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Urteil Verwaltungsgericht (GL - VG.2023.00042)

Zusammenfassung des Urteils VG.2023.00042: Verwaltungsgericht

Die Klägerin A.______ beantragte Leistungen der Invalidenversicherung, wobei die IV-Stelle ihr zunächst eine halbe Invalidenrente zusprach und später eine ganze Invalidenrente ab dem 1. Oktober 2016. In einem Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht verlangte A.______ die ungekürzte Auszahlung der Invalidenrente aus der beruflichen Vorsorge sowie Zinsen, während die Pensionskasse B.______ die Klage abweisen wollte. Das Gericht entschied zugunsten der Klägerin und hob die Entscheidung der Pensionskasse auf. Es stellte fest, dass die Verfügung der IV-Stelle bezüglich des erwerblichen Status der Klägerin bindend ist und der mutmasslich entgangene Verdienst entsprechend festzulegen ist. Die Gerichtskosten trägt die Staatskasse.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts VG.2023.00042

Kanton:GL
Fallnummer:VG.2023.00042
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:-
Verwaltungsgericht Entscheid VG.2023.00042 vom 07.12.2023 (GL)
Datum:07.12.2023
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Sozialversicherungsrecht: Berufliche Vorsorge
Schlagwörter: ätig; Status; Verdienst; Apos; Beklagten; Recht; Vorsorge; IV-Stelle; Verfügung; Klage; Invalidenrente; Urteil; Vollerwerbstätigkeit; Überentschädigung; Tochter; Entscheid; Verfahren; Bindungswirkung; Festsetzung; Verzug; Invalidenversicherung; Akten; Parteien; Verwaltungsgericht; IV-Verfügung; Statusfestsetzung; BGer-Urteil; Hinweis
Rechtsnorm:-
Referenz BGE:-
Kommentar:
Marc Hürzeler, Basler Berufliche Vorsorge, 2020

Entscheid des Verwaltungsgerichts VG.2023.00042

Geschäftsnummer: VG.2023.00042 (VG.2024.1315)
Instanz: K2
Entscheiddatum: 07.12.2023
Publiziert am: 16.01.2024
Aktualisiert am: 16.01.2024
Titel: Sozialversicherung - Berufliche Vorsorge (Klage)

Resümee:

Sozialversicherungsrecht: Berufliche Vorsorge

Entscheide der Invalidenversicherung über den erwerblichen Status einer invaliden Person sind für Vorsorgeeinrichtungen mit Blick auf die Überentschädigungsgrenze grundsätzlich bindend, sofern sie in das invalidenversicherungsrechtliche Verfahren einbezogen waren. Die Bindungswirkung entfällt dann, wenn die Betrachtungsweise der Invalidenversicherung aufgrund einer gesamthaften Prüfung der Akten als offensichtlich unhaltbar erscheint (E. II/4).
Das Valideneinkommen und der mutmasslich entgangene Verdienst sind grundsätzlich deckungsgleich (E. II/5.5.1). Der mutmasslich entgangene Verdienst ist für jedes Jahr einzeln zu indexieren (E. II/5.5.2)
Innerhalb des Streitgegenstands ist das Berufsvorsorgegericht in Durchbrechung der Dispositionsmaxime nicht an die Begehren der Parteien gebunden (E. II/5.6).
Pflicht zur Entrichtung von Verzugszinsen (E. II/6).

Gutheissung der Beschwerde.
 

 

 

 

VERWALTUNGSGERICHT DES KANTONS GLARUS

 

 

 

Urteil vom 7. Dezember 2023

 

 

I. Kammer

 

 

Besetzung: Gerichtspräsident MLaw Colin Braun, Verwaltungsrichterin Jolanda Hager, Verwaltungsrichterin Katia Weibel und Gerichtsschreiberin MLaw Valentina Flückiger

 

 

in Sachen

VG.2023.00042

 

 

 

A.______

Klägerin

 

vertreten durch lic. iur. Sibylle Käser Fromm, Rechtsanwältin,

 

 

 

gegen

 

 

 

Pensionskasse B.______

Beklagte

 

vertreten durch lic. iur. Peter Rösler, Rechtsanwalt,

 

 

betreffend

 

 

Invalidenrente aus BVG

 

Die Kammer zieht in Erwägung:

I.

