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Urteil Verwaltungsgericht (GL - VG.2022.00049)

Zusammenfassung des Urteils VG.2022.00049: Verwaltungsgericht

Die Beschwerdeführerin wurde aufgrund selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit für 60 Tage in der Anspruchsberechtigung eingestellt. Nach einer Schlichtung wurde die Einstellung auf 54 Tage reduziert. Die Beschwerdeführerin beantragte eine weitere Reduktion auf maximal 26 Tage, was abgelehnt wurde. Das Verwaltungsgericht entschied teilweise zugunsten der Beschwerdeführerin und stellte sie für 40 Tage in der Anspruchsberechtigung ein. Die Gerichtskosten werden von der Staatskasse übernommen.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts VG.2022.00049

Kanton:GL
Fallnummer:VG.2022.00049
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:-
Verwaltungsgericht Entscheid VG.2022.00049 vom 10.11.2022 (GL)
Datum:10.11.2022
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Arbeitslosenversicherung: Einstellung in der Anspruchsberechtigung wegen selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit
Schlagwörter: Arbeit; Verhalten; Kündigung; Person; Einstellung; Beschwerdegegner; Anspruch; Anspruchsberechtigung; Arbeitgeber; Einstelltage; Verschulden; Arbeitslosigkeit; Arbeitslosenversicherung; Urteil; Arbeitgeberin; Einstelltagen; Blick; Recht; Wirtschaft; Gericht; Sozialversicherung; Einstelldauer; Arbeitsverhältnis; Reduktion; äuflichen
Rechtsnorm: Art. 17 AVIG;
Referenz BGE:-
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts VG.2022.00049

Geschäftsnummer: VG.2022.00049 (VG.2022.1193)
Instanz: K2
Entscheiddatum: 10.11.2022
Publiziert am: 11.01.2023
Aktualisiert am: 11.01.2023
Titel: Sozialversicherung - Arbeitslosenversicherung

Resümee:

Arbeitslosenversicherung: Einstellung in der Anspruchsberechtigung wegen selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit

Der Beschwerdeführerin musste bei gehöriger Sorgfalt bekannt gewesen sein, dass sie durch ihr Verhalten eine Kündigung zumindest in Kauf nimmt, womit sie die Arbeitslosigkeit selbstverschuldet hat (E. II/4.2.3).
Ausgehend von einem Mittelwert von 45 Tagen bei einem schweren Verschulden sind für die Berechnung der Einstelldauer der Anspruchsberechtigung das individuelle Verschulden und die entlastenden sowie belastenden Gegebenheiten zu berücksichtigen. Vorliegend erscheint eine Einstellung in der Anspruchsberechtigung von 40 Tagen als angemessen (E. II/5).

Teilweise Gutheissung der Beschwerde.





 

 

 

 

VERWALTUNGSGERICHT DES KANTONS GLARUS

 

 

 

Urteil vom 10. November 2022

 

 

II. Kammer

 

 

Besetzung: Gerichtspräsident MLaw Colin Braun, Verwaltungsrichter Walter Salvadori, Verwaltungsrichter Samuel Bisig und Gerichtsschreiberin i.V. MLaw Tina Schneider

 

 

in Sachen

VG.2022.00049

 

 

 

A.______

Beschwerdeführerin

 

vertreten durch lic. iur. Roland Zahner, Rechtsanwalt,

 

 

 

gegen

 

 

 

Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Glarus

Beschwerdegegner

 

 

betreffend

 

 

Einstellung in der Anspruchsberechtigung

 

Die Kammer zieht in Erwägung:

I.

1.

A.______ war seit dem 15. Juni 2017 bei der B.______ als Verkäuferin bzw. ab dem 1. Juni 2018 als stellvertretende Filialleiterin in einem Teilzeitpensum angestellt. Mit Schreiben vom 10. September 2021 kündigte die B.______ das Arbeitsverhältnis fristlos. Daraufhin meldete sich A.______ am 13. September 2021 beim Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) an und beantragte gleichentags Leistungen der Arbeitslosenversicherung.

 

2.

