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Urteil Verwaltungsgericht (SG)

Kopfdaten
Kanton:SG
Fallnummer:B 2004/146
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Verwaltungsgericht
Verwaltungsgericht Entscheid B 2004/146 vom 02.12.2004 (SG)
Datum:02.12.2004
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Baurecht, Ortsbildschutz, Art. 93 BauG (sGS 731.1). Die Bestimmungen in Art. 15 Abs. 3 und 4 der städtischen Bauordnung, wonach bei Gebäuden in der Altstadt die Tragelemente als Bestandteile der Fassaden deutlich in Erscheinung treten müssen und Schaufenster über die gesamte Fassadenbreite nicht zulässig sind, sind rechtmässig. Mit Berufung auf allgemeine Grundsätze der Aesthetik und Denkmalpflege lässt sich kein Widerspruch mit übergeordnetem Recht begründen (Verwaltungsgericht, B 2004/146).
Schlagwörter: Beschwerde; Schaufenster; Fassade; Fassaden; Gallen; Fenster; Gasse; Altstadt; Vorschriften; Glaswand; Erdgeschoss; Element; Recht; Entscheid; Vorinstanz; Jugendstil; Bauordnung; ästhetisch; Verwaltungsgericht; Glasfront; Liegenschaft; Beschwerdegegnerin; Elemente; Gassenbild; Baute; Fassadenbreite; Baupolizeikommission; Aesthetik; Rekurs; Werden
Rechtsnorm:-
Referenz BGE:-
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:-
Entscheid
Baurecht, Ortsbildschutz, Art. 93 BauG (sGS 731.1). Die Bestimmungen in Art. 15 Abs. 3 und 4 der städtischen Bauordnung, wonach bei Gebäuden in der Altstadt die Tragelemente als Bestandteile der Fassaden deutlich in Erscheinung treten müssen und Schaufenster über die gesamte Fassadenbreite nicht zulässig sind, sind rechtmässig. Mit Berufung auf allgemeine Grundsätze der Aesthetik und Denkmalpflege lässt sich kein Widerspruch mit übergeordnetem Recht begründen (Verwaltungsgericht, B 2004/146).

Urteil vom 2. Dezember 2004

Anwesend: Präsident Dr. U. Cavelti; Verwaltungsrichter Dr. E. Oesch-Frischkopf, lic. iur. A. Linder, Dr. B. Heer, lic. iur. A. Rufener; Gerichtsschreiber lic. iur. Th. Vögeli

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In Sachen

Politische Gemeinde St. Gallen, vertreten durch den Stadtrat, Rathaus, 9001 St. Gallen, Beschwerdeführerin,

gegen

Baudepartement des Kantons St. Gallen, Lämmlisbrunnen- strasse 54, 9001 St. Gallen,

Vorinstanz, und

V. Pensionskasse, Beschwerdegegnerin, vertreten durch M. betreffend

Baugesuch (Umbau Schaufensterfront) hat das Verwaltungsgericht festgestellt:

  1. ./ Die V. Pensionskasse ist Eigentümerin der Liegenschaft Grundbuch St. Gallen- Centrum Nr. Cxxxx. Auf dieser befindet sich das Wohn- und Geschäftshaus Multergasse yy. Die Eigentümerin reichte am 10. November 2003 ein Baugesuch für den Umbau der Liegenschaft ein. Nach den eingereichten Plänen sollen das Erdgeschoss und das erste Obergeschoss umgebaut und wie bisher als Laden genutzt werden. Trennwände und Treppenanlage würden abgebrochen und neu erstellt.

    Sodann soll die Schaufensterfront abgebrochen und durch eine neue, direkt auf der Fassadenflucht stehende Ganzglasfront ersetzt werden. Ausserdem sollen zwei Gauben auf der Gassenseite und eine Gaube auf der Hofseite sowie eine Dachterrasse erstellt werden.

