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Urteil Versicherungsgericht (SG)

Kopfdaten
Kanton:SG
Fallnummer:AVI 2018/30
Instanz:Versicherungsgericht
Abteilung:AVI - Arbeitslosenversicherung
Versicherungsgericht Entscheid AVI 2018/30 vom 17.05.2019 (SG)
Datum:17.05.2019
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Art. 29 und 51 ff. AVIG, Art. 2 ZGB, Art. 82 und 337a OR;Befindet sich die Arbeitgeberin nicht im Zahlungsverzug, so kann die Arbeit nicht gestützt auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu Art. 82 OR analog niedergelegt werden. Arbeitet die versicherte Person tatsächlich noch für die Arbeitgeberin und unternimmt diese konkrete Rettungsbemühungen zur Abwendung eines drohenden Konkurses, so ist die versicherte Person nicht ohne Weiteres unter dem Blickwinkel der Schadenminderungspflicht zur fristlosen Kündigung verpflichtet. Zur Verhinderung von Missbräuchen sieht Art. 52 Abs. 1 AVIG eine zeitliche Limite von vier Monaten für die Bezugsdauer vor (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 17. Mai 2019, AVI 2018/30).
Schlagwörter: Arbeit; Beschwerde; Arbeitgeber; Arbeitgeberin; Insolvenzentschädigung; Beschwerdeführer; Konkurs; Arbeitslosen; Recht; Arbeitnehmer; Beschwerdegegnerin; Kündigung; Fristlos; Anspruch; Wäre; Zahlt; Fristlose; Lohnforderung; Schaden; Bezahlt; Mitarbeitenden; Kasse; Verfügung; Arbeitsverhältnis; Lohnforderungen; Unternehmen; E-Mail; Arbeitsausfall; Zeitraum; Missbräuchlich
Rechtsnorm: Art. 2 ZGB ; Art. 337a OR ; Art. 82 OR ;
Referenz BGE:111 V 269; 132 V 82; 136 III 313;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:Adrian von Kaenel; Roger Rudolph;
Entscheid
Entscheid vom 17. Mai 2019

Besetzung

Versicherungsrichterinnen Marie-Theres Rüegg Haltinner (Vorsitz), Christiane Gallati Schneider und Michaela Machleidt Lehmann;

Gerichtsschreiberin Felicia Sterren

Geschäftsnr.

AVI 2018/30

Parteien

  1. Beschwerdeführer,

    vertreten durch Rechtsanwalt Dr. iur. Marc Wolfer, Gründler&Partner Rechtsanwälte, Schützengasse 10, Postfach 717, 9001 St. Gallen,

    gegen

    Kantonale Arbeitslosenkasse, Geltenwilen-strasse 16/18, 9001 St. Gallen,

    Beschwerdegegnerin,

    Gegenstand

    Insolvenzentschädigung

    Sachverhalt

    A.

    1. A. arbeitete seit 1. April 2017 bei der B. AG (nachfolgend: Arbeitgeberin; act. G3.1/65). Mit Schreiben vom 19. Dezember 2017 teilte die Arbeitgeberin dem Versicherten mit, dass sie am 18. Dezember 2017 entschieden habe, die Bilanz zu

      deponieren. Auch eine noch so intensive Suche nach neuen Kapitalgebern sei leider erfolglos verlaufen. Sie sei überschuldet. Bei einer Überschuldung kämen automatisch die gesetzlichen Auflagen zum Tragen. Diese seien die sofortige Deponierung der Bilanz beim Konkursrichter, Information an die Mitarbeiter, Aktionäre und Geldgeber sowie Kündigung sämtlicher Verträge. Aus diesem Grund kündige die Arbeitgeberin den Arbeitsvertrag per 31. März 2018. Sie zahle den Lohn weiterhin. Sollte sie wider Erwarten ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen, sei der Lohn über die Insolvenzentschädigung sichergestellt. Sie bitte den Mitarbeiter, sie in dieser schwierigen Zeit weiterhin tatkräftig zu unterstützen. Nur gemeinsam würden sie es schaffen, diese unerfreuliche Situation für alle bestmöglich zu meistern (act. G3.1/54).

