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Urteil Verwaltungsgericht (GL - VG.2023.00091)

Zusammenfassung des Urteils VG.2023.00091: Verwaltungsgericht

Das Verwaltungsgericht des Kantons Glarus hat in einem Fall zur Sozialversicherung - Krankenversicherung entschieden, dass die Beschwerde teilweise gutgeheissen wird. Die Beschwerdeführerin leidet an einer angeborenen cerebralen Lähmung und benötigt Pflegeleistungen. Die Beschwerdegegnerin hat den Bedarf ungenügend abgeklärt und muss weitere Untersuchungen vornehmen. Die Gerichtskosten werden von der Staatskasse übernommen, und die Beschwerdeführerin erhält eine Parteientschädigung von Fr. 2'000.-.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts VG.2023.00091

Kanton:GL
Fallnummer:VG.2023.00091
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:-
Verwaltungsgericht Entscheid VG.2023.00091 vom 21.02.2024 (GL)
Datum:21.02.2024
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Krankenversicherung: Pflegeleistungen
Schlagwörter: Leistungen; Pflege; Recht; Gericht; Langzeiteinrichtung; Verwaltung; Einsprache; Untersuchung; Gewährung; Bedarfs; Pflegeleistung; Abklärung; Pflegeleistungen; Aquilana; Rechtsverbeiständung; Abklärungen; Einspracheverfahren; Prozessführung; Sinne; Woche; Grundpflege; Gesuch; Sozialversicherung; Krankenversicherung; Verfahren
Rechtsnorm:-
Referenz BGE:-
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts VG.2023.00091

Geschäftsnummer: VG.2023.00091 (VG.2024.1333)
Instanz: K2
Entscheiddatum: 21.02.2024
Publiziert am: 06.03.2024
Aktualisiert am: 06.03.2024
Titel: Sozialversicherung - Krankenversicherung

Resümee:

Krankenversicherung: Pflegeleistungen

Die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme sind auf den ersten Blick erfüllt, da eine Fachperson die Pflegeabklärung durchgeführt und eine Arztperson die Spitexverordnung unterzeichnet hat (E. II/5.2). Die Beschwerdegegnerin hat die Leistungen pauschal abgelehnt und dabei die Bedarfseinschätzung der Langzeiteinrichtung ohne eigene Abklärungen und vertiefte Prüfung übernommen. Dies erscheint ungenügend, nicht zuletzt weil die Beschwerdeführerin die Pflege in der Langzeiteinrichtung ausdrücklich als mangelhaft kritisiert hat (E. II/5.3). Es ist durch eine externe Untersuchung zu prüfen, welchen Bedarf an Pflegeleistungen die Beschwerdeführerin insgesamt aufweist (E. II/5.4).
Eine Rückweisung der Sache an die Beschwerdegegnerin erweist sich als zulässig (E. II/6.2).

Teilweise Gutheissung der Beschwerde.
 

 

 

 

VERWALTUNGSGERICHT DES KANTONS GLARUS

 

 

 

Urteil vom 21. Februar 2024

 

 

II. Kammer

 

 

Besetzung: Gerichtspräsident MLaw Colin Braun, Verwaltungsrichter Samuel Bisig, Verwaltungsrichterin Olivia Lattmann und Gerichtsschreiberin MLaw Paula Brändli

 

 

in Sachen

VG.2023.00091

 

 

 

A.______

Beschwerdeführerin

 

vertreten durch B.______ und C.______

 

diese vertreten durch Prof. Dr. iur. Hardy Landolt,

Rechtsanwalt, PflegeRechtsAnwalt GmbH,

 

 

 

gegen

 

 

 

Aquilana Versicherungen

Beschwerdegegnerin

 

 

betreffend

 

 

Pflegeleistungen

 

Die Kammer zieht in Erwägung:

I.

1.

1.1 Die am […] geborene A.______ leidet an einer angeborenen cerebralen Lähmung. Sie lebt in der Langzeiteinrichtung D.______ und verbringt monatlich zwei Wochenenden sowie ihre Ferien bei den Eltern. Letztere erbringen pflegerische Leistungen und sind zu diesem Zweck bei der E.______GmbH angestellt.

 

1.2 Die E.______GmbH beantragte bei den Aquilana Versicherungen (nachfolgend: Aquilana) die Vergütung von Spitexleistungen. Am 7. August 2023 verfügte Letztere, dass die beantragten Leistungen lediglich in reduziertem Umfang ausgerichtet werden. Hieran hielt sie am 21. September 2023 trotz der am 11. September 2023 dagegen erhobenen Einsprache fest.

