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Urteil Verwaltungsgericht (GL - VG.2023.00050)

Zusammenfassung des Urteils VG.2023.00050: Verwaltungsgericht

In dem Gerichtsfall ging es um die Baubewilligung für den Bau eines Terrassengeländers auf einem bestehenden Anbau. Es wurde diskutiert, ob die Terrasse mit einem ordentlichen Grenzabstand von vier Metern zulässig ist. Nach verschiedenen Argumenten wurde die Beschwerde des Bauherrn gutgeheissen, da die Terrasse den Grenzabstand einhielt und keine negativen Auswirkungen auf die Nachbarn hatte. Das Verwaltungsgericht des Kantons Glarus hob den Entscheid des Departements Bau und Umwelt auf und entschied zugunsten des Bauherrn. Die Gerichtskosten wurden den Beschwerdegegnern auferlegt, und der Bauherr erhielt eine Parteientschädigung.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts VG.2023.00050

Kanton:GL
Fallnummer:VG.2023.00050
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:-
Verwaltungsgericht Entscheid VG.2023.00050 vom 07.09.2023 (GL)
Datum:07.09.2023
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Baubewilligung: Grenzabstand
Schlagwörter: Anbau; Grenzabstand; Terrasse; Anbaute; Beschwerde; Meter; Metern; Beschwerdegegner; Gebäude; Grenzabstands; Baute; Hauptbau; Baubewilligung; Abstand; Bewilligung; Anbauten; Gebäudeteil; Interesse; Glarus; Entscheid; Terrassengeländer; Urteil; Gemeinde; Geländer
Rechtsnorm:-
Referenz BGE:141 V 674;
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts VG.2023.00050

Geschäftsnummer: VG.2023.00050 (VG.2023.1280)
Instanz: K1
Entscheiddatum: 07.09.2023
Publiziert am: 27.09.2023
Aktualisiert am: 30.08.2024
Titel: Öffentliches Baurecht/Raumplanung/Umweltschutz

Resümee:

Baubewilligung: Grenzabstand

Aus dem Wortlaut der anwendbaren Bestimmungen ergibt sich nicht eindeutig, ob eine Terrasse mit einem ordentlichen Grenzabstand von vier Metern auf einem Anbau mit privilegiertem Grenzabstand zulässig ist nicht. Da eine mehrgeschossige Hauptbaute bis zum ordentlichen Grenzabstand und ein daran anschliessender, eingeschossiger Anbau bis zum privilegierten Abstand von 1.5 Metern zulässig ist, kann es nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen, auf einem eingeschossigen Anbau unter Einhaltung des ordentlichen Grenzabstands keinen Terrassenaufbau zuzulassen. Dadurch würde ein unerwünschter Anreiz geschaffen, bestehende Bausubstanz zu vernichten und das geplante Vorhaben durch eine neue Bewilligung in ähnlicher gleicher Form zu erstellen. Überdies würde ein solches Verbot gegen das gewichtige öffentliche Interesse am verdichteten Bauen sprechen (E. II/4.2.2).
Mit der geplanten Terrasse würde zumindest der umfriedete Teil der Baute zweistöckig und kann dementsprechend nicht mehr als Anbaute gelten (E. II/5.1). Der einstöckige und terrassenfreie Gebäudeteil hält die für Anbauten vorgeschriebenen Masse ein, enthält nur Nebennutzflächen und es ist nicht davon auszugehen, dass die Immissionen durch die bauliche Anpassung verstärkt werden. Der durch die Terrasse zweistöckig gewordene Gebäudeteil wird zum Hauptbau geschlagen und der einstöckige Gebäudeteil als Anbau hieran qualifiziert. Weder das kommunale noch das kantonale Baurecht enthalten eine Voraussetzung für eine architektonische Eigenständigkeit. Das streitbetroffene Terrassengeländer ist unter Einhaltung des ordentlichen Grenzabstands grundsätzlich bewilligungsfähig (E. II/5.2). Die Nutzung der Terrasse ist nur mit einem ordentlichen Grenzabstand von vier Metern zulässig, was im Rahmen der Baubewilligung berücksichtigt wurde, indem bereits im Baugesuch die Sicherung der entsprechenden Zugangstür vorgesehen war (E. II/5.3).