    Die Baupolizeikommission befasste sich an ihrer Sitzung vom 5. Dezember 2003 mit dem Projekt. Sie begrüsste grundsätzlich die Anstrengungen der Bauherrschaft, mit der Renovation und dem Umbau der Liegenschaft einen Beitrag zur Erhaltung und Aufwertung des Gassenbildes sowie des Wohnens in der Altstadt zu leisten. Gleichwohl kam sie zum Schluss, das Projekt sei in verschiedenen Punkten zu überarbeiten, insbesondere bezüglich der Schaufensterfront, der Dachgestaltung sowie der Wohnnutzung im Estrichgeschoss. In der Folge reichte die Bauherrschaft am 19. Februar 2004 ein Korrekturgesuch ein. Nach diesem soll die Dachterrasse reduziert und das Doppelfenster in der rechten Gebäudehälfte des ersten Obergeschosses den darüberliegenden Fenstern angepasst und auf eine Wohnnutzung im Estrichgeschoss verzichtet werden. Im übrigen wurde am Grundkonzept festgehalten. Nach wie vor waren im Korrekturgesuch eine neue Schaufensterfront auf der Fassadenflucht in Ganzglaskonstruktion sowie zwei neue Dachaufbauten auf der Gassenseite und eine Dachaufbaute auf der Hofseite vorgesehen.

    Die Baupolizeikommission entschied am 19. März 2004 über das Baugesuch. Sie erwog, das Gebäude sei im Verzeichnis der schützenswerten Bauten der Kategorie 2 zugeordnet. Einerseits würden erhöhte ästhetische Anforderungen gelten, anderseits kämen auch die Spezialbestimmungen für das Bauen in der Altstadt zur Anwendung. Nach Art. 15 der Bauordnung (sRS 731.1, abgekürzt BO) sei die historische Bausubstanz nach Möglichkeit zu erhalten. Im Erdgeschoss hätten die Tragelemente als Bestandteil der Fassaden deutlich in Erscheinung zu treten. Schaufenster dürften nicht in der ganzen Fassadenbreite erstellt werden; sie müssten seitlich der Brandmauer einen markanten Wandstreifen respektieren. Breite Schaufensteranlagen seien durch massive Mauerpfeiler zu unterteilen. Die Glasfront, wenn für sich auch sorgfältig gestaltet und als einzelnes Element nicht zu beanstanden, stehe im klaren Widerspruch zu diesen Bestimmungen für das Bauen in der Altstadt. Es treffe zwar zu, dass in den Sechzigerjahren mit der heutigen Schaufensterfront der entscheidende Eingriff in die Konstruktion getätigt worden sei. Dies bedeute aber nicht, dass heute ein

    für das Gebäude und namentlich für das Gassenbild noch viel einschneidender Eingriff zugelassen werden könne. Ein Bauteil könne z.B. durchaus für sich allein gut gestaltet sein, ohne aber im Kontext mit dem Gebäude oder der Umgebung die gute Gesamtwirkung erzielen zu können. Die durchgehende Glasfront könne gestützt auf Art. 15 Abs. 3 und 4 BO nicht bewilligt werden. Dementsprechend entschied die Baupolizeikommission, die Bewilligung nach dem Korrekturgesuch werde unter Vorbehalt der Bedingungen und Auflagen teilweise erteilt (Ziff. 1), und hielt in Ziff. 2 folgendes fest:

    "Die Schaufensterfront wird in Form des Korrekturgesuches vom 19. Februar 2004 abgewiesen. Die Altane ist direkt auf dem Dach der hofseitigen Gaube aufzusetzen; die Gaube im rechten Hausteil ist in der Höhe zu reduzieren."

    Im übrigen wurde vom Rückzug einer Einsprache Kenntnis genommen.

  2. ./ Am 7. April 2004 erhob die Eigentümerin Rekurs gegen den Entscheid der Baupolizeikommission und teilte mit, es werde beabsichtigt, ein Wiedererwägungsgesuch zu stellen, weshalb zur Begründung des Rekurses um eine Nachfrist ersucht werde.

    Die Baupolizeikommission trat an ihrer Sitzung vom 14. Mai 2004 auf das Wiedererwägungsgesuch nicht ein.

    In ihrer Rekursergänzung vom 19. Mai 2004 beantragte die Eigentümerin, der Entscheid der Baupolizeikommission sei aufzuheben und das Projekt sei in der vorgelegten Form zu bewilligen.