    2. Am 3. Januar 2018 forderte die Arbeitgeberin ihre Mitarbeitenden auf, sich (zusätzlich zum Antrag auf Insolvenzentschädigung) bei ihrer Arbeitslosenkasse zum Bezug von Arbeitslosenleistungen anzumelden. Zudem sollten die Mitarbeitenden ihre Lohnforderungen für die Monate Januar, Februar und März 2018 schriftlich bei ihr einfordern. Gestützt auf die heutige Barliquidität werde sie nicht in der Lage sein, die Löhne schon diesen Monat zu decken ("based on the cash liquidity from today I must warn you that we will not be able to cover the salaries already this month"; act. G3.1/19). Am 18. Januar 2018 wurde über die Arbeitgeberin der Konkurs eröffnet (act. G3.1/17). Am 22. Januar 2018 informierte sie ihre Mitarbeitenden, dass sie ab sofort nicht mehr zur Arbeit erscheinen müssten (act. G3.1/21).

    3. Mit vom 16. Januar 2018 datierendem, nachträglich angepasstem Formular, das am 5. Februar 2018 bei der kantonalen Arbeitslosenkasse (nachfolgend: Kasse) einging, beantragte der Versicherte Insolvenzentschädigung. Als letzten geleisteten Arbeitstag nannte er den 22. Januar 2018. Als offene Forderungen gab er den Lohn Januar bis März 2018 inkl. Anteil 13. Monatslohn an (act. G3.1/47 f.).

    4. Am 14. Februar 2018 stellte die Kasse dem Versicherten eine Teilabrechnung zu, aus der hervorgeht, dass ihm Insolvenzentschädigung vom 1. bis 3. Januar 2018 zugesprochen wird (act. G3.1/43).

    5. Am 6. März 2018 teilte der Versicherte, vertreten durch Rechtsanwalt Marc Wolfer,

      der Kasse mit, dass er mit der Teilabrechnung vom 14. Februar 2018 nicht

      einverstanden sei, und ersuchte um Auszahlung einer Insolvenzentschädigung für den Zeitraum vom 1. Januar 2018 bis zur Publikation des Konkurses oder um Erlass einer anfechtbaren Verfügung (act. G3.1/35 ff.).

    6. Mit Verfügung vom 13. März 2018 hielt die Kasse an der Teilabrechnung fest. Zur Begründung führte sie aus, die Arbeitgeberin habe am 3. Januar 2018 informiert, dass die Löhne nicht mehr bezahlt werden könnten und sich alle Mitarbeitenden unverzüglich beim RAV melden sollten. Wenn der Arbeitgeber seiner Lohnzahlungspflicht nicht mehr nachkommen könne, seien die Mitarbeitenden berechtigt, die Arbeit unverzüglich niederzulegen. Am 3. Januar 2018 seien somit alle Mitarbeitenden über den drohenden finanziellen Schaden informiert gewesen, hätten die Arbeit niederlegen und sich der Vermittlung auf dem RAV zur Verfügung stellen können, sodass sie zum Bezug von Arbeitslosentaggeldern berechtigt gewesen wären (act. G3.1/40).

    7. Die gegen diese Verfügung am 22. März 2018 erhobene Einsprache (act. G3.1/25 ff.) wies die Kasse mit Entscheid vom 10. April 2018 ab. Der Versicherte habe spätestens ab 3. Januar 2018 nicht mehr in guten Treuen nichts vom drohenden Kollaps wissen können. Damit habe die Deckung des Lohnausfalls durch die Insolvenzentschädigung am 3. Januar 2018 geendet. Der Versicherte sei auch durch die Arbeitgeberin und die Kasse unmissverständlich dazu aufgefordert worden, sofort auf dem RAV zu erscheinen und sich einzuschreiben. Dann hätte ab dem 4. Januar 2018 Arbeitslosenentschädigung bezogen werden können (act. G3.1/22 ff.).

B.

    1. Gegen den Einspracheentscheid vom 10. April 2018 erhob A. am 9. Mai 2018 Beschwerde. Er beantragt dessen Aufhebung und die Zusprache von Insolvenzentschädigung in Höhe von Fr. 7'688.20 entsprechend 22/31 des Monatslohns inkl. anteiligem 13. Monatslohn. Er erfülle die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen auf Insolvenzentschädigung, indem ihm offene Lohnforderungen für den Zeitraum vom 1. bis 22. Januar 2018 zuständen, über seine