Gutheissung der Beschwerde.

Eine dagegen erhobene Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten hat das Bundesgericht am 26. Juli 2024 abgewiesen (BGer-Urteil 1C_548/2023).
 

 

 

 

VERWALTUNGSGERICHT DES KANTONS GLARUS

 

 

 

Urteil vom 7. September 2023

 

 

I. Kammer

 

 

Besetzung: Gerichtspräsident MLaw Colin Braun, Verwaltungsrichter Ernst Luchsinger, Verwaltungsrichterin Katia Weibel und Gerichtsschreiberin MLaw Paula Brändli

 

 

in Sachen

VG.2023.00050

 

 

 

A.______

Beschwerdeführer

 

vertreten durch lic. iur. Werner Marti, Rechtsanwalt

 

 

 

gegen

 

 

 

1.

BA.______

Beschwerdegegner

 

2.

BB.______

 

beide vertreten durch Dr. iur. Stefan Müller, Rechtsanwalt

 

3.

Gemeinde Glarus Süd

 

4.

Departement Bau und Umwelt des Kantons Glarus

 

 

betreffend

 

 

Baubewilligung

 

Die Kammer zieht in Erwägung:

I.

1.

1.1 A.______ reichte am 9. November 2021 bei der Gemeinde Glarus Süd ein Gesuch für den Bau eines Terrassengeländers auf dem bestehenden, einstöckigen Anbau auf der Parz.-Nr. 01 (Grundbuch […]) ein, wogegen BA.______ und BB.______ am 7. Januar 2022 Einsprache erhoben. Am 24. Februar 2022 wies die Gemeinde Glarus Süd die Einsprache ab und erteilte die Baubewilligung.

 

1.2 Die von BA.______ und BB.______ am 7. April 2022 dagegen erhobene Beschwerde hiess das Departement Bau und Umwelt des Kantons Glarus (DBU) am 25. April 2023 gut und hob den Baubewilligungsentscheid der Gemeinde Glarus Süd vom 24. Februar 2022 auf.

 

2.

A.______ gelangte mit Beschwerde vom 22. Mai 2023 ans Verwaltungsgericht und beantragte die Aufhebung des Entscheids des DBU vom 25. April 2023. Sowohl der Baubewilligungsentscheid als auch der Einspracheentscheid der Gemeinde Glarus Süd vom 24. Februar 2022 seien zu bestätigen; alles unter Kosten- und Entschädigungsfolge zu Lasten von BA.______ und BB.______. Letztere beantragten am 9. Juni 2023 die Abweisung der Beschwerde; unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten von A.______. Das DBU schloss am 13. Juni 2023 ebenfalls auf Abweisung der Beschwerde; unter Kostenfolge zu Lasten von A.______. Die Gemeinde Glarus Süd liess sich am 24. Juli 2023 vernehmen und beantragte die Gutheissung der Beschwerde; unter Kosten und Entschädigungsfolgen zu Lasten von BA.______ und BB.______ sowie des DBU.

 

II.

1.

1.1 Das Verwaltungsgericht ist gemäss Art. 79 Abs. 1 des Raumentwicklungs- und Baugesetzes vom 2. Mai 2010 (RBG) i.V.m. Art. 105 Abs. 1 lit. b des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege vom 4. Mai 1986 (VRG) zur Behandlung der vorliegenden Beschwerde zuständig. Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.

 

1.2 Gemäss Art. 107 Abs. 1 VRG können mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde die unrichtige unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts (lit. a) sowie die unrichtige Rechtsanwendung einschliesslich eines Missbrauchs des Ermessens (lit. b) gerügt werden. Die Unangemessenheit des Entscheids kann gemäss der abschliessenden Aufzählung in Art. 107 Abs. 2 VRG nur ausnahmsweise geltend gemacht werden, wobei kein solcher Ausnahmefall vorliegt.

 

2.

