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Urteil Verwaltungsgericht (SG - B 2008/154)

Zusammenfassung des Urteils B 2008/154: Verwaltungsgericht

Das Verwaltungsgericht hat entschieden, dass die Tempo 30-Zone im Gebiet Rotmonten-Waldguet in der Stadt St. Gallen aufgehoben wird, da die gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Die Stadt St. Gallen hatte gegen die Aufhebung Beschwerde eingereicht, da sie Gefahrensituationen für Kinder und ältere Menschen sah. Das Gericht stellte fest, dass die Voraussetzungen für eine Tempo-30-Zone nicht offensichtlich nicht erfüllt waren und hob die Entscheidung des Sicherheits- und Justizdepartements auf. Die Kosten des Verfahrens trägt der Staat, und die Stadt St. Gallen erhält keine Entschädigung für ausseramtliche Kosten.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts B 2008/154

Kanton:SG
Fallnummer:B 2008/154
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Verwaltungsgericht
Verwaltungsgericht Entscheid B 2008/154 vom 18.12.2008 (SG)
Datum:18.12.2008
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:UrteilAufhebung einer Tempo 30-Zone im Rahmen der Staatsaufsicht über die
Schlagwörter: Strassen; Tempo; Stadt; Kinder; Recht; Voraussetzungen; Gallen; -Zone; Gemeinde; Gefahr; Verwaltung; Tempo-; Entscheid; Stadtrat; Gutachten; Verwaltungsgericht; Waldguet; Rotmonten; Gebiet; Aufsichtsbeschwerde; Schutz; Rotmonten-Waldguet; Teilgebiet; Bundes; Ermessens; Staatsaufsicht; Sicherheits; Justizdepartement
Rechtsnorm: Art. 3 SVG ;Art. 32 SVG ;Art. 95 BGG ;
Referenz BGE:-
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts B 2008/154

Gemeinden ist nur zulässig, wenn klares Recht wichtige öffentliche Interessen verletzt sind. Diese Voraussetzungen sind bei der Tempo 30-Zone im Gebiet Rotmonten-Waldguet in der Stadt St. Gallen nicht erfüllt (Verwaltungsgericht, B 2008/154).

Verkehrssignalisation, Tempo 30-Zone, Staatsaufsicht, Art. 108 Abs. 2 SSV (SR 741.11), Art. 241 Abs. 1 und Art. 229 Abs. 2 GG (sGS 151.2). Die Aufhebung einer Tempo 30-Zone im Rahmen der Staatsaufsicht über die Gemeinden ist nur zulässig, wenn klares Recht wichtige öffentliche Interessen verletzt sind. Diese Voraussetzungen sind bei der Tempo 30-Zone im Gebiet Rotmonten- Waldguet in der Stadt St. Gallen nicht erfüllt (Verwaltungsgericht, B 2008/154).

Urteil vom 18. Dezember 2008

Anwesend: Präsident Prof. Dr. U. Cavelti; Verwaltungsrichter Dr. E. Oesch-Frischkopf, lic. iur. A. Linder, Dr. B. Heer, lic. iur. A. Rufener; Gerichtsschreiber lic. iur. Th. Vögeli

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In Sachen

Politische Gemeinde St. Gallen,vertreten durch den Stadtrat, 9001 St. Gallen,

Beschwerdeführerin, gegen

Sicherheits- und Justizdepartement des Kantons St. Gallen,Moosbruggstrasse 11, 9001 St. Gallen,

Vorinstanz,

betreffend

Staatsaufsicht (Verkehrsanordnung Rotmonten-Waldguet)

hat das Verwaltungsgericht festgestellt:

  1. ./ Am 30. Oktober 2007 beschloss der Stadtrat St. Gallen eine Zonensignalisation "Höchstgeschwindigkeit 30 km/h" als Verkehrsanordnung für das Teilgebiet Rotmonten-Waldguet (begrenzt durch die Guisanstrasse sowie die Bebauung südlich der Klosterweidlistrasse und nördlich der Waldgutstrasse). Das Gebiet umfasst die Waldgutstrasse sowie die Glärnischstrasse, die Baumgartenstrasse, den Primelweg und die Klosterweidlistrasse. Der Stadtrat stützte sich u.a. auf ein Gutachten der Stadtpolizei und des Tiefbauamts. Die Verkehrsanordnung wurde am 5. November 2007 im St. Galler Tagblatt publiziert.

