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Urteil Verwaltungsgericht (LU)

Kopfdaten
Kanton:LU
Fallnummer:V 99 279
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Verwaltungsrechtliche Abteilung
Verwaltungsgericht Entscheid V 99 279 vom 06.10.2000 (LU)
Datum:06.10.2000
Rechtskraft:Diese Entscheidung ist rechtskräftig.
Leitsatz/Stichwort:§ 207 Abs. 1 lit. a PBG. Grenzen der Beschwerdebefugnis von Nachbarn in Bausachen. Die Eigentümer einer Ferienwohnung, die 70 bis 80 Meter vom Baugrundstück entfernt liegt, sind mangels beachtenswerter Nähe zur Streitsache weder zur Baueinsprache noch zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde legitimiert. Daran ändert nichts, dass das Baugrundstück vom Balkon der Wohnung aus gerade noch knapp eingesehen werden kann.



Schlagwörter: Beschwerdeführer; Wohnung; Blick; Balkon; Station; Baugelände; Augenschein; Interesse; Stationsgebäude; Sicht; Umgebung; Geplante; Grundstück; Immissionen; Meter; Beeinträchtigung; Streitbetroffene; Betrieb; Nähe; Beschwerdebefugnis; Rüge; Bundesgericht; Stationsgebäudes; Garten; Legitimation; Betroffenheit; Hinsicht; Schutzwürdig; östlich; Werden
Rechtsnorm:-
Referenz BGE:104 Ib 245; 121 II 174; 121 II 178; 125 I 8; 125 II 15;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:-
Entscheid
Aus den Erwägungen:

4. - a) Nicht jedermann soll demnach zur Beschwerdeführung legitimiert sein, sondern nur derjenige, der in beachtenswerter, naher Beziehung zur Streitsache steht. Ein schutzwürdiges Interesse hat, wer an der Abweisung eines Gesuchs mehr als irgend jemand oder die Allgemeinheit interessiert ist oder wer in höherem Masse als jedermann, besonders und unmittelbar berührt wird. Als schutzwürdig gelten nebst den rechtlich geschützten auch die wirtschaftlichen, ideellen und sogar die rein tatsächlichen Interessen. Das schutzwürdige Interesse muss folglich nicht in einer Rechtsverletzung bestehen und hat mit dem durch die als verletzt gerügte Bestimmung geschützten Interesse nicht übereinzustimmen (grundlegend und nach wie vor gültig: BGE 104 Ib 245 und bereits LGVE 1975 II Nr. 11 sowie 1983 II Nr. 34). Es ist zu bejahen, wenn eine tatsächliche Benachteiligung abgewendet oder ein praktischer Nutzen und Erfolg erreicht werden soll (AGVE 1998 S. 327 und 446). Ein bloss mittelbares oder ausschliesslich allgemeines öffentliches Interesse begründet für sich allein keine Beschwerdebefugnis (zum Ganzen vgl. LGVE 1999 II Nr. 24 Erw. 3a, 1997 II Nr. 12 Erw. 4 und Nr. 13, je mit Hinweisen; vgl. ferner BGE 125 I 8, 124 V 397 Erw. 2b).