      Arbeitgeberin der Konkurs eröffnet worden sei und er alle Fristen eingehalten habe. Der Anspruch könne nur entfallen, wenn ihm eine Pflichtverletzung bzw. eine Verletzung der Schadenminderungspflicht vorwerfbar wäre. Für die Schaffung weiterer, im Gesetz nicht vorgesehener Anspruchsvoraussetzungen bestehe kein Raum. Die Arbeitgeberin habe sich schon längere Zeit in finanziellen Schwierigkeiten befunden, welche sich Ende 2017/Anfang 2018 zugespitzt hätten. Die Löhne seien jedoch bis und mit Dezember 2017 vollständig bezahlt worden. Nach Erhalt des E-Mails vom 3. Januar 2018 habe der Beschwerdeführer sich umgehend an verschiedene Auskunftsstellen gewandt und widersprüchliche Antworten erhalten. Während die Beschwerdegegnerin ihm empfohlen habe, die Arbeit niederzulegen, habe das RAV eine gegenteilige Auskunft erteilt. Ein versierter Bekannter habe ihm dringend vom Verlassen der Arbeitsstelle abgeraten. Sein Vorgesetzter habe ihn auf Nachfrage ausdrücklich dazu angehalten, normal weiterzuarbeiten, da man nach wie vor bemüht sei, das Unternehmen oder einen Teil davon zu retten und dafür auf den vollen Einsatz des Teams angewiesen sei. Er habe dieser klaren Aufforderung Folge geleistet. In der Hoffnung auf eine Rettung des Unternehmens und im Bestreben, Umsatz zu generieren, habe er weiterhin konkrete Arbeitsleistungen erbracht. Es sei keineswegs klar gewesen, dass das Unternehmen nicht gerettet werden könne. Unter anderem sei für den 10. Januar 2018 ein Meeting mit potentiellen Investoren angesetzt und weitere Rettungsbemühungen seien in vollem Gang gewesen. Die Lohnzahlung sei erst Ende Monat geschuldet gewesen. Er als Arbeitnehmer sei vorleistungspflichtig gewesen. Dementsprechend sei es ihm gar nicht möglich gewesen, die Arbeitgeberin in Zahlungsverzug zu setzen. Daran ändere auch das E-Mail vom 3. Januar 2018 über die angespannte Liquiditätslage nichts. In dieser Situation des Überlebenskampfes wäre eine Niederlegung der Arbeit und erst recht eine fristlose Kündigung ein krasser Verstoss gegen die Treuepflicht gewesen, zumal an eine fristlose Kündigung erhöhte Anforderungen zu stellen seien, wenn das Arbeitsverhältnis bereits ordentlich gekündigt sei. Eine ungerechtfertigte fristlose Kündigung hätte zu Einstelltagen bei der Arbeitslosenversicherung geführt. Durch eine reine Arbeitsniederlegung wäre er nicht vermittlungsfähig gewesen und hätte ebenfalls keinen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung gehabt. Insgesamt könne ihm keine absichtliche oder grobfahrlässige Verletzung seiner Schadenminderungspflicht vorgeworfen werden, womit kein Raum für eine zeitliche Beschränkung des Anspruchs auf

      Insolvenzentschädigung verbleibe. Er habe vom Konkurs erst am 22. Januar 2018 endgültig Kenntnis erlangt (act. G1).

    2. Mit Beschwerdeantwort vom 13. Juni 2018 beantragt die Beschwerdegegnerin die Abweisung der Beschwerde. Mit dem Kündigungsschreiben vom 19. Dezember 2017 habe der Beschwerdeführer bereits Kenntnis davon erhalten, dass seine Arbeitsstelle akut gefährdet sei. Mit dem E-Mail vom 3. Januar 2018 habe die Arbeitgeberin schriftlich wissen lassen, dass die Löhne ab 1. Januar 2018 nicht mehr bezahlt werden könnten und sich alle Mitarbeitenden unverzüglich beim RAV melden sollten. Ausserdem habe die Arbeitgeberin den Mitarbeitenden in Aussicht gestellt, ihnen in den nächsten Tagen das teilweise ausgefüllte Formular zur Beantragung von Insolvenzentschädigung zuzustellen. Somit habe die Arbeitgeberin am 3. Januar 2018 klar die Zahlungsunfähigkeit bestätigt. Die Unkenntnis vom drohenden finanziellen Schaden habe am 3. Januar 2018 geendet (act. G3).

