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Urteil Verwaltungsgericht (LU)

Kopfdaten
Kanton:LU
Fallnummer:S 93 561
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Sozialversicherungsrechtliche Abteilung
Verwaltungsgericht Entscheid S 93 561 vom 28.11.1994 (LU)
Datum:28.11.1994
Rechtskraft:Diese Entscheidung ist rechtskräftig.
Leitsatz/Stichwort:Art. 19 Abs. 1 BVG; Art. 2 ZGB. Im überobligatorischen Bereich richten sich die Ansprüche der Witwe nicht nach Art. 19 Abs. 1 BVG, sondern nach den konkreten Vorsorgereglementen. Bei der Beurteilung von vorsorgerechtlichen Ansprüchen der Witwe ist nicht zu prüfen, ob bei der Eheschliessung versicherungsrechtliche Überlegungen mitgespielt haben.
Schlagwörter: Witwe; Todesfall; Ziffer; Witwenrente; Anspruch; Prüfen; Reglementarischen; Leistung; Recht; Personalvorsorge; Recht; Pensionskassen; Todesfallkapital; Beklagten; Ansprüche; Reglementes; Leistungen; BVG-Stiftung; Jährliche; Arbeitnehmer; Verstorbene; Anspruchsvoraussetzung; Versorgers; Todesfalls; Hauptsache; Alter; Personalvorsorgestiftung; Rolle; Ausschliesslich
Rechtsnorm: Art. 19 BV ; Art. 2 ZGB ;
Referenz BGE:-
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:-
Entscheid
B war während rund 14 Jahren mit E verheiratet. Die Ehe wurde am 1. April 1992 geschieden. Im Oktober 1992 lernte er A kennen. Sie lebten in gemeinsamem Haushalt, und am 31. März 1993 heirateten sie. Kurz darauf musste B hospitalisiert werden. Am 23. April 1993 verstarb er.

Mit Schreiben vom 28. Juli 1993 lehnten es die BVG-Stiftung und die Personalvorsorgestiftung der D-Unternehmungen ab, Todesfall-Leistungen zugunsten von A zu erbringen. Zur Begründung führten sie aus, B sei seit mehr als 6 Jahren schwer krank gewesen. Seit Anfang 1993 habe er gewusst, dass er in Kürze an seiner heimtückischen Krankheit sterben werde. In den Tagen vor der Wiederverheiratung am 31. März 1993 habe er unter stärksten Medikamenten gestanden. Es scheine daher klar, dass er sich zu diesem Zeitpunkt wegen der starken Medikamente nicht mehr habe bewusst sein können, dass er mit seiner Wiederverheiratung seine leibliche Tochter in bezug auf die Pensionskassen-Leistungen wesentlich schlechter stelle. Die Heirat sei zur Hauptsache erfolgt, um die beiden Pensionskassen zu schädigen. Pensionskassen bezweckten nebst der Erbringung von Leistungen im Alter und Invaliditätsfall, die Angehörigen des Ernährers vor den finanziellen Folgen eines Todesfalls zu schützen. Im Fall von A könne man aber nicht von einem Versorgerschaden ausgehen, da diese bei der Verheiratung gewusst habe, dass B nur noch kurze Zeit am Leben bleiben würde.

A verlangte klageweise von der BVG-Stiftung eine jährliche, unbefristete Witwen-rente und von der Personalvorsorgestiftung eine Todesfallsumme.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage gutgeheissen.

Aus den Erwägungen:

2. - a) Nach Art. 19 Abs. 1 BVG hat die Witwe Anspruch auf eine Witwenrente, wenn sie beim Tod des Ehegatten:

a. für den Unterhalt eines oder mehrerer Kinder aufkommen muss oder

b. das 45. Altersjahr zurückgelegt hat und die Ehe mindestens fünf Jahre gedauert hat.

Erfüllt die Witwe keine dieser Voraussetzungen, so hat sie nach Art. 19 Abs. 2 BVG Anspruch auf eine einmalige Abfindung in Höhe von drei Jahresrenten.

b) Diese Bestimmungen sind nur im Obligatoriumsbereich anwendbar, während sich im überobligatorischen Bereich die betreffende Frage ganz nach den konkreten Reglementen richtet (Riemer, Das Recht der beruflichen Vorsorge in der Schweiz, § 5 N 38).

Gemäss Ziffer 3.1.1 in Verbindung mit Ziffer 3.4.2 des Reglementes für die Personalvorsorge der BVG-Stiftung der D-Unternehmungen hat diese im Todesfall eine Witwenrente an die Witwe des verstorbenen Arbeitnehmers auszurichten. Die Witwenrente beginnt am Todestag bzw., wenn der Arbeitnehmer bereits im Genusse einer reglementarischen Rente war, zu Beginn des dem Todestag folgenden Kalenderquartals zu laufen (Ziffer 3.4.1 des Reglementes). Die jährliche Witwenrente beträgt vor Erreichen des Schlussalters 60% der Invalidenrente gemäss Ziffer 3.5.2 (Ziffer 3.4.2 des Reglementes).