1.

A.______, geboren am […], beantragte am 25. April 2013 Leistungen der Invalidenversicherung. Am 20. März 2014 sprach ihr die IV-Stelle […] ab dem 1. April 2012 eine halbe Invalidenrente zu, wobei sie bei der Statusfrage von einer hypothetischen Vollerwerbstätigkeit ausging. Infolge einer Verschlechterung des Gesundheitszustands sprach sie ihr am 13. Mai 2020 sodann rückwirkend ab dem 1. Oktober 2016 eine ganze Invalidenrente zu. Dabei ging sie von einem unveränderten Status aus.

 

2.

2.1 A.______ erhob am 20. April 2023 Klage beim Verwaltungsgericht und beantragte insbesondere, dass ihr die Invalidenrente aus der beruflichen Vorsorge (obligatorische und überobligatorische Vorsorge) einschliesslich der Kinderrente vom 1. Oktober 2016 bis zum 31. Dezember 2022 ungekürzt auszurichten sei, zuzüglich Zins zu 5 % seit dem 1. Oktober 2016; unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Pensionskasse B.______. Letztere schloss am 23. Juni 2023 auf Abweisung der Klage.

 

2.2 A.______ hielt am 24. August 2023 ebenso an ihrem Rechtsbegehren fest wie die Pensionskasse B.______ am 27. Oktober 2023 an dem ihrigen.

 

2.3 Das Verwaltungsgericht edierte die Akten bei der IV-Stelle […], welche am 27. Oktober 2023 eingingen.

 

II.

1.

Das Verwaltungsgericht ist gemäss Art. 109 lit. e des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege vom 4. Mai 1986 (VRG) i.V.m. Art. 73 Abs. 1 und 3 des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge vom 25. Juni 1982 (BVG) zur Behandlung der vorliegenden Klage zuständig. Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Klage einzutreten.

 

2.

2.1 Die Klägerin stellt sich auf den Standpunkt, die Beklagte sei bei der Festsetzung des mutmasslich entgangenen Verdiensts im Zusammenhang mit der Überentschädigungsberechnung zu Unrecht von einer hypothetischen Erwerbstätigkeit von 60 % ausgegangen. Gestützt auf die Feststellung der IV-Stelle […] betrage diese nämlich richtigerweise 100 %. Der mutmasslich entgangene Verdienst liege dementsprechend bei Fr. 74'789.- pro Jahr. Ihre Invalidenrente und die Kinderrente sei folglich nicht bzw. nicht in dem von der Beklagten beabsichtigten Umfang zu kürzen.

 

2.2 Die Beklagte führt demgegenüber aus, infolge fehlender Bindungswirkung und offensichtlicher Unrichtigkeit der IV-Verfügung vom 13. Mai 2020 in Bezug auf die 100%ige hypothetische Erwerbstätigkeit dürfe sie von den diesbezüglichen Feststellungen abweichen. Vor diesem Hintergrund sei sie zu Recht von einer hypothetischen Erwerbstätigkeit von 60 % ausgegangen. Der mutmasslich entgangene Verdienst liege demgemäss bei Fr. 47'242.- pro Jahr, weshalb die Invalidenrente der Klägerin sowie die Kinderrente wie vorgesehen zu kürzen seien.

 

3.