2.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe im Jahr 2009 vom damaligen Gemeinderat […] eine Baubewilligung erhalten, welche rechtskräftig sei und unter anderem den Annexbau beinhalte. Dieser halte den Grenzabstand für Anbauten von 1.5 Metern ein. Im Grenzbereich von vier Metern Abstand bestehe die Bewilligung als Anbaute. Ausserhalb derselben stelle diese eine Ergänzung des Hauptbaus dar. Zum Zeitpunkt der Bewilligungserteilung sei der Grenzabstand lediglich privatrechtlich und nicht öffentlich-rechtlich relevant gewesen. Nach einer Einsprache der Beschwerdegegner 1 und 2 gegen das Bauvorhaben hätten sich diese mit dem gesamten Bauvorhaben `An- und Umbau` einverstanden erklärt. Dementsprechend hätten sie die bestehende Baute als rechtmässig anerkannt und könnten hierzu keine Einwendungen mehr erheben. Der rechtskräftig bewilligte Bau umfasse eine Terrasse, worauf er, der Beschwerdeführer, nun mit einem Grenzabstand von vier Metern ein Geländer erstellen und den dadurch eingefriedeten Teil nutzen wolle. Weil der erforderliche ordentliche Grenzabstand damit eingehalten werde, sei die Baubewilligung zu erteilen.

 

2.2 Die Beschwerdegegner 1 und 2 stellen sich auf den Standpunkt, mit der Terrasse würde die Anbaute ein zweites Geschoss erhalten, womit die Voraussetzung der Eingeschossigkeit gemäss Art. 51 Abs. 4 RBG nicht mehr erfüllt sei. Sodann würde sich der Gebäudeteil auf 3.47 Meter erhöhen, womit der Grenzwert von 3.3 Metern überschritten würde. Auch wenn das Geländer nur einen Teil der Gesamtfläche umfasse, würde die maximale Grundfläche von 50 Quadratmetern ferner wohl überschritten, zumal auch der übrige Teil stufenlos zugänglich sei. Dabei sei davon auszugehen, dass die rund 29 Quadratmeter grosse Fläche, welche stufenlos zugänglich sei, nicht nur als Nebennutzfläche genutzt werde. Durch den geplanten Bau entstehe im Übrigen keine zweigeteilte Anbaute, sondern lediglich eine einzige Anbaute, welche insgesamt sämtliche Voraussetzungen erfüllen müsse. Es sei darüber hinaus keine konstruktive architektonische Selbständigkeit des eingeschossigen Anbaus gegenüber dem zweigeschossigen Anbau ersichtlich. Die diesbezügliche Unterscheidung durch den Beschwerdeführer erscheine willkürlich und diene einzig dem Zweck, sich Vorteile hinsichtlich der Abstandsvorschritten zu verschaffen.

 

2.3 Die Beschwerdegegnerin 3 führt aus, die bestehende Baute sei rechtmässig erstellt worden. Mit dem Bau des geplanten Geländers auf dem eingeschossigen Anbau werde der betreffende Gebäudeteil zweigeschossig und könne dementsprechend nicht vom reduzierten Grenzabstand profitieren. Der Beschwerdegegner 4 habe die Frage des Grenzabstands bei einer Anbaute mit einer begehbaren Dachterrasse bereits einmal behandelt und entschieden, dass eine Terrassennutzung eine Anbaute zweigeschossig mache und diese dementsprechend den ordentlichen Grenzabstand von vier Metern einzuhalten habe. Das streitbetroffene Bauprojekt erfülle diese Vorgaben, wobei das vom Beschwerdegegner 4 angeführte Urteil nicht einschlägig sei. Sofern man dem angefochtenen Entscheid folgen würde, wären auf rechtmässig bewilligten und ebenso erstellten Anbauten keine weiteren Bauten mehr möglich. Dies würde selbst unter Wahrung des ordentlichen Grenzabstands gelten, was einem faktischen Ausbauverbot für Anbauten gleichkommen würde. Hierfür bestehe indessen keine gesetzliche Grundlage und in Zeiten des knappen Baulands sei dies nicht im öffentlichen Interesse. Die Terrassennutzung sei schliesslich nach aussen erkennbar, womit eine gewisse architektonische Eigenständigkeit bestehe.

