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Urteil Regierungsrat (LU)

Kopfdaten
Kanton:LU
Fallnummer:RRE Nr. 423
Instanz:Regierungsrat
Abteilung:-
Regierungsrat Entscheid RRE Nr. 423 vom 07.05.2019 (LU)
Datum:07.05.2019
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Leitsatz/Stichwort:Die Verpflichtung zur politischen Neutralität trifft ausser das Gemeinwesen auch diejenigen öffentlichen oder gemischtwirtschaftlichen Unternehmen, die von ihm beherrscht sind. Gleichgültig ist dabei die Organisationsform, in der das Unternehmen auftritt. Es genügt, dass es direkt oder indirekt unter so bestimmendem Einfluss des Gemeinwesens steht, dass die Stellungnahme des Unternehmens im Abstimmungskampf diesem Gemeinwesen zugerechnet wird. Im Einzelfall darf es allenfalls dann Stellungnahmen abgeben, wenn es besonders betroffen ist. Eine umfangreiche Broschüre eines solchen Unternehmens, mit welcher im Vorfeld der Abstimmungen einseitig für die Vorlage geworben wird, verletzt die gebotene Sachlichkeit.

Werden in den amtlichen Abstimmungserläuterungen ausschliesslich Abstimmungsempfehlungen von Personen und Gremien wiedergegeben, welche die Vorlage befürworten, stellt dies eine unzulässige Beeinflussung der Stimmberechtigten dar.

Schlagwörter: Abstimmung; Stimmberechtigte; Stimmberechtigten; Badeanstalt; Abstimmungsbotschaft; Bundesgerichts; Urteil; Stellungnahme; Abstimmungskampf; Abstimmungserläuterungen; Unternehmen; Vorlage; Broschüre; Gemeinde; Sachlichkeit; Abstimmungsempfehlung; Zukunft; Behörde; Meinung; Befürworter; Beschwerdeführerinnen; Kredit; Vorinstanz; Objektiv; Gemeinwesen; Fasnacht; Rückbau; Abgeben; Einsatz
Rechtsnorm:-
Referenz BGE:-
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:-
Entscheid
Am 31. März 2019 fand in der Gemeinde Z die Urnenabstimmung über die Zukunft der Badeanstalt statt. Trägerin der Badeanstalt ist die Aktiengesellschaft (Badi Z AG), deren Alleinaktionärin die Einwohnergemeinde Z ist. Im Rahmen einer Doppelabstimmung konnten die Stimmberechtigten über einen Kredit zur Sanierung und Sicherung der Zukunft der Badeanstalt und über einen Kredit zur Stilllegung und zum Rückbau der Badeanstalt befinden. Mit 1401 Jazu 768 Nein-Stimmen genehmigten die Stimmberechtigten den Kredit zur Sanierung der Badeanstalt. Jener für den Rückbau wurde mit 417 Jazu 1584 Nein-Stimmen abgelehnt. Bei der Stichfrage sprachen sich 1407 Stimmberechtigte für den Sonderkredit zur Weiterführung und 516 Stimmberechtigte für den Sonderkredit zur Stilllegung und zum Rückbau aus. Bereits am 7. März 2019 hatten die Stimmberechtigten A, B und C nach dem Versand der Abstimmungsbotschaft beim Regierungsrat des Kantons Luzern eine Stimmrechtsbeschwerde eingereicht. Sie beantragten, die Abstimmung sei abzusagen und zu einem späteren Zeitpunkt auf Grund einer wahren, ausgewogenen, objektiven und neutralen Abstimmungsbotschaft durchzuführen.

Aus den Erwägungen:

6.2.1 Behördliche Informationen zu eigenen Vorlagen müssen geeignet sein, zur offenen Meinungsbildung beizutragen, und dürfen nicht in dominanter und unverhältnismässiger Art im Sinne einer eigentlichen Propaganda die freie Willensbildung der Stimmberechtigten erschweren oder geradezu verunmöglichen (Urteil des Bundesgerichts 1C_247/2018, 1C_248/2018 E. 5. 2). Nach der Rechtsprechung ist die Behörde bei der Abfassung der Abstimmungserläuterungen zwar nicht zur Neutralität verpflichtet und darf eine Abstimmungsempfehlung abgeben, wohl aber zur Sachlichkeit. Dem Erfordernis der Objektivität genügen Abstimmungserläuterungen, wenn die Aussagen wohlabgewogen sind und beachtliche Gründe dafür sprechen, wenn sie ein umfassendes Bild der Vorlage mit ihren Vorund Nachteilen abgeben und den Stimmberechtigten eine Beurteilung ermöglichen oder wenn sie trotz einer gewissen Überspitzung nicht unwahr oder unsachlich, sondern lediglich ungenau oder unvollständig sind. Die Behörde muss sich nicht mit jeder Einzelheit einer Vorlage befassen und nicht alle denkbaren Einwendungen, die gegen die Vorlage erhoben werden können, erwähnen (Urteil des Bundesgerichts 1C_24/2018 vom 12.2.2019 E. 5. 1; Urteil des Bundesgerichts 1C_247/2018, 1C_248/2018 vom 12.3.2019 E. 5. 3).