2.1 Das Amt für Wirtschaft und Arbeit stellte A.______ mit Verfügung vom 25. Oktober 2021 aufgrund selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit für 60 Tage in der Anspruchsberechtigung ein. Dagegen erhob sie am 17. November 2021 Einsprache und beantragte gleichzeitig die Sistierung des Verfahrens bis zum Abschluss des arbeitsrechtlichen Verfahrens. Am 16. Dezember 2021 entsprach das Amt für Wirtschaft und Arbeit dem Sistierungsgesuch.

 

2.2 Nach der im Schlichtungsverfahren erzielten Einigung zwischen A.______ und der B.______ vom 7. April 2021 nahm das Amt für Wirtschaft und Arbeit das Verfahren wieder auf. Nachdem A.______ ihre Einsprache am 18. Mai 2022 ergänzt hatte, hiess es diese am 6. Juli 2022 teilweise gut und reduzierte die Einstellung in der Anspruchsberechtigung auf 54 Tage.

 

3.

Am 24. August 2022 gelangte A.______ mit Beschwerde ans Verwaltungsgericht und beantragte die Reduktion der Einstellung in der Anspruchsberechtigung auf maximal 26 Tage; alles unter Kosten- und Entschädigungsfolge zu Lasten des Amts für Wirtschaft und Arbeit. Das Amt für Wirtschaft und Arbeit schloss am 16. September 2022 auf Abweisung der Beschwerde; alles unter Kosten- und Entschädigungsfolge zu Lasten von A.______.

 

II.

1.

Das Verwaltungsgericht ist gemäss Art. 1 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung vom 25. Juni 1982 (AVIG) i.V.m. Art. 56 und Art. 57 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vom 6. Oktober 2000 (ATSG) i.V.m. Art. 12 Abs. 2 des Einführungsgesetzes zum Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung vom 6. Mai 1984 (EG AVIG) zur Behandlung der vorliegenden Beschwerde zuständig. Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.

 

2.

2.1 Die obligatorische Arbeitslosenversicherung will der versicherten Person einen angemessenen Ersatz für Erwerbsausfälle wegen Arbeitslosigkeit garantieren (Art. 1a Abs. 1 lit. a AVIG). Gemäss der im gesamten Sozialversicherungsrecht geltenden Schadenminderungspflicht (Art. 17 Abs. 1 AVIG) muss die Versicherte jedoch alles Zumutbare unternehmen, um den Eintritt das Fortdauern der Arbeitslosigkeit zu verhindern (BGer-Urteil 8C_12/2010 vom 4. Mai 2010 E. 2.2). Ist die Versicherte durch eigenes Verschulden arbeitslos geworden, ist sie in der Anspruchsberechtigung einzustellen (Art. 30 Abs. 1 lit. a AVIG). Zweck der Einstellung als versicherungsrechtliche Sanktion ist die angemessene Mitbeteiligung der versicherten Person am Schaden, den sie durch ihr pflichtwidriges Verhalten der Arbeitslosenversicherung natürlich und adäquat kausal verursacht hat (BGE 122 V 34 E. 4c/aa, mit Hinweis).

 

2.2 Ein Selbstverschulden der versicherten Person liegt vor, wenn soweit der Eintritt das Andauern der Arbeitslosigkeit nicht objektiven Faktoren zuzuschreiben ist, sondern in einem nach den persönlichen Verhältnissen vermeidbaren Verhalten liegt, für das die Versicherung die Haftung nicht übernimmt (BGer-Urteil C 348/00 vom 21. Februar 2001 E. 1a; ARV 1998 Nr. 9 S. 44; Thomas Nussbaumer, in Ulrich Meyer [Hrsg.], Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, Soziale Sicherheit, Bd. XIV, 3. A., Basel 2016, Rz. 835). Die Arbeitslosigkeit gilt namentlich dann als selbstverschuldet, wenn die Versicherte durch ihr Verhalten, insbesondere wegen Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten, dem Arbeitgeber Anlass zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegeben hat (Art. 44 Abs. 1 lit. a der Verordnung über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung vom 31. August 1983 [AVIV]).