 

2.4 Der Beschwerdegegner 4 vertritt die Auffassung, Anbauten müssten besondere Voraussetzungen erfüllen, um vom Abstandsprivileg profitieren zu können. Dies diene unter anderem dem Schutz der nachbarlichen Interessen. Würden diese Voraussetzungen nachträglich nicht mehr erfüllt, entfalle auch das Privileg. Werde eine rechtskräftig bewilligte Baute (bewilligungspflichtig) verändert, könne sie baurechtlich zu etwas werden, das von der ursprünglichen Bewilligung nicht mehr abgedeckt sei. Dem eingeschossigen Anbau, welcher nur durch das projektierte Geländer vom zweigeschossigen Anbau abgetrennt werde, fehle es an einer konstruktiven und architektonischen Selbstständigkeit. Würde der Beschwerdeführer erst heute die Hauptbaute unter Einhaltung des Abstands von vier Metern vergrössern, wäre dies zwar zulässig. Dasselbe gelte für eine eingeschossige Anbaute im selben Bereich einschliesslich einer Terrasse. Würde er aber danach die Anbaute bis auf 1.5 Meter an den Grenzabstand vergrössern und ein Terrassengeländer im Abstand von vier Metern erstellen, bestünde keine konstruktive und architektonische Selbstständigkeit der eingeschossigen Anbaute mehr, womit ebenfalls nicht vom Abstandsprivileg profitiert werden könne. Auf dem eingereichten Plan sei sodann ein bereits bestehender Ausgang ersichtlich, bei dem neu eine nicht näher spezifizierte Sicherung eingebaut werden solle. Soweit ein diesbezügliches Sicherungsgeländer geplant sei, müsse dies jedoch Teil der Baugesuchsunterlagen bilden, was vorliegend nicht der Fall sei. Daraus folge, dass sich das streitbetroffene Geländer einerseits erübrigen, andererseits die Argumentation, wonach die Hälfte des Anbaus eingeschossig sei und die andere zweigeschossig, vollends ins Leere zielen würde. Die Balkontür verschaffe Zutritt auf den als eingeschossig deklarierten Teil des Flachdachs und ermögliche eine Nutzung, welche auf einem abstandsprivilegierten Anbau nicht erlaubt und mangels Sicherungsgeländer baurechtlich nicht zulässig sei. Eine allfällige privatrechtliche Abmachung im Rahmen der vorherigen Bewilligung sei schliesslich insofern nicht mehr relevant, als dass der Beschwerdeführer bezüglich des Terrassenaufbaus von dieser keinen Gebrauch gemacht habe.

 

3.

3.1 Der Beschwerdeführer ersuchte am 9. November 2021 um eine Bewilligung für das Erstellen eines Terrassengeländers auf dem bestehenden Anbau auf der Parz.-Nr. 01 (Grundbuch […]). Dabei soll das Geländer einen Grenzabstand von vier Metern zum Nachbargrundstück der Beschwerdegegner 1 und 2 aufweisen. Der Ausgang zu demjenigen Teil der Terrasse, bei welchem keine Umfriedung geplant ist, soll entsprechend den SIA-Normen gesichert werden und nur Unterhaltszwecken dienen.

 

3.2 Zunächst ist festzuhalten, dass die bestehende Baute in ihrer aktuellen Form bewilligt wurde. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass sie rechtmässig erstellt wurde, was von den Parteien denn auch nicht in Abrede gestellt wird. Ob die damalige Bewilligung das vorliegend strittige Bauvorhaben bzw. die Erstellung des Terrassengeländers bereits mitumfasste, ist sodann nicht entscheidrelevant, da diese Bewilligung in der Zwischenzeit mangels gegenteiliger Hinweise erloschen ist (vgl. Art. 78 RBG). Ob zwischen den Beschwerdegegnern 1 und 2 sowie dem Beschwerdeführer eine privatrechtliche Abmachung betreffend Grenzabstand besteht, ist im vorliegenden Baubewilligungsverfahren mangels Eintragung im Grundbuch darüber hinaus ebenfalls nicht von Belang (Art. 51 Abs. 7 RBG; vgl. VGer-Urteil VG.2019.00147 vom 24. Juli 2020 E. II/ 6.4.4.3, VG.2016.00136 vom 13. April 2017 E. II/4.2) und kann aufgrund des Nachfolgenden ohnehin offenbleiben. Fraglich und zu prüfen bleibt indessen, ob das vom Beschwerdeführer geplante Bauprojekt bzw. die damit einhergehende (teilweise) Umnutzung des Flachdachs in eine Terrasse bewilligungsfähig ist.

