Der Regierungsrat des Kantons Luzern erliess am 30. April 1991 einen Beschluss über die Schulgeldbeiträge der Gemeinden für die Schuljahre 1991/92 und 1992/93. Am 4. September 1992 erliess er einen weiteren Beschluss über die Schulgeldbeiträge der Gemeinden für das Schuljahr 1992/93 und hob den Beschluss vom 30. April 1991 auf. Die Publikation des Beschlusses vom 4. September 1992 erfolgte im Kantonsblatt Nr. 37 vom 12. September 1992.
Am 10. Oktober 1992 reichte der Gemeinderat von Z beim Verwaltungsgericht ein Prüfungsgesuch nach § 188 Abs. 1 VRG ein mit dem Antrag, der Regierungsratsbeschluss vom 4. September 1992 sei wegen Verfassungsund Gesetzeswidrigkeit aufzuheben.
Das Verwaltungsgericht wies dieses Gesuch ab.
Aus den Erwägungen:
1. - . . . (Eintretensfrage bejaht)
2. - . . . (Ausführungen zur Kognition)
3. - Gemäss §§ 54a Abs. 3, 133 Abs. 2 und 3 und 139 Abs. 4 ErzG kann der Regierungsrat die Beiträge pro Schüler festlegen, die eine Gemeinde dem Schulträger bzw. der Schulortsgemeinde zu leisten hat.
Gestützt auf diese Kompetenznormen hat der Regierungsrat des Kantons Luzern am 4. September 1992 folgenden Beschluss über die Schulgeldbeiträge der Gemeinden für das Schuljahr 1992/93 erlassen:... (genauer Wortlaut)
4. - a) Der Antragsteller bestreitet die grundsätzliche Zahlungspflicht der Gemeinde Z für Schüler, welche in der Gemeinde Y die Schule besuchen, nicht. Ebenso unbestritten ist die Zuständigkeit des Regierungsrates zur Festsetzung der Schulgeldbeiträge. Hingegen macht der Antragsteller geltend, der Beschluss vom 4. September 1992 verstosse gegen Art. 4 BV, indem er das Rückwirkungsverbot verletze: Der Regierungsrat habe bereits mit Beschluss vom 30. April 1991 die Schulgeldbeiträge für das Schuljahr 1992/93 verbindlich festgesetzt. Das Schuljahr 1992/93 habe am 1. August 1992 begonnen. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 4. September 1992 sei jener vom 30. April 1991 zu Unrecht rückwirkend aufgehoben worden.
b) Nach der Rechtsprechung ist eine gesetzliche Ordnung dann rückwirkend, wenn sie auf Sachverhalte angewendet wird, die sich abschliessend vor Inkrafttreten des neuen Rechts verwirklicht haben. Die Rückwirkung widerspricht dem Gesetzmässigkeitsprinzip in seiner Bedeutung für die Rechtssicherheit und den Vertrauensschutz. Ein rückwirkendes Gesetz bedeutet geradezu eine Negation des Gesetzesvertrauens (Weber-Dürler, Vertrauensschutz im öffentlichen Recht, S. 280 f.; Kölz, Intertemporales Verwaltungsrecht, in: Mitteilungen des Schweizerischen Juristenvereins, Heft 2, 1983, S. 123 f.). Diese echte Rückwirkung ist deshalb grundsätzlich unzulässig. Sie kann nach der Rechtsprechung zu Art. 4 BV ausnahmsweise zugelassen werden, wenn sie nach der Auslegung des Erlasses eindeutig beabsichtigt, in zeitlicher Hinsicht mässig und als solche durch beachtenswerte Gründe gerechtfertigt ist; sie darf weder zu Rechtsungleichheiten führen noch in wohlerworbene Rechte eingreifen (BGE 113 Ia 425; Gygi, Verwaltungsrecht, S. 111). Damit die Regeln über die echte und grundsätzlich unzulässige Rückwirkung Anwendung finden, muss sich der Sachverhalt, an den die betreffende Rechtsfolge geknüpft ist, abschliessend vor dem Inkrafttreten des rückwirkenden Rechts verwirklicht haben. Dies macht den Unterschied zur sogenannten unechten Rückwir-kung aus, wo das neue Recht - gestützt auf Sachverhalte, die früher eingetreten sind und noch andauern - lediglich für die Zeit seit Inkrafttreten Anwendung findet. Diese Rückwirkung ist grundsätzlich zulässig, sofern ihr nicht wohlerworbene Rechte entgegenstehen (BGE 110 V 254 Erw. 3a mit Hinweisen auf die Rechtsprechung und Lehre; vgl. auch BGE 114 V 151 Erw. 2a mit Hinweisen; Rhinow/Krähenmann, Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband, Nr. 16 B III). Der Begriff der «unechten Rückwirkung» ist allerdings eine nicht besonders zutreffende Sammelbezeichnung für verschiedenartige Tatbestände von Rechtsänderungen, in denen es weniger um eine Rückwirkung als darum geht, ob altes Recht noch auf das neu in Kraft gesetzte Recht einwirkt (Gygi, a.a.O., S. 111; Kölz, a.a.O., S. 163 mit Hinweisen; LGVE 1992 II Nr. 8 Erw. 4a).