 

2.

A.______ gelangte mit Beschwerde vom 19. Oktober 2023 ans Verwaltungsgericht und beantragte die Aufhebung des Einspracheentscheids der Aquilana vom 21. September 2023. Diese sei zu verpflichten, die beantragten Pflegeleistungen zu vergüten. Überdies sei ihr für das Einspracheverfahren die unentgeltliche Prozessführung und die unentgeltliche Rechtsverbeiständung zu gewähren. Eventualiter sei der Einspracheentscheid vom 21. September 2023 aufzuheben und die Angelegenheit im Sinne der Erwägungen an die Aquilana zurückzuweisen; alles unter Kosten- und Entschädigungsfolge zu Lasten der Aquilana sowie unter Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und der unentgeltlichen Rechtsverbeiständung. Die Aquilana schloss am 31. Oktober 2023 auf Abweisung der Beschwerde; unter Kosten- und Entschädigungsfolge zu Lasten von A.______. Das Verwaltungsgericht edierte bei D.______ daraufhin zusätzliche Akten und führte am 8. Februar 2024 eine öffentliche Verhandlung im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (EMRK) durch.

 

II.

1.

Das Verwaltungsgericht ist gemäss Art. 1 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung vom 18. März 1994 (KVG) i.V.m. Art. 56 ff. des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vom 6. Oktober 2000 (ATSG) i.V.m. Art. 32 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zum Bundesgesetz über die Krankenversicherung vom 3. Mai 2015 (EG KVG) zur Behandlung der vorliegenden Beschwerde zuständig. Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten (vgl. aber nachstehende E. II/7).

 

2.

2.1 Die Beschwerdeführerin macht geltend, der abgeklärte Pflegeaufwand sei ausgewiesen. Ihr Vater absolviere mit ihr eine Turnstunde pro Woche zur Bewegungsunterstützung, was Teil des Leistungskatalogs der Verordnung des EDI über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung vom 29. September 1995 (KLV) sei. Die Kürzung der anerkannten C-Leistungen sei sodann nicht korrekt. Sie, die Beschwerdeführerin, benötige Unterstützung bei der Körper- und Zahnpflege, beim Toilettengang, beim An- und Auskleiden und bei der Nahrungsmittel- und Flüssigkeitsaufnahme. Sie sei geistig auf dem Stand eines Kleinkindes und brauche entsprechend aufwändigere und längerdauernde Unterstützung. Der streitbetroffene Bedarf bestehe während den Ferien und an den Wochenenden. Diese Zeiten verbringe sie bei ihren Eltern. Letztere erbrächten dabei die Leistungen je nachdem, ob sie diese unter der Woche bereits in der Langzeiteinrichtung erhalten habe nicht. Die Pflege in der Langzeiteinrichtung sei ferner mangelhaft. Es sei eine externe Begutachtung zur Klärung des gesamten notwendigen pflegerischen Bedarfs in Auftrag zu geben, wobei eine zertifizierte RAI-Ausbildungsperson damit zu beauftragen sei.

 

2.2 Die Beschwerdegegnerin hält fest, es sei unbestritten, dass die Beschwerdeführerin Grundpflegeleistungen benötige. Im eingereichten Bedarfsmeldeformular seien jedoch diverse Leistungen aufgeführt, welche nicht nachvollziehbar und überhöht seien bzw. nicht den Kriterien der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit (WZW) entsprächen. Sie, die Beschwerdegegnerin, vergüte deshalb nur 0.5 Stunden A-Leistungen pro Monat, 6.5 Stunden C-Leistungen für ein ganzes Wochenende zu Hause und 4.5 Stunden C-Leistungen während den ganzen Ferientagen. Tage, an denen die Beschwerdeführerin aus der Langzeiteinrichtung abgeholt und wieder zurückgebracht werde, würden sodann wie die Wochenenden vergütet. Ferner seien die Begleitung bei Ausflügen und Aktivitäten ausser Haus Betreuungsleistungen und zählten nicht zu den Pflichtleistungen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung. Dementsprechend könne sie die wöchentliche Sport-Aktivität nicht als Pflegeleistung vergüten. Da die Beschwerdeführerin gemäss der Langzeiteinrichtung an den Abholtagen überdies bereits gepflegt und versorgt abgeholt werde und nach ihrer Rückkehr wiederum pflegerische Leistungen in Anspruch nehme, seien diese Zeiten entsprechend angepasst worden. Die Leistungen seien schliesslich von Fachpersonen abgeklärt worden, weshalb von weiteren Abklärungen abzusehen sei. Der Aufwand, dem die Pflegestufe der Beschwerdeführerin im Heim entspreche, sei im Übrigen tiefer als die geltend gemachten Leistungen, was gegen deren Wirtschaftlichkeit spreche.