Es ist unbestritten und wurde rechtskräftig entschieden, dass die Klägerin gegenüber der Beklagten ab dem 1. Oktober 2016 Anspruch auf eine Invalidenrente basierend auf einem Invaliditätsgrad von 100 %, zuzüglich Zins zu 5 % seit dem 1. Oktober 2016, hat (vgl. VGer-Urteil VG.2018.00095 vom 20. Mai 2021). Unbestritten ist sodann die Höhe der Invalidenrenten aus beruflicher Vorsorge für die Klägerin (Fr. 18'056.- pro Jahr) sowie für ihre Tochter (Fr. 3'611.30 pro Jahr) vor Berücksichtigung einer allfälligen Überentschädigung im Sinne von Art. 34a Abs. 1 BVG. Unbestritten sind ferner die anrechenbaren Einkünfte bei der Berechnung der Überentschädigung. Darüber hinaus wird schliesslich zu Recht nicht bestritten, dass sowohl im Obligatorium als auch im Überobligatorium die Invalidenleistungen entsprechend Art. 34a Abs. 1 BVG gekürzt werden können, soweit die anrechenbaren Einkünfte 90 % des mutmasslich entgangenen Verdienstes übersteigen (vgl. Art. 15 Abs. 1 des Basisreglements der Beklagten vom 25. September 2014, Stand am 14. Dezember Kl. 2016). Strittig und zu prüfen bleibt damit einzig die Festsetzung des mutmasslich entgangenen Verdienstes.

 

4.

Entscheide der Invalidenversicherung über den erwerblichen Status einer invaliden Person (voll erwerbstätig, teilerwerbstätig, nicht erwerbstätig) sind für Vorsorgeeinrichtungen, sofern sie im invalidenversicherungsrechtlichen Verfahren einbezogen waren, grundsätzlich bindend. Dies gilt sowohl im obligatorischen als auch, vorbehaltlich einer abweichenden Bestimmung im Vorsorgereglement, im weitergehenden Bereich. Denn der Status einer versicherten Person ist hinsichtlich der Überentschädigung für die Pensionskassen von Bedeutung (BGE 141 V 127 E. 5.1, 129 V 150 E. 2.5). Die Bindungswirkung entfällt dann, wenn die Betrachtungsweise der Invalidenversicherung aufgrund einer gesamthaften Prüfung der Akten als offensichtlich unhaltbar erscheint (BGE 143 V 434 E. 2.2, mit Hinweisen).

 

5.

5.1 Die IV-Stelle […] hat die Klägerin zuletzt am 13. Mai 2020 als hypothetisch vollerwerbstätig eingestuft. Somit ist nach dem oben Dargelegten nachfolgend zu beurteilen, ob diese Festlegung des Status gegenüber der Beklagten Bindungswirkung entfaltet und, falls dies zu bejahen ist, ob diese nicht offensichtlich unhaltbar ist.

 

5.2 Die Beklagte hat gemäss dem vorliegend anwendbaren Basisreglement vom 25. September 2014 (Stand am 14. Dezember 2016; vgl. zum intertemporal anwendbaren Recht in BGE 122 V 316 E. 3c) die Statusfestsetzung im Überobligatorium nicht separat reglementiert. Das Nachfolgende gilt dementsprechend sowohl für den obligatorischen als auch für den überobligatorischen Bereich.

 

5.3 Es ist aktenkundig und wird von der Beklagten nicht bestritten, dass sie in das invalidenversicherungsrechtliche Verfahren miteinbezogen wurde. Der Vorbescheid vom 17. März 2020 sowie die Verfügung vom 13. Mai 2020, welche im Vergleich zur ersten rentenzusprechenden Verfügung vom 20. März 2014 unverändert von einer hypothetischen Vollerwerbstätigkeit ausgingen, wurden der Beklagten denn auch zugestellt. Die Beklagte hat gegen diese Verfügungen indessen kein Rechtsmittel ergriffen und die Verfügung der IV-Stelle […] vom 13. Mai 2020 erwuchs unangefochten in Rechtskraft.