Das Schuljahr 1992/93 dauert vom 1. August 1992 bis 31. Juli 1993. Es war weder im Zeitpunkt des Inkrafttretens noch des Erlasses des fraglichen Beschlusses bereits beendet. Zudem ist gemäss dessen § 5 für die Beitragspflicht die Schülerzahl zu Beginn des Monats Januar des laufenden Schuljahres - somit anfangs Januar 1993 - massgebend. Nicht erfasst von der Neuregelung sind die dem Schuljahr 1992/93 vorangehenden Schuljahre. Soweit überhaupt von einer Rückwirkung gesprochen werden kann, dann höchstens von einer unechten im Sinne der obigen Ausführungen. Da mit dem Beschluss vom 4. September 1992 für das Schuljahr 1992/93 nicht neues Recht auf einen Sachverhalt angewendet wird, der sich bereits abschliessend vor dessen Inkrafttreten verwirklicht hat, verstösst er nicht gegen den Grundsatz der Nichtrückwirkung.
5. - Es stellt sich im weitern die Frage, ob der Regierungsrat mit dem fraglichen Beschluss den Grundsatz der Rechtssicherheit verletzt und gegen Treu und Glauben verstossen hat. Dies trifft nach Ansicht des Antragstellers zu, weil der Regierungsrat die Beiträge für das Schuljahr 1992/93 bereits mit Beschluss vom 30. April 1991 festgesetzt hat und die Gemeinde Z auf den Fortbestand dieses Beschlusses habe vertrauen dürfen.
a) Die Schulgeldbeiträge wurden bisher alle zwei Jahre jeweils für zwei Schuljahre festgesetzt. Mit Beschluss vom 4. September 1992 ging der Regierungsrat erstmals dazu über, diese jährlich anzupassen. Er begründet dies in seiner Vernehmlassung mit einer besseren Kostenverteilung zwischen Anschlussund Standortgemeinden. Diesem Vorgehen stehen die Bestimmungen des Erziehungsgesetzes nicht entgegen. Die massgebenden Bestimmungen des Erziehungsgesetzes halten lediglich fest, dass der Regierungsrat die Schulgeldbeiträge pro Schüler festzulegen habe. Über deren nähere Ausgestaltung, insbesondere in zeitlicher Hinsicht, enthält es keine Bestimmungen. Es belässt dem Regierungsrat in dieser Beziehung somit einen weiten Ermessensspielraum.
b) Gemäss ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts besteht kein generelles schutzwürdiges Vertrauen in die Unabänderlichkeit eines bestehenden Rechtszustandes. Der Grundsatz des Vertrauensschutzes steht einer Änderung des geltenden Rechts nicht entgegen (BGE 108 Ib 358 mit Hinweisen; Rhinow/Krähenmann, a.a.O., Nr. 74 B XII a; Häfelin/Müller, Grundriss des Allgemeinen Verwaltungsrechts, Rz 541; vgl. Gygi, a.a.O., S. 109). Auch wenn der Vertrauensschutz einer Rechtsänderung in der Regel nicht entgegensteht, bietet er bei Rechtsänderungen unter qualifizierten Voraussetzungen dennoch Schutz, insbesondere wenn in wohlerworbene Rechte eingegriffen, von ausdrücklichen Zusicherungen des Gesetzgebers abgewichen oder eine Rechtsänderung zur gezielten Verhinderung eines bestimmten Vorhabens, das verwirklicht werden könnte, in nicht vorhersehbarer Weise beschlossen wird (Rhinow/Krähenmann, a.a.O.). Dass vorliegend eine derartige qualifizierte Voraussetzung gegeben wäre, hat der Antragsteller in seinem Prüfungsgesuch nicht dargetan.
