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Urteil Verwaltungsgericht (LU)

Kopfdaten
Kanton:LU
Fallnummer:A 98 183
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Abgaberechtliche Abteilung
Verwaltungsgericht Entscheid A 98 183 vom 19.10.1998 (LU)
Datum:19.10.1998
Rechtskraft:Diese Entscheidung ist rechtskräftig.
Leitsatz/Stichwort:§ 42 SchG; §§ 29 und 30 SchV. Auslegung einer Einsprache im Schatzungsverfahren (Erw. 2). Sinn und Funktion der Einsprache gemäss Schatzungsgesetz (Erw. 3).
Schlagwörter: Schatzung; Einsprache; Beschwerde; Recht; Schatzungsamt; Beschwerdeführer; Gesetzgeber; Entscheid; Bewertung; Verfügung; Einsprecher; Angefochten; Rechtlich; Funktion; Rechtsmittel; Begründung; Katasterwert; Eigenmietwert; Einspracheverfahren; Ertragswert; Vorinstanz; Schatzungsentscheid; Angefochtene; Pauschale; Umstände; Schatzungsverordnung; Führen; Korrekturfaktoren; Antrag
Rechtsnorm:-
Referenz BGE:-
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:-
Entscheid
Ein Grundeigentümer erhob Einsprache gegen den Schatzungsentscheid bezüglich seiner Liegenschaft und erklärte sich mit den Korrekturfaktoren für die Mietwertberechnung nicht einverstanden. Das Schatzungsamt trat auf diese Rechtsvorkehr nicht ein mit der Begründung, die Einsprache richte sich lediglich gegen den festgesetzten Mietwert, nicht aber gegen den Katasterwert als solchen. Hinsichtlich der Besteuerung des Eigenmietwertes seien die damit zusammenhängenden Fragen im Steuerveranlagungsverfahren geltend zu machen.

Diesen Entscheid hob das Verwaltungsgericht auf Beschwerde hin auf und verhielt das Schatzungsamt, die Sache einlässlich zu behandeln, u.a. aus folgenden Erwägungen:

2. - a) (...) Vorab ist zu untersuchen, ob die Auslegung der Einsprache, wie sie die Vorinstanz vorgenommen hat, nach den Grundsätzen von Treu und Glauben haltbar ist.

Gemäss § 29 Abs. 1 der Vollziehungsverordnung zum Gesetz über die amtliche Schatzung des unbeweglichen Vermögens (Schatzungsverordnung, SchV) ist die Einsprache schriftlich, begründet und mit einem Antrag versehen dem Schatzungsamt einzureichen. Wie bei allen Rechtsmitteln und Beschwerdeschriften müssen die Erklärungen des Rechtsmitteleinlegers (Einsprechers oder Beschwerdeführers) ausgelegt werden; abzustellen ist zunächst auf den Antrag oder das Begehren. Aus dem Rechtsmittel muss klar hervorgehen, in welchem Sinne der Einsprecher oder der Beschwerdeführer die angefochtene Verfügung abgeändert haben will. Er ist verpflichtet, ausdrücklich oder doch zumindest sinngemäss die gewünschte Rechtsfolge zu beantragen und damit den Streitpunkt im Verfahren zu bestimmen (Rhinow/Koller/Kiss, Öffentliches Prozessrecht und Justizverfassungsrecht des Bundes, Basel 1996, Rz. 1312). An den Aufbau und den Inhalt einer Rechtsschrift darf jedoch keine zu hohe Formstrenge gelegt werden. Vielfach fliessen Antrag und Begründung ineinander ein, und die Frage, was der Einsprecher oder Beschwerdeführer konkret erreichen will, ist bisweilen nicht unabhängig von der Feststellung zu beantworten, welche Begründung die Rechtsmittelschrift enthält und welche Rügen im Einzelnen vorgetragen werden. In diesem Sinne sind prozessuale Erklärungen, wie jede andere Willenserklärung, nach Treu und Glauben auszulegen. Es ist daher zu prüfen, was der Einsprecher oder Beschwerdeführer in Würdigung der Umstände, unter denen er die Erklärungen abgegeben hat, gewollt hat. Somit ist der erkennbare wirkliche Sinn seiner Äusserungen zu ermitteln (vgl. dazu Gygi, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., Bern 1983, S. 50). Zu den Umständen, die objektiv zu würdigen sind, gehören Wortlaut und Umfang der angefochtenen Verfügung, die Terminologie des Gesetzgebers, die Anforderungen an die Rechtsmittelschrift im Allgemeinen, die Natur der Streitsache und die Funktion des Verfahrens und schliesslich die Besonderheiten in Bezug auf eine Rechtsschrift, die ein Laie verfasst hat. Unglückliche oder rechtsirrtümliche Ausdrucksweise darf sowenig schaden wie versehentliche oder unbeholfene Wortwahl (Gygi, a. a. O., S. 50).

