw. sie werde nun im Rahmen von Besuchen im Altersheim gelebt, zumal die Eheleute, wie dargelegt, seit Jahren nicht mehr am selben Ort wohnen, ohne dass dies zu einer intakten ehelichen Beziehung beigetragen hätte. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin verstösst die Tatsache, dass sie C.

      G. nach ihrer Rückkehr in die Heimat nicht mehr besuchen kann, unter den gegebenen Umständen nicht gegen Art. 8 Ziff. 1 EMRK sowie gegen Art. 13 und Art. 36 Abs. 4 BV. Sie hat sich damit abzufinden, dass sie eine persönliche Beziehung zu ihm nur mittels schriftlicher und telefonischer Kontakte aufrechterhalten kann. An dieser Beurteilung ändert nichts, dass C.G. nichts dagegen hat, mit der Beschwerdeführerin verheiratet zu sein und dass es ihn stören würde, wenn er sie nicht mehr sehen könnte.

    3. Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann seit langer Zeit nicht zusammenwohnen, ohne dass ein wichtiger Grund dafür ersichtlich ist. Sie hat deshalb weder gestützt auf Art. 8 Ziff. 1 EMRK, Art. 8 und 13 BV noch gestützt auf Art. 7 lit. d FZA oder Art. 42 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 49 AuG einen Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung.

  3. Zu prüfen bleibt, ob die Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung verhältnismässig ist.

    Es besteht ein öffentliches Interesse, dass Aus-länder, bei denen nach kurzem Aufenthalt in der Schweiz die familiären Voraussetzungen für die Erteilung der Aufenthaltsbewilligung wegfallen, das Land wieder verlassen (VerwGE vom 8. Juni

    2006 i.S. A.R. [B 2006/52] und VerwGE vom 25. Januar 2005 i.S. D.H. [B 2004/163], in:

    www.gerichte.sg.ch). Die Beschwerdeführerin reiste im Alter von 33 Jahren im Februar 2004 in die Schweiz ein, wo sie nur während kurzer Zeit am gleichen Ort wie ihr hier integrierter wesentlich älterer Ehemann lebte. Unbestritten geblieben ist, dass sie die meiste Zeit bei ihrer Schwester in L. gewohnt hat. Es fehlen Hinweise, wonach die Beschwerdeführerin mit C.G. über längere Zeit hinweg eine eheliche Beziehung gelebt hat. Den grössten Teil ihres Lebens verbrachte sie indessen im Heimatland, wo sie mit den Verhältnissen vertraut ist. Für die Beschwerdeführerin spricht, dass sie hier nie zu Klagen Anlass gegeben hat. Gemäss eigenen Angaben war sie Arbeiterin im Sexgewerbe und ist seit Juni 2009 in M. als Serviceangestellte tätig, allerdings zu rechtlich höchst fragwürdigen Bedingungen. Zusammenfassend ergibt sich, dass die Vorinstanz mit Recht angenommen hat, das öffentliche Interesse an der Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung überwiege gegenüber dem privaten Interesse der Beschwerdeführerin am Verbleib in der Schweiz.

  4. Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerde abzuweisen ist.

Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die amtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 95 Abs. 1 VRP). Eine Entscheidgebühr von Fr. 2'000.-ist angemessen (Art. 13, Ziff. 622 Gerichtskostentarif, sGS 941.12). Sie wird mit dem geleisteten Kostenvorschuss in gleicher Höhe ver- rechnet.

Ausseramtliche Entschädigungen sind nicht zuzu-sprechen (Art. 98 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 98bis VRP).

Demnach hat das Verwaltungsgericht

zu Recht erkannt:

  1. ./ Die Beschwerde wird abgewiesen.

  2. ./ Die Eingabe von C.G. vom 28. Oktober 2009 wird von der Geschäftsliste

    abgeschrieben.

  3. ./ Die amtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens von Fr. 2'000.-bezahlt die Beschwerdeführerin unter Verrechnung mit dem geleisteten Kostenvorschuss in gleicher Höhe.

  4. ./ Ausseramtliche Kosten werden nicht entschädigt.

V. R. W.

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Versand dieses Entscheides an:

  • die Beschwerdeführerin (durch Rechtsanwalt lic. iur. P. B., 8021 Zürich)

  • die Vorinstanz

  • C.G., Altersheim D., Postfach, 0000 S.

am: Rechtsmittelbelehrung:

Sofern eine Rechtsverletzung nach Art. 95 ff. BGG geltend gemacht wird, kann gegen diesen Entscheid gestützt auf Art. 82 lit. a BGG innert 30 Tagen nach Eröffnung beim Schweizerischen Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, Beschwerde erhoben werden.

Quelle: https://www.sg.ch/recht/gerichte/rechtsprechung.html
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