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Urteil Verwaltungsgericht (LU)

Kopfdaten
Kanton:LU
Fallnummer:S 95 741
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Sozialversicherungsrechtliche Abteilung
Verwaltungsgericht Entscheid S 95 741 vom 30.10.1997 (LU)
Datum:30.10.1997
Rechtskraft:Diese Entscheidung ist rechtskräftig.
Leitsatz/Stichwort:Art. 8 Abs. 1, Art. 10 Abs. 2, Art. 17 Abs. 1, Art. 31 IVG; Art. 6 Abs. 1 IVV. Berufliche Massnahmen. Die verfügungsweise Verweigerung beruflicher Massnahmen darf erst erfolgen, wenn - mit Ausnahme von konkreten Massnahmen, welche von vorneherein ausser Betracht fallen - die verfügende Stelle nach umfassender Prüfung sämtlicher Massnahmen beruflicher Natur zum Schluss kommt, dass sie sich nicht ein-gliederungswirksam im Sinne von Art. 8 Abs. 1 IVG auswirken würden. Im Rahmen der Gewährung beruflicher Massnahmen für der deutschen Sprache nicht mächtige Ausländer sind die Kosten für Deutschkurse von der Invalidenversicherung in der Regel nur dann zu übernehmen, wenn diese Kurse dafür bestimmt, geeignet und notwendig sind, die Auswirkungen des Gesundheitsschadens in bezug auf die Verwertbarkeit der Restarbeitsfähigkeit im Rahmen eines konkreten, gezielt auf die berufliche Ausbildung gerichteten Eingliederungsplanes zu mildern. Die Umschulung eines Bauhilfsarbeiters zum Dolmetscher ist mit dem Erfordernis der annähernden Gleichwertigkeit der durch die Umschulung ermöglichten Verdienstmöglichkeiten zur wirtschaftlichen Lage vor Invaliditätseintritt nicht vereinbar. Andererseits kann ein Anspruch auf berufliche Massnahmen nicht mit der Begründung mangelnden Engagements und fehlender Motivation verneint werden, bevor das Mahn- und Bedenkzeitverfahren durchgeführt worden ist.
Schlagwörter: Umschulung; Beschwerdeführer; Berufliche; Massnahme; Massnahmen; Eingliederung; IV-Stelle; Abklärung; Verfügung; Anspruch; Annähernd; BEFAS; Verwaltung; Beschwerdeführers; Beruflicher; Verwaltungsgericht; Ausbildung; Verdienst; Mittelschwere; Angefochtene; Eingliederungsmassnahme; Luzern; Leichte; Deutschkurs; Arbeit; Abklärungen; Verwaltungsgerichtsbeschwerde; Motivation
Rechtsnorm:-
Referenz BGE:122 V 218; 122 V 79;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:-
Entscheid
A. - A arbeitete vom 22. Mai 1989 bis 5. Oktober 1992 als Saisonnier bei der Firma B in Z als Bauarbeiter. Nach Angaben seines Hausarztes, der A seit dem Jahre 1990 behandelte, litt letzterer seit Juni 1992 an rezidivierenden Rückenbeschwerden. Am 27. und 28. Juli 1993 war der Versicherte im Kantonsspital Y hospitalisiert, wo ein lumboradikuläres Reizsyndrom L5 rechts bei einer computertomographisch nachgewiesenen, geringgradigen Protrusion mit intrafomaminaler Ausdehnung in Höhe L4/L5 rechts diagnostiziert wurde. Radikuläre Zeichen konnten nicht erhoben werden. Am 23. September 1993 meldete sich A zum Leistungsbezug bei der Invalidenversicherung an und beantragte eine Umschulung auf eine neue Tätigkeit. Die IV-Stelle führte in der Folge verschiedene Abklärungen durch.

B. - Mit Verfügung vom 31. August 1995 wies die IV-Stelle Luzern das Leistungsbegehren des Versicherten ab. Sie führte aus, die Abklärungen der BEFAS hätten ergeben, dass A aus medizinisch-theoretischer Sicht eine leichte bis mittelschwere Tätigkeit ganztags zumutbar sei. Für eine Wiederaufnahme einer Arbeit habe er aber wenig Interesse und Motivation gezeigt. Eine Umschulung sei nicht empfohlen worden. Auch könne auf die Forderung nach einer Deutsch-Schulung nicht eingetreten werden. Weitere berufliche Massnahmen seien nicht angezeigt; auch bestehe kein Rentenanspruch.

C. - A liess gegen die leistungsabweisende Verfügung der IV-Stelle Luzern fristgerecht beim Verwaltungsgericht des Kantons Luzern Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen. Er beantragte Gewährung der gesetzlichen Eingliederungsmassnahmen und eventuell die Ausrichtung einer IV-Rente.

Das Verwaltungsgericht hob die angefochtene Verfügung in teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde auf und wies die Sache zur Vornahme weiterer Abklärungen an die IV-Stelle zurück.