    3. Mit Replik vom 7. August 2018 bekräftigt der Beschwerdeführer seine Ausführungen in der Beschwerde und erklärt im Wesentlichen, es sei nicht relevant, ob er den baldigen Konkurs habe kommen sehen. Eine Verweigerung der Insolvenzentschädigung könne sich nur auf eine Verletzung der Schadenminderungspflicht stützen und eine solche könne ihm nicht vorgeworfen werden. Ihm sei rechtlich gar keine andere Wahl geblieben, als weiter zu arbeiten, zumal noch kein Lohn ausstehend gewesen und keineswegs passiv der Konkurs abgewartet, sondern bis zuletzt versucht worden sei, das Unternehmen zu retten (act. G5).

    4. Die Beschwerdegegnerin verzichtete auf die Einreichung einer Duplik (act. G7).

Erwägungen

1.

    1. Beitragspflichtige Arbeitnehmende von Arbeitgebern, die in der Schweiz der

      Zwangsvollstreckung unterliegen oder in der Schweiz Arbeitnehmende beschäftigen,

      haben unter anderem Anspruch auf Insolvenzentschädigung, wenn gegen ihren Arbeitgeber der Konkurs eröffnet wird und ihnen in diesem Zeitpunkt Lohnforderungen zustehen (Art. 51 Abs. 1 lit. a des Bundesgesetzes über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung [AVIG; SR 837.0]). Die Insolvenzentschädigung deckt die Lohnforderungen für höchstens die letzten vier Monate des Arbeitsverhältnisses, für jeden Monat jedoch nur bis zum Höchstbetrag nach Art. 3 Abs. 2 AVIG. Als Lohn gelten auch die geschuldeten Zulagen (Art. 52 Abs. 1 AVIG).

    2. Die Insolvenzentschädigung deckt Lohnforderungen für bereits geleistete Arbeit. Ob Ansprüche für geleistete Arbeit im Sinne von Art. 51 ff. AVIG bestehen, beurteilt sich nicht danach, ob qualitativ und quantitativ vertragsmässig gearbeitet wurde. Es geht vielmehr um Lohnansprüche für effektive Arbeitszeit, während der der Versicherte der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung stehen kann, weil er in dieser Zeit dem Arbeitgeber zur Verfügung stehen muss (URS BURGHERR, Die Insolvenzentschädigung, Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers als versichertes Risiko, Zürich/Basel/Genf 2004, S. 89 f.). Deshalb hat die Rechtsprechung dem Tatbestand der Lohnansprüche für geleistete Arbeit im Sinne von Art. 51 ff. AVIG diejenigen Fälle gleichgestellt, in denen der Arbeitnehmer nur wegen Annahmeverzugs des Arbeitgebers im Sinne von Art. 324 Abs. 1 des Bundesgesetzes betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht [OR, SR 220]) keine Arbeit mehr leisten konnte (BGE 111 V 269; Urteil des Bundesgerichts vom 15. April 2005, C 218/04, E. 3.2). Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer wegen Betriebsstörungen technischer, wirtschaftlicher oder behördlicher Art nicht beschäftigen kann. Denn in einem solchen Fall steht der Arbeitnehmer weiterhin in einem Arbeitsverhältnis, ist damit nicht arbeitslos und hat demzufolge auch keinen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung, sondern kann Insolvenzentschädigung beantragen (vgl. BGE 132 V 82 E. 3.1 f. mit Hinweisen; Urteile des Bundesgerichts vom 15. April 2005, C 214/04, C 215/04, C 217/04 und C 2018/04, je E. 3.3).

    3. Um zu verhindern, dass der Arbeitnehmer beliebig lange ohne Lohn beim bisherigen Arbeitgeber bleibt, hat der Gesetzgeber in Art. 52 Abs. 1 AVIG eine zeitliche Limite für die Bezugsdauer der Insolvenzentschädigung gesetzt. Spätestens nach vier

Monaten ohne Lohn ist es dem Arbeitnehmer demnach aus arbeitslosenversicherungsrechtlicher Sicht nicht mehr zumutbar, beim insolventen Arbeitgeber zu verbleiben (Urteil des Bundesgerichts vom 16. August 2005, C 49/05, E. 4.3). Schon vor Ablauf der maximalen Bezugsdauer kann die Geltendmachung von Insolvenzentschädigung rechtsmissbräuchlich im Sinne von Art. 2 Abs. 2 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB; SR 210) sein. Dauert der Annahmeverzug an und kann der Arbeitnehmer in guten Treuen nicht mehr mit einer Arbeitszuweisung rechnen, liegt faktisch ein Fall von Arbeitslosigkeit vor (URS BURGHERR, a.a.O., S. 93 f.). Ab welchem Zeitpunkt die Geltendmachung einer Insolvenzentschädigung missbräuchlich ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Kündigt ein Arbeitgeber allen oder zumindest den meisten Arbeitnehmern, so kann daraus geschlossen werden, dass die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers hoffnungslos ist (vgl. Urteile des Bundesgerichts vom 15. April 2005, C 214/04, C 215/04, C 217/04 und C 218/04, je E. 5.4).