    Das Baudepartement entschied am 25. August 2004 über die Angelegenheit. Es hiess den Rekurs gut (Ziff. 1) und hob im Beschluss der Baupolizeikommission vom 19. März 2004 den ersten Satz von Ziff. 2 des Dispositivs auf (Ziff. 2). Auf die Erhebung einer Entscheidgebühr wurde verzichtet (Ziff. 3) und der von der Rekurrentin geleistete Kostenvorschuss von Fr. 1'000.-- zurückerstattet (Ziff. 4). Das Baudepartement erwog, in der Altstadt gälten aus ästhetischen und denkmalpflegerischen Gründen generell die Erfordernisse einer guten Gesamtwirkung und des Erhalts historischer Umgebungen sowie historischer Substanz. Wie eine gute Gesamtwirkung erreicht werden solle,

    werde durch die konkreten Vorschriften in Art. 15 BO näher festgelegt. In bezug auf das Zusammenwirken dieser Vorschriften könne grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass sie in jedem Fall einzuhalten seien. Anschliessend sei jedoch das Ergebnis im Licht der generellen Vorschriften zu beurteilen. Dies schliesse nicht aus, dass im Einzelfall die konkreten Vorschriften auf ihre Uebereinstimmung mit den dahinter stehenden Interessen der Aesthetik und Denkmalpflege zu überprüfen seien. Konkrete bauliche Massnahmen würden nur dann von einem öffentlichen Interesse getragen, wenn sie ein Gestaltungselement bildeten, das die Umgebung augenscheinlich präge. Zu berücksichtigen sei schliesslich, dass ästhetischen Vorschriften nur in beschränktem Mass eine Steuerungsfunktion zukomme. Es könne nicht einfach verlangt werden, das Erscheinungsbild der benachbarten Baute zu kopieren. Vielmehr sei die projektierte Baute bezüglich ihrer eigenen Gestaltung und ihrer Wirkung auf die Umgebung zu bewerten.

    Weiter kam das Baudepartement zum Schluss, die derzeitige Erscheinung sei zu einem guten Teil durch die Eingriffe der Sechzigerjahre geprägt. Eine Rückführung in den ursprünglichen Zustand sei nicht möglich. Bei dieser Ausgangslage könne die vorgesehene Glaswand als zulässige Reaktion eingestuft werden. Insgesamt zeichne sich die vorgesehene Lösung dadurch aus, dass sie sehr subtil die sich widersprechenden Elemente aus weit auseinanderliegenden Bauphasen wieder in Einklang bringe.

    Auch seien die spezifischen Anforderungen von Art. 15 BO erfüllt. Im Kontext der weitestgehend durch Jugendstilbauten geprägten Multergasse wirke die streitige Glaswand nicht mehr als Fremdkörper. Letztlich bestehe der Unterschied zu den Jugendstilfassaden nur noch darin, dass die tragenden Elemente im Jugendstil aussen stünden, beim Streitobjekt jedoch innen angeordnet werden sollten. Im weiteren sei es zu begrüssen, wenn die Bauherrschaft in der unmittelbaren Nachbarschaft expressiver Jugendstilbauten in der Erdgeschossfassade gänzlich auf gliedernde Elemente verzichte bzw. diese hinter die Glaswand stelle.

    Sodann sei über alle Bauphasen betrachtet die funktionale Umschreibung der Präsentation von Angeboten der einzige Aspekt, der bei Schaufenstern allgemeine Gültigkeit beanspruchen könne. In der funktionalen Betrachtungsweise übernehme die

    streitige Glaswand nur in klar definierten Teilbereichen die Rolle eines Schaufensters. Insgesamt ergebe sich, dass die Erdgeschossfassade den spezifischen Bauvorschriften der Altstadt entspreche.

    Weiter kam das Baudepartement zum Schluss, auch das in der Altstadt geltende Einfügungsgebot sei erfüllt. Indem die Glaswand Elemente aus beiden Bauphasen, nämlich Schaufensterfronten aus dem Jugendstil und Flächigkeit aus dem Klassizismus, übernehme und zugunsten der eigenen Liegenschaft neu interpretiere, entstehe ein sublimes Zusammenspiel, das klar zu einer Aufwertung des Gassenbildes führe. Da die geltende Bauordnung in naher Zukunft aufgehoben werde, sei es nicht angezeigt, die spezifischen Aesthetikvorschriften von Art. 15 BO auf ihre Uebereinstimmung mit der Eigentumsgarantie zu überprüfen. Dennoch könne in Frage gestellt werden, ob Bauvorschriften, welche dazu führten, dass Wände ohne tragende Wirkung oder Pfeiler im Widerspruch zum Haustyp erstellt oder dass objektfremde Natursteinverkleidungen eingesetzt werden müssten, von einem öffentlichen Interesse am Ortsbildschutz getragen werden. Diese Frage müsste spätestens dann verneint werden, wenn die strikte Anwendung dieser Vorschriften dazu führe, dass aus dem geschützten Ortsbild insgesamt eine zwar gefällige Kulisse entstehe, welche aber mit der eigentlichen Substanz in keinem Zusammenhang stehe.

