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Urteil andere Verwaltungsbehörden (LU)

Kopfdaten
Kanton:LU
Fallnummer:JSD 2005 7
Instanz:andere Verwaltungsbehörden
Abteilung:Justiz- und Sicherheitsdepartement
andere Verwaltungsbehörden Entscheid JSD 2005 7 vom 19.10.2005 (LU)
Datum:19.10.2005
Rechtskraft:Diese Entscheidung ist rechtskräftig.
Leitsatz/Stichwort:Bevormundung wegen Geisteskrankheit und Geistesschwäche nach Artikel 369 ZGB. Verhältnis zu Artikel 370 ZGB. Artikel 369 und 370 ZGB. Liegen bei einer Person sowohl die Voraussetzungen für eine Bevormundung nach Artikel 369 ZGB als auch ein Entmündigungsgrund nach Artikel 370 ZGB (Verschwendung, Trunksucht, lasterhafter Lebenswandel, Misswirtschaft) vor, findet Artikel 369 ZGB Anwendung, wenn der Entmündigungsgrund des Artikels 370 ZGB auf Geisteskrankheit oder Geistesschwäche zurückzuführen ist. Hat der Entmündigungsgrund seine Ursache nicht ausschliesslich in der Geisteskrankheit oder Geistesschwäche, ist nach Artikel 369 und nach Artikel 370 ZGB zu entmündigen. Führt eine geisteskranke Person einen lasterhaften Lebenswandel, der mit der Geisteskrankheit nichts zu tun hat, ist sie gestützt auf Artikel 370 ZGB zu bevormunden.

Schlagwörter: Beschwerde; Beschwerdeführerin; Entmündigung; Geistesschwäche; Vorliegen; Mündige; Geisteskrankheit; Vorinstanz; Bevormundung; Recht; Person; Entmündigungsgr; Entmündigen; Entscheid; Rechtsprechung; Hervor; Vormundschaft; Sicherheit; Wiesen; Probleme; Misswirtschaft; Paranoiden; Bevormundungsgr; Fachpersonen; Vorliegen; Schizophrenie; Sachverhalt; Psychischen; Voraussetzungen; Aufl
Rechtsnorm: Art. 369 ZGB ; Art. 370 ZGB ; Art. 374 ZGB ;
Referenz BGE:62 II 70; 85 II 457;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
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Entscheid
Die Vorinstanz ordnete mit Entscheid vom 13. April 2005 für die Beschwerdeführerin eine Vormundschaft nach Artikel 370 ZGB an, worauf diese Beschwerde erhob und die Anordnung einer weniger weit gehenden Massnahme verlangte.

2. Die Vorinstanz führte in ihrem Entscheid aus, die Beschwerdeführerin habe am 23. Februar 2005 mit fürsorgerischem Freiheitsentzug vorsorglich in die psychiatrische Klinik eingewiesen werden müssen. Der Beschwerdeführerin sei es gegenwärtig nicht möglich, ihr Leben selber zu gestalten. Sie gehe seit längerer Zeit keiner geregelten Arbeit mehr nach. Ihr Lebensunterhalt sei nicht sichergestellt. Es würden offene Rechnungen und Betreibungen bestehen. Auch das Mietverhältnis sei gekündigt. Die Beschwerdeführerin sei darauf angewiesen, dass ihr Lebensbedarf organisiert und ihr künftiges Einkommen von einer fachkundigen Person verwaltet werde. Daraus ergebe sich, dass bei der Beschwerdeführerin der Entmündigungsgrund der Misswirtschaft gemäss Artikel 370 ZGB bestehe. Zudem leide die Beschwerdeführerin an einer paranoiden Schizophrenie. Dieser Schwächezustand, der mindestens den Grad einer Geistesschwäche erreiche, hindere die Beschwerdeführerin mit grösster Wahrscheinlichkeit an einer Kooperation.

Aus verschiedenen Berichten von Fachpersonen geht hervor, dass die Beschwerdeführerin unter einer paranoiden Schizophrenie leidet und zumindest in der ersten Jahreshälfte 2005 nicht krankheitseinsichtig war. Diese Krankheit sowie ihr hygienisch bedenklicher und verwahrloster Zustand führten dazu, dass die Beschwerdeführerin im Februar 2005 in die psychiatrische Klinik eingewiesen werden musste. Aus dem Sachverhalt geht somit hervor, dass bei der Beschwerdeführerin nicht nur ein Entmündigungsgrund gemäss Artikel 370 ZGB, sondern aufgrund ihrer psychischen Probleme auch ein Entmündigungsgrund gemäss Artikel 369 ZGB vorliegen könnte. Es ist daher im Folgenden zu prüfen, ob die Entmündigung zu Recht nach Artikel 370 ZGB und nicht nach Artikel 369 ZGB erfolgt ist.