  2. ./ Gegen die Verkehrsanordnung erhob der an der Guisanstrasse xx wohnhafte X.Y. mit Eingabe seines Rechtsvertreters vom 19. November 2007 Rekurs. Zu seiner Legitimation führte er aus, er wohne zwar nicht in dem von der Verkehrsanordnung unmittelbar betroffenen Gebiet, sondern an der Guisanstrasse, die als Zufahrt zu

    diesem Bereich diene. Im Vergleich zu denjenigen Strassen, für die mit einer Tempo-30-Zone Verkehrsbeschränkungen verfügt worden seien, sei die

    Verkehrssicherheit auf der Guisanstrasse weit weniger gewährleistet. Auf dieser sei das Verkehrsaufkommen ungleich grösser und Tempoexzesse an der Tagesordnung, obwohl die Fahrbahn und die Uebersichtlichkeit eingeschränkt seien und die Guisanstrasse einer der wichtigsten Schulwege sei.

    In seiner Stellungnahme zur stadträtlichen Vernehmlassung hielt der Rekurrent fest, er beantrage ausdrücklich die aufsichtsrechtliche Behandlung der Streitsache, falls seine Rekursberechtigung verneint werden sollte.

    Das Sicherheits- und Justizdepartement entschied am 11. August 2008 über die Streitsache. Es trat auf den Rekurs von X.Y. wegen fehlender Legitimation nicht ein (Ziff. 1). Es hiess hingegen seine Aufsichtsbeschwerde gut und hob die Tempo-30- Zone auf (Ziff. 2). Das Departement erwog, die Anordnung einer Tempo-30-Zone im Teilgebiet Waldguet widerspreche den strassenverkehrsrechtlichen Vorgaben und der aktuellen Rechtsprechung. Die gesetzlichen Voraussetzungen seien in diesem Teilgebiet offensichtlich nicht gegeben. Laut Gutachten seien weder ein hohes Verkehrsaufkommen noch eine entsprechende Umweltbelastung zu verzeichnen noch sei mit dem Hinweis auf zwei Kindergärten und das Schwimmbad eine spezifische Gefahrensituation belegt. Auch sei das gemessene Geschwindigkeitsniveau tief und liege unterhalb der von der Beratungsstelle für Unfallverhütung für Verkehrsberuhigungsmassnahmen als erforderlich erachteten Schwelle. Die angefochtene Tempo-30-Zone sei daher aufsichtsrechtlich aufzuheben, da die strassenverkehrsrechtlichen Voraussetzungen offensichtlich nicht erfüllt seien.

  3. ./ Mit Eingabe vom 26. August 2008 erhob die Stadt St. Gallen Beschwerde beim Verwaltungsgericht. In ihrer Beschwerdeergänzung vom 16. September 2008 beantragte sie, der Entscheid des Sicherheits- und Justizdepartements vom 11. August 2008 sei aufzuheben und die Verfügung des Stadtrats vom 30. Oktober 2007 sei zu bestätigen, unter Kosten- und Entschädigungsfolge. Zur Begründung macht der Stadtrat geltend, das Departement betone unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts und des Bundesgerichts, dass die Einführung einer Tempo-30- Zone in einem Wohnquartier ohne Durchgangsverkehr und mit geringer Verkehrsdichte,