 

3.

Gemäss Art. 34 Abs. 1 KVG dürfen die Versicherer im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung keine anderen Kosten als diejenigen für die Leistungen nach den Art. 25-33 KVG übernehmen. Nach Art. 25a Abs. 1 KVG leistet die obligatorische Krankenpflegeversicherung einen Beitrag an die Pflegeleistungen, welche aufgrund einer ärztlichen Anordnung und eines ausgewiesenen Pflegebedarfs ambulant, auch in Tages- Nachtstrukturen, im Pflegeheim erbracht werden. Der Bundesrat bezeichnet gemäss Art. 25a Abs. 3 KVG die Pflegeleistungen und regelt das Verfahren der Bedarfsermittlung. Die Kompetenz zur Bezeichnung der Leistungen hat er nach Art. 33 der Verordnung über die Krankenversicherung vom 27. Juni 1995 (KVV) dem Eidgenössischen Departement des Inneren (EDI) übertragen. Gemäss dem von diesem erlassenen Art. 7 Abs. 1 KLV gelten als Leistungen nach Art. 33 lit. b KVV Untersuchungen, Behandlungen und Pflegemassnahmen, die aufgrund der Bedarfsabklärung nach Art. 7 Abs. 2 lit. a KLV und nach Art. 8 KLV auf ärztliche Anordnung hin im ärztlichen Auftrag erbracht werden. Leistungen im Sinne von Art. 7 Abs. 1 KLV sind dabei gemäss Art. 7 Abs. 2 KLV Massnahmen der Abklärung, Beratung und Koordination (lit. a), Massnahmen der Untersuchung und der Behandlung (lit. b) und Massnahmen der Grundpflege (lit. c). Bei der Grundpflege unterscheidet Art. 7 Abs. 2 lit. c KLV schliesslich zwischen der somatischen (Ziff. 1) und der psychiatrischen (Ziff. 2) Grundpflege. Die Leistungen müssen nach Art. 32 Abs. 1 KVG wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sein.

 

4.

4.1 Für die Beurteilung des Gesundheitszustands und der rechtlichen Folgen sind Versicherungsträger und Gerichte auf Angaben ärztlicher Expertinnen und Experten angewiesen. Deren Aufgabe ist es, sämtliche Auswirkungen einer Krankheit eines Unfalls auf den Gesundheitszustand der versicherten Person zu beurteilen und zu umschreiben. Diese Einschätzungen haben die Verwaltung und die kantonalen Versicherungsgerichte nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (Art. 61 lit. c ATSG) ohne Bindung an förmliche Beweisregeln umfassend und pflichtgemäss zu würdigen. Für das Beschwerdeverfahren bedeutet dies, dass das Gericht alle Beweismittel, unabhängig davon, von wem sie stammen, objektiv zu prüfen und danach zu entscheiden hat, ob die verfügbaren Unterlagen eine zuverlässige Beurteilung des streitigen Rechtsanspruchs gestatten. Hinsichtlich des Beweiswerts eines Arztberichts ist entscheidend, ob dieser für die streitigen Belange umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, die geklagten Beschwerden berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten (Anamnese) abgegeben worden ist, in der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge und in der Beurteilung der medizinischen Situation einleuchtet und ob die Schlussfolgerungen begründet sind. Ausschlaggebend für den Beweiswert ist grundsätzlich somit weder die Herkunft eines Beweismittels noch die Bezeichnung der eingereichten in Auftrag gegebenen Stellungnahme als Bericht Gutachten (vgl. BGE 125 V 351 E. 3a, mit Hinweisen).

 

4.2 Die Verwaltung als verfügende Instanz und – im Beschwerdefall – das Gericht dürfen eine Tatsache nur dann als bewiesen annehmen, wenn sie von ihrem Bestehen überzeugt sind. Im Sozialversicherungsrecht hat das Gericht seinen Entscheid, sofern das Gesetz nicht etwas Abweichendes vorsieht, nach dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu fällen. Die blosse Möglichkeit eines bestimmten Sachverhalts genügt den Beweisanforderungen nicht (BGE 138 V 218 E. 6).