 

2.3 Das vorwerfbare Verhalten der versicherten Person muss nach Art. 20 lit. b des am 17. Oktober 1991 für die Schweiz in Kraft getretenen Übereinkommens Nr. 168 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) über Beschäftigungsförderung und den Schutz gegen Arbeitslosigkeit vom 21. Juni 1988 vorsätzlich erfolgt sein, wobei Eventualvorsatz genügt. Eine zumindest eventualvorsätzliche Herbeiführung der Arbeitslosigkeit liegt unter anderem dann vor, wenn die versicherte Person auf Grund einer Verwarnung weiss, dass ein bestimmtes Verhalten vom Arbeitgeber nicht zumindest nicht mehr toleriert wird und zu einer Kündigung führt, sie aber die ihr nach den persönlichen Umständen und Verhältnissen zumutbare Anstrengungen zu einer Änderung des vom Arbeitgeber beanstandeten Verhaltens nicht aufbringt. Gleichwohl ist für die Tatbestandserfüllung von Art. 44 Abs. 1 lit. a AVIV keine Auflösung des Arbeitsverhältnisses aus wichtigen Gründen gemäss Art. 337 bzw. Art. 346 Abs. 2 des Obligationenrechts vom 30. März 1911 (OR) vorausgesetzt. Somit ist bei der Klärung der arbeitslosenversicherungsrechtlichen Frage der Einstellung in der Anspruchsberechtigung nicht entscheidend, ob sich eine fristlose Auflösung des Arbeitsverhältnisses aus arbeitsrechtlicher Sicht rechtfertige nicht bzw. ob der Arbeitgeber eine ordentliche Kündigung mit Kündigungsfrist hätte vornehmen müssen. Es genügt, dass das allgemeine dienstliche ausserdienstliche Verhalten der versicherten Person Anlass zur Kündigung Entlassung gegeben hat, wobei Beanstandungen in beruflicher Hinsicht nicht vorgelegen haben müssen (vgl. BGE 112 V 242 E. 1, mit Hinweisen). Hat hingegen eine versicherte Person nur grobfahrlässig zur Kündigung durch den Arbeitgeber beigetragen, ist eine Einstellung in der Anspruchsberechtigung gemäss Art. 20 lit. b IAO nicht zulässig (BGer-Urteil 8C_19/2019 vom 1. April 2019 E. 2.4, mit Hinweisen; Nussbaumer, Rz. 837).

 

2.4 Beim Einstellungsgrund des Art. 44 Abs. 1 lit. a AVIV genügt der im Sozialversicherungsrecht übliche Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit nicht, sondern es muss das der versicherten Person zur Last gelegte Verhalten in beweismässiger Hinsicht klar feststehen. In seiner Beweiswürdigung ist das Gericht regelmässig auf die Parteivorbringen und insbesondere auf die Aussagen der Arbeitgeberin angewiesen. Diese sollte eine Sachverhaltsdarstellung abgeben, ohne am Ausgang des Verfahrens interessiert zu sein und ohne ein Interesse daran zu haben, die versicherte Person in einem ungünstigen Licht erscheinen zu lassen. Solange kein Grund besteht, an den Aussagen der Arbeitgeberin zu zweifeln, ist auf diese abzustellen. Bei Differenzen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vermögen blosse Behauptungen des Arbeitgebers den Nachweis für ein schuldhaftes Verhalten der versicherten Person nicht zu erbringen, wenn sie von dieser bestritten werden und nicht durch andere Beweise Indizien bestätigt erscheinen (vgl. BGE 112 V 245 E. 1, mit Hinweisen).

 

3.