in dem weder eine Gefährdungssituation noch eine übermässige Umweltbelastung bestehe, nicht möglich sei. Diese Darstellung greife zu kurz. Die allgemeinen Höchstgeschwindigkeiten könnten u.a. dann herabgesetzt werden, wenn eine Gefahr nur schwer nicht rechtzeitig erkennbar und anders nicht zu beheben sei bestimmte Strassenbenützer eines besonderen, nicht anders zu erreichenden Schutzes bedürften. Das Departement gehe offenkundig davon aus, dass eine nur schwer nicht rechtzeitig erkennbare Gefahr sowie ein Schutzbedürfnis bestimmter Strassenbenützer ausschliesslich auf Strecken mit grosser Verkehrsbelastung vorliegen könnten. Gefahrensituationen für die schwächsten Verkehrsteilnehmer, vor allem Kinder und ältere Menschen, ergäben sich insbesondere bei unübersichtlichen Situationen des Strassenraums, etwa bei schmalen, kurvigen Strassen. Im Teilgebiet Rotmonten-Waldguet seien die Fahrbahnbreiten mit 5 bis 6 m und den versetzt angeordneten Parkfeldern eher schmal. Die Situationen an den Knoten seien teilweise schlecht überschaubar. Besonders unübersichtlich sei die Einmündung des Fussweges aus dem Klosterfrauenwald in den nördlichen Seitenast der Waldgutstrasse. Einzelne Strassen im Gebiet der Zone verfügten lediglich über einen einseitigen Gehweg. Da Garagen- und Parkplatzausfahrten direkt in den Strassenraum mündeten, könne es zu gefährlichen Situationen kommen. Zudem führten die Hauszugänge teilweise direkt, teilweise über einen Hausgarten ohne weiteren Schutz unmittelbar auf die Fahrbahn. Dadurch seien die Anwohner einer erhöhten Gefahr ausgesetzt. Daneben sei ein besonderes Schutzbedürfnis für Kinder aufgrund der Nutzung der Strassen als Schulweg ausgewiesen. Im Gutachten seien die Kindergärten und Schulen sowie das Schwimmbad gekennzeichnet. Im Gutachten werde festgehalten, dass die Kinder aus dem Teilgebiet Rotmonten-Waldguet die Strassen ohne gesicherte Querungsmöglichkeiten überschreiten müssten, um die zwei Kindergärten an der Waldgutstrasse zu erreichen. An schönen Sommertagen würden Parkplatzsuchende, welche das Freibad Rotmonten besuchen wollten, einen im Verhältnis zum normalen Verkehrsaufkommen spürbaren Zusatzverkehr verursachen. An solchen Tagen seien auch Kinder zu Fuss, auf Fahrrädern Kickboards unterwegs zum Freibad. Somit sei innerhalb des Teilgebietes Rotmonten-Waldguet ein besonderes Schutzbedürfnis für Kinder ausgewiesen. Weiter macht der Stadtrat geltend, das Departement sei auf die Aufsichtsbeschwerde des Rekurrenten eingetreten, ohne eine Eintretensvoraussetzung zu prüfen. Würde man dieser Rechtsauffassung folgen, wäre

inskünftig jederzeit eine aufsichtsrechtliche Popularbeschwerde gegen Verfügungen möglich. Dies erscheine mit Blick auf die unter Umständen zur Verfügung stehenden ordentlichen Rechtsmittel als wenig sachgerecht. Bei der Anordnung von Geschwindigkeitsbeschränkungen komme dem Stadtrat ein Entscheidungsspielraum zu. Ob eine Gefahr nur schwer nicht rechtzeitig erkennbar sei bestimmte Strassenbenützer eines besonderen, nicht anders zu erreichenden Schutzes bedürften, könne naturgemäss nicht präzise beantwortet werden. Ein Ermessensfehler des Stadtrates liege nicht vor. Das Departement greife aufsichtsrechtlich in den Ermessensentscheid des Stadtrats ein, der mit den tatsächlichen Verhältnissen besser vertraut sei. Dadurch werde die Gemeindeautonomie verletzt. Auf die einzelnen Vorbringen sowie auf die weiteren Erwägungen des angefochtenen Entscheids wird, soweit wesentlich, in den nachstehenden Erwägungen eingegangen.

Das Sicherheits- und Justizdepartement beantragte in seiner Vernehmlassung vom

18. September 2008 unter Hinweis auf die Erwägungen des angefochtenen Entscheids

sowie die Akten die Abweisung der Beschwerde.

Darüber wird in Erwägung gezogen:

1. Die sachliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts ist gegeben (Art. 59bis Abs. 1 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege, sGS 951.1, abgekürzt VRP). Die Stadt St. Gallen macht als Beschwerdeführerin eine Verletzung der Gemeindeautonomie geltend. Daher ist die Beschwerde zulässig, obwohl es sich vorliegend um eine Anordnung im Rahmen der Staatsaufsicht handelt (Art. 59bis Abs. 2 lit. a Ziff. 1 VRP). Die Beschwerdeeingaben vom 26. August und 16. September 2008 entsprechen zeitlich, formal und inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (Art. 64 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 47 Abs. 1 und Art. 48 Abs. 1 und 2 VRP). Auf die Beschwerde ist daher einzutreten.