c) Auf welchen Zeitpunkt eine gesetzliche Neuregelung in Kraft gesetzt werden soll, ist dem pflichtgemässen Ermessen des Gesetzgebers, hier also dem Regierungsrat, anheimgestellt. Es kann erforderlich sein, die Neuordnung unverzüglich in Kraft zu setzen, wenn sie den angestrebten Zweck erreichen soll. In andern Fällen mag es angezeigt sein, einen Erlass (z.B. aus technischen Gründen) erst einige Zeit später in Kraft zu setzen, um den Betroffenen Gelegenheit zu geben, Anpassungsmassnahmen zu treffen. Schliesslich kann es sich rechtfertigen, Übergangsbestimmungen zu erlassen, um den Übergang vom alten zum neuen Recht zu erleichtern. Ob das eine oder andere Vorgehen einzuschlagen ist, ist Sache wertender Abwägung, wobei die verfassungsmässigen Grundsätze zu beachten sind (BGE 104 Ib 215 f.).
Der Regierungsrat begründet die Beitragserhöhung auf das Schuljahr 1992/93 insbesondere mit dem Abbau des Staatsbeitrages an die Volksschullehrerbesoldung per 1. Januar 1993 um insgesamt 9,5% und der hohen Teuerung per April 1992 sowie mit der neuen Besoldungsordnung für Lehrpersonen aus dem Jahre 1989 und der Schaffung und Erneuerung von Unterrichtsräumen in den Fächern Informatik, Naturlehre und Werken. Mit der beschlossenen Erhöhung der Schulgeldbeiträge werde eine Teilabgeltung der effektiven Schulkosten der Standortgemeinden erreicht. Um eine finanzielle Entlastung der regionalen Schulstandorte und eine bessere Kostenaufteilung zwischen Standortund Anschlussgemeinden hinsichtlich der markant gestiegenen Schulkosten zu erreichen, seien die Schulgeldbeiträge bereits rückwirkend für das Schuljahr 1992/93 erhöht worden.
Der Antragsteller seinerseits macht geltend, die Schulgeldbeiträge seien bereits in den vorangegangenen Jahren über die Teuerung hinaus angehoben worden, so dass gar kein Handlungsbedarf bestanden habe. Dieser Einwand ist unbehelflich. Nur durch eine Neufestsetzung auf Beginn des Schuljahres 1992/93 konnte der Zweck der Neuregelung, d.h. eine gerechtere Aufteilung der zu diesem Zeitpunkt massiv gestiegenen Kosten zwischen Standortund Anschlussgemeinden, erreicht werden. Es trifft zwar zu, dass die Gemeinde Z dadurch finanziell mehr belastet wird. Die Folgen der Sanierung der Staatsfinanzen (durch Herabsetzung der Staatsbeiträge an die Lehrerbesoldungen) treffen jedoch nicht nur einen Teil der Gemeinden, sondern sind von sämtlichen Gemeinden zu tragen.
d) Nach dem Gesagten ist es weder gesetzesnoch verfassungswidrig, dass der Regierungsrat seinen Beschluss vom 30. April 1991 aufhob und auf den 1. August 1992 durch jenen vom 4. September 1992 ersetzte.
6. - Der Antragsteller rügt weiter, die Aufhebung des Beschlusses vom 30. April 1991 sei ohne Rücksprache mit den davon in finanzieller Hinsicht erheblich betroffenen Gemeinden erfolgt; der neue Beschluss sei zudem ohne jegliche Begründung ergangen. Dadurch sei das rechtliche Gehör verweigert worden.