3.1 Die Beschwerdeführerin macht geltend, sie habe versehentlich ein […] rabattiert und ein weiteres […], welches sie behändigt habe, sei von einem Kunden offen an die Kasse gebracht worden. Ein Tag vor ihrer Kündigung sei einer Kollegin die Mitnahme von nicht mehr verkäuflichen […] von der Vorgesetzten aber erlaubt worden, wobei darüber Stillschweigen vereinbart worden sei. Vor diesem Hintergrund stelle vorliegend lediglich das eigenhändige Kassieren sowie die Behändigung eines Artikels eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten dar. Das offene […] hätte jedoch nicht mehr verkauft werden können und wäre entsorgt worden, was ihr Verhalten zumindest teilweise als entschuldbar erscheinen lasse und der Lebensmittelverschwendung entgegenwirke. Da der Beschwerdegegner selbst nicht mehr von einer gerechtfertigten fristlosen Kündigung ausgehe, falle diese als Einstellungsgrund weg. Weiter sei ihr Verschulden nicht im schweren, sondern im mittelschweren Bereich anzusiedeln. Verschuldensmindernd sei darüber hinaus zu berücksichtigen, dass sie sich während der bereits mehr als fünf Jahre dauernden Anstellung klaglos verhalten habe. Ferner sei die Genehmigung der nicht mehr verkäuflichen […] am Vortag unter dem Aspekt des widersprüchlichen Verhaltens der Arbeitgeberin im Sinne einer Reduktion von fünf Einstelltagen zu berücksichtigen. Schliesslich stelle das Mitnehmen eines nicht mehr verkaufsfähigen Artikels mangels erkennbarem Schaden kein Diebstahl im strafrechtlichen Sinne dar, weshalb die diesbezüglich angerechneten zehn Einstelltage wegfallen würden. Gesamthaft betrachtet seien 54 Einstelltage unhaltbar, unverhältnismässig und nicht gerechtfertigt.

 

3.2 Der Beschwerdegegner bringt vor, der Sachverhalt sei unbestritten und das letztlich zur Entlassung geführte Verhalten stehe klar fest. Durch ihr Betragen habe die Beschwerdeführerin gegen Weisungen und insbesondere gegen Ziff. 2.6 des Arbeitsreglements der Arbeitgeberin verstossen. Demgemäss habe sie gewusst, dass ihr Verhalten zu einer fristlosen Kündigung führen könne, wobei die strafrechtliche Relevanz für die Bemessung der Einstelltage nicht ausschlaggebend gewesen sei. Ihr Verhalten sei entgegen ihren Ausführungen sodann nicht entschuldbar. Ferner diene das interne Prüfprotokoll der Gleichbehandlung der versicherten Personen im Rahmen einer selbstverschuldeten Arbeitslosigkeit. Mit Blick darauf dürfe sie nicht einfach schlussfolgern, der am 7. April 2022 erzielte Vergleich mit der ehemaligen Arbeitgeberin führe automatisch zu einer Reduktion der Einstelltage. Vielmehr sei der Sachverhalt unter Berücksichtigung des Vergleichs neu beurteilt worden. Dabei lehne sich die Bemessung der Einstelltage an das einschlägige Kreisschreiben an. Mit Blick auf den realisierten Entschädigungsanspruch habe dies zu 54 Einstelltagen geführt.

 

4.

4.1 Im Rahmen einer Kontrolle am 10. September 2021 wurden in der Tasche der Beschwerdeführerin zwei Packungen […] vorgefunden, wobei gemäss Kaufbeleg lediglich eine abgerechnet und mit einem Rabatt von 50 % deklariert wurde. Der Artikel wurde entgegen den Anweisungen der Arbeitgeberin von der Beschwerdeführerin selbst kassiert. Wegen diesem Verhalten wurde das Arbeitsverhältnis am 10. September 2021 fristlos gekündigt. Dieser Sachverhalt steht fest und wird nicht bestritten. Zu prüfen ist jedoch, ob die Beschwerdeführerin die Kündigung (eventual-)vorsätzlich verschuldet hat.

 

4.2

4.2.1 Der von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Umstand, wonach die Rechtmässigkeit der fristlosen Kündigung anlässlich der Schlichtungsverhandlung vom 7. April 2022 nicht beurteilt worden sei und somit als Einstellungsgrund dahinfalle, zielt ins Leere. Wie bereits ausgeführt, ist die Frage, ob eine fristlose Kündigung gerechtfertigt ist, für die Annahme eines einstellungswürdigen Fehlverhaltens unbeachtlich (vgl. voranstehend E. II/2.3).