 

4.

4.1 Ein Bauvorhaben muss den Grenzabstand nach Art. 51 Abs. 1 RBG einhalten. Dieser beträgt vorbehältlich anderer nachbarrechtlicher Abmachungen vier Meter. Bei eingeschossigen Anbauten mit einer Grundfläche von maximal 50 Quadratmetern muss dieser mindestens 1.5 Meter betragen, wenn die Fassadenhöhe im Bereich dieser Grenze nicht mehr als 3.3 Meter beträgt (Art. 51 Abs. 4 RBG; vgl. auch […]). Gemäss Art. 34 der Bauverordnung vom 23. Februar 2011 (BauV) sind Anbauten mit einem anderen Gebäude zusammengebaut, wobei sie die im kommunalen Baureglement festgelegten Masse nicht überschreiten und nur Nebennutzflächen enthalten dürfen. Der Grenzabstand dient einerseits den öffentlichen Interessen der Feuerpolizei, der Wohnhygiene, der Siedlungsgestaltung und der Ästhetik. Andererseits werden durch den Grenzabstand auch private Interessen gewahrt, indem die zahlreichen Einflüsse von Bauten auf die Nachbargrundstücke gemindert und damit eine gewisse Intimität im nachbarlichen Verhältnis gewahrt werden soll. Zweck der Abstandsvorschriften ist allgemein die Beschränkung der durch eine Baute verursachten Immissionen auf die umliegenden Grundstücke. Zwar ist verdichtetes Bauen gestalterisch und raumplanerisch erwünscht. Zur Wahrung der Intimität im nachbarschaftlichen Verhältnis sollen jedoch vor allem gefährliche, belastende störende Einflüsse verhindert begrenzt werden. Daraus folgt, dass Ausnahmen von den ordentlichen Grenzabstandsvorschriften restriktiv auszulegen sind, sobald sie Nachteile für die Nachbargrundstücke zur Folge haben können (vgl. zum Ganzen VGer-Urteil VG.2018.00051 vom 23. August 2018 E. II/4.2.1).

 

4.2

4.2.1 Nach den üblichen Regeln der Gesetzesauslegung ist eine Bestimmung primär nach ihrem Wortlaut auszulegen. Sind verschiedene Auslegungen möglich, so muss nach der wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente, namentlich Sinn und Zweck sowie der dem Text zugrundeliegenden Wertung. Vom klaren, d.h. eindeutigen und unmissverständlichen Wortlaut darf nur ausnahmsweise abgewichen werden, unter anderem dann, wenn triftige Gründe dafür vorliegen, dass der Wortlaut nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte der Bestimmung, aus ihrem Grund und Zweck aus dem Zusammenhang mit anderen Vorschriften ergeben (vgl. BGE 141 V 674 E. 2.2, 139 V 148 E. 5.1, je mit Hinweisen).

 