  1. ./ Die Beschwerdeführerin rügt, das Departement sei auf die Aufsichtsbeschwerde des Rekurrenten eingetreten, ohne eine Eintretensvoraussetzung zu prüfen.

    1. Art. 241 Abs. 1 des Gemeindegesetzes (sGS 151.2, abgekürzt GG) bestimmt

ausdrücklich, dass jedermann Mängel in der Führung der Verwaltung einer Gemeinde

bei der Aufsichtsbehörde anzeigen kann. Der Rekurrent hat ausdrücklich eine Prüfung seines Rekurses als Aufsichtsbeschwerde beantragt, falls seine Rekursberechtigung verneint werden sollte. Die Aufsichtsbeschwerde bzw. aufsichtsrechtliche Anzeige ist nicht an besondere Formen und Fristen gebunden, und insbesondere muss der Anzeiger keine Legitimation zur Einreichung einer Anzeige bzw. Aufsichtsbeschwerde dartun. Mit einem solchen Rechtsbehelf kann eine Privatperson eine Behörde dazu anhalten, in Ausübung ihrer Aufsichtsfunktion einen bestimmten Sachverhalt zu prüfen eine Behörde zu einem bestimmten Verhalten zu veranlassen (vgl. Cavelti/Vögeli, Verwaltungsgerichtsbarkeit im Kanton St. Gallen, St. Gallen 2003, Rz. 1218). Der Anzeiger ist aber nicht am aufsichtsrechtlichen Verfahren beteiligt; ihm kommen keine Parteirechte zu. Die Aufsichtsbeschwerde ist gegenüber einem Rechtsmittel subsidiär. Richtet sich eine Aufsichtsbeschwerde gegen eine Verfügung einen Entscheid, so ist ein Eingreifen der Aufsichtsbehörde zulässig, wenn klares Recht, wesentliche Verfahrensvorschriften wichtige öffentliche Interessen missachtet wurden (Cavelti/ Vögeli, a.a.O., Rz. 1225 mit Hinweisen).

2.2. Bei der Ausübung der Staatsaufsicht haben die kantonalen Behörden den Ermessensspielraum der Gemeinden zu wahren. Art. 229 Abs. 2 GG bestimmt ausdrücklich, dass sich die Staatsaufsicht im Bereich der Gemeindeautonomie auf die Ueberprüfung der Rechtmässigkeit beschränkt.

Dem Stadtrat ist beizupflichten, dass der Gemeinde ein Ermessensspielraum zusteht, wo und nach welchen Grund-sätzen Tempo-30-Zonen und Begegnungszonen eingerichtet werden. Allerdings sind die rechtlichen Voraussetzungen für die Anordnung solcher Zonen im Strassenverkehrsgesetz des Bundes (SR 741.01, abgekürzt SVG) und in der Signalisationsverordnung (SR 741.11, abgekürzt SSV) abschliessend geregelt. Der Entscheidungsspielraum bzw. der Bereich des kommunalen Ermessens erstreckt sich im wesentlichen auf die Frage, ob in den dafür geeigneten Gebieten und beim Vorliegen der bundesrechtlichen Voraussetzungen Tempo-30-Zonen Begegnungszonen angeordnet werden sollen. In bezug auf die rechtlichen Voraussetzungen für die Anordnung solcher Verkehrsbeschränkungen steht den Gemeinden hingegen kein Ermessensspielraum zu. Ein gewisser Beurteilungsspielraum kommt der Gemeinde aber zu, wenn es um die Anwendung der bundesrechtlichen Vorschriften geht, was nachfolgend näher auszuführen ist.

2.3. Das Bundesgericht hat im Urteil 2A.38/2006 vom 13. Juli 2006 zur Tempo-30-Zone im Gebiet Kesselhalden in St. Gallen klargestellt, dass solche Zonen nur zulässig sind, wenn die Voraussetzungen nach Art. 108 Abs. 2 SSV erfüllt sind (vgl. auch die Urteile des Verwaltungsgerichts B 2005/43 vom 6. Dezember 2005 und B 2006/208 vom 23. Januar 2007, beide publiziert in: www.gerichte.sg.ch).