 

4.2.2 Die Argumentation der Beschwerdeführerin, wonach es sich bei der von einem Kunden bereits offen an die Kasse gebrachten Packung […] um einen nicht mehr verkäuflichen Artikel gehandelt habe, welcher entsorgt worden wäre, erscheint zwar nachvollziehbar. Indessen ist aber fraglich, ob sie durch die Behändigung dieses Artikels eine Kündigung nicht zumindest in Kauf genommen hat. Es ist mit dem Beschwerdegegner einig zu gehen, dass das von der Beschwerdeführerin beabsichtigte Verhindern von «Foodwaste» das von ihr gezeigte Verhalten zwar plausibel erscheinen lässt, dieses jedoch nicht entschuldigt. So wäre es ihr zuzumuten gewesen, sich bei der vorgesetzten Person zu vergewissern, ob sie diesen Artikel mit nach Hause nehmen dürfe. Daran ändert nichts, dass einer Kollegin am Tag zuvor die Mitnahme von nicht mehr verkäuflichen […] durch die Vorgesetzte angeblich erlaubt wurde. So durfte die Aussage der Vorgesetzten gegenüber der Kollegin, wonach über die Mitnahme der unverkäuflichen […] Stillschweigen zu bewahren sei, nicht als Anlass genommen werden, eigenmächtig andere Artikel zu behändigen. Immerhin dürfte das mutmassliche Verhalten der Vorgesetzten am Vortag wohl aber dazu beigetragen haben, dass die Beschwerdeführerin für die Mitnahme nicht um Erlaubnis gebeten hat. Ob sie dadurch jedoch auch mit einer Kündigung hat rechnen müssen und diese somit eventualvorsätzlich in Kauf genommen hat, erscheint nicht vollständig geklärt. Aufgrund des Nachfolgenden kann dies jedoch offen gelassen werden.

 

4.2.3 Die Beschwerdeführerin verstiess mit dem eigenhändigen Kassieren sowie der Fehlrabattierung gegen Weisungen der Arbeitgeberin. Dass es sich hierbei um ein Fehlverhalten handelt, räumte sie denn auch selbst ein. Da die Weisungen überdies integrierender Bestandteil des Arbeitsvertrags bildeten, mussten ihr diese bei gehöriger Sorgfalt bekannt gewesen sein, womit sie durch ihr Verhalten eine fristlose Kündigung zumindest in Kauf genommen hat. Das von ihr Behauptete, wonach das […] aus Versehen mit 50 % rabattiert worden sei, lässt sich gestützt auf die Akten nicht plausibel erklären. Zumindest findet sich für das von ihr Vorgebrachte mit Blick auf den Kassenbeleg vom 10. September 2021 und dem Durchspielen verschiedener möglicher Varianten keine Stütze. Weiter hat sie entsprechende Angaben erstmals im Schlichtungsverfahren getätigt, wogegen sie im früher ausgefüllten Fragebogen gegenüber dem Beschwerdegegner hierzu keine Stellung genommen hat. Vor diesem Hintergrund mutet ihr Vorbringen vielmehr als Schutzbehauptung an. Im Ergebnis muss damit zumindest von einem eventualvorsätzlichen Verstoss gegen Ziff. 2.6 des Arbeitsreglements der Arbeitgeberin ausgegangen werden, womit die Kündigung als selbstverschuldet zu gelten hat. Demgemäss ist von einem einstellungswürdigen Fehlverhalten im Sinne des Arbeitslosenversicherungsrechts auszugehen.

 

5.

Zu prüfen bleibt, ob die vom Beschwerdegegner verfügte 54-tägige Einstellung in der Anspruchsberechtigung angemessen ist.

 

5.1 Die Dauer der Einstellung in der Anspruchsberechtigung bemisst sich nach dem Grad des Verschuldens (Art. 30 Abs. 3 AVIG) und beträgt je nach Einstellgrund 1 bis 15 Tage bei leichtem, 16 bis 30 Tage bei mittelschwerem und 31 bis 60 Tage bei schwerem Verschulden (Art. 45 Abs. 3 AVIV). Bei der Bemessung der Einstellungsdauer hat die verfügende Stelle die Pflicht, das Verhalten der versicherten Person unter Berücksichtigung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalls zu würdigen. Namentlich sind die versicherte Person entlastende und belastende Gegebenheiten gleichermassen zu berücksichtigen. Bei der Anordnung der Sanktion kommt dem Beschwerdegegner ein Ermessen zu, in welches das Gericht nicht ohne Not eingreift.