5.

5.1 Die Bedarfsermittlung im Sinne von Art. 7 Abs. 2 lit. a i.V.m. Art. 8 KLV hat durch einen Pflegefachmann eine Pflegefachfrau zu erfolgen (Art. 8a Abs. 1 KLV). Die Beschwerdegegnerin stellt sich auf den Standpunkt, die Beschwerdeführerin habe einen tieferen Bedarf an Leistungen nach Art. 7 Abs. 2 lit. c KLV und an solchen nach Art. 7 Abs. 2 lit. a KLV als von der Leistungserbringerin in Rechnung gestellt wurden.

 

5.2 Vorliegend wurden die Pflegebedarfsabklärungen durch F.______, diplomierte Krankenschwester AKP/GKP/KWS/PsyKP der Spitex-Organisation, und G.______, diplomierte Pflegefachfrau HF, durchgeführt. Die Spitexleistungen wurden sodann von Dr. med. H.______, Kinder- und Jugendmedizin FMH, verordnet. Damit erscheinen die in Art. 7 ff. KLV enthaltenen Voraussetzungen auf den ersten Blick als erfüllt. Die Beschwerdegegnerin hat die Abrechnungen in der Folge dem vertrauensärztlichen Dienst I.______ zur Stellungnahme unterbreitet, welcher eine reduzierte Kostenübernahme empfohlen hat.

 

5.3 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdegegnerin die Sport-Unterstützung ohne weitere Abklärungen mit der pauschalen Begründung abgelehnt hat, diese sei eine Betreuungs- und keine KVG-Pflichtleistung. Da Art. 7 Abs. 2 lit. c Ziff. 1 KLV aber explizit Bewegungsübungen und das Mobilisieren bei den Grundpflegeleistungen vorsieht, erscheint diese pauschale und weitgehend unbegründete Ablehnung nicht ohne Weiteres als nachvollziehbar. Die weiteren Leistungen nach Art. 7 Abs. 2 lit. a und lit. c KLV hat die Beschwerdegegnerin nach Rücksprache mit dem vertrauensärztlichen Dienst und mit der Langzeiteinrichtung sodann gekürzt. Dabei hat sie jedoch einerseits keine Unterlagen von der Langzeiteinrichtung eingeholt, weshalb dies durch das Gericht nachgeholt werden musste, was im Übrigen einer verletzten Untersuchungspflicht gleichkommt. Andererseits hat sie die Bedarfsabklärung bzw. die Einschätzung der Langzeiteinrichtung zu den Pflegeleistungen nicht weiter überprüft, zumal mit der Einschätzung der Langzeiteinrichtung und derjenigen der Spitex-Organisation sich grundsätzlich zwei divergierende Einschätzungen mit dem jeweils gleichen Beweiswert gegenüberstehen. Die Beschwerdegegnerin hat ferner nicht weiter begründet, weshalb Erstere gegenüber Letzterer Vorrang haben soll bzw. weshalb dieser erhöhter Beweiswert zukommt. Vielmehr erscheint es ungenügend, die Bedarfseinschätzung der Langzeiteinrichtung ohne Weiterungen pauschal zu übernehmen. Dies gilt umso mehr, als dass die Beschwerdeführerin deren Pflege ausdrücklich als mangelhaft kritisiert. Schliesslich hat sich die Beschwerdegegnerin nicht dazu geäussert, ob die von der Langzeiteinrichtung selbst vorgesehenen bzw. eingeplanten Leistungen gemäss der Beschwerdeführerin nicht immer tatsächlich vorgenommen würden.

 

5.4 Aus dem Gesagten ergibt sich, dass sich der Pflegebedarf der Beschwerdeführerin insgesamt als ungenügend abgeklärt erweist. So erscheint es dem Gericht aufgrund der divergierenden im Recht liegenden Abklärungen nicht möglich, den Pflegebedarf der Beschwerdeführerin mit dem notwendigen Beweisgrad zu bestimmen. Es sind folglich weitere Abklärungen notwendig, wobei zu evaluieren ist, welchen Bedarf an Grundpflegeleistungen gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. c KLV sowie an Leistungen gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. a KLV die Beschwerdeführerin gesamthaft aufweist. Alsdann ist basierend auf diesen Erkenntnissen zu prüfen, ob die erbrachten Spitex-Leistungen wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sind (vgl. Art. 32 KVG). Angesichts der Divergenzen zwischen der Langzeiteinrichtung und der Spitex-Organisation sowie mit Blick auf die komplexe Situation mit mehreren Leistungserbringern erweist sich eine interne versicherungsärztliche Untersuchung hierfür nicht ausreichend. Vielmehr erscheint es notwendig, hierfür eine externe Untersuchung durch eine geeignete Fachperson anzuordnen.