 

Aus dem Dargelegten folgt, dass die IV-Verfügung vom 13. Mai 2020 hinsichtlich der Statusfestlegung gegenüber der Beklagten grundsätzlich Bindungswirkung entfaltet. Daran ändert das Vorbringen der Beklagten, sie habe die Verfügung in Ermangelung eines schutzwürdigen Interesses nicht anfechten können, nichts. Die Statusfrage hat im Bereich der Überentschädigung nämlich regelmässig Auswirkungen auf die Höhe der Invalidenrente aus der beruflichen Vorsorge, weshalb die Beklagte allfällige Einwände gegen den Vorbescheid die Verfügung hätte erheben können und müssen.

 

5.4 Sodann wurde die Statusfestsetzung erstmals mit der rentenzusprechenden Verfügung vom 20. März 2014 vorgenommen. Indessen lässt sich dieser nicht entnehmen, aus welchen Gründen die IV-Stelle auf eine hypothetische Vollerwerbstätigkeit geschlossen hat. Folglich ist anhand der invalidenversicherungsrechtlichen Akten zu beurteilen, ob der Schluss auf eine hypothetische Vollerwerbstätigkeit nicht offensichtlich unhaltbar ist.

 

5.4.1 Die Statusfrage ist mit Rücksicht auf die gesamten persönlichen, familiären, sozialen und erwerblichen Verhältnisse zu beurteilen. Bei deren Beantwortung handelt es sich zwangsläufig um eine Beurteilung, die auch hypothetische Willensentscheidungen der versicherten Person zu berücksichtigen hat. Diese sind als innere Tatsachen einer direkten Beweisführung nicht zugänglich und müssen in aller Regel aus äusseren Indizien erschlossen werden (BGer-Urteil 8C_735/2020 vom 26. Januar 2021 E. 5.1, mit Hinweisen). Eine Beweiswürdigung ist nicht bereits dann offensichtlich unrichtig, bzw. willkürlich, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint gar vorzuziehen wäre, sondern erst dann, wenn der Entscheid im Ergebnis offensichtlich unhaltbar ist, zur tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht auf einem offenkundigen Fehler beruht (BGE 144 I 28 E. 2.4, mit Hinweisen).

 

5.4.2 Die Klägerin absolvierte in den Jahren 1995-1997 eine Lehre als kaufmännische Angestellte. Vom 28. Juli 1997 bis 30. September 2002 arbeitete sie Vollzeit für verschiedene Arbeitgeber. Vom 1. Januar 2003 bis zum 31. Dezember 2005 war sie in einem 80 % Pensum für die C.______ tätig. Am 19. Dezember 2005 gebar sie eine Tochter. Anschliessend reduzierte sie ihr Arbeitspensum bei C.______ auf 65 % bis zum 31. Dezember 2006 und hernach bis am 31. Dezember 2009 auf 50 % (vgl. Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Glarus vom 20. Mai 2021, VG.2018.00095, E. 4.2). Vom 1. Mai 2010 bis 31. Januar 2013 war sie ferner als kaufmännische Sachbearbeiterin bei der D.______ mit einem Pensum zwischen 50 und 60 % tätig. Am 20. März 2014 sprach ihr die IV-Stelle […] schliesslich rückwirkend ab dem 1. April 2012 eine halbe Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von 50 % zu.

 

5.4.3 In der IV-Anmeldung vom 25. April 2013 hielt die Klägerin fest, sie würde im Gesundheitsfall vollzeitig als kaufmännische Angestellte Sachbearbeiterin tätig sein. Anlässlich des Erstgesprächs im Rahmen der Frühintervention vom 25. Juni 2013 wiederholte sie diese Aussage. Darüber hinaus erklärte sie am 12. August 2013 gegenüber der IV-Stelle […], dass sie den Kindsvater sowie die gemeinsame Tochter am 1. Januar 2011 räumlich verlassen und eine eigene Wohnung bezogen habe, wobei sie spätestens in diesem Zeitpunkt bei voller Gesundheit versucht hätte, 100 % zu arbeiten.