  3. ./ Mit Eingaben vom 7. und 28. September 2004 erhob der Stadtrat St. Gallen Beschwerde beim Verwaltungsgericht mit dem Antrag, der Entscheid des Baudepartements vom 25. August 2004 sei aufzuheben und der Beschluss der Baupolizeikommission vom 19. Februar 2004 sei zu bestätigen. Zur Begründung wird im wesentlichen vorgebracht, es sei nicht nach allgemeingültigen ästhetischen oder denkmalpflegerischen Grundsätzen zu beantworten, ob die Anforderungen der besonderen Bauvorschriften von Art. 15 Abs. 3 und 4 BO erfüllt seien, sondern nach Massgabe der gesetzlichen Bestimmungen. Es könne keinem Zweifel unterliegen, dass das Bauvorhaben diesen nicht entspreche. Die Bestimmungen stellten Spezialvorschriften dar, die als konkretisierende Normen in jedem Fall zu beachten seien. Der angefochtene Entscheid verlasse den Rahmen, welcher der Rechtsanwendung gesetzt sei und stelle zu Unrecht eigene Ueberlegungen der Aesthetik und des Denkmalschutzes an die Stelle der vom kommunalen Gesetzgeber beschlossenen Regelungen. Dem angefochtenen Entscheid sei auch mit Bezug auf die

    Beurteilung der gestalterischen Gesamtwirkung des Bauvorhabens nicht beizupflichten. Abgesehen davon, dass im Entscheid in einem noch nie gesehenen Mass das eigene Ermessen der Rechtsmittelinstanz an die Stelle des Ermessens der kommunalen Baubewilligungsbehörde gesetzt werde, die eine eigene denkmalpflegerische Fachstelle besitze, berücksichtige die Rekursinstanz die Wirkung, die eine durchgehende Glasfront im Gassenbild erziele, in ungenügender Weise. Zwar möge es sein, dass ein Betrachter unmittelbar vor der Liegenschaft die tragenden Bauteile durch die Glasfront erkennen oder erfahren könne und dass die Erschliessungselemente bei genauerem Hinsehen erkennbar seien. Der Betrachter, der nicht unmittelbar vor der Glasfront stehe, sondern in der Gasse einen schrägen Blickwinkel auf die Liegenschaft habe, sehe nur eine flächige, fassadenbündige Glaswand. Im übrigen wäre das Vorhaben auch nach Inkrafttreten der neuen Bauordnung nicht zulässig.

    Die Vorinstanz beantragt in ihrer Vernehmlassung vom 18. Oktober 2004 die Abweisung der Beschwerde.

    Die Beschwerdegegnerin beantragt in ihrer Stellungnahme vom 28. Oktober 2004 ebenfalls die Abweisung der Beschwerde.

    Auf die weiteren Vorbringen der Verfahrensbeteiligten wird, soweit wesentlich, in den nachstehenden Erwägungen näher eingegangen.

    Darüber wird in Erwägung gezogen:

    1. ./ Die sachliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts ist gegeben (Art. 59bis Abs. 1 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege, sGS 951.1, abgekürzt VRP). Die Stadt St. Gallen ist zur Beschwerdeführung legitimiert (Art. 64 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 45 Abs. 2 VRP; Cavelti/Vögeli, Verwaltungsgerichtsbarkeit im Kanton St. Gallen, St. Gallen 2003, Rz. 450 ff.; F. Rüdisüli, Die Legitimation der öffentlich-rechtlichen Körperschaften im Beschwerdeverfahren, in: 20 Jahre Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen, Nr. 12 der Schriftenreihe "Der Kanton St. Gallen heute und morgen", St. Gallen 1986, S. 42 mit Hinweis auf VerwGE vom 3. März 1983 i.S. Pol. Gde. St. Gallen).

      Die Beschwerdeeingaben vom 7. und 28. September 2004 wurden rechtzeitig eingereicht und entsprechen formal und inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (Art. 64 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 47 Abs. 1 und Art. 48 Abs. 1 und 2 VRP). Auf die Beschwerde ist somit einzutreten.