2.

    1. Vorliegend sind die Voraussetzungen für eine Insolvenzentschädigung grundsätzlich gegeben. Die Beschwerdegegnerin hat denn auch eine entsprechende Berechnung gemacht und eine Teilzahlung an den Beschwerdeführer veranlasst. Fraglich ist indes, für welche Dauer der Beschwerdeführer Anspruch auf Insolvenzentschädigung hat. Der Beschwerdeführer will für den Zeitraum vom 1. bis 22. Januar 2018 entschädigt werden, während die Beschwerdegegnerin ihm lediglich eine Entschädigung vom 1. bis 3. Januar 2018 zugesteht.

    2. Zur Begründung des kurzen Entschädigungszeitraums bezieht sich die Beschwerdegegnerin nicht auf eine Verletzung der Schadenminderungspflicht gemäss Art. 55 AVIG. In den Akten findet sich denn auch kein Hinweis auf eine Verletzung der Schadenminderungspflicht durch den Beschwerdeführer. Die Beschwerdegegnerin vertritt indes sinngemäss den Standpunkt, der Beschwerdeführer habe spätestens ab dem 3. Januar 2018 wissen müssen, dass die Lage der Arbeitgeberin hoffnungslos war und diese ihm keinen Lohn mehr würde zahlen können. Er habe sich deshalb rechtsmissbräuchlich (Art. 2 ZGB analog) verhalten, indem er nicht per 4. Januar 2018

die Arbeit niedergelegt und sich beim RAV bzw. bei der Kasse gemeldet habe, damit er gestützt auf Art. 29 AVIG Arbeitslosenentschädigung hätte beziehen können.

3.

    1. Gemäss Art. 29 Abs. 1 AIVG zahlt die Kasse Arbeitslosenentschädigung aus, wenn sie begründete Zweifel darüber hat, ob der Versicherte für die Zeit des Arbeitsausfalls gegenüber seinem bisherigen Arbeitgeber Lohn- oder Entschädigungsansprüche im Sinne von Art. 11 Abs. 3 AVIG hat oder ob sie erfüllt werden.

    2. Diese gesetzliche Bestimmung stellt eine Sonderregelung zu Art. 11 Abs. 3 AVIG dar, wonach ein Arbeitsausfall nicht anrechenbar und damit nicht entschädigungsberechtigt ist, wenn dem Arbeitslosen dafür Lohnansprüche oder wegen vorzeitiger Auflösung des Arbeitsverhältnisses Entschädigungsansprüche zustehen. Die Nichtanrechenbarkeit dieses Arbeitsausfalls, während welchem sich der Versicherte durchaus als "arbeitslos" betrachtet und er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, liegt darin begründet, dass der Arbeitsausfall nicht mit einem entsprechenden Verdienstausfall verbunden ist, sondern ein Anspruch gegenüber dem Arbeitgeber besteht. Da es andererseits Fälle gibt, in denen das Bestehen eines Anspruchs gegenüber dem Arbeitgeber nicht sicher ist oder in denen trotz eindeutigen Bestehens von Lohn- oder Entschädigungsansprüchen die Möglichkeit der Durchsetzung solcher Ansprüche nicht sicher feststeht, wurde nicht zuletzt aus sozialen Überlegungen die Sonderregel nach Art. 29 AVIG geschaffen. Die Regelung von Art. 29 AVIG darf nicht verwechselt werden mit derjenigen über die Insolvenzentschädigung. Bei der Insolvenzentschädigung wird nicht ein mit Verdienstausfall verbundener Arbeitsausfall entschädigt, sondern ein Verdienstausfall ohne entsprechenden Arbeitsausfall. Die Insolvenzentschädigung ersetzt grundsätzlich Ansprüche für geleistete Arbeit (GERHARD GERHARDS, AVIG-Kommentar, Bd I, Rz 1 ff. zu Art. 29).