Bei Bauprojekten muss die besondere Beziehungsnähe vorab in räumlicher Hinsicht gegeben sein (BGE 125 II 15f., 120 Ib 62 Erw. 1c mit Hinweisen), namentlich dann, wenn es um Immissionen geht, bei denen es zwischen solchen materieller (z.B. Lärm, Luftverunreinigung) und solchen ideeller Art (z.B. Ästhetik) zu differenzieren gilt (vgl. das Bundesgericht in ZBl 94/1995 S. 529). Räumliche Nähe in diesem Sinne liegt nicht schon dann vor, wenn das streitbetroffene Objekt passiert wird, auch wenn dies täglich geschehen mag (LGVE 1991 III Nr. 12). Gemeint ist vielmehr Nachbarschaft, vermittelt durch dingliche oder vertragliche Rechte. Dabei lassen sich jedoch keine allgemeingültigen, begrifflich klaren Grenzen ziehen; insbesondere kann hinsichtlich Entfernung zum Streitobjekt kein ein für alle Mal festgelegtes Metermass ausschlaggebend sein (zur Kasuistik: BGE 121 II 174 Erw. 2b). Ebenso wenig lässt sich die Legitimation einfach auf die unmittelbar angrenzenden Nachbarn beschränken (vgl. AGVE 1998 S. 326). Sichtverbindung reicht in der Regel aus, stellt aber auch bloss Indiz für eine mögliche Beeinträchtigung dar und vermittelt daher nicht zwangsläufig Beschwerdebefugnis (vgl. AGVE 1997 S. 290 und 1991 S. 364; vgl. ferner das Bundesgericht in ZBl 94/1995 S. 529 und 84/1985 S. 378 ff.). Genauso sind anderseits Fälle denkbar, in denen besondere Betroffenheit - etwa zufolge von Lärmund Geruchsimmissionen - selbst ohne Einsehbarkeit bejaht werden muss (vgl. z.B. URP 1992 S. 625). Entscheidend für die Ausdehnung der Beschwerdebefugnis bleiben demnach letztlich immer die konkreten Auswirkungen des betreffenden Falles (vgl. BGE 121 II 178; zum Ganzen: PVG GR 1997 Nr. 56 S. 184 sowie Aemisegger/Haag, RPG-Kommentar, Zürich 1999, N 39, 41 und 42 zu Art. 33, und Kölz/Bosshart/Röhl, Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, 2. Aufl., Zürich 1999, N 34 zu § 21). Dabei pflegt das Verwaltungsgericht das Rechtsschutzinteresse im Bereich von § 207 Abs. 1 lit. a PBG praxisgemäss nicht generell, sondern rügespezifisch, d.h. für jeden Einwand gesondert zu beurteilen (LGVE 1999 II Nr. 24 Erw. 3a, 1997 II Nr. 12 Erw. 4 mit Hinweisen; zur analogen Berner Praxis vgl. Merkli/Aeschlimann/Herzog, Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege im Kanton Bern, Bern 1997, N 27 zu Art. 65).

b) Die Beschwerdeführer leiten ihre Legitimation aus dem Eigentum an einer 11/2-Zimmerferienwohnung (ca. 40 m2) auf der Stammparzelle X ab, die in unmittelbarer Nähe eines Stationsgebäudes einer Bergbahn liegt. Die Wohnung befindet sich im ersten Obergeschoss eines Appartementgebäudes, dessen Fassade gegen Westen hin treppenartig abgestuft verläuft. Von Osten aus gesehen rangiert sie in der zweiten Stufe, mithin um eine zurückversetzt. Wohnung und Balkon sind nach Süden/Südwesten ausgerichtet. Ab dem Balkon fällt der Blick unweigerlich auf ein unvergleichliches Panorama, beeinträchtigt durch den Umriss eines stagnierenden Hotelneubaus. Der Balkon weist eine Tiefe von etwa drei Metern auf. Gegen die Wohnung wird er mit einer Fensterfront abgetrennt. Weitere Fenster weist die Wohnung nicht auf. An der Stirnseite des Balkons stehen Blumentröge mit einer Tiefe von rund 0,5 Meter. Gegenüber der östlich davon liegenden Wohneinheit wird der zurückversetzte Balkon der Beschwerdeführer mit einer Wand abgeschlossen.

Am Augenschein hat sich ergeben, dass das östlich gelegene Baugelände aus dem Wohnungsinnern in keiner Weise wahrgenommen werden kann. Beschränkte Einsehbarkeit besteht lediglich ab dem Balkon. Selbst ab dessen westlichstem Eckpunkt aber wird das streitbetroffene Gebäude, das seinerseits zu einem bedeutenden Teil im abfallenden Gelände und damit tiefer zu liegen kommen wird, dereinst nicht oder kaum erkennbar sein. Das Baugelände liegt klar ausserhalb der primären Blickrichtung, die gegen das Panorama nach Süden hin verläuft. Eine Beeinträchtigung von Sicht oder Licht ist unter diesen Umständen mit Sicherheit auszuschliessen. Auch mit Blick auf Lärm oder andere Immissionen wird sich das strittige Projekt für die Liegenschaft der Beschwerdeführer nicht nachteilig auswirken. Deren Wohnung liegt rund 70 bis 80 Meter vom Streitobjekt entfernt. Dazwischen befinden sich Bahnlinie und Stationsgebäude, wo nicht nur zahlreiche Personen zuoder aussteigen, sondern auch Güter umgeschlagen werden.