Aus den Erwägungen:

4. - (Festlegung eines seitens des Beschwerdeführers im Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Verfügung erzielbaren Valideneinkommens auf Fr. 3056.- pro Monat und eines Invaliditätsgrades von minimal 18% und maximal 28%; Bejahung des grundsätzlichen Anspruchs auf Massnahmen beruflicher Art nach Art. 15ff. IVG.)

5. - a) Die Beschwerdegegnerin lehnte das Leistungsbegehren des Beschwerdeführers mit der Begründung ab, dass die vierwöchige Abklärung in der BEFAS ergeben habe, dass letzterem aus medizinisch-theoretischer Sicht eine leichte bis mittelschwere Tätigkeit ganztags zumutbar sei. Für die Wiederaufnahme einer Arbeit habe der Beschwerdeführer aber wenig Engagement und Motivation gezeigt. Eine Umschulung sei deshalb nicht empfohlen worden; auf die Forderung nach einer Deutsch-Schulung könne nicht eingetreten werden. Auch seien weitere berufliche Massnahmen durch die IV nicht angezeigt.

Der Beschwerdeführer war eigenen Angaben zufolge vor seiner Saisonniertätigkeit in der Schweiz während gut 17 Jahren Volksschullehrer in X (Ex-Jugoslawien). Als Saisonnier in der Schweiz arbeitete er als Hilfsarbeiter auf dem Bau. Die medizinische Abklärung durch die BEFAS ergab folgenden Befund: Es ergebe sich «bei sehr geringen radiologischen Befunden ein lumbospondylogenes Syndrom, dessen klinische Wertigkeit vom Versicherten übersteigert dargeboten wird. Die unerfreuliche psychosoziale Lage des Versicherten, ohne Verdienst, ohne berufliche Möglichkeiten, ohne Möglichkeit in der Schweiz verbleiben zu können, sind zweifellos mitbestimmend für die Aggravation der Befunde». Der Versicherte sei für leichte und mittelschwere Arbeiten ganztags einsetzbar. Allerdings sollten Positionsmonotonien und das repetitive achsennahe Heben von Gewichten über 10-15 kg ausgeschlossen werden. Bei einer Einarbeitungszeit von etwa drei Monaten könne der Versicherte weitgehend volle Arbeitsleistung erbringen in den Bereichen Montage und Spedition, wobei ein Erwerbseinkommen von Fr. 2200.- bis Fr. 2500.- erzielt werden könne.

b) Der Beschwerdeführer macht zunächst geltend, die IV-Stelle habe zu prüfen unterlassen, ob er zum Übersetzer Albanisch-Deutsch umgeschult werden könne, was die Bezahlung von Deutschkursen bedingt hätte. Wie bereits erwähnt, besteht indessen nur Anspruch auf die dem jeweiligen Eingliederungszweck angemessenen, notwendigen Massnahmen, nicht aber auf die nach den gegebenen Umständen bestmöglichen Vorkehren. Denn das Gesetz will die Eingliederung lediglich soweit sicherstellen, als diese im Einzelfall notwendig, aber auch genügend ist. Ferner muss der voraussichtliche Erfolg einer Eingliederungsmassnahme in einem vernünftigen Verhältnis zu ihren Kosten stehen (ZAK 1988 S. 468 Erw. 2a). In diesem Sinne gelten bestimmte Vorkehren nicht schon dann als Umschulungsmassnahmen, wenn sie indirekt zu einer Verbesserung im erwerblichen Leben beitragen, wie dies bei einem Deutschkurs an sprachunkundige Ausländer praktisch immer der Fall ist. Umgekehrt ist ein solcher Kurs dann von der IV zu übernehmen, wenn er dafür bestimmt, geeignet und notwendig ist (Art. 8 Abs. 1 IVG), die Auswirkungen des Gesundheitsschadens in bezug auf die Verwertbarkeit der Restarbeitsfähigkeit im Rahmen eines konkreten, gezielt auf die berufliche Ausbildung gerichteten Eingliederungsplanes zu mildern (AHI-Praxis 1997 S. 81). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Abgesehen davon, dass der Beschwerdeführer nach den Akten nur über äusserst rudimentäre Deutschkenntnisse verfügt, was eine Umschulung zum Dolmetscher um so aufwendiger und langwieriger erscheinen lässt, ist zu beachten, dass das von der Rechtsprechung vorausgesetzte Erfordernis der «annähernden Gleichwertigkeit» der durch eine Umschulung vermittelten neuen Betätigungsmöglichkeiten eine durch die Eingliederungsmassnahme bewirkte wirtschaftliche Besserstellung gegenüber seiner Lage vor dem Invaliditätseintritt verhindern soll (ZAK 1988 S. 470 Erw. 2c). Vorliegend ist die Ausübung einer (leichten bis mittelschweren) körperlichen Tätigkeit für den Beschwerdeführer, der zuvor auf dem Bau gearbeitet hat, trotz seinen Beschwerden möglich. Damit stehen ihm eingliederungswirksame Betätigungsmöglichkeiten offen, welche den Besuch eines Deutschkurses nicht voraussetzen. Auch wäre eine (wohl aufwendige) Umschulung zum Dolmetscher mit dem Erfordernis der annähernden Gleichwertigkeit der durch die Umschulung ermöglichten Verdienstmöglichkeit im Vergleich zu seiner wirtschaftlichen Lage vor Invaliditätseintritt nicht vereinbar. Die IV-Stelle hat deshalb das Begehren des Beschwerdeführers um Übernahme der Kosten für eine Deutschschulung zu Recht abgewiesen.