    3. Vorliegend ist unstreitig, dass der Beschwerdeführer bis zur Konkurseröffnung bei der Arbeitgeberin angestellt war. Auch die (in den Akten nicht weiter belegte, aber glaubhafte) Parteibehauptung, er habe noch bis zum 22. Januar 2018 konkrete

      Tätigkeiten für die Arbeitgeberin ausgeführt, wird nicht bestritten. Die Arbeitgeberin hatte ihn somit nicht freigestellt.

    4. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist der Arbeitnehmer in analoger Anwendung von Art. 82 OR befugt, die Arbeitsleistung zu verweigern, solange der Arbeitgeber sich mit verfallenen Lohnzahlungen im Rückstand befindet (BGE 136 III 313 E. 2.3.1 mit Hinweisen). Die Arbeitgeberin befand sich vorliegend aber nicht in Verzug. Die Löhne bis und mit Dezember 2017 hatte sie bezahlt und der Januarlohn war bis zum 22. Januar 2018 noch nicht fällig. Mangels Lohnrückstandes durfte der Beschwerdeführer die Arbeit ab dem 4. Januar 2018 nicht einfach niederlegen. Der von der Beschwerdegegnerin genannte Art. 29 AVIG ist vorliegend somit nicht einschlägig.

4.

    1. Zu prüfen bleibt, ob der Beschwerdeführer sich rechtsmissbräuchlich verhielt, indem er den Vertrag mit der Arbeitgeberin ab dem 4. Januar 2018 nicht fristlos gekündigt hat.

    2. Arbeit zu verrichten, wenn nicht Gewähr dafür besteht, dass diese auch bezahlt wird, ist unzumutbar. Das Arbeitsverhältnis kann deshalb selbst nach einer ordentlichen Kündigung noch aus wichtigem Grund fristlos aufgelöst werden, wenn die Lohnansprüche gefährdet sind. Die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers alleine ist indes noch kein wichtiger Grund und berechtigt für sich nicht zu einer fristlosen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Hinzutreten muss eine erfolglose Aufforderung des Arbeitnehmers an den Arbeitgeber, ihm für seine Forderungen innert angemessener Frist Sicherheit zu leisten. Bei Lohngefährdung wird regelmässig eine kurze Frist, mithin drei Tage bis maximal eine Woche, angemessen sein, innert welcher die Sicherstellung der Ansprüche zu erfolgen hat (Art. 337a OR; vgl. ULLIN STREIFF/ ADRIAN VON KAENEL/ROGER RUDOLPH, Arbeitsvertrag, Praxiskommentar zu Art. 319-362 OR, 7. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2012, Art. 337a N 2 und N 5).

    3. Auch wenn der Arbeitnehmer zur fristlosen Kündigung nach Art. 337a OR berechtigt wäre, ist er dazu unter dem Blickwinkel der Schadenminderungspflicht gemäss AVIG nicht verpflichtet und es existiert im AVIG auch keine Sanktion für eine

      nicht bestehende Pflicht. Ob der Schaden der Arbeitslosenversicherung mit einer fristlosen Kündigung überhaupt gemindert würde, ist fraglich. Zwar ist die Arbeitslosenentschädigung tiefer als die Insolvenzentschädigung, doch entstehen der Verwaltung aus der Vermittlungstätigkeit ebenfalls Kosten. Können Lohnansprüche während der Dauer des Arbeitsverhältnisses nicht erhältlich gemacht werden, bedeutet das zudem nicht, dass dies auch im Konkursverfahren nicht möglich sein wird. Weder Arbeitslosenversicherung noch Arbeitnehmer können in der Regel die wirtschaftliche Lage und die Sanierungsmöglichkeiten einer sich in finanziellen Schwierigkeiten befindenden Gesellschaft zuverlässig beurteilen, vor allem wenn die Arbeitgeberin mit Hinweis auf Redimensionierungsbemühungen die Lage als weniger dramatisch erscheinen lässt, als sie in Wirklichkeit ist. Es ist für die versicherte Person in einer solchen Situation daher äusserst schwierig zu beurteilen, ab wann sie sich der Arbeitslosenversicherung zur Verfügung zu stellen hat, ohne selber Nachteile zu gewärtigen. Selbst wenn nach erhaltener Kündigung und aufgrund der konkreten Umstände eine fristlose Kündigung durch die versicherte Person möglich, ja sogar vernünftig gewesen wäre, ist sie zu einem solchen Schritt nach dem Gesagten nicht verpflichtet. Zur Verhinderung von Missbräuchen sieht Art. 52 Abs. 1 AVIG die zeitliche Limite für die Bezugsdauer vor. Spätestens nach vier Monaten ist es aus arbeitslosenversicherungsrechtlicher Sicht der versicherten Person nicht mehr zumutbar, beim insolventen Arbeitgeber zu verbleiben. Sie handelt dann auf eigenes Risiko, wenn sie sich nach dieser Zeit nicht nach einer neuen Beschäftigung umsieht (ULLIN STREIFF/ADRIAN VON KAENEL/ROGER RUDOLPH, a.a.O., Art. 337a N5; ARV 2006 S. 73 E. 5.3; ARV 2007 S. 52 E. 4.2).