 

5.4.4 Der Beklagten ist darin beizupflichten, dass die Klägerin bereits ab dem 1. Januar 2003 bzw. drei Jahre vor der Geburt ihrer Tochter und über neun Jahre vor Eintritt der Teilinvalidität nicht mehr vollerwerbstätig war. Zutreffend ist darüber hinaus, dass das Bundesgericht in einem Entscheid festgehalten hat, dass die vorinstanzliche Betrachtungsweise, die Versicherte sei seit Oktober 2002 durchgehend zu mindestens 20 % in ihrer Arbeitsfähigkeit eingeschränkt gewesen und bis heute zu mindestens 50 % invalid, Bundesrecht verletze (BGer-Urteil 9C_856/2017 vom 7. September 2018 E. 4.3). Dementsprechend lässt sich die Pensumsreduktion vor Geburt der Tochter bzw. vor Eintritt der Teilinvalidität nicht ohne Weiteres mit gesundheitlichen Gründen erklären, worauf die Beklagte zu Recht hinweist.

 

Die Einwände der Beklagten lassen die Statusfestsetzung der IV-Stelle […] jedoch nicht als offensichtlich unhaltbar erscheinen. So war die Klägerin nach Abschluss der Lehre während etwa fünf Jahren für verschiedene Arbeitgeber vollzeitig erwerbstätig. Darüber hinaus hat sie bereits zu Beginn des IV-Verfahrens zu drei verschiedenen Zeitpunkten übereinstimmend geäussert, dass sie im Gesundheitsfall voll erwerbstätig wäre. Vor dem Hintergrund, dass sogenannte spontane `Aussagen der ersten Stunde` in der Regel unbefangener und zuverlässiger sind als spätere Darstellungen, die bewusst unbewusst von nachträglichen Überlegungen versicherungsrechtlicher anderer Art beeinflusst sein können (BGE 143 V 168 E. 5.2.2), kommt diesen Aussagen der Klägerin besonderes Gewicht zu. Schliesslich hat die Klägerin am 19. Dezember 2005 eine Tochter geboren. Es ist überwiegend wahrscheinlich, dass dies zumindest mitursächlich für die darauffolgende Pensumsreduktion war. Offenbleiben kann demgegenüber, ob mit Blick auf sämtliche Sachverhaltselemente eine Statusfestsetzung auf teilerwerbstätig ebenfalls vertretbar der Festsetzung auf Vollerwerbstätigkeit gar vorzuziehen gewesen wäre. Die mehrjährige Vollzeiterwerbstätigkeit, die übereinstimmenden Aussagen der Klägerin zu Beginn des IV-Verfahrens sowie die Geburt der Tochter lassen den Schluss der IV-Stelle […] auf eine hypothetische Vollerwerbstätigkeit zumindest nicht als unhaltbar willkürlich erscheinen. Im Übrigen ist auch keine Willkür im invalidenversicherungsrechtlichen Revisionsverfahren auszumachen, indem die IV-Stelle […] den Status der Klägerin am 13. Mai 2020 bei einer hypothetischen Vollerwerbstätigkeit belassen hat. So sind keine Tatsachen ersichtlich, welche eine Änderung des Status nahegelegt hätten. Etwas anderes ergibt sich weder aus den Akten noch bringt die Beklagte Entsprechendes vor. Die IV-Verfügung vom 13. Mai 2020 ist hinsichtlich des invalidenversicherungsrechtlichen Status für die Beklagte damit verbindlich. Demgemäss ist bei der Festsetzung des mutmasslich entgangenen Verdienstes i.S.v. Art. 34a Abs. 1 BVG auf eine (hypothetische) Vollerwerbstätigkeit abzustellen.

 

5.5

5.5.1 Gemäss höchstrichterlicher Rechtsprechung ist von einer grundsätzlichen Kongruenz von Valideneinkommen und mutmasslich entgangenem Verdienst auszugehen (BGE 143 V 91 E. 4.2, mit Hinweisen). Da vorliegend keine Gründe ersichtlich sind, welche ein Abweichen von diesem Grundsatz gebieten, ist der mutmasslich entgangene Verdienst entsprechend dem der IV-Verfügung vom 13. Mai 2020 zugrundeliegenden Valideneinkommen festzulegen.