b) Im vorliegenden Fall hatte der Beschwerdeführer «Einsprache gegen den Schatzungsentscheid vom 13. 5. 98» erhoben. Der Ingress besteht aus den folgenden zwei Sätzen: «Gegen den oben erwähnten Schatzungs-Entscheid erhebe ich Einsprache. Mit Ihren Korrekturfaktoren für Mietwertberechnung bin ich nicht einverstanden.» In der Begründung werden sodann insgesamt sieben Punkte aufgelistet, die sich an die Bewertungskriterien anlehnen, die im Formular des Schatzungsamtes «Mietwertfestsetzung für Einfamilienhaus» aufgeführt sind. Diese Kriterien führen zur Berechnung des Jahresmietwertes, der wiederum Voraussetzung ist für die Festlegung des Ertragswertes. Schon aufgrund dieser Umstände kann nicht gesagt werden, der Beschwerdeführer habe mit seiner Einsprache bloss steuerrechtliche Fragen aufwerfen und namentlich den Eigenmietwert beim Schatzungsamt anfechten wollen. Daran ändert nichts, dass der Beschwerdeführer seine Einsprache mit dem Satz schliesst: «Ich hoffe, dass Sie den erwähnten Einwendungen Rechnung tragen werden und den Eigenmietwert entsprechend reduzieren.» Gerade die für einen Laien verwirrliche Terminologie im Zusammenhang mit den tatsächlichen Mieterträgen oder den in der Zukunft erzielbaren Mietwerten darf hier nicht dazu führen, die vom Gesetzgeber zur Verfügung gestellte Einsprachemöglichkeit zu versagen. Dies gilt umso mehr, als in der Schatzungsanzeige vom 13. Mai 1998 ein weiterer Begriff erscheint, und zwar unter der Rubrik «Bewertungsgrundlagen» der Ausdruck «Mietwert Eigennutzung». Dass ein Laie angesichts dieser verschiedenen Begriffe den Zusammenhang mit dem im politischen Geschehen viel diskutierten Ei-genmietwert herstellt, ist verständlich. Der Vorinstanz ist zwar beizupflichten, dass der Eigenmietwert ein Begriff des Steuerrechts ist. Doch ist für einen Laien die unterschiedliche Funktion der Schatzung des Jahresmietwertes bzw. des Ertragswertes und die steuerrechtliche Aufrechnung des Eigenmietwertes als Einkommen nur schwerlich auseinanderzuhalten. Die Auslegung der gesamten Einsprache muss dazu führen, dass der Beschwerdeführer den Schatzungsentscheid (und damit den Katasterwert) angefochten und zudem eine Überprüfung konkret genannter Punkte verlangt hat. Unter verfahrensrechtlichem Gesichtspunkt hätte daher die Vorinstanz auf die Einsprache eintreten müssen.

3. - a) Zu keinem anderen Ergebnis gelangt man, wenn auf Sinn und Funktion der Einsprache im Schatzungswesen zurückgegriffen wird.

Die Einsprache verpflichtet im Allgemeinen die erstinstanzliche Verwaltungsbehörde, ihren angefochtenen Entscheid zu überprüfen und nochmals über die Sache zu entscheiden (§ 117 Abs. 1 VRG). Die Prüfungsbefugnis der Einspracheinstanz ist nicht beschränkt (§ 117 Abs. 2 VRG). Die gesetzliche Umschreibung deckt sich auch mit der Definition des Begriffs, wie er in der Lehre vorgetragen wird. Danach ist die Einsprache ein spezialgesetzliches Institut, das vom jeweiligen Gesetzgeber ausdrücklich vorgesehen sein muss. Anfechtungsinstanz ist die gleiche Behörde, die Gelegenheit erhalten soll, ihren Entscheid tatsächlich und rechtlich umfassend noch einmal zu prüfen und nötigenfalls neu zu verfügen (Rhinow/Koller/Kiss, a. a. O., Rz. 587; Gygi, a. a. O., S. 33; Häfelin/Müller, Grundriss des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 2. Aufl., Zürich 1993, S. 326). Die Einsprache hat vor allem in der Massenverwaltung ihre Bedeutung. Werden zahlreiche, schematisierte Verwaltungsakte erlassen (Formularverfügungen) oder müssen viele Anordnungen getroffen werden, die sich auf pauschale Wertungen und Zumessungen stützen, besteht die Gefahr, dass Ermessensfehler begangen oder wesentliche Grundlagen der Verfügung ausser Acht gelassen werden (dazu Merkli/Aeschlimann/Herzog, Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege im Kanton Bern, Bern 1997, N 3 zu Art. 53). Dem schafft der Gesetzgeber dadurch Abhilfe, dass er ein relativ formloses, in der Abwicklung frei gestaltetes Einspracheverfahren zur Verfügung stellt. Im kantonalen Recht ist die Einsprache konsequent im Steuerrecht vorgesehen und ferner in der Regel gegen Entscheide des Gemeinderates zulässig, die Veranlagungen von Geldleistungen betreffen (LGVE 1982 II Nr. 2 Erw. 1). Das Einspracheverfahren ermöglicht so die Erfassung und Abklärung von komplexen Verhält-nissen und eine umfassende Abwägung der verschiedenen von einer Verfügung berührten Interessen (Häfelin/Müller, a. a. O., S. 326). Folgerichtig verlangt der Gesetzgeber eine vollständige, in keiner Hinsicht eingeschränkte Überprüfung und räumt der Einspracheinstanz gar die Befugnis ein, unabhängig von den Anträgen der Parteien den angefochtenen Entscheid zu ändern (§ 117 Abs. 2 und § 122 VRG).