Im Gesetzgebungsverfahren, d.h. beim Erlass generell-abstrakter Normen, besteht nach der bundesgerichtlichen Praxis von Verfassung wegen kein Anspruch auf Anhörung (BGE 113 Ia 99 mit Hinweisen; Häfelin/Müller, a.a.O., Rz 1310; Rhinow/Krähenmann, a.a.O., Nr. 81 B Ia). Da der angefochtene Beschluss vom 4. September 1992 Rechtssätze verwaltungsrechtlichen Inhalts enthält, steht dem Antragsteller kein Anspruch auf vorherige Anhörung zu. Auch aus dem Erziehungsgesetz selber lässt sich ein Anspruch auf Anhörung nicht ableiten. Das rechtliche Gehör ist somit entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht verletzt worden.
Dass der Regierungsrat seinen Beschluss vom 4. September 1992 nicht mit einer Begründung versehen hat, stellt ebenfalls keine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar. Sowohl die in § 110 VRG enthaltene Begründungspflicht als auch das aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör abgeleitete Recht auf Begründung bezieht sich ausschliesslich auf Verfügungen und Entscheide, nicht auch auf rechtsetzende Beschlüsse (Rhinow/Krähenmann, a.a.O., Nr. 85 BI; Häfelin/Müller, a.a.O., Rz 1293 ff.).
7. - Der Antragsteller wendet weiter ein, die rückwirkende Aufhebung des Beschlusses vom 30. April 1991 und die Erhöhung der Schulkostenbeiträge für 1992/93 würden gegen § 67 Abs. 3 GG verstossen. Insbesondere werde dadurch die Einhaltung der in dieser Bestimmung festgelegten Grundsätze für den Finanzhaushalt der Gemeinden verunmöglicht. Die Schulgeldbeiträge würden seit Jahren in der Rechnung des Jahres zu Beginn des Schuljahres verbucht. Die Schulgeldbeiträge 1992/93 würden somit in der Rechnung 1992 erscheinen. Sie müssten so rechtzeitig festgelegt werden, dass es den Gemeinderäten möglich sei, die in § 80 GG gesetzten Fristen für die Budgetierung einzuhalten: Spätestens im April sei der Voranschlag durch die Stimmberechtigten zu beschliessen, und spätestens fünf Wochen vor der Gemeindeabstimmung sei der Voranschlag der Rechnungskommission zu übergeben. Die Beiträge müssten somit spätestens im Februar vor Beginn des neuen Schuljahres festgelegt werden, damit korrekt budgetiert werden könne.
§ 67 Abs. 3 GG gehört zu den allgemeinen Bestimmungen über den Finanzhaushalt der Gemeinden (vgl. Überschrift zu § 66 f. GG). Er hat folgenden Wortlaut: «Das Rechnungswesen beruht auf den Grundsätzen der doppelten Buchführung, der Vollständigkeit, der Klarheit, der Wahrheit, der Genauigkeit, der Spezifikation, der Sollverbuchung und des Bruttoprinzips.» Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass sich die im § 67 Abs. 3 GG verankerten Grundsätze auf das Rechnungswesen und nicht auf die Budgetierung beziehen, weshalb die Berufung des Antragstellers auf diese Bestimmung schon allein aus diesem Grund unbehelflich ist. Im übrigen steht der Befolgung dieser Grundsätze der Beschluss vom 4. September 1992 nicht entgegen: Da der massgebende Zeitpunkt für die Beitragspflicht gemäss § 5 des Beschlusses der Januar des laufenden Schuljahres ist, können die Beiträge nicht vor diesem Zeitpunkt erhoben und in Rechnung gestellt werden. Die meisten Gemeinden werden daher die Schulgeldbeiträge für das Schuljahr 1992/93 im Voranschlag 1993 und in der Rechnung 1993 aufführen, d.h. in derjenigen Rechnungsperiode, in welcher die Schulgeldbeiträge effektiv anfallen. Auf diese Weise kann auch dem § 73 Abs. 2 GG Rechnung getragen werden, wonach der Voranschlag den im Rechnungsjahr erwarteten Aufwand und die Ausgaben sowie den Ertrag und die Einnahmen zu umfassen hat, wobei Beträge, die nicht genau feststehen, zu schätzen sind. Dem Gemeinderat Z steht es durchaus offen, in diesem Sinne zu verfahren. Auch der Umstand, dass die Rechnung betreffend die Schulgeldbeiträge 1992/93 vom Gemeindeammannamt Y dem Antragsteller bereits am 2. Oktober 1992 zugestellt wurde, vermag keine Gesetzwidrigkeit des Beschlusses zu begründen.
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