 

6.

6.1 Gemäss neuer bundesgerichtlicher Rechtsprechung können die Sozialversicherungsgerichte nicht mehr frei entscheiden, ob sie eine Streitsache zur neuen Begutachtung an die Verwaltung zurückweisen. Die Beschwerdeinstanz hat vielmehr im Regelfall selbst ein Gerichtsgutachten einzuholen, wenn sie einen im Verwaltungsverfahren anderweitig erhobenen Sachverhalt überhaupt für gutachterlich abklärungsbedürftig hält wenn ein Administrativgutachten in einem rechtserheblichen Punkt nicht beweiskräftig ist. Eine Rückweisung an die Vorinstanz bleibt hingegen möglich, wenn sie allein in der notwendigen Erhebung einer bisher vollständig ungeklärten Frage begründet ist oder, wenn lediglich eine Klarstellung, Präzisierung Ergänzung von gutachterlichen Ausführungen erforderlich ist (BGE 137 V 210 E. 4.4.1 ff.).

 

6.2 Die Beschwerdegegnerin hat es im Verwaltungsverfahren trotz ihrer Untersuchungs- bzw. Abklärungspflicht unterlassen, den Pflegebedarf und die Notwendigkeit der erbrachten Leistungen sowie die Vergütungspflicht nach Art. 7 Abs. 2 lit. a und lit. c Ziff. 1 KLV vertieft zu prüfen. Sie hat sich lediglich pauschal auf die Einschätzungen der Langzeiteinrichtung sowie auf die Empfehlungen ihres vertrauensärztlichen Dienstes abgestützt und insbesondere die Abweisung der Sport-Leistung nicht weiter begründet, was ungenügend erscheint. Da es nicht Aufgabe des kantonalen Sozialversicherungsgerichts sein kann, im Verwaltungsverfahren versäumte Abklärungen zu veranlassen, erweist sich eine Rückweisung an die Beschwerdegegnerin als zulässig. Dies entspricht denn auch dem Eventualantrag der Beschwerdeführerin.

 

7.

Soweit die Beschwerdeführerin schliesslich die Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung für das Einspracheverfahren beantragt, ist zunächst festzuhalten, dass das vorinstanzliche Verfahren kostenlos ist (Art. 1 Abs. 1 KVG i.V.m. Art. 52 Abs. 3 Satz 1 ATSG). Dementsprechend ist auf dieses Begehren nicht weiter einzugehen. Die Gewährung der unentgeltlichen Rechtsverbeiständung im Einspracheverfahren bildet sodann die Ausnahme (Art. 52 Abs. 3 ATSG), wobei im vorliegenden Fall ohnehin fraglich ist, ob eine rechtliche Vertretung notwendig gewesen wäre (Art. 37 Abs. 4 ATSG). Dies kann jedoch offenbleiben. Der Vertreter der Beschwerdeführerin hat im Gerichtsverfahren nämlich weitgehend Dasselbe wie Einspracheverfahren vorgebracht, wobei ihm hierfür kein nennenswerter Zusatzaufwand entstanden ist. Da der Beschwerdeführerin für das Gerichtsverfahren eine Parteientschädigung zuzusprechen ist (vgl. untenstehende E. III/1), erscheinen die Aufwendungen für das Einspracheverfahren damit bereits als gedeckt. Eine zusätzliche Entschädigung im Rahmen der Gewährung der unentgeltlichen Rechtsverbeiständung im Einspracheverfahren erscheint damit nicht geboten.

 

8.

Zusammenfassend hat die Beschwerdegegnerin den Bedarf der Beschwerdeführerin an Leistungen gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. c und an solchen gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. a KLV ungenügend abgeklärt. Dies hat sie nachzuholen, wobei sie hierfür eine unabhängige externe Beurteilung einzuholen hat.

 

Dies führt zur teilweisen Gutheissung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten ist. Der Einspracheentscheid der Beschwerdegegnerin vom 21. September 2023 ist aufzuheben und die Sache im Sinne der Erwägungen an diese zurückzuweisen.