4.2.2 Vorliegend ergibt sich aus dem Wortlaut der anwendbaren Bestimmungen nicht eindeutig, ob eine Terrasse mit einem ordentlichen Grenzabstand von 4 Metern auf einem Anbau mit privilegiertem Grenzabstand zulässig ist nicht. Nur, aber immerhin, weist Art. 51 Abs. 4 RBG darauf hin, dass die Fassadenhöhe nur im Grenzbereich bzw. im Bereich zwischen dem privilegierten und ordentlichen Grenzabstand von 4 Metern eine gewisse Höhe nicht überschreiten darf. Mit Blick darauf besteht der Sinn und Zweck dieser Regelung offensichtlich darin, dass keine zu grossen Flächen und zu hohe Bauten innerhalb eines Grenzabstands von 1.5 und 4 Metern zugelassen werden sollen, was hauptsächlich wohnhygienisch und feuerpolizeilich motiviert sein dürfte. Sodann erhellen weder die Systematik noch die Entstehungsgeschichte den Willen des Gesetzgebers (vgl. hierzu etwa das Memorial für die Landsgemeinde des Kantons Glarus 2010, S. 152). Der kantonalen Rechtsprechung lässt sich ferner lediglich entnehmen, dass Baubewilligungen bei der Unterschreitung des ordentlichen Grenzabstands aufgrund möglicher Immissionen und aus wohnhygienischen bzw. feuerpolizeilichen Gründen restriktiv zu handhaben sind. Die Unzulässigkeit einer Terrassenaufbaute auf einem eingeschössigen Anbau ausserhalb dieses privilegierten Grenzabstands lässt sich daraus jedoch nicht unbesehen ableiten. Hält man sich nun aber vor Augen, dass eine mehrgeschossige Hauptbaute bis zum ordentlichen Grenzabstand und ein daran anschliessender, eingeschossiger Anbau bis zum privilegierten Abstand von 1.5 Metern ohne Weiteres zulässig wäre, kann es nach der hier vertretenen Auffassung nicht dem wahren Willen des Gesetzgebers entsprechen, auf einem eingeschossigen Anbau unter Einhaltung des ordentlichen Grenzabstands keinen Terrassenaufbau zuzulassen. Diesfalls würde nämlich ein unerwünschter Anreiz geschaffen, bestehende Bausubstanz zu vernichten und durch eine neue Bewilligung in ähnlicher gleicher Form zu erstellen. Dies würde im Ergebnis einem kostenintensiven und unerwünschten Leerlauf oder, sofern ein solcher Aufbau für unzulässig erklärt würde, einem faktischen Bauverbot auf Anbauten, welche zumindest teilweise im privilegierten Grenzabstand liegen, gleichkommen. Überdies würde eine Unzulässigkeit eines solchen Vorhabens gegen das hoch zu gewichtende öffentliche Interesse eines verdichteten Bauens sprechen, gegenüber welchem die privaten und hauptsächlich rein ideellen Interessen der angrenzenden Nachbarn zurückzutreten haben. Aus dem Gesagten folgt, dass ein Terrassenaufbau mit einem ordentlichen Grenzabstand von 4 Metern auf einem eingeschossigen Anbau, welcher vom privilegierten Abstand von bis zu 1.5 Metern profitiert, mit den vorliegend zur Diskussion stehenden baurechtlichen Bestimmungen grundsätzlich vereinbar ist, zumal dadurch die zentralen Anliegen der fraglichen Bestimmungen, namentlich das wohnhygienische und feuerpolizeiliche Gefährdungspotenzial, nicht tangiert werden.

 

5.

5.1 Mit Blick auf den vorliegend zu beurteilenden Fall ist festzuhalten, dass das geplante Terrassengeländer den ordentlichen Grenzabstand von 4 Metern zum Nachbargrundstück unbestrittenermassen einhält. Durch dessen Erstellung würde zumindest der umfriedete Teil zweistöckig, da Anbauten, deren Dach als Terrasse genutzt wird, nicht mehr als eingeschossig im Sinne von Art. 51 Abs. 4 RBG gelten und folglich nicht vom privilegierten Grenzabstand profitieren können (vgl. VGer-Urteil VG.2018.00051 vom 23. August 2018 E. II/4.5). Weil Anbauten die festgelegten Masse nicht überschreiten dürfen und das geplante Bauvorhaben die erlaubte Höhe überschreitet, kann zumindest der Bereich der geplanten Terrasse nicht mehr als Anbaute gelten (vgl. Art. 34 BauV; […]). Fraglich ist indessen, was dies für den restlichen Teil des bisherigen Anbaus bedeutet, der damals als eingeschossig und als eine einzige Anbaute bewilligt wurde. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass eine Baute lediglich als Hauptbaute Klein-, Neben- Anbaute qualifiziert werden kann (VGer-Urteil VG.2019.00147 vom 24. Juni 2020 E. II/6.4.3). Der Beschwerdeführer macht hierzu geltend, dass mit der geplanten Terrasse der übrige Teil, welcher keine Terrassenfläche darstelle, zu einem Anbau am erweiterten Hauptgebäude würde.