c) Zu prüfen ist, ob dem Beschwerdeführer allenfalls Anspruch auf weitere berufliche Massnahmen zusteht. In der angefochtenen Verfügung verneinte dies die IV-Stelle mit der Begründung, dass eine Umschulung von der BEFAS nicht empfohlen worden sei und weitere Massnahmen nicht angezeigt seien. Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Zum einen hat sich die BEFAS in ihrem Abklärungsbericht zur Frage der Umschulung nicht konkret geäussert; namentlich hat sie nicht - wie aus der Verfügungsbegründung der IV-Stelle Luzern gefolgert werden könnte - von einer Umschulung des Beschwerdeführers abgeraten. Zum anderen besteht bei einer Erwerbseinbusse zwischen 18% und 28% grundsätzlich Anspruch auf Umschulung auf eine neue Erwerbstätigkeit, wenn die Umschulung notwendig ist und dadurch die Erwerbsfähigkeit erhalten oder wesentlich verbessert werden kann (Art. 17 Abs. 1 IVG). Nach der Rechtsprechung muss eine Umschulung eine dem bisherigen Beruf annähernd gleichwertige Ausbildung zum Ziel haben. Der Begriff der annähernden Gleichwertigkeit bezieht sich dabei nicht in erster Linie auf das Ausbildungsniveau als solches, sondern auf die nach erfolgter Eingliederung zu erwartenden Verdienstmöglichkeiten (BGE 122 V 79 Erw. 3b/bb mit Hinweisen). Nach dem Abklärungsbericht der BEFAS kommen für den Beschwerdeführer «einfache, geistig anspruchslose Montagearbeiten ohne Positionsmonotonien in Frage», wobei der damit zu erzielende Verdienst auf zwischen Fr. 2200.- und Fr. 2500.- veranschlagt werden könne. Damit aber kann die Erwerbsfähigkeit des Beschwerdeführers weder erhalten noch verbessert werden (Art. 17 Abs. 1 IVG, Art. 6 Abs. 1 IVV). Aus diesen Gründen steht ihm insoweit ein Anspruch auf berufliche Ausbildung (Art. 16 oder 17 IVG) zu, als damit eine Eingliederung in eine Tätigkeit erreicht werden kann, welche ihm einen annähernd gleichen Verdienst ermöglicht, wie er als Bauarbeiter ohne Gesundheitsschaden im vergleichbaren Zeitpunkt erzielen könnte. Dies muss vorliegend um so mehr gelten, als der Beschwerdeführer keinen Anspruch auf eine IV-Rente und damit auf einen teilweisen Ausgleich der gesundheitsbedingten Erwerbseinbusse hat. Die IV-Stelle wird allerdings zu prüfen haben, ob sich dieses Ziel nicht auch ohne Umschulung allenfalls durch die Gewährung weiterer beruflicher Massnahmen erreichen lässt. So hat sie nach den Akten abzuklären unterlassen, welche Möglichkeiten dem Beschwerdeführer offenstehen, um heute ein demjenigen vor der gesundheitlichen Beeinträchtigung annähernd gleiches Einkommen erzielen zu können und ob hierfür allenfalls eine berufliche Massnahme notwendig sein wird. Die verfügungsweise Verweigerung beruflicher Massnahmen darf indessen erst erfolgen, wenn - mit Ausnahme von konkreten Massnahmen, welche von vorneherein ausser Betracht fallen - die verfügende Stelle nach umfassender Prüfung sämtlicher Massnahmen beruflicher Natur zum Schluss kommt, dass sie sich nicht eingliederungswirksam im Sinne von Art. 8 Abs. 1 IVG auswirken würden.

d) Festzuhalten ist weiter, dass ein Anspruch auf berufliche Massnahmen nicht bereits mit der Begründung mangelnden Engagements und fehlender Motivation im Abklärungsverfahren verneint werden kann. Lehnt der Versicherte die angeordneten Eingliederungsmassnahmen ab, kann die Verwaltung allerdings nach durchgeführtem Mahnund Bedenkzeitverfahren die Verweigerung oder den Entzug der Versicherungsleistungen verfügen (Art. 10 Abs. 2 IVG i.V.m. Art. 31 IVG; BGE 122 V 218ff.).

e) Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Beschwerdegegnerin zwar richtigerweise das Begehren des Beschwerdeführers um Bezahlung eines Deutschkurses für die Ausbildung zum Übersetzer abgewiesen, ihm die Gewährung weiterer beruflicher Massnahmen indessen zu Unrecht verweigert hat. Die angefochtene Verfügung ist in teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde somit insoweit aufzuheben, als damit weitere berufliche Massnahmen abschlägig beurteilt werden.
Quelle: https://gerichte.lu.ch/recht_sprechung/publikationen
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