Nach Ziffer 3.4.1 des Reglementes für die Personalvorsorge der Personalvorsorgestiftung der D-Unternehmungen wird ein Todesfallkapital fällig, wenn der Arbeitnehmer vor Bezug des Alterskapitals und vor Erreichen des Schlussalters stirbt. Gemäss Ziffer 3.4.3 lit. a des Reglementes hat der Ehegatte Anspruch auf das volle Todesfallkapital.

c) Es ist unbestritten, dass die jährliche Witwenrente Fr. 17371.- und das Todesfallkapital im vorliegenden Fall Fr. 128328.- betragen.

3. - a) Unbestrittenermassen ist der Anspruch auf eine Witwenrente und das Todesfallkapital gestützt auf die erwähnten reglementarischen Bestimmungen gegeben. Ein reglementarischer Ausschlussgrund im Sinne der Ziffern 3.4.5 ff. des Reglements für die Personalvorsorge der BVG-Stiftung entfällt.

Streitig und zu prüfen ist einzig die Rechtsfrage, ob die Geltendmachung der genannten Ansprüche einen offenbaren Rechtsmissbrauch im Sinne von Art. 2 Abs. 2 ZGB darstellt.

b) Den zivilrechtlichen Bestand der am 31. März 1993 geschlossenen Ehe haben die Beklagten zu Recht nicht in Zweifel gezogen. Indessen behaupten sie, die Ehe sei zur Hauptsache bzw. ausschliesslich im Hinblick auf die Begründung von Pensionskassenansprüchen geschlossen worden mit der Folge, dass deren Geltendmachung rechtsmissbräuchlich sei.

Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Die Klägerin ist mit B unbestrittenermassen eine Lebensgemeinschaft eingegangen, und sie haben überdies bereits vor dem Eheabschluss vom 31. März 1993 effektiv zusammengelebt. Aus welchen Motiven A den B heiratete, hat der Sozialversicherungsrichter nicht zu prüfen. Ob allenfalls versicherungsmässige Überlegungen mitgespielt haben, ist im vorliegenden Beschwerdeverfahren irrelevant. Die Beklagten sind sich über die Tragweite des vermuteten versicherungsmässigen Elementes des Ehewillens offenbar selber nicht recht im klaren, behaupten sie doch einerseits, A habe «zur Hauptsache» geheiratet, um Pensionskassenleistungen erhältlich zu machen, und anderseits, «ausschliessliche» Motivation des Eheschlusses seien diese Ansprüche gewesen. Über die inneren Beweggründe für einen Eheabschluss lassen sich wohl Hypothesen aufstellen. Verlässliche Grundlagen wären aber auch mit ergänzenden Beweismassnahmen kaum eruierbar. Die behauptete Zweckwidrigkeit der Eheschliessung ist klar zu verneinen. Der Sozialversicherungsrichter hat auch nicht gleichsam die Rolle des Eherichters zu übernehmen. Vielmehr hat er vom Bestand der zivilrechtlich unbestrittenermassen gültigen Ehe auszugehen und gestützt auf diesen Sachverhalt die vorsorgerechtlichen Ansprüche der überlebenden Ehegattin zu prüfen. Anders wäre gegebenenfalls zu entscheiden, wenn die Ehe nur auf dem Papier bestanden hätte und seitens von A gar kein Wille vorhanden gewesen wäre, die Ehe auch wirklich zu leben, wovon vorliegend indessen nicht die Rede sein kann und was auch die Beklagten nicht behaupten. Es geht entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht an, beim Tod eines Versicherten zusätzlich zu den reglementarischen Anspruchsvoraussetzungen zu prüfen, ob der verstorbene Versicherte die Rolle eines Versorgers einnahm und ob er diese Rolle auch zu erfüllen vermochte. Ein Versorgerschaden ist gemäss den einschlägigen reglementarischen Bestimmungen keine Anspruchsvoraussetzung für die Witwenrente bzw. das Todesfallkapital. Es wäre rechtsstaatlich nicht haltbar und würde der Willkür Tür und Tor öffnen, wenn die Vorsorgeeinrichtungen je nach den besonderen Umständen jedes Einzelfalls zusätzlich zu den reglementarischen Anspruchsvoraussetzungen prüfen wollten, ob mit der Ausrichtung einer Leistung der vom Gesetzgeber angestrebte Zweck auch tatsächlich erreicht werde oder nicht. Angesichts der reglementarischen Ordnung ist es auch unerheblich, wie lange die Ehe gedauert hat und ob der versicherte Ehepartner, durch dessen Tod Leistungsansprüche ausgelöst werden, im Zeitpunkt des Eheabschlusses schwer krank war und mit seinem baldigen Tod rechnete. Ob durch die Ausrichtung der Leistungen an die Witwe die Ansprüche der Tochter des verstorbenen Versicherten geschmälert werden, ist für die Beurteilung der Ansprüche der Witwe ebenfalls irrelevant. Da die zu prüfende Frage ausschliesslich eine Rechtsfrage darstellt, ist von ergänzenden Beweismassnahmen abzusehen.

Nach dem Gesagten haben die Beklagten der Klägerin ab 23. April 1993 eine jährliche Witwenrente von Fr. 17341.- sowie eine Todesfallsumme von Fr. 128328.- auszurichten.
Quelle: https://gerichte.lu.ch/recht_sprechung/publikationen
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