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Urteil Verwaltungsgericht (LU)

Kopfdaten
Kanton:LU
Fallnummer:V 94 95
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Verwaltungsrechtliche Abteilung
Verwaltungsgericht Entscheid V 94 95 vom 24.05.1995 (LU)
Datum:24.05.1995
Rechtskraft:Diese Entscheidung ist rechtskräftig.
Leitsatz/Stichwort:§ 122 Abs. 5 PBG. Sinn und Tragweite der Bestimmung über den Mehrlängenzuschlag. Anders als bei Anbauten finden bei eigentlichen Zwischenbauten Satz 2 dieser Bestimmung keine Anwendung.
Schlagwörter: Fassade; Grenzabstand; Fassaden; Gebäude; Terrain; Mehrlänge; Baute; Mehrlängenzuschlag; Gewachsene; Anbau; Bauten; Zwischenbau; Bemessung; Gewachsenen; Fassadenhöhe; Zwischentrakt; Grenzabstandes; Erscheinung; Recht; ABauG; Vorinstanz; Beschwerdeführer; Länge; Gesetzgeber; Terrains; Anbauten; Sichtbar; Linie; Beachten
Rechtsnorm:-
Referenz BGE:119 Ia 117;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
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Entscheid
Der Gemeinderat erteilte A die Baubewilligung für vier Reiheneinfamilienhäuser und ein Doppelwohnhaus mit einer Einliegerwohnung. Einsprachen von Nachbarn, die u.a. eine Verletzung von Grenzabstandsvorschriften rügten, wies der Gemeinderat ab. Auf Verwaltungsbeschwerde hin hob der Regierungsrat die Baubewilligung u.a. mit der Begründung wieder auf, das Bauvorhaben verletze die Grenzabstandsvorschriften. Daraufhin gelangte die Bauherrschaft ans Verwaltungsgericht, welches den Beschwerdeentscheid des Regierungsrates bestätigte.

Zur Grenzabstandsproblematik hat das Verwaltungsgericht folgendes in Erwägung gezogen:

3. - Die Grenzabstandsvorschriften bilden traditionelle Bestandteile des Baupolizeirechts (Schürmann, Planungs-, Bauund Umweltschutzrecht, Bern, 3. Auflage 1995, S. 244; Zimmerlin, Kommentar zum Baugesetz des Kantons Aargau, Aarau 1985, N 1 zu §§ 163-165 BauG/AG). Die Grenzabstände sollen vor allem die mannigfachen Einflüsse von Bauten und ihrer Benutzung auf Nachbargrundstücke mindern. Sie dienen primär feuerund gesundheitspolizeilichen Interessen, können aber auch die zulässige Baudichte massgebend bestimmen (BGE 119 Ia 117). Inwiefern die Einhaltung von Grenzabstandsvorschriften hier den Grundsatz der haushälterischen Nutzung des Bodens verletzen sollte, vermag der Beschwerdeführer nicht darzutun und ist auch nicht zu erkennen. Damit hat es in diesem Punkt sein Bewenden.

Der Grenzabstand ist die kürzeste horizontale Entfernung zwischen der Grundstückgrenze und der Fassade (§ 120 Abs. 1 PBG). Der ordentliche Grenzabstand entspricht der Hälfte der Fassadenhöhe, mindestens jedoch 4 m bei Massivbauten und 6 m bei Weichbauten. In einund zweigeschossigen Wohnzonen beträgt der ordentliche Grenzabstand sowohl für Massivwie für Weichbauten mindestens 4 m (§ 122 Abs. 2 PBG). Die umstrittenen Gebäude A und B sollen unbestrittenermassen in der zweigeschossigen Wohnzone realisiert werden, weshalb diesbezüglich grundsätzlich ein Grenzabstand von 4 m zu beachten ist. Bei besonders langen Fassaden erhöht sich dieser minimale ordentliche Grenzabstand jedoch. Heranzuziehen ist diesfalls § 122 Abs. 5 PBG. Diese Bestimmung hat folgenden Wortlaut: «Bei Fassaden von mehr als 20 m Länge erhöht sich der Abstand zur gegenüberliegenden Grenze um einen Viertel der Mehrlänge bis höchstens 10 m. Bei Bauten mit drei und mehr Vollgeschossen werden eingeschossige Anbauten von nicht mehr als 3,5 m Fassadenhöhe, 4,5 m Firsthöhe und 10 m Länge für die Berechnung der Fassadenlänge nicht berücksichtigt. Dies gilt bei Bauten mit weniger als drei Vollgeschossen nur für angebaute Untergeschosse.»