 

5.5.2 Das Jahreseinkommen ist für jedes Jahr einzeln zu indexieren (BGer-Urteil 8C_193/2013 vom 4. Juni 2013 E. 3.2). Für das Jahr 2015 betrug es dementsprechend Fr. 75'767.-. Angepasst an den Nominallohnindex gemäss der Tabelle T1.2.10 des Bundesamts für Statistik (Frauen, 2011-2022, Indexbasis 2010=100, Total aller Wirtschaftszweige) ergibt sich für das Jahr 2016 (Rentenbeginn: 1. Oktober 2016) sodann ein mutmasslich entgangener Verdienst von Fr. 76'373.15 (+ 0.8 %), für das Jahr 2017 Fr. 76'678.65 (+ 0.4 %), für das Jahr 2018 Fr. 77'062.05 (+ 0.5 %), für das Jahr 2019 Fr. 77'832.65 (+ 1 %), für das Jahr 2020 Fr. 78'533.15 (+ 0.9 %), für das Jahr 2021 Fr. 79'004.35 (+ 0.6 %) und für das Jahr 2022 Fr. 79'636.40 (+ 0.8 %).

 

5.6 Die Klägerin beantragt in der Hauptsache, der mutmasslich entgangene Verdienst sei für die Jahre 2016-2022 auf Fr. 74'789.- festzusetzen. Im Klageverfahren nach Art. 73 BVG herrscht die Dispositionsmaxime, womit die Parteien den Streitgegenstand definieren. Dieser bestimmt sich einzig nach Massgabe der Rechtsbegehren der Klage sowie einer allfälligen Widerklage. Indessen ist das Berufsvorsorgegericht innerhalb des Streitgegenstands in Durchbrechung der Dispositionsmaxime an die Begehren der Parteien nicht gebunden (BGE 135 V 23 E. 3.1; Marc Hürzeler/Barbara Bättig-Lischer, in: Basler Kommentar, Berufliche Vorsorge, 2020, N. 67 zu Art. 73 BVG). Streitgegenstand ist vorliegend der mutmasslich entgangene Verdienst der Jahre 2016-2022. Dem Verwaltungsgericht steht es folglich frei, betragsmässig auf einen höheren mutmasslich entgangenen Verdienst zu erkennen als von der Klägerin beantragt wurde.

 

5.7 Hinzuweisen ist weiter darauf, dass der mutmasslich entgangene Verdienst (anders als beispielsweise der Maximalbetrag des koordinierten Lohns) keiner oberen Grenze unterliegt (Marc Hürzeler, in: Jacques-André Schneider/Thomas Geiser/Thomas Gächter [Hrsg.], BVG und FZG, 2. A. 2019, N. 20 zu Art. 34a BVG). Auch aus dem von der Beklagten angeführten Urteil des Bundesgerichts kann nichts Anderes abgeleitet werden. Der dem Entscheid zugrundeliegende Sachverhalt unterscheidet sich nämlich diametral vom Vorliegenden. So erwies sich die dortige IV-Verfügung aus verschiedenen Gründen als nicht verbindlich. Dementsprechend konnte im Verfahren betreffend IV-Rente aus beruflicher Vorsorge von der Statusfestsetzung der IV-Stelle denn auch abgewichen werden (BGer-Urteil 9C_91/2013, 9C_110/2013 vom 17. Juni 2013 E. 4.3.1, 5.3.3 und 5.4).

 

6.