 

5.2 Der einstöckige und terrassenfreie Gebäudeteil hält die für Anbauten vorgeschriebenen Masse, namentlich die Gebäudehöhe sowie die Flächengrösse, ohne Weiteres ein. Sodann enthält er wohl ausschliesslich Nebennutzflächen. Ob der Terrassenbereich selbst eine Neben- Hauptnutzfläche darstellt, ist demgegenüber nicht entscheidend, da dieser den regulären Grenzabstand einhält. Es wird weiter nicht geltend gemacht und erscheint auch nicht wahrscheinlich, dass die Nutzung des Gebäudeteils innerhalb des reduzierten Grenzabstands durch die bauliche Anpassung erhöht bzw. die Immissionen hierdurch verstärkt würden. Mit Blick auf Sinn und Zweck der vorliegend anwendbaren Bestimmungen sowie unter Beachtung des mutmasslichen gesetzgeberischen Willens muss der durch die Terrasse zweistöckig gewordene Gebäudeteil damit zum Hauptbau geschlagen und der einstöckige Gebäudeteil als Anbau hieran qualifiziert werden. Die vom Beschwerdegegner 4 vorgebrachte zürcherische Rechtsprechung sowie die dazugehörige Literatur ist entgegen seiner Ansicht dabei nicht einschlägig, da weder das kommunale noch das kantonale Baurecht die Voraussetzung einer architektonischen Eigenständigkeit enthalten. Ferner besteht aufgrund des Planungsziels des verdichteten Bauens denn auch kein öffentliches Interesse an der Verweigerung der streitbetroffenen Baubewilligung (Art. 5 Abs. 1 lit. c RBG; vgl. auch vorstehende E. II/4.2.2.). Schliesslich wies der Beschwerdegegner 4 in einem eigenen Entscheid darauf hin, dass bei einem Anbau, der teilweise in den Hauptbau hineinrage, von einer architektonischen Eigenständigkeit desselben ausgegangen werden könne. Dies würde bedeuten, dass der Beschwerdeführer den Hauptbau entlang der geplanten Terrassenlinie hochziehen könnte, wodurch eine architektonische Selbständigkeit des darunterliegenden und entsprechend in den Hauptbau hineinragenden Anbaus gegeben sein könnte. Sowohl unter Einbezug des Merkmals der architektonischen Eigenständigkeit als auch unter Ausschluss desselben erscheint es indessen widersprüchlich, eine Erweiterung des Hauptbaus durch einen Gebäudeteil bzw. durch ein Zimmer zu erlauben, eine Erweiterung durch eine Terrasse jedoch nicht (vgl. auch vorstehende E. II/4.2.2). Dies nicht zuletzt, weil eine Erweiterung des Hauptbaus durch Gebäudeanteile in Bezug auf Immissionen sowie Schattenwurf stärker auf das Grundstück der Beschwerdegegner 1 und 2 einwirken würde. Daraus folgt, dass das Erstellen des streitbetroffenen Terrassengeländers unter Einhaltung des ordentlichen Grenzabstands grundsätzlich bewilligungsfähig ist, insbesondere weil sich durch den geplanten Bau weder die wohnhygienischen Bedingungen, das feuerpolizeiliche Gefährdungspotenzial, noch die Wohnimmissionen verschlechtern. Daran ändert auch die restriktive Haltung bei Bewilligungen im Bereich des privilegierten Abstands nichts.