Mit Recht hat die Vorinstanz in Erwägung gezogen, dass das Haus A eine Fassadenlänge von 25 m aufweist und dass diesbezüglich nach dem Gesagten zunächst ein Mehrlängenzuschlag zu beachten ist. Bei einer Mehrlänge von 5 m beträgt der Mehrlängenzuschlag ein Viertel davon, was 1,25 m entspricht. Für den Fall, dass die Gebäude A und B sowie der Trakt zwischen diesen beiden Gebäuden bei der Bemessung des Grenzabstandes nicht als Einheit aufzufassen wären, würde sich der minimale Grenzabstand zum Gebäude A nach dem Gesagten auf 5,25 m belaufen (= 4 m + 1,25 m). Nach dem Situationsplan hält die nordwestliche Fassade diesen Grenzabstand ein.

4. - Im vorliegenden Fall stellt sich allerdings die Frage, ob hier nicht ein noch grösserer Mehrlängenzuschlag zu beachten ist.

a) Der Sinn der Bestimmung über den Mehrlängenzuschlag liegt in erster Linie darin, lange, stadtähnliche Häuserzeilen zu vermeiden und eine aufgelockerte, offene Bauweise zu gewährleisten. Vor allem aus der Sicht des Nachbarn kann der Zweck dieser Vorschrift in zweiter Linie auch darin gesehen werden, lange Fassaden ohne Durchblick zu verhindern. Bei längeren und höheren Bauten sind grössere Abstände einzuhalten. Mit dem flexiblen System des Mehrlängenzuschlages will der Gesetzgeber den Zutritt von Luft, Licht und Sonne bestmöglich gewährleisten und die Erstellung von langen und hohen Bauten mit minimalen Abständen verhindern. Da bei nicht hohen Bauten, auch wenn sie lang sind, in bestimmten Grenzen der genannte Zweck auch ohne Vergrösserung des Abstandes erreicht werden kann, hat der Gesetzgeber eingeschossige Anbauten von begrenzter Länge vom Miteinbezug in die Fassadenlänge-Berechnung ausgenommen (§ 122 Abs. 5, Satz 2 und 3 PBG). In bezug auf «Anbauten» war bereits vor Inkrafttreten des PBG mit § 77 Abs. 3 aBauG eine entsprechende Bestimmung in Kraft, weshalb die Rechtsprechung zu § 77 Abs. 3 aBauG weiterhin zu berücksichtigen ist. Die Vorinstanz hat daher im wesentlichen zu Recht auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts verwiesen, die zu § 77 Abs. 3 aBauG ergangen ist. Das Verwaltungsgericht hatte bisher keine Veranlassung, sich von der in LGVE 1978 II Nr. 8 publizierten Praxis zu distanzieren - auch nicht im Urteil S. vom 10.4.1992, worauf zurückzukommen sein wird.

b) Zunächst ist festzuhalten, dass die Ausnahmebewilligung von § 122 Abs. 5 Satz 2 PBG nur für Anbauten gilt, nicht auch für niedrigere Bauten zwischen zwei höheren Bauten, mithin nicht für eigentliche «Zwischenbauten». Als Anbau gilt im Gegensatz zum Zwischenbau eine bauliche Massnahme, die einseitig an eine Baute anschliesst. Eine derartige bauliche Massnahme steht hier nicht zur Diskussion, weshalb der Beschwerdeführer nichts aus § 122 Abs. 5 Satz 2 PBG herzuleiten vermag. Selbst wenn der Zwischenbau samt dem Gebäude B als «Anbau» zum Gebäude A zu qualifizieren wäre, könnte der Beschwerdeführer nichts zu seinen Gunsten ableiten. Diesfalls läge ein Anbau vor, der eine Länge von weit über 10 m aufweisen würde, und daher bereits aus diesem Grund bei der Berechnung des Mehrlängenzuschlages mitzuberücksichtigen wäre (§ 122 Abs. 5 Satz 2, e contrario). Gleiches würde für die alternative Betrachtungsweise gelten, bei welcher das Gebäude A samt Zwischenbau sozusagen als Anbau zum Gebäude B aufzufassen wäre.