b) Diese Grundsätze gelten auch für die schatzungsrechtliche Einsprache, denn weder das Schatzungsgesetz noch die Schatzungsverordnung enthalten abweichende Vorschriften in Bezug auf die Funktion der Einsprache. Die Regelung laut Schatzungsverordnung macht deutlich, dass es darum geht, den Schatzungsentscheid grundsätzlich unter Mitwirkung der Fachbehörde (Schatzungsamt) auf seine Richtigkeit und Angemessenheit zu untersuchen. Bei der Behandlung der Einsprache wirkt nämlich ein Beamter des Schatzungsamtes oder ein Schatzungsobmann beratend mit (§ 30 Abs. 1 SchV). Im Übrigen gelten die gleichen Bestimmungen wie für das Schatzungsverfahren, womit die Durchführung eines Augenscheins und die Erstellung eines Protokolls gemeint sind (§§ 26 und 27 SchV). Das Schatzungsamt selber hat denn auch die Aufgabe, für die einheitliche Anwendung der Bewertungsvorschriften durch die Schatzungsbehörden zu sorgen (§ 29 Abs. 2 SchG). Schon daraus erhellt, dass das Einspracheverfahren eine umfassende fachliche Beurteilung und Nachprüfung des Schatzungsvorgangs enthalten muss. Darauf haben die an der Katasterschatzung beteiligten Parteien auch einen Anspruch. Die Einspracheinstanz darf daher grundsätzlich weder die Prüfung eines beanstandeten Schatzungswertes verweigern noch sich auf eine pauschale Überprüfung beschränken. Dies vertrüge sich weder mit der allgemeinen Funktion der Einsprache noch mit den Besonderheiten, die der Gesetzgeber bei der Festlegung des Schatzungsverfahrens vorgeschrieben hat.

Demnach muss eine Einsprache immer dann behandelt werden, wenn erkennbar ist, dass der Einsprecher die Schatzung in ihrer Höhe beanstandet und die dafür erforderliche Begründung liefert, sei es, dass er die Schatzung in ihrem Gesamtwert für unangemessen hält, sei es, dass er einzelne Bewertungsgrundlagen, die zur Endsumme führen, konkret rügt. Dies hat der Beschwerdeführer unzweifelhaft getan. Er hat im Gesamten sieben Korrekturfaktoren für die Mietwertberechnung angefochten und jeweils bei jeder einzelnen Position dargelegt, weshalb eine tiefere Bewertung angezeigt sei. Dass der Jahresmietwert der Berechnung des Ertragswertes dient und letzterer Wert wiederum für den (End-)Katasterwert von Bedeutung ist, steht ausser Streit. Denn der Katasterwert nichtlandwirtschaftlicher Grundstücke wird nach den anerkannten Regeln der Schatzungstechnik unter Verwendung von pauschalen Bewertungsansätzen aus Realund Ertragswert ermittelt (§ 6 Abs. 1 SchV). Die Vorinstanz darf auf eine Einsprache nur dann nicht eintreten, wenn offenkundig ist, dass ein rechtserhebliches Interesse für deren Behandlung bzw. für die Durchführung des Einspracheverfahrens nicht gegeben ist. Bezogen auf die vorliegende Problematik wäre dies dann der Fall, wenn der Einsprecher ausdrücklich erklärt hätte, mit dem festgelegten Katasterwert einverstanden zu sein, und nur innerhalb des Gesamtwertes Verschiebungen der einzelnen Schatzungsgrössen beantragt hätte. Davon kann aber im vorliegenden Fall keine Rede sein, weshalb das Schatzungsamt die Einsprache hätte behandeln müssen.
Quelle: https://gerichte.lu.ch/recht_sprechung/publikationen
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