( )

6.6. Die Beschwerdeführerinnen rügen, die Badi Z AG habe in der Abstimmungsbotschaft eine ganze Seite für ihre Propaganda erhalten. Zudem habe sie vor dem Erscheinen der eigentlichen Abstimmungsbotschaft massiv Werbung für ihre Finanzierung durch die Gemeinde gemacht. Die Gruppierung «pro Badi Z» habe am Fasnachtsumzug etwa 2'000 Werbeplastikenten der Badeanstalt verteilt.

6.6.1 ( ) Gemäss den Ausführungen der Beschwerdeführerinnen scheint die Broschüre der Badi Z AG vor dem Versand der Abstimmungsbotschaft verteilt worden zu sein. Die Enten scheinen am Fasnachtsumzug verteilt worden zu sein. ( )

6.6.2. Die Verpflichtung zur politischen Neutralität trifft ausser das Gemeinwesen auch diejenigen öffentlichen oder gemischtwirtschaftlichen Unternehmen, die von ihm beherrscht sind. Gleichgültig ist dabei die Organisationsform, in der das Unternehmen auftritt. Es genügt, dass es direkt oder indirekt unter so bestimmendem Einfluss des Gemeinwesens steht, dass die Stellungnahme des Unternehmens im Abstimmungskampf diesem Gemeinwesen zugerechnet wird. Öffentliche Unternehmen haben sich, unabhängig davon, wie sie juristisch ausgestaltet sind, grundsätzlich politisch neutral zu verhalten und dürfen nicht anlässlich irgendeiner Volksbefragung in den Abstimmungskampf eingreifen. Im Einzelfall dürfen sie allenfalls dann Stellungnahmen abgeben, wenn sie besonders betroffen sind. Das trifft insbesondere dort zu, wo das Unternehmen in der Umsetzung seines (gesetzlichen oder statutarischen) Auftrags betroffen ist, seine wirtschaftlichen Interessen vertritt und somit ähnlich einem Privaten berührt ist. Wenn die Voraussetzungen für ein Eingreifen in einem Abstimmungskampf erfüllt sind, kann sich das Unternehmen grundsätzlich der auch sonst im Abstimmungskampf verwendeten Informationsmittel bedienen, doch muss es dies mit der nötigen Zurückhaltung tun. Es muss bei seinen Interventionen die Grundsätze der Transparenz, der Sachlichkeit und der Verhältnismässigkeit beachten. Es hat seine Interessen in objektiver und sachlicher Weise zu vertreten und darf sich keiner verpönten oder verwerflichen Mittel bedienen. Dazu gehört auch, dass nicht mit unverhältnismässigem Einsatz öffentlicher Mittel in den Abstimmungskampf eingegriffen wird. Um die Gleichheit der an der Auseinandersetzung Beteiligten soweit als möglich zu wahren, darf nach Erlass des Abstimmungsberichtes von behördlicher Seite nicht mehr aufgewendet werden als auch den Parteien und anderen Interessengruppierungen ohne erhebliche Opfer möglich ist (Urteil des Bundesgerichts 1C_ 372/2014, 1C_373/2014 vom 4.9.2014 E. 5.2 und 7.2.; Urteil des Bundesgerichts 1P.141/1994 vom 26.5.1995 E. 3c, 4b und 6a).

6.6.3. Die Badi Z AG ist eine Aktiengesellschaft, deren Aktien zu 100 Prozent von der Einwohnergemeinde Z gehalten werden. Der Gemeindepräsident ist Verwaltungsratspräsident der Gesellschaft. Bei der vorliegenden Abstimmung ging es um die Zukunft der Badeanstalt. Zweck der Badi Z AG ist der Betrieb einer gemeinnützigen Schwimmund Freizeitanlage in der Gemeinde Z. Die Badi Z AG ist somit von der Vorlage besonders betroffen, da diese die Umsetzung ihres statutarischen Zweckes betrifft. ( ) Es ging bei der Vorlage darum, die Badi Z AG mit öffentlichen Mitteln finanziell zu unterstützen, um den Fortbestand der Badeanstalt zu sichern. Sie war somit berechtigt, in den Abstimmungskampf einzugreifen. ( ) Jedoch hat die Badi Z AG mit der 12-seitigen A5-Broschüre und der Verteilung von Enten an der Fasnacht einen unverhältnismässigen Einsatz finanzieller Mittel getätigt. Zwar ist die Herausgeberin der Broschüre klar erkennbar, und deren befürwortende Haltung konnte von den Stimmberechtigten ohne Weiteres eingeordnet werden. Die Broschüre verletzt jedoch den Grundsatz der Sachlichkeit, da in ihr nur Statements von Befürwortern abgedruckt wurden (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1C_372/2014, 1C_373/2014 vom 4.9.2014 E. 8.1.; Urteil des Bundesgerichts 1C_247/2018, 1C_248/2018 vom 12.3.2019 E. 8.4.). ( )