 

III.

1.

Die Gerichtskosten sind von Gesetzes wegen auf die Staatskasse zu nehmen (Art. 1 Abs. 1 KVG i.V.m. Art. 61 lit. fbis ATSG e contrario). Da bei einer Rückweisung der Sache an die Vorinstanz mit offenem Ausgang hinsichtlich der Kosten- und Entschädigungsfolgen von einem Obsiegen der beschwerdeführenden Partei auszugehen ist, hat die Beschwerdeführerin zu Lasten der Beschwerdegegnerin Anspruch auf eine angemessene Parteientschädigung (Art. 1 Abs. 1 KVG i.V.m. Art. 61 lit. g ATSG). Diese ist auf Fr. 2'000.- (inkl. Mehrwertsteuer) festzusetzen.

 

2.

2.1 Die Beschwerdeführerin beantragt die Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und der unentgeltlichen Rechtsverbeiständung. Gemäss Art. 139 Abs. 1 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes vom 4. Mai 1986 (VRG) befreit die Behörde eine Partei, der die Mittel fehlen, um neben dem Lebensunterhalt für sich und ihre Familie die Verfahrenskosten aufzubringen, auf Gesuch hin ganz teilweise von der Kosten- und Vorschusspflicht, sofern das Verfahren nicht aussichtslos ist. Unter denselben Voraussetzungen weist sie der Partei auf Gesuch hin von Amtes wegen einen Anwalt als Rechtsbeistand zu, sofern ein solcher für die gehörige Interessenwahrung erforderlich ist (Art. 139 Abs. 2 VRG). Der Nachweis der Bedürftigkeit obliegt nach Art. 139 Abs. 3 VRG der gesuchstellenden Partei.

 

2.2 Da die Gerichtskosten auf die Staatskasse zu nehmen sind, ist das Gesuch der Beschwerdeführerin um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung als gegenstandslos geworden abzuschreiben.

 

2.3 Die Mittellosigkeit der Beschwerdeführerin erscheint offensichtlich, wobei das vorliegende Verfahren angesichts des teilweisen Obsiegens nicht als aussichtslos bezeichnet werden kann. Da die Beschwerdeführerin zumindest im Gerichtsverfahren auf eine rechtliche Vertretung angewiesen war, ist das Gesuch um unentgeltliche Rechtsverbeiständung gutzuheissen und ihr ist in der Person von Rechtsanwalt Prof. Dr. Hardy Landolt ein unentgeltlicher Rechtsbeistand zu bestellen. Dieser ist mit Fr. 2'000.- (inkl. Auslagen und Mehrwertsteuer) zu entschädigen. Daran angerechnet wird die Parteientschädigung seitens der Beschwerdegegnerin in gleicher Höhe.

 

3.

Gegen diesen Zwischenentscheid steht die Beschwerde ans Bundesgericht nur nach Massgabe von Art. 93 Abs. 1 des Gesetzes über das Bundesgericht vom 17. Juni 1995 (BGG) offen.

Demgemäss beschliesst die Kammer:

1.

Das Gesuch der Beschwerdeführerin um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung wird als gegenstandslos geworden abgeschrieben.

2.

Das Gesuch der Beschwerdeführerin um Gewährung der unentgeltlichen Rechtsverbeiständung wird gutgeheissen. Ihr wird in der Person von Prof. Dr. Hardy Landolt ein unentgeltlicher Rechtsbeistand bestellt.

3.

Der Rechtsbeistand wird zu Lasten der Gerichtskasse mit Fr. 2'000.- (inkl. Mehrwertsteuer) entschädigt. Daran angerechnet wird die Parteientschädigung seitens der Beschwerdegegnerin in gleicher Höhe.

und erkennt sodann:

1.

Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen, soweit darauf eingetreten wird. Der Einspracheentscheid der Beschwerdegegnerin vom 21. September 2023 wird aufgehoben und die Sache wird im Sinne der Erwägungen an diese zurückgewiesen.

2.

Die Gerichtskosten werden auf die Staatskasse genommen.

3.

Die Beschwerdegegnerin wird verpflichtet, der Beschwerdeführerin innert 30 Tagen nach Rechtskraft dieses Entscheids eine Parteientschädigung von Fr. 2'000.- (inkl. Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.

Schriftliche Eröffnung und Mitteilung an:

 

[…]

 



 
Quelle: https://findinfo.gl.ch
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