      Die Beschwerdegegnerin wird vom Architekten vertreten, der das Projekt ausgearbeitet hat. Zur berufsmässigen Vertretung im Beschwerdeverfahren vor Verwaltungsgericht sind, im Gegensatz zum Rekursverfahren, nur patentierte Rechtsanwälte zugelassen (Art. 10 Abs. 1 des Anwaltsgesetzes, sGS 963.70). Da die Beteiligung der Beschwerdegegnerin am Verfahren nicht zwingend ist, kann aber darauf verzichtet werden, ihr Gelegenheit zum Beizug eines Rechtsanwalts oder zur eigenhändigen Unterzeichnung der Vernehmlassung zu geben.

    2. ./ Im Beschwerdeverfahren ist streitig, ob die im Baugesuch vorgesehene Gestaltung der gegen die Multergasse gerichteten Erdgeschossfassade der Liegenschaft der Beschwerdegegnerin den in der Altstadt von St. Gallen geltenden Bauvorschriften entspricht.

      a) Art. 93 Abs. 1 des kantonalen Gesetzes über die Raumplanung und das öffentliche Baurecht (Baugesetz, sGS 731.1, abgekürzt BauG) bestimmt, dass Bauten und Anlagen, Ablagerungen und andere Eingriffe in das Gelände, die das Orts- oder Landschaftsbild verunstalten, untersagt sind. Nach Art. 93 Abs. 2 BauG ist bei der Beurteilung dem Charakter der Gegend und der Art der Zone Rechnung zu tragen. Nach Art. 93 Abs. 4 BauG kann die Gemeinde für bestimmte Teile ihres Gebietes strengere Vorschriften aufstellen.

      1. Die Stadt St. Gallen hat in Art. 13 BO besondere ästhetische Anforderungen für bestimmte Teile des Stadtgebietes erlassen. Nach Art. 13 lit. a BO sind in der Altstadt und an den die Altstadt umschliessenden Strassenzügen Bauten und Anlagen sowie deren Umgebung besonders sorgfältig zu gestalten, so dass eine städtebaulich gute Gesamtwirkung erzielt wird. Art. 14 Abs. 2 BO bestimmt, dass in der Altstadt die städtebaulich wertvollen Baugruppen, Gassenbilder, Plätze und Höfe zu erhalten sind und der kleinmassstäbliche historische Altstadtcharakter zu wahren ist. Um- und Neubauten sind an das historische Gesamtbild anzupassen.

        Art. 15 Abs. 1 BO schreibt vor, dass sich Neu- und Umbauten durch ihre Ausmasse, Massstäblichkeit, Gestaltung, Stellung, Materialien und Farbgebung in das bestehende Stadtbild einordnen müssen. Die historische Bausubstanz ist nach Möglichkeit zu erhalten. Störende bauliche Elemente, die bei früheren Veränderungen entstanden sind, müssen bei Umbauten und Renovationen wieder entfernt werden.

        Art. 15 Abs. 3 BO bestimmt, dass sich die Fassadengliederung der einzelnen Häuser an den Charakter des Platz- oder Gassenbildes halten soll. Insbesondere ist das Verhältnis zwischen Mauer- und Fensterflächen der näheren Umgebung anzupassen. Im Erdgeschoss haben die Tragelemente als Bestandteile der Fassaden deutlich in Erscheinung zu treten. Fenster haben in der Regel die Form eines stehenden Rechtecks und eine dem Charakter des Gebäudes entsprechende Sprossenteilung aufzuweisen. Durchgehende Fensterbänder über die ganze Fassadenbreite sowie vertikale Fensterbänder sind nicht zulässig.

        Art. 15 Abs. 4 BO schreibt vor, dass Schaufenster nicht in der ganzen Fassadenbreite erstellt werden dürfen; sie müssen seitlich der Brandmauer einen markanten Wandstreifen respektieren. Breite Schaufensteranlagen sind durch massive Mauerpfeiler zu unterteilen.

        Art. 15 Abs. 7 BO bestimmt ferner, dass die Baupolizeibehörde befugt ist, im Einzelfall weitere besondere Auflagen im Interesse der Wahrung des Altstadtbildes zu verfügen, insbesondere bezüglich Materialwahl und Farbgebung.