c) Mit Blick auf die vorstehenden Feststellungen, für die im Einzelnen auf das Augenscheinprotokoll verwiesen werden kann, ist aus heutiger Sicht (§ 146 VRG) nicht zu beanstanden, wenn der Gemeinderat den Beschwerdeführern die Einsprachebefugnis abgesprochen hat. Daran ändert nichts, wenn ein kleiner Teil des Gebäudes ab dem Balkon der Beschwerdeführer gerade noch erkennbar sein könnte (vgl. insb. das Bundesgericht in ZBl 94/1995 S. 529 und 84/1985 S. 378 ff.). Auch dass es ab der nordöstlichen Gebäudeecke, dort wo sich der Zugang zur Rasenfläche hinter dem Haus befindet, oder ab deren hinterem Teil bei gezieltem Blick gesehen werden kann, tut nichts zur Sache. Der besagten Rasenfläche, die an der Nordseite des Hauses liegt und daher keinerlei Panoramasicht zulässt, kommt nicht die Bedeutung eines intensiv genutzten Sitzplatzes zu. Bis auf den vorhandenen kleinen Gartentisch waren irgendwelche Einrichtungen, die in eine andere Richtung weisen würden - wie etwa Bodenplatten, Gartencheminée, teilweise Überdachung, abgetretener Rasen -, am Augenschein nicht erkennbar. Was endlich die Einsicht ab dem Zugang zum Garten um die nordöstliche Hausecke angeht, der von den Beschwerdeführern nach eigenem Bekunden am Augenschein gar nicht genutzt wird, vermag auch sie die erforderliche besondere Nähe zur Streitsache nicht zu begründen. Dabei handelt es sich um nicht mehr als um den flüchtigen Blick auf dem Rückweg in das Haus, eine Betroffenheit, die sich punkto Intensität nicht von derjenigen anderer Bewohner unterscheidet.

d) Die Beschwerdeführer verweisen auf den geplanten Abbruch und Neubau des Stationsgebäudes. Offenbar hat diesbezüglich das Auflageverfahren bereits stattgefunden, wie aus ihrem Editionsgesuch zu schliessen ist. Mit Blick auf diesen Verfahrensstand erschiene es als verfehlt, der damit möglicherweise verbundenen Veränderung der Sachlage einfach unter Hinweis auf § 146 VRG zu begegnen. Trotzdem sieht sich das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang nicht zu Weiterungen, insbesondere nicht zu dem beantragten Beizug der Baubewilligungsakten veranlasst. Wie sich im Folgenden bei rügespezifischer Betrachtungsweise ergibt, wäre nämlich den Beschwerdeführern ein schutzwürdiges Interesse und damit die Beschwerdebefugnis in materieller Hinsicht selbst dann abzusprechen, wenn sie das Baugelände und die geplante Baute zufolge anderer Dimensionierung des Stationsgebäudes direkter einzusehen vermöchten. In dieser Hinsicht gilt auch hier, dass nicht zu jeder baulichen Veränderung im Blickfeld oder in der Umgebung eines Grundstücks zum vornherein eine legitimationsbegründende Beziehungsnähe besteht (so das Bundesgericht in ZBl 94/1995 S. 529).

aa) Gerügt wird zunächst die Unvollständigkeit der Baugesuchsunterlagen. Gefehlt hätten der Umgebungsund der Leitungsnetzplan, insbesondere auch ein Plan für die Abwasseranlagen. Diese Unvollständigkeit beschlägt einerseits die Erschliessung anderseits die Gestaltung. Dass damit irgendwelche Auswirkungen auf die Liegenschaft der Beschwerdeführer verbunden sein könnten, ist nicht auszumachen. So wird auch nicht ansatzweise geltend gemacht, dass sich das Bauvorhaben nachteilig auf die eigene Erschliessungssituation (Versorgung oder Entsorgung) auswirken könnte. Was die Umgebungsplanung angeht, ist auf die nur in sehr beschränktem Masse vorhandene Einsehbarkeit des Baugeländes zu verweisen. Allein der Umstand, dass ab der Grundstücksgrenze teilweise Sichtverbindung besteht, begründet in Bezug auf die Umgebungsgestaltung keine besondere Betroffenheit der Beschwerdeführer, die sich an Intensität von derjenigen anderer Bewohner unterscheidet. Selbst wenn der Stationsneubau zu vermehrter Einsehbarkeit führen würde, geriete das Baugelände dennoch nicht in das primäre Blickfeld der Beschwerdeführer. Und wahrgenommen würde dabei weniger die Umgebung, sondern eher die Baute selbst. Unter diesen Umständen kann bezüglich dieser Rüge die Legitimation nicht zuerkannt werden.