3. Die einzelnen Entmündigungsgründe sind in den Artikeln 369-372 ZGB umschrieben. Gemäss Artikel 369 ZGB gehört jede mündige Person unter Vormundschaft, die infolge von Geisteskrankheit oder Geistesschwäche ihre Angelegenheiten nicht zu besorgen vermag, zu ihrem Schutz dauernd des Beistandes und der Fürsorge bedarf oder die Sicherheit anderer gefährdet. Artikel 370 ZGB sieht dagegen die Bevormundung jener Personen vor, die durch Verschwendung, Trunksucht, lasterhaften Lebenswandel oder durch die Art und Weise ihrer Vermögensverwaltung (Misswirtschaft) sich oder ihre Familie der Gefahr eines Notstandes oder der Verarmung aussetzen, zu ihrem Schutz dauernd des Beistandes und der Fürsorge bedürfen oder die Sicherheit anderer gefährden. Für den Fall, dass bei einer Person sowohl die Voraussetzungen für eine Bevormundung nach Artikel 369 ZGB als auch diejenigen nach Artikel 370 ZGB vorliegen, geht das Bundesgericht von den folgenden Grundsätzen aus: Ist der Bevormundungsgrund des Artikels 370 ZGB auf Geisteskrankheit oder Geistesschwäche zurückzuführen, findet Artikel 369 ZGB Anwendung (BGE 62 II 70). Hat der betreffende Bevormundungsgrund seine Ursache dagegen nicht ausschliesslich in der Geisteskrankheit oder Geistesschwäche, ist sowohl nach Artikel 369 als auch nach Artikel 370 ZGB zu entmündigen (BGE 85 II 457). Die herrschende Lehre bestätigt diese Praxis, wobei zur Begründung angeführt wird, dass die Hilfe bei der Ursache für das Fehlverhalten ansetzen soll (vgl. Hans Michael Riemer, Grundriss des Vormundschaftsrechts, 2.Aufl. Bern 1997, § 4 N 55; Bernhard Schnyder/Erwin Murer, Berner Kommentar, Bern 1984, N 29 der Vorbemerkungen zu Art. 369-375 ZGB und N 112 zu Art. 370 ZGB; teilweise a.M. Ernst Langenegger, Basler Kommentar, 2.Aufl. Basel 2002, N 19 zu Art. 369 ZGB und N 8 zu Art. 370 ZGB, der dafür hält, dass stets nur gestützt auf eine Bestimmung zu entmündigen sei, wobei die Entmündigung nach Art. 369 derjenigen nach Art. 370 ZGB vorgehe). Auch die kantonale Rechtsprechung folgt dieser Rechtsprechung (LGVE 1986 III Nr. 15 und 1980 III Nr. 8), von welcher im vorliegenden Fall abzuweichen kein Anlass besteht. Allein gestützt auf Artikel 370 ZGB zu entmündigen ist folglich im vorliegenden Fall nur, wenn der Lebenswandel der Beschwerdeführerin mit ihrer Geisteskrankheit nichts zu tun hat (falls die Voraussetzungen dieser Norm überhaupt erfüllt sind).

Aus den Aussagen von zwei Fachpersonen geht hervor, dass die Verwahrlosung und die Unfähigkeit der Beschwerdeführerin, ihre eigenen Angelegenheiten zu besorgen, auf ihre psychischen Probleme zurückzuführen sind. Aufgrund der dargelegten Rechtsprechung wäre daher zu prüfen gewesen, ob die Beschwerdeführerin gestützt auf Artikel 369 ZGB zu entmündigen sei. Zu beachten ist, dass eine Entmündigung wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche nur nach Einholung eines Gutachtens von Sachverständigen erfolgen darf (Art. 374 Abs. 2 ZGB). Bei dieser Ausgangslage ist die Beschwerde gutzuheissen und der angefochtene Entscheid der Vorinstanz aufzuheben. Da genügend Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Beschwerdeführerin - wenn auch nicht umfassend, so doch in gewissen Bereichen - hilfsbedürftig ist, ist die Sache zur weiteren Abklärung des Sachverhalts und zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. (Justizund Sicherheitsdepartement, 19. Oktober 2005)



Quelle: https://gerichte.lu.ch/recht_sprechung/publikationen
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