 

5.2 Nimmt eine versicherte Person eine nicht fristgerechte Kündigung an und ergibt sich daraus ein Lohnausfall von mehr als zwei Monaten, liegt gemäss dem Einstellraster des SECO ein mittelschweres bis schweres Verschulden vor (vgl. AVIG-Praxis, ALE, Januar 2017, Rz. D75). Dies entbindet den Beschwerdegegner jedoch nicht von einer Prüfung des Einzelfalls. Für die Festlegung der Einstellungsdauer ist als sachgemässer Ausgangspunkt für die individuelle Verschuldensbeurteilung im Bereich des schweren Verschuldens vom Mittelwert bzw. von 45 Einstelltagen auszugehen. Diese Vorgehensweise erlaubt unter Berücksichtigung der gegebenen Umstände des konkreten Einzelfalls einerseits eine Verschärfung bei besonders schwerem Verschulden und andererseits eine Reduzierung aufgrund von Minderungsgründen (vgl. BGE 123 V 150 E. 3c; BVGer-Urteil B-1542/2019 vom 28. Oktober 2019 E. 5.1.5; AVIG-Praxis, ALE, Januar 2017, Rz. D77).

 

5.3 Vorliegend setzte der Beschwerdegegner die Einstellung in der Anspruchsberechtigung mit 54 Tagen im oberen Bereich des für schweres Verschulden vorgegebenen Rahmens an, wobei sich zunächst ein Blick auf die Rechtsprechung aufdrängt. Mit Blick darauf wurde eine versicherte Person beispielsweise mit 46 Einstelltagen sanktioniert, welche als Buffet-Angestellte in einem Hotel drei kleine Käsestücke, welche weggeworfen worden wären, sowie zwei Salamischeiben behändigt, eingepackt und in ihren Garderobenschrank gelegt hat (vgl. BGer-Urteil 8C_873/2013 vom 17. Januar 2014 E. 3.1 f.). Sodann wurde eine versicherte Person mit 47 Einstelltagen belegt, welche mehrmals die Arbeitszeit manipulierte, indem sie unter anderem die Mittagspause wiederholt erst dann erfasste, nachdem sie in der nahe gelegenen Tankstelle ihr Mittagessen eingekauft hatte (vgl. Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug S 2020 49 vom 14. April 2021). Ferner wurde das Verhalten einer versicherten Person beurteilt, welche mehrfach Geld im Gesamtwert von Fr. 2'000.- unterschlagen und die Arbeitgeberin mit gefälschten Belegen und Abschlussunterlagen zu betrügen versucht hatte. Dabei wurde schuldmildernd berücksichtigt, dass ihr bereits vorgängig aus anderen Gründen, wegen denen sie nicht habe sanktioniert werden können, gekündigt worden sei und sie sich um einen Monat verspätet als arbeitslos angemeldet habe, was im Ergebnis zu einem mittelschweren Verschulden und somit zu einer Reduktion auf 30 Einstelltage führte (vgl. Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden S 15 94 vom 7. Januar 2016). Mit 27 Tagen wurde eine versicherte Person in der Anspruchsberechtigung eingestellt, weil sie regelmässig trotz Zuspätkommens den Arbeitsplatz früher verliess und dennoch die volle Arbeitszeit aufgeschrieben hatte (vgl. Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich AL.2014.00070 vom 7. Juli 2015).