bb) Weiter beanstanden die Beschwerdeführer, dass das strittige Bauvorhaben in Widerspruch stehe zu der auf Parzelle Y lastenden Dienstbarkeit, wonach das Grundstück der Allgemeinheit als öffentliche Anlage zur Verfügung stehen müsse. Überdies werde die im Grundbuch eingetragene Gewerbebeschränkung beeinträchtigt. Auch hinsichtlich dieser Rügen zeigt sich keine besondere Beeinträchtigung der Beschwerdeführer. Dass sie durch den Betrieb irgendwelche Immissionen zu gewärtigen hätten, ist mit Sicherheit auszuschliessen. Damit können sich die Beschwerdeführer von vornherein nicht auf das Gewerbeverbot berufen. Gleich verhält es sich in Bezug auf den Verwendungszweck des Grundstückes, den die Beschwerdeführer durch die geplante Überbauung verletzt sehen. Eine öffentliche Anlage zöge ebenso Publikum an wie der streitbetroffene Betrieb. Die bloss beschränkte Sichtbarkeit des geplanten Baukörpers ab der Grundstücksgrenze und ab der westlichsten Ecke des Balkons schafft hier keine besondere Betroffenheit der Beschwerdeführer. Beeinträchtigung von Sicht und Besonnung sind auszuschliessen. Letzteres gilt gleichermassen, wenn das Stationsgebäude anders dimensioniert würde. Deshalb kann die Frage dahin stehen, ob die betreffende Rüge aufgrund ihrer zivilrechtlichen Anknüpfung im öffentlich-rechtlichen Baubewilligungsverfahren überhaupt gehört werden könnte.

cc) In Frage gestellt wird auch die Zonenkonformität des in der Dorfzone 1 angelegten Projekts, das keinen funktionalen Bezug zur Wohnnutzung aufweise. Dabei heben die Beschwerdeführer hervor, dass eine Zuordnung der Empfindlichkeitsstufen bislang nicht stattgefunden habe. In dieser Hinsicht fällt auf, dass es die Beschwerdeführer hinsichtlich Lärmbelastung bei der formellen Rüge der fehlenden Empfindlichkeitsstufenzuordnung bewenden lassen und bezüglich befürchteter Immissionen nichts weiter vorbringen. Dass sie durch die fehlende Zonenkonformität und in darin gründenden Immissionen stärker als die Allgemeinheit betroffen sein könnten, ist nach den beim Augenschein gewonnenen Erkenntnissen zu verneinen. Neben der konkreten Ausrichtung der Wohnung kann hier vor allem auf die Bergbahn verwiesen werden, die zwischen dem Baugelände und der Liegenschaft der Beschwerdeführer eine echte Zäsur schafft, so dass nicht zu Unrecht von zwei verschiedenen Ortsteilen gesprochen worden ist. Der projektierte Betrieb wird bestimmt eine grosse Zahl an Besucher anziehen. Davon werden wohl die wenigsten den Weg auf den Berg gerade wegen der fraglichen Einrichtung unter die Füsse nehmen. Vielmehr werden sich die Schaulustigen in erster Linie aus den heute schon zahlreichen Besuchern rekrutieren. Zu denken ist vor allem an die herbstlichen Nebeltage, an denen es bekanntlich Tausende hier hinauf zieht. Ein grosser Teil davon hält sich dabei in unmittelbarer Nähe der Wohnung der Beschwerdeführer auf, die am Weg zwischen der Bergstation der Seilbahn und der Station der Bergbahn liegt. Eine spürbare Mehrbelastung wird das strittige Vorhaben für die Beschwerdeführer daher nicht bringen. Dies und die Entfernung zwischen Wohnung und Baugelände von rund 70 Metern, aber auch die Art des geplanten Betriebes lassen den Schluss zu, dass die Beschwerdeführer den streitbetroffenen Bau ab ihrer Wohnung und ihrem Balkon - sowie bei einem Aufenthalt im Garten hinter dem Haus - auch bei Neugestaltung des Stationsgebäudes nicht in intensiverer Weise als andere Bewohner wahrnehmen werden.

dd) Die Beschwerdeführer bemängeln schliesslich die Gewährung von Ausnahmebewilligungen für Grenzund Gebäudeabstände. Dass dadurch ihre Aussicht oder die Besonnung ihrer Wohnung geschmälert würde, kann aufgrund der Ergebnisse des Augenscheins, mit Blick auf die vorhandene Entfernung in jedem Fall ausgeschlossen werden. Weitere Gesichtspunkte, die in diesem Zusammenhang für die Beurteilung der Legitimationsfrage bedeutsam sein könnten, sind weder dargetan noch ersehbar.

Quelle: https://gerichte.lu.ch/recht_sprechung/publikationen
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