Für Geschwindigkeitsbeschränkungen kommt namentlich Art. 32 Abs. 3 SVG zur Anwendung. Danach kann die vom Bundesrat festgesetzte Höchstgeschwindigkeit für bestimmte Strassenstrecken von der zuständigen Behörde nur aufgrund eines Gutachtens herab- heraufgesetzt werden. Der Bundesrat hat von der Kompetenz zum Erlass näherer Bestimmungen in Art. 108 SSV Gebrauch gemacht. Dies erfolgte im Bestreben, dass abweichende Geschwindigkeiten im schweizerischen Verkehrsraum nach einheitlichen Kriterien erfolgen sollen. Die Gründe für eine Herabsetzung der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit sind in Art. 108 Abs. 1 SSV in allgemeiner Weise und in Art. 108 Abs. 2 SSV detailliert und abschliessend aufgeführt. Danach können die allgemeinen Höchstgeschwindigkeiten herabgesetzt werden, wenn eine Gefahr nur schwer nicht rechtzeitig erkennbar und anders nicht zu beheben ist (lit. a), bestimmte Strassenbenützer eines besonderen, nicht anders zu erreichenden Schutzes bedürfen (lit. b), auf Strecken mit grosser Verkehrsbelastung der Verkehrsablauf verbessert werden kann (lit. c), dadurch eine im Sinne der Umweltschutzgesetzgebung übermässige Umweltbelastung (Lärm, Schadstoffe) vermindert werden kann, wobei der Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu wahren ist (lit. d). Vor der Festlegung von abweichenden Höchstgeschwindigkeiten wird durch ein Gutachten abgeklärt, ob die Massnahme nötig sowie zweckmässig und verhältnismässig ist ob andere Massnahmen vorzuziehen sind (Art. 108 Abs. 4 SSV).

2.4. Art. 108 Abs. 2 SSV enthält zahlreiche unbestimmte Gesetzesbegriffe. Ob eine Gefahr schwer nicht rechtzeitig erkennbar ist, muss aufgrund der konkreten örtlichen Verhältnisse abgeklärt werden. Art. 108 Abs. 4 SSV schreibt sogar ausdrücklich ein Gutachten vor. Auch besteht ein gewisser Ermessensspielraum, welche Personengruppen als besonders schutzwürdig eingestuft werden. Die Feststellung des massgebenden Sachverhalts und dessen Würdigung lassen der Gemeinde einen gewissen Beurteilungsspielraum offen. Der Beschwerdeführerin ist zudem beizupflichten, dass sie im Regelfall die örtlichen Verhältnisse am besten kennt.

Das Bundesgericht hielt im Urteil zur Tempo-30-Zone im Gebiet Kesselhalden fest, es gäbe im betroffenen Wohnquartier keinen Durchgangsverkehr und nur eine geringe Verkehrsdichte, so dass weder eine Gefährdungssituation noch eine übermässige Umweltbelastung im Sinn von Art. 108 Abs. 2 SSV bestehe. In jenem Verfahren war gar nicht streitig, dass die Voraussetzungen von Art. 108 Abs. 2 SSV nicht erfüllt waren. Streitig war vielmehr, ob Tempo-30-Zonen unmittelbar gestützt auf Art. 3 Abs. 4 SVG bzw. aus anderen als den in Art. 108 Abs. 2 SSV aufgeführten Gründen erlassen werden können. Vorliegend ist hingegen streitig, ob die Voraussetzungen nach Art. 108 Abs. 2 lit. a und b SSV erfüllt sind.

Die Beschwerdeführerin macht geltend, es bestehe eine nur schwer nicht rechtzeitig erkennbare Gefahr. Sie begründet dies mit teilweise unübersichtlichen Situationen des Strassenraums bei schmalen, kurvigen Strassen, versetzt angeordneten Parkfeldern, eingeschränkter Sicht auf den Strassenraum und teilweise schlecht überschaubaren Situationen an den Knoten. Als Gefahrensituation wurde im Gutachten (Ziff. 42.1) festgehalten, eine Gefahr für die Bewohner und Bewohnerinnen stellten diejenigen Hauszugänge dar, welche direkt auf die Fahrbahn führten. Dies bedeute, dass Personen beim Verlassen der Häuser ohne weiteren Schutz direkt auf die Fahrbahn treten müssten und dadurch einer erhöhten Gefahr ausgesetzt seien.