6.6.4. Auf Seite 17 der Abstimmungsbotschaft wurde unter dem Titel «Stellungnahmen» die Stellungnahme des Verwaltungsrates der Badi Z AG abgedruckt. Entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführerinnen ist diese Stellungnahme ganz klar als solche der Badi Z AG erkennbar. Ob eine solche jedoch noch zur Beratungsund Informationsfunktion der Vorinstanz im Rahmen der Abstimmungsbotschaft gehört, ist fraglich. Auf jeden Fall zu weit gehen die «Stimmen aus der Gemeinde, warum ein Ja für die Badi wichtig ist». Hier kommen nur Befürworterinnen und Befürworter zu Worte, weshalb die Darstellung unausgewogen ist. Zudem ist es nicht Aufgabe der Behörde, privaten Einzelpersonen eine Plattform in den Abstimmungserläuterungen zu bieten. Die selektive Wiedergabe von Abstimmungsempfehlungen von weiteren Personen und Gremien in den amtlichen Abstimmungserläuterungen ist mit einer unzulässigen Beeinflussung der Stimmberechtigten verbunden und mit Blick auf Artikel 34 Absatz 2 BV nicht zulässig (Urteil des Bundesgerichts 1C_247/2018, 1C_248/2018 vom 12.3.2019 E. 5.2. und 8.2.).

7. Zusammenfassend ist somit festzustellen, dass die Abstimmungserläuterungen zur Abstimmung über die Zukunft der Badeanstalt grundsätzlich wahr, verständlich und objektiv sind. Zur Neutralität ist die Vorinstanz darin nicht verpflichtet. Soweit jedoch selektiv Abstimmungsempfehlungen von Dritten wiedergegeben werden, ist dies mit einer unzulässigen Beeinflussung der Stimmberechtigten verbunden und mit Artikel 34 Absatz 2 BV nicht vereinbar. Da die Badi Z AG den gleichen Grundsätzen verpflichtet ist wie die Vorinstanz, bringt deren Stellungnahme in der Abstimmungsbotschaft keinen Mehrwert und ist daher überflüssig. Es gehört auch nicht zum Informationsauftrag der Behörde, Abstimmungsempfehlungen interessierter Akteure weiterzuverbreiten. Was die Werbeaktionen der Badi Z AG betrifft, so stellen diese in Anbetracht der zu beschliessenden Kreditgewährung einen unverhältnismässigen Einsatz finanzieller Mittel dar. Zudem verletzen die einseitigen Statements von Befürwortern in der Broschüre der Badi Z AG den Grundsatz der Sachlichkeit.

( )

8.1. Wie die Vorinstanz zu Recht geltend macht, wurde in zahlreichen Zeitungsartikeln - auch kontrovers - über die Abstimmung berichtet. ( ) Es zeigt sich somit, dass eine breite öffentliche Diskussion stattgefunden hat und sich die Stimmbevölkerung in Kenntnis aller Fakten und geäusserten Meinungen ein Bild der Lage machen konnte. Die Stellungnahme in der Abstimmungsbotschaft und die Aktivitäten konnten klar der Badi Z AG zugeordnet werden. Es ist den Stimmberechtigten daher zuzumuten, diese Informationen bei ihrer Meinungsbildung unter diesem Aspekt zu berücksichtigen und zu würdigen. Es bestehen somit keine Anhaltspunkte dafür, dass die Stimmberechtigten ihre Meinung gestützt auf die zugänglichen Informationen nicht frei und umfassend bilden und dementsprechend unter Einschätzung der möglichen Folgen zum Ausdruck bringen konnten.

8.2. Unter den gegebenen Umständen konnten die Stellungnahme in den Abstimmungserläuterungen wie auch die Werbeaktionen der Badi Z AG die freie Willensbildung der Stimmberechtigten nur in einem beschränkten Ausmass beeinträchtigen. In Anbetracht der gesamten Umstände und insbesondere angesichts der deutlichen Zustimmung mit 64,6 Prozent zu Variante A (und einer Ablehnung mit 79,2 % von Variante B) erscheint die Möglichkeit, dass die Abstimmung ohne die festgestellten Mängel anders ausgefallen wäre, als derart gering, dass sie nicht ernsthaft in Betracht fällt. Der Antrag der Beschwerdeführerinnen, die Abstimmung sei aufzuheben, ist deshalb abzuweisen.
Quelle: https://gerichte.lu.ch/recht_sprechung/publikationen
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