    4. Vorliegend hat die Arbeitgeberin dem Beschwerdeführer zwar bereits mit Schreiben vom 19. Dezember 2017 ihre Überschuldung angezeigt. Gleichzeitig hat sie aber auch angekündigt, die Löhne weiterhin zu zahlen und am 22. Dezember 2017 den vollständigen Lohn an ihn überwiesen, sodass keinerlei Lohnforderungen offen waren (vgl. act. G3.1/54 und act. G3.1/56). Nachdem die Arbeitgeberin in der Vergangenheit offenkundig bemüht war, die Lohnansprüche ihrer Angestellten zu erfüllen und ihren Verantwortlichkeiten so gut wie möglich nachzukommen, musste der Beschwerdeführer daher zu jenem Zeitpunkt nicht davon ausgehen, dass er keine Lohnzahlungen mehr erhalten werde. Es bestand für ihn somit vorerst keine Veranlassung, eine Sicherstellung seines Lohnes zu verlangen.

    5. Mit E-Mail vom 3. Januar 2018 informierte die Arbeitgeberin den Beschwerdeführer zwar darüber, dass sie ihm den Januar-Lohn nicht werde auszahlen können. Als Begründung gab sie jedoch die Barliquidität ("cash liquidity") an. Der Beschwerdeführer konnte somit zu diesem Zeitpunkt schwerlich abschätzen, wie es um die restliche finanzielle Situation der Arbeitgeberin bestellt war. Insbesondere sagte die Arbeitgeberin in ihrem E-Mail vom 3. Januar nichts über allfällig gebundene Mittel und Vermögenswerte aus, die in einem Konkursverfahren verwertet würden. Die Lohnforderungen für die letzten sechs Monate vor der Konkurseröffnung sind im Konkursverfahren privilegiert und fallen in die erste Klasse (vgl. Art. 219 Abs. 4 lit. a des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs [SchKG; SR 281.1]), sodass der Beschwerdeführer hoffen durfte, dass seine Lohnforderung bei einem Konkurs aus dem Liquidationserlös bezahlt würde. Hinzu kam, dass die Arbeitgeberin nach Angaben des Beschwerdeführers versuchte, das Unternehmen oder zumindest einen Teil davon zu retten. Der Beschwerdeführer selbst erbrachte nach eigenen Angaben noch Arbeitsleistungen, welche auf die Fortführung des Unternehmens ausgerichtet waren und Umsatz generieren sollten. Seinen Angaben nach habe der Konkurs schon in der Vergangenheit abgewendet werden können, sodass er noch zu hoffen gewagt habe, das Unternehmen könne noch einmal gerettet werden. Auch deshalb durfte der Beschwerdeführer bis zur Konkurseröffnung davon ausgehen, dass sein Lohn bis zum Ende der ordentlichen Kündigungsfrist im März 2018 verspätet noch bezahlt oder doch im Konkursverfahren erhältlich sein würde. Mit E-Mail vom 4. Januar 2018 kam er der Aufforderung der Arbeitgeberin nach, seinen Lohn schriftlich bei ihr einzufordern (act. G3.1/52).

    6. Dass die Arbeitgeberin ankündigte, den Mitarbeitern ein Antragsformular für Insolvenzentschädigung vorzubereiten und zuzustellen, führt nicht zur Rechtsmissbräuchlichkeit des Verhaltens des Beschwerdeführers. Die Arbeitgeberin war offenbar bemüht, ihre Arbeitnehmer so gut wie möglich zu informieren und schadlos zu halten. So forderte sie die Arbeitnehmer denn auch gleichzeitig auf, sich bei dem für sie zuständigen RAV zu melden. Nachdem auch der Geschäftsbetrieb vorerst aufrechterhalten wurde und das Team weiterarbeitete, musste der Beschwerdeführer nicht davon ausgehen, seine Lohnforderung für den Januar 2018 werde nicht mehr erhältlich zu machen sein. Durch seine Arbeitsleistung konnte der

      Beschwerdeführer vielleicht sogar dazu beitragen, die Verluste der Arbeitgeberin möglichst gering zu halten, was wiederum der Konkursmasse zugutegekommen wäre.