Weiter macht die Beschwerdeführerin geltend, es bestünden Gefahrensituationen für die schwächsten Verkehrsteilnehmer, vor allem für Kinder und ältere Menschen sowie für die Kinder auf dem Weg zur Schule zum Kindergarten bzw. -hort. Dazu wird ausgeführt, die Kinder müssten im Teilgebiet Rotmonten-Waldguet die Strassen ohne gesicherte Querungsmöglichkeiten überschreiten, um die zwei Kindergärten an der Waldgutstrasse zu erreichen. An schönen Sommertagen verursachten Parkplatzsuchende einen im Verhältnis zum normalen Verkehrsaufkommen spürbaren Zusatzverkehr. An solchen Tagen seien auch Kinder, beispielsweise zu Fuss, auf Fahrrädern Kickboards, unterwegs zum Freibad.

Aufgrund des Gutachtens und der Darlegungen der Beschwerdeführerin bestehen verschiedene Anhaltspunkte, dass die Voraussetzungen von Art. 108 Abs. 2 lit. a b SSV erfüllt sein können. Namentlich die eingeschränkte Uebersichtlichkeit und die Funktion als Schulweg bzw. Zugang zu Kindergärten und -horten bzw. zum

Schwimmbad lassen es als vertretbar erscheinen, dass Kinder mittels einer Geschwindigkeitsreduktion besonders geschützt werden. Jedenfalls lässt sich aufgrund der Akten und namentlich des Gutachtens nicht ohne weiteres folgern, die Voraussetzungen für eine Tempo-30-Zone seien offensichtlich nicht erfüllt. Wie erwähnt, wird ein aufsichtsrechtlicher Eingriff als zulässig erachtet, wenn klares Recht, wesentliche Verfahrensvorschriften wichtige öffentliche Interessen missachtet werden. Von einer klaren Sachlage, wonach die Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 108 Abs. 2 lit. a b SSV offensichtlich nicht erfüllt sind, kann im vorliegenden Fall aber nicht gesprochen werden. Die Voraussetzungen für ein aufsichtsrechtliches Eingreifen waren daher nicht erfüllt. Daher ist die Beschwerde der Stadt St. Gallen gutzuheissen und Ziff. 2 des Entscheids des Sicherheits- und Justizdepartements aufzuheben.

3. Dem Verfahrensausgang entsprechend gehen die amtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zulasten des Staates (Art. 95 Abs. 1 VRP). Eine Entscheidgebühr von Fr. 2'000.-- ist angemessen (Ziff. 382 Gerichtskostentarif, sGS 941.12). Auf die Erhebung ist zu verzichten (Art. 95 Abs. 3 VRP).

Die Beschwerdeführerin hat keinen Anspruch auf Ersatz ausseramtlicher Kosten (vgl. R. Hirt, Die Regelung der Kosten nach st. gallischem Verwaltungsrechtspflegegesetz, Diss. St. Gallen 2004, S. 176).

Demnach hat das Verwaltungsgericht

zu Recht erkannt:

  1. ./ Die Beschwerde wird gutgeheissen und Ziff. 2 des Entscheids des Sicherheits- und Justizdepartements vom 11. August 2008 aufgehoben.

  2. ./ Die amtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens von Fr. 2'000.-- trägt der Staat;

    auf die Erhebung wird verzichtet.

  3. ./ Ausseramtliche Kosten werden nicht entschädigt.

V. R. W.

Der Präsident: Der

Gerichtsschreiber:

Versand dieses Entscheides an:

  • die Beschwerdeführerin

  • die Vorinstanz

am: Rechtsmittelbelehrung:

Sofern eine Rechtsverletzung nach Art. 95 ff. BGG geltend gemacht wird, kann gegen diesen Entscheid gestützt auf Art. 82 lit. a BGG innert 30 Tagen nach Eröffnung beim Schweizerischen Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, Beschwerde erhoben werden.

Quelle: https://www.sg.ch/recht/gerichte/rechtsprechung.html
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Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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