 

5.4 Bei der Festlegung der Einstelldauer von 54 Tagen hat sich der Beschwerdegegner bei der Berechnungsweise nach eigenen Angaben auf Ziff. C237 AVIG-Praxis, ALE, Januar 2013, gestützt. Die verschärfenden Faktoren wurden im dazugehörigen Prüfprotokoll aufgeführt. Mit Blick darauf kann der Argumentation der Beschwerdeführerin, wonach der Diebstahl nicht berücksichtigt werden und zu keiner Verschärfung der Einstelldauer führen dürfe, gefolgt werden. Gemäss Prüfprotokoll des Beschwerdegegners wurde der Diebstahl nämlich als strafrechtlich relevantes Verhalten mit zehn zusätzlichen Einstelltagen sanktioniert. Um als strafrechtlich relevantes Verhalten zu gelten, bedürfte es jedoch einer ordentlichen Beurteilung durch eine Strafbehörde, was vorliegend nicht der Fall ist. Dementsprechend darf das strafrechtlich ungeahndete Verhalten nicht zu einer Verschärfung der Einstelldauer führen, wobei das Vorbringen des Beschwerdegegners, wonach das tatsächlich strafrechtlich relevante Verhalten bei der Bemessung der Einstelltage nicht ausschlaggebend gewesen sei, widersprüchlich anmutet. Der Argumentation, wonach die Rechtmässigkeit der fristlosen Kündigung in der Schlichtungsverhandlung nicht beurteilt worden sei und somit nicht auf eine gerechtfertigte fristlose Kündigung geschlossen werden dürfe, ist sodann beizupflichten. Indessen ist diesem Umstand bei der Bemessung der Einstellungsdauer zu Gunsten der Beschwerdeführerin Rechnung zu tragen, indem die fristlose Kündigung zu keiner Verschärfung führen darf. Sodann konnte die Beschwerdeführerin anlässlich der Schlichtungsverhandlung Entschädigungsansprüche von insgesamt 32 Tagen realisieren, was vom Beschwerdegegner zu Recht als mildernd bei der Einstelldauer berücksichtigt wurde. Ferner handelt es sich bei den behändigten Waren, welche teilweise gar als unverkäuflich anzusehen sind, lediglich um geringe Vermögenswerte und überdies weist die Beschwerdeführerin abgesehen von den streitbetroffenen Vorfällen ein offensichtlich tadelloses Arbeitsverhalten auf, worauf nicht zuletzt der Umstand hindeutet, dass sie als stellvertretende Filialleiterin eingesetzt wurde. Dies wirkt sich ebenfalls schuldmildernd aus.

 

5.5 Aufgrund des soeben Dargelegten sowie mit Blick auf die oben genannte Rechtsprechung muten die verfügten 54 Einstelltage als unverhältnismässig hoch an. Ausgehend von der durchschnittlichen Dauer von 45 Einstelltagen und unter Berücksichtigung der oben aufgeführten mildernden Umstände ist das Verschulden im mittleren Bereich des schweren Verschuldens anzusiedeln, wobei sich eine Reduktion auf 40 Einstelltage als verhältnismässig erweist.

 

Dies führt zur teilweisen Gutheissung der Beschwerde. Der Einspracheentscheid des Beschwerdegegners vom 6. Juli 2022 ist dahingehend abzuändern, als dass die Beschwerdeführerin für 40 Tage in der Anspruchsberechtigung einzustellen ist.

 

III.

Die Gerichtskosten sind von Gesetzes wegen auf die Staatskasse zu nehmen (Art. 1 Abs. 1 AVIG i.V.m. Art. 61 lit. a ATSG). Die teilweise obsiegende und berufsmässig vertretene Beschwerdeführerin hat Anspruch auf eine reduzierte Parteientschädigung zu Lasten des Beschwerdegegners (Art. 138 Abs. 1 und Abs. 3 lit. a VRG). Diese ist auf Fr. 800.- (inkl. Mehrwertsteuer) festzusetzen.

Demgemäss erkennt die Kammer:

1.

Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Einspracheentscheid des Beschwerdegegners vom 6. Juli 2022 wird dahingehend abgeändert, als dass die Beschwerdeführerin für 40 Tage in der Anspruchsberechtigung eingestellt wird.

2.

Die Gerichtskosten werden auf die Staatskasse genommen.

3.

Der Beschwerdegegner wird verpflichtet, der Beschwerdeführerin innert 30 Tagen nach Rechtskraft dieses Entscheids eine Parteientschädigung von Fr. 800.- (inkl. Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.

Schriftliche Eröffnung und Mitteilung an:

[…]

 



 
Quelle: https://findinfo.gl.ch
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