 

5.3 Die Beschwerdegegner 1, 2 und 4 stellen sich zusätzlich auf den Standpunkt, der Bereich der Terrasse innerhalb des ordentlichen Grenzabstands sei ungenügend abgegrenzt. Damit gehe eine Nutzung des ganzen Dachs des Anbaus unter Verletzung des Grenzabstands einher, wodurch übermässige Immissionen zu befürchten seien. Hierzu ist festzuhalten, dass der Terrassenbau und dessen Nutzung gemäss obigen Ausführungen nur mit einem ordentlichen Grenzabstand von vier Metern zulässig ist. Im Rahmen der Baubewilligung wird dies jedoch berücksichtigt, indem bereits im Baugesuch die Sicherung der entsprechenden Zugangstür vorgesehen war. Hierauf hat die Beschwerdegegnerin 3 denn auch abgestellt (vgl. vorstehende E. II/3.1), was zur Bewilligungsfähigkeit genügt.

 

6.

Zusammenfassend besteht weder eine gesetzliche Grundlage noch ein vernünftiger sowie mit immissionsrechtlichen feuerpolizeilichen Überlegungen zu erklärender Grund, weshalb das vom Beschwerdeführer anbegehrte Geländer auf der streitbetroffenen Baute ausserhalb des privilegierten Gebäudeabstands nicht bewilligungsfähig sein sollte. Dies nicht zuletzt, weil bis zum ordentlichen Grenzabstand mehrstöckige Bauten ohne Weiteres zulässig wären. Es kann daher mit Blick auf das öffentliche Interesse am verdichteten Bauen sowie auf den erheblichen Ermessensspielraum der Beschwerdegegnerin 3 bei der Beurteilung von Baugesuchen nicht angehen und entspricht nicht dem mutmasslichen Willen des Gesetzgebers, einerseits mehrstöckige Bauten im streitbetroffenen Teil der Parzelle zuzulassen, andererseits eine darin geplante Terrassennutzung einzig mit der Begründung zu verbieten, dass der neu entstehende Teil der Anbaute keine architektonische Eigenständigkeit aufweist.

 

Dies führt zur Gutheissung der Beschwerde und zur Aufhebung des Entscheids des Beschwerdegegners 4 vom 25. April 2023.

 

III.

Nach Art. 134 Abs. 1 lit. c VRG hat die Partei, welche im Beschwerde-, Klage- Revisionsverfahren unterliegt, die amtlichen Kosten zu tragen. Die Gerichtskosten von pauschal Fr. 2'000.- sind ausgangsgemäss zur Hälfte den unterliegenden Beschwerdegegnern 1 und 2 aufzuerlegen und zur Hälfte auf die Staatskasse zu nehmen (vgl. Art. 137 i.V.m. Art. 135 Abs. 1 VRG). Der vom Beschwerdeführer bereits geleistete Kostenvorschuss in der Höhe von Fr. 2'000.- ist ihm zurückzuerstatten. Ausgangsgemäss steht den Beschwerdegegnern 1 und 2 keine Parteientschädigung zu (Art. 138 Abs. 2 und 3 lit. a VRG). Hingegen sind sie und der Beschwerdegegner 4 zu verpflichten, dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung in der Höhe von Fr. 1'800.- (inkl. Mehrwertsteuer) je hälftig zu bezahlen. Der Beschwerdegegnerin 3 steht mangels besonderer Umstände keine Parteientschädigung zu (Art. 138 Abs. 4 VRG).

Demgemäss erkennt die Kammer:

1.

Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Beschwerdegegners 4 vom 25. April 2023 wird aufgehoben.

2.

Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.- werden zur Hälfte den Beschwerdegegnern 1 und 2 auferlegt und zur Hälfte auf die Staatskasse genommen. Dem Beschwerdeführer wird der bereits geleistete Kostenvorschuss in der Höhe von Fr. 2'000.- zurückerstattet.

3.

Die Beschwerdegegner 1 und 2 werden verpflichtet, dem Beschwerdeführer innert 30 Tagen nach Rechtskraft dieses Entscheids eine Parteientschädigung von Fr. 900.- (inkl. Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.

Die Beschwerdegegnerin 4 wird verpflichtet, dem Beschwerdeführer innert 30 Tagen nach Rechtskraft dieses Entscheids eine Parteientschädigung von Fr. 900.- (inkl. Mehrwertsteuer) zu bezahlen

5.

Schriftliche Eröffnung und Mitteilung an:

 

[…]

 



 
Quelle: https://findinfo.gl.ch
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