        Diese Bestimmungen weisen einen relativ hohen Bestimmtheitsgrad und eine erhebliche Normendichte auf. Diese sind bei Vorschriften aus dem Bereich des Ortsbild- und Denkmalschutzes von wesentlicher Bedeutung, da der Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit bei Vorschriften mit eigentumsbeschränkender Wirkung ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. R. Schaffhauser, in: Rechtsfragen der Denkmalpflege, Veröffentlichungen des Schweizerischen Instituts für Verwaltungskurse an der Hochschule St. Gallen, St. Gallen 1981, S. 88 f.).

      2. Nach den Baugesuchsunterlagen und den unbestrittenen Feststellungen der Vorinstanz sieht die Beschwerdegegnerin vor, im Erdgeschoss eine durchgehende

        Glasfront fassadenbündig anzubringen, welche vor die bestehenden Mauerpfeiler gesetzt werden soll. Eine Ausnahme bilden zwei schmale seitliche Streifen, welche die Wasserableitungen abdecken. Eine runde Stütze hinter der Glasfront in der rechten Fassadenhälfte soll den rechten Hausteil markieren. Ansonsten ist mit Ausnahme der Haus- und Ladentüre keine Aufgliederung der Glasfront vorgesehen. Diese reicht vom Strassenboden bis zum Stahlträger unter dem ersten Obergeschoss.

        Das vorgesehene Projekt sieht somit ein durchgehendes Fensterband über die gesamte Fassadenbreite vor. Unbestritten ist, dass die schmalen seitlichen Streifen, welche die Wasserableitungen abdecken, diesbezüglich nicht ins Gewicht fallen und nicht als markante Wandstreifen im Sinne von Art. 15 Abs. 4 BO gelten. Auch die Eingangstüre besteht aus Glas und ist als integrales Element der Fensterfläche ausgestaltet. Sodann hat die Glasfläche die Funktion eines Schaufensters. Die Tragelemente kommen hinter die Fensterfront zu stehen.

        Indem die Tragelemente hinter die Fensterfront zu stehen kommen, erfüllt das vorgesehene Schaufenster das Erfordernis, wonach die Tragelemente als Bestandteile der Fassaden deutlich in Erscheinung zu treten haben, nicht. Auch verstösst das Schaufenster gegen die Vorschrift, wonach durchgehende Fensterbänder über die ganze Fassadenbreite nicht zulässig sind. Schliesslich widerspricht es auch der Bestimmung, wonach Schaufenster nicht in der ganzen Fassadenbreite erstellt werden dürfen, sondern seitlich der Brandmauer einen markanten Wandstreifen respektieren müssen.

      3. Die Vorinstanz kam zum Schluss, die Erdgeschossfassade entspreche den spezifischen Bauvorschriften von Art. 15 Abs. 1 bis 4 BO. Sie hielt fest, die Multergasse haben ihren ursprünglich spätgotischen Charakter verloren und werde weitestgehend durch Jugendstilbauten geprägt. Seit dieser Stilepoche seien Ladennutzungen verbreitet, die das ganze Erdgeschoss und später auch das erste Obergeschoss einnehmen und zum anderen über ausgedehnte Schaufensteranlagen verfügen würden, die sich immer wieder über zwei Geschosse ausdehnten. Kennzeichen dieser Bauphase seien grössere Schaufensterflächen, die durch gusseiserne Säulen mit kleinen Kapitellen unterteilt und durch eine Rahmungsarchitektur, bestehend aus mannigfaltigen Pilastern und Gesimszonen, umgeben würden. Gerade in diesem

        Kontext wirke die streitige Glaswand nicht mehr als Fremdkörper. Letztlich bestehe der Unterschied zu den Jugendstilfassaden nur noch darin, dass die tragenden Elemente im Jugendstil aussen stehen, beim streitigen Objekt jedoch innen angeordnet werden sollen. Eine vollständige Anpassung stehe aber ausser Frage, da aussen angebrachte Pfeiler sich mit der Ruhe ausstrahlenden Flächigkeit der klassizistischen Fassade nicht vertragen würden.