    7. Eine andere Beurteilung würde sich aufdrängen, wenn der Beschwerdeführer von der Arbeitgeberin offiziell freigestellt worden wäre, wenn ihm keine Arbeit mehr zugewiesen worden wäre oder wenn er zwar zur Arbeit erschienen wäre, aber keinerlei geordnete Geschäftstätigkeit mehr stattgefunden hätte. Dann wäre der Beschwerdeführer faktisch arbeitslos gewesen und hätte ihm bewusst sein müssen, dass die Situation der Arbeitgeberin hoffnungslos war, sodass er sich zur Arbeitsvermittlung hätte melden müssen. In diesem Fall hätte keine unzulässige Arbeitsniederlegung vorgelegen. Für eine fristlose Kündigung hätte der Beschwerdeführer indes auch in dieser Konstellation der Arbeitgeberin zuerst eine angemessene Frist zur Sicherstellung des Lohnes ansetzen und andernfalls die fristlose Kündigung in Aussicht stellen müssen (vgl. E. 4.1 vorstehend). Unter den vorliegenden Gegebenheiten war es jedoch nicht rechtsmissbräuchlich, dass der Beschwerdeführer bis am 22. Januar 2018 nicht fristlos kündigte. Folgerichtig musste er sich vor dem 22. Januar 2018 auch nicht beim RAV anmelden, da er weder faktisch arbeitslos noch vermittlungsfähig war. Zur Verhinderung des Rechtsmissbrauchs ist die Insolvenzentschädigung in zeitlicher Hinsicht auf vier Monate begrenzt. Dieser zeitliche Rahmen wurde vorliegend bei weitem nicht ausgeschöpft, indem lediglich für einen Zeitraum von gut drei Wochen kein Lohn bezahlt wurde.

5.

    1. Im Sinne der vorstehenden Erwägungen ist die Beschwerde gutzuheissen und der Einspracheentscheid vom 10. April 2018 aufzuheben. Die Beschwerdegegnerin hat dem Beschwerdeführer für den Zeitraum vom 1. bis 22. Januar 2018 Insolvenzentschädigung zu entrichten. Zur Berechnung der Höhe der Insolvenzentschädigung und zur Auszahlung wird die Sache an die Beschwerdegegnerin zurückgewiesen.

    2. Gerichtskosten sind keine zu erheben (Art. 61 lit. a des Bundesgesetzes über den

      Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG; SR 830.1).

    3. Gemäss Art. 61 lit. g ATSG hat die obsiegende Beschwerde führende Person Anspruch auf Ersatz der Parteikosten, welche vom Versicherungsgericht festgesetzt und ohne Rücksicht auf den Streitwert nach der Bedeutung der Streitsache und nach der Schwierigkeit des Prozesses bemessen werden. Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers hat keine Kostennote eingereicht. In der Verwaltungsrechtspflege beträgt das Honorar vor Versicherungsgericht nach Art. 22 Abs. 1 lit. b der Honorarordnung für Rechtsanwälte und Rechtsagenten (HonO; sGS 963.75; in der vorliegend anwendbaren, seit 1. Januar 2019 gültigen Fassung, siehe Art. 30bis HonO) pauschal Fr. 1'500.-- bis Fr. 15'000.--. Im vorliegenden Fall erscheint eine durchschnittliche pauschale Parteientschädigung von Fr. 3'000.-- (inkl. Barauslagen und Mehrwertsteuer) als angemessen.

Entscheid

im Zirkulationsverfahren gemäss Art. 39 VRP

1.

In Gutheissung der Beschwerde wird der Einspracheentscheid vom 10. April 2018 aufgehoben und dem Beschwerdeführer Insolvenzentschädigung für den Zeitraum vom

1. bis 22. Januar 2018 zugesprochen. Zur Berechnung der Höhe der Insolvenzentschädigung wird die Sache an die Beschwerdegegnerin zurückgewiesen.

2.

Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.

Die Beschwerdegegnerin hat dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung von Fr. 3'000.-- (inkl. Barauslagen und Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

Quelle: https://www.sg.ch/recht/gerichte/rechtsprechung.html
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