6.1 Im Bereich der beruflichen Vorsorge ist die Pflicht zur Entrichtung von Verzugszinsen bei einer verspäteten Überweisung von Freizügigkeitsleistungen sowie bei verspäteter Auszahlung eines Alterskapitals bei Invalidenrenten anerkannt (BGer-Urteil 9C_588/2020 vom 18. Mai 2021 E. 5.1.1 f., mit Hinweis). Enthält das Basisreglement eine Bestimmung über die Höhe des Verzugszinses, gelangt diese zur Anwendung. Der Beginn der Zinspflicht richtet sich nach Art. 105 Abs. 1 OR, wonach ein Schuldner, der mit der Entrichtung von Renten im Verzug ist, erst vom Tag der Anhebung der Betreibung der gerichtlichen Klage an Verzugszinsen zu bezahlen hat (BGE 149 V 106 E. 7.1, 119 V 131 E. 4a; Hans-Ulrich Stauffer, in Hans-Ulrich Stauffer/Basile Cardinaux [Hrsg.], Rechtsprechung des Bundesgerichts zur beruflichen Vorsorge, 4. A., Zürich/Basel/Genf 2019, S. 108).

 

6.2 Die Klägerin reichte die vorliegend zu beurteilende Klage am 21. April 2023 (Datum der Postaufgabe) ein. Das am 21. April 2023 gültige Basisreglement der Beklagten verweist hinsichtlich des Verzugszinses auf Art. 7 der Verordnung über die Freizügigkeit in der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge vom 3. Oktober 1994 (FZV). Gemäss Art. 7 FZV entspricht dieser dem BVG-Mindestzinssatz plus einem Prozent. Im Jahr 2023 betrug der BVG-Mindestzinssatz 1 %. Daraus ergibt sich, dass die aus der Anhebung der Überentschädigungsgrenze resultierenden Nachzahlungen zu 2 % zu verzinsen sind.

 

7.

Zusammenfassend entfaltet die Verfügung der IV-Stelle […] vom 13. Mai 2020 für die Beklagte hinsichtlich des invalidenversicherungsrechtlichen Status der Klägerin Bindungswirkung. Der mutmasslich entgangene Verdienst beträgt im Jahr 2016 Fr. 76'373.15 und ist im Sinne der vorstehenden Erwägung (vgl. E. II/5.5.2) fortlaufend zu indexieren. Mit Blick darauf, dass die Klägerin in ihrem Rechtsbegehren keine konkret bezifferten Nachzahlungen formulierte, bleibt die Festsetzung des Leistungsanspruchs der Klägerin in masslicher Hinsicht der Beklagten überlassen. Gleiches gilt für die geforderten Kinderrenten (vgl. BGE 129 V 450 E. 3.2 f.). Die Beklagte ist dementsprechend zu verpflichten, allfällige Nachzahlungen unter Berücksichtigung des mutmasslich entgangenen Verdienstes, der Überentschädigungsgrenzen und der Nominallohnindexierung festzulegen und auszubezahlen. Die Nachzahlungen sind ab Klageeinleitung mit 2 % zu verzinsen.

 

Dies führt zur Gutheissung der Klage. Die Sache ist an die Beklagte zur betragsmässigen Festsetzung der Invalidenrenten und zur Festlegung allfälliger Nachzahlungen zu überweisen.

 

III.

1.

Die Gerichtskosten sind von Gesetzes wegen auf die Staatskasse zu nehmen (Art. 73 Abs. 2 BVG).

 

2.

Die obsiegende Klägerin hat gemäss Art. 138 Abs. 3 lit. a VRG zu Lasten der Beklagten Anspruch auf eine angemessene Parteientschädigung in der Höhe von Fr. 1'800.- (inkl. Mehrwertsteuer).

Demgemäss erkennt die Kammer:

1.

Die Klage wird im Sinne der Erwägungen gutgeheissen.

2.

Die Gerichtskosten werden auf die Staatskasse genommen.

3.

Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin innert 30 Tagen nach Rechtskraft dieses Entscheids eine Parteientschädigung von Fr. 1'800.- (inkl. Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.

Schriftliche Eröffnung und Mitteilung an:

 

[…]

 



 
Quelle: https://findinfo.gl.ch
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