        Ob die tragenden Elemente aussen oder innen angeordnet werden, ist jedoch im Lichte der massgebenden Bestimmungen von entscheidender Bedeutung. Die Vorschriften der Bauordnung bezwecken, dass die tragenden Fassadenelemente durch eine entsprechende Gestaltung der Fensterfronten aussen zu stehen kommen. Das Argument, es sei richtig, wenn die Liegenschaft mit der einheitlichen Ausgestaltung des Erdgeschosses ihre ganze Fassadenbreite in die Waagschale werfe, beruht, wie die Beschwerdeführerin zutreffend geltend macht, auf allgemeinen ästhetischen und gestalterischen Ueberlegungen. Sie verlässt aber den von der Bauordnung gesetzten Rahmen. Dasselbe gilt für das Argument, es sei zu begrüssen, wenn in der unmittelbaren Nachbarschaft expressiver Jugendstilbauten in der Erdgeschossfassade gänzlich auf gliedernde Elemente verzichtet werde bzw. diese hinter die Glaswand gestellt würden. Solche Ueberlegungen mögen ästhetisch und gestalterisch begründet sein. Es entspricht wohl einem zeitgenössischen ästhetischen Empfinden, durch gänzlich unterschiedliche Baustile Kontraste zu bestehenden Bauten zu erzeugen und die Anpassung von Erneuerungen an bestehende Bauten als historisierende Gestaltung bzw. Kulissenarchitektur zu qualifizieren. Wenig überzeugend ist auch das Argument, in der funktionalen Betrachtungsweise übernehme die streitige Glaswand nur in klar definierten Teilbereichen die Rolle eines Schaufensters. Abgesehen davon, dass Art. 15 Abs. 3 und 4 BO nicht nur durchgehende Schaufenster, sondern allgemein durchgehende Fensterbänder über die ganze Fassadenbreite als unzulässig qualifizieren, handelt es sich bei dieser funktionalen Betrachtungsweise um einen Aspekt, der keinen direkten Bezug auf die Bauordnung nimmt. Die streitige Fensterfront hat, wie aus den eingereichten Unterlagen hervorgeht, zur Hauptsache die Funktion eines Schaufensters. Allein der Umstand, dass die Scheibe in einem kleinen Teilbereich nicht unmittelbar als Schaufenster dient, sondern vor das Gemäuer der Fassade zu stehen kommt, ändert an ihrer Haupteigenschaft nichts.

        Unter diesen Umständen muss mit der Beschwerdeführerin davon ausgegangen werden, dass das Bauvorhaben den Anforderungen von Art. 15 Abs. 3 und 4 BO nicht entspricht. Die Beschwerdegegnerin zielt nach den Ausführungen in ihrer Vernehmlassung darauf ab, die von der Bauordnung vorgegebenen Bestimmungen ausser Acht zu lassen. Sie argumentiert, die Beachtung der Bauordnung führe zu Kulissenarchitektur, und es sei der objektspezifischen Realität und den echten Bemühungen um Lösungen für die Zukunft Rechnung zu tragen und die Baukultur weiter zu entwickeln. Dies zeigt, dass sich die Bauherrschaft des Widerspruchs ihres Projekts zur Bauordnung bewusst ist. Die Vorinstanz geht davon aus, dass aus den Grundsätzen der Aesthetik und Denkmalpflege allgemeingültige Regeln abgeleitet werden können, welche die Verbindlichkeit spezifischer Schutzvorschriften der städtischen Bauordnung aufzuheben vermögen.

        Die Beschwerdeführerin bestreitet im weiteren, dass mit dem Bauvorhaben eine städtebaulich gute Gesamtwirkung erzielt wird. Die Wirkung, die durch eine durchgehende Glasfront im Gassenbild erzielt werde, werde ungenügend berücksichtigt. Der Betrachter, der nicht unmittelbar vor der Glasfront stehe, sondern in der Gasse einen schrägen Blickwinkel auf die Liegenschaft habe, erblicke lediglich eine flächige, fassadenbündige Glaswand. Demgegenüber erwog die Vorinstanz, das Bild der Multergasse erhalte durch die expressiven Jugendstilfassaden und die Opposition der wenigen klassizistischen Fassaden Spannung. Es sei nicht von der Hand zu weisen, dass der Jugendstil gerade die Gegensätze zur vorherigen Stilepoche inszeniere und nicht ein harmonisches Gesamtbild anstrebe. Indem die Glaswand Elemente aus beiden Bauphasen übernehme und zugunsten der eigenen Liegenschaft neu interpretiere, entstehe ein sublimes Zusammenspiel, das klar zu einer Aufwertung des Gassenbildes führe.