Der weitere Einwand des Beschwerdeführers, der Zwischenbau sei unberücksichtigt zu lassen, weil er unter das «gewachsene Terrain» zu liegen komme, ist ebenfalls unbehelflich. Massgebend ist die Feststellung, dass der Zwischentrakt hier nach aussen in Erscheinung tritt, wie die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid festgehalten hat. Diesbezüglich liegen die Verhältnisse hier anders als beim Sachverhalt, welcher dem Urteil S. vom 10.4.1992 zugrunde lag. Bei jener Streitsache aus dem Jahre 1992 standen zwei Baukörper zur Diskussion, die lediglich mit einem nicht sichtbaren Zwischenteil unter dem bestehenden Terrain verbunden waren. Von einem Zwischentrakt zwischen zwei Baukörpern konnte damals nicht die Rede sein. Im vorliegenden Fall tritt der Zwischentrakt zwischen den beiden Gebäuden A und B talseitig unbestrittenermassen in Erscheinung. Der Plan Nr. 414/7 vom 12. Februar 1993 gibt die Nordwest-Fassade wieder. Diesem Fassadenplan ist zu entnehmen, dass das gewachsene Terrain hangabwärts abgetragen wurde und deswegen sowohl die Garagen unter dem Gebäude A als auch die Garagen samt Treppenaufgang im Bereich des «Zwischentraktes» wegen des besagten Geländeanschnittes sichtbar sind. Wohl trifft zu, dass im Bereich des Zwischentraktes gut die Hälfte der Fassade unterhalb der (theoretischen) Grenzlinie des gewachsenen Terrains liegt; daraus kann der Beschwerdeführer aber nichts zu seinen Gunsten ableiten, denn die Frage nach dem gewachsenen Terrain hat bei der Bemessung des Grenzabstandes an Bedeutung entscheidend eingebüsst. Noch unter der Herrschaft des aBauG wurde die Fassadenhöhe als einer der Faktoren bei der Bemessung des Grenzabstandes regelmässig in der Mitte der Fassade ab dem gewachsenen Terrain bis Oberkante des Dachgesimses gemessen (§ 77 Abs. 2 aBauG). Diese Bestimmung führte dazu, dass Untergeschosse beliebig und an Hanglagen gegebenenfalls sogar extrem abgegraben und sichtbar gemacht werden konnten, ohne dass dies Auswirkungen auf die Fassadenhöhe und damit auf den Grenzabstand gehabt hätte. Der Gesetzgeber des PBG hat das Problem erkannt und festgehalten, dass inskünftig nicht bloss auf die «theoretische» Linie des ursprünglichen gewachsenen Terrains abzustellen sei, sondern die optische Erscheinung, d.h. die sichtbare Höhe einer Baute Anknüpfungspunkt bei der Bemessung der Fassadenhöhe und mithin des Grenzabstandes sein soll (vgl. Botschaft des Regierungsrates an den Grossen Rat zu einem Entwurf eines Planungsund Baugesetzes vom 12. August 1986 [B 119], in: Verhandlungen des Grossen Rates 1986, S. 771/772). In diesem Sinn hat der Gesetzgeber die Messweise so geändert, dass bei der Fassadenhöhe nunmehr entweder das gewachsene Terrain oder das tiefer gelegene Terrain zu berücksichtigen ist (§ 122 Abs. 4 Satz 1 PBG). Im vorliegenden Fall ist der Hang angeschnitten, weshalb für die Bemessung der Höhe der Fassaden das tiefer gelegene Terrain und nicht die theoretische Grenzlinie des gewachsenen Terrains zu beachten ist. Die gleiche Betrachtungsweise ist praxisgemäss bei der Beurteilung des umstrittenen Mehrlängenzuschlages massgebend. Hier wie dort kann die nach aussen in Erscheinung tretende Fassade nicht unberücksichtigt bleiben, selbst wenn sie teilweise unter der theroretischen Linie des gewachsenen Terrains liegt. Andernfalls liefe man der skizzierten Absicht, die der Gesetzgeber bei der Schaffung von § 122 Abs. 4 PBG verfolgte, zuwider, ohne dass in bezug auf den Mehrlängenzuschlag sachliche Gründe dafür zu erkennen wären.

c) Zusammenfassend ergibt sich, dass es sich beim Zwischenbau um eine optisch in Erscheinung tretende bauliche Massnahme handelt. Die Fassaden der Gebäude A und B sind samt Zwischentrakt bei der Bemessung des Grenzabstandes als Einheit zu betrachten. Die gesamte Länge dieser Fassaden ist im Situationsplan 1:100 vom 12. Februar 1993 (Nr. 414/1A) mit 46,94 m vermasst. Nach Massgabe von § 122 Abs. 5 PBG ist damit eine Mehrlänge von 26,94 m gegeben, so dass der Mehrlängenzuschlag (1/4) 6,74 m beträgt, wie die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid errechnet hat. Rein rechnerisch beliefe sich der Grenzabstand demnach auf 10,74 m (= 4 m + 6,74 m). Demnach haben die Gebäude A und B samt dem Zwischenbau nach Massgabe von § 122 Abs. 5 PBG den Grenzabstand von 10 m einzuhalten. Da bei der Nordwest-Fassade gegenüber der Parzelle Nr. 233 nur ein Grenzabstand von 5,25 m vorgesehen ist, erweist sich das Bauvorhaben als rechtswidrig. Die Vorinstanz hat die Baubewilligung deswegen zu Recht aufgehoben.
Quelle: https://gerichte.lu.ch/recht_sprechung/publikationen
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