        Das Verwaltungsgericht kann sich dem Standpunkt der Vorinstanz nicht anschliessen. Wie die Beschwerdeführerin zutreffend ausführt, würde die Zulassung einer Glaswand über die gesamte Erdgeschossfassade wohl einer heutigen Architekturtendenz entsprechen und modisch wirken. Das Gebot der städtebaulich guten Gesamtwirkung setzt allerdings der städtebaulichen Entwicklung gewisse Grenzen. Nicht entscheidend ist, ob die Zulassung eines neuen Stilelementes zu einer Aufwertung des Gassenbildes führe. Das Gebot der Einordnung und der städtebaulich guten Gesamtwirkung lässt es

        zu, bei Renovationen und Umgestaltungen lediglich Weiterentwicklungen der bisherigen Baustile zuzulassen und den optischen Auswirkungen Rechnung zu tragen.

      4. Die Vorinstanz hält in ihrer Vernehmlassung fest, bei den spezifischen Anforderungen von Art. 15 BO fielen die Erforderlichkeit und die Geeignetheit einer Massnahme dahin, soweit die verlangten Elemente weder ästhetisch noch denkmalpflegerisch eine positive Wirkung zeitigten. Die Beschwerdeführerin wolle über die in Frage stehenden Vorschriften offensichtlich die herkömmliche Bauweise sicherstellen. Für diese Zielsetzung fehle ein öffentliches Interesse, da weder die Aesthetik noch die Denkmalpflege ein Anbiedern an die Umgebung erheischen würden. Könne jedoch die zeitgenössische Bauweise nicht ausgeschlossen werden, müsse es auch möglich sein, die Vorschriften entsprechend der eingesetzten Technik oder den verwendeten Materialien auszulegen.

        Die Vorinstanz geht also davon aus, dass gestalterische Vorschriften nur dann verhältnismässig sind, wenn deren Anwendung im Ergebnis eine ästhetisch oder denkmalpflegerisch allgemeingültige positive Wirkung erreicht. Diesem Standpunkt kann sich das Verwaltungsgericht nicht anschliessen. Wie erwähnt, lassen sich weder aus der Aesthetik noch aus der Denkmalpflege allgemein gültige Normen ableiten, welche im vorliegenden Fall die Anwendung von Art. 15 Abs. 3 und 4 BO verbieten. Mit Berufung auf allgemeine Grundsätze der Aesthetik und der Denkmalpflege kann jedenfalls kein Widerspruch von Art. 13 und 15 BO mit übergeordnetem Recht begründet werden.

      5. Nicht ersichtlich ist im übrigen, inwiefern der Entscheid der Baupolizeikommission gegen die verfassungsrechtlich geschützte Eigentumsgarantie (Art. 26 der Bundesverfassung, SR 101) verstösst. Die Argumentation der Vorinstanz beruht auch in diesem Punkt auf der Prämisse, dass sich aus der Aesthetik Regeln ableiten lassen, denen die Eigenschaft von Rechtsnormen zukommen.

      6. Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerde der Stadt St. Gallen gutzuheissen und der angefochtene Rekursentscheid vom 25. August 2004 in Ziff. 1 und 2 aufzuheben ist.

    3. ./ Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die amtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens der Beschwerdegegnerin aufzuerlegen (Art. 95 Abs. 1 VRP). Eine Entscheidgebühr von Fr. 3'000.-- ist angemessen (Ziff. 382 Gerichtskostentarif, sGS 941.12).

Nachdem im Rekursentscheid auf die Erhebung einer Entscheidgebühr verzichtet wurde, hat es dabei sein Bewenden.

Ausseramtliche Kosten sind nicht zu entschädigen (Art. 98bis und 98ter VRP in Verbindung mit Art. 263 Abs. 3 des Zivilprozessgesetzes, sGS 961.2).

Demnach hat das Verwaltungsgericht zu Recht erkannt:

  1. ./ Die Beschwerde wird gutgeheissen und Ziff. 1 und 2 des Rekursentscheids vom 25. August 2004 aufgehoben.

  2. ./ Die amtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens von Fr. 3'000.-- bezahlt die Beschwerdegegnerin.

  3. ./ Ausseramtliche Kosten werden nicht entschädigt.

V. R. W.

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: Zustellung dieses Entscheides an:

  • die Beschwerdeführerin

  • die Vorinstanz

  • die Beschwerdegegnerin (durch M.)

Quelle: https://www.sg.ch/recht/gerichte/rechtsprechung.html
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