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Urteil Verwaltungsgericht (GL - VG.2022.00045)

Zusammenfassung des Urteils VG.2022.00045: Verwaltungsgericht

Das Verwaltungsgericht des Kantons Glarus hat in einem Urteil vom 24. November 2022 entschieden, dass die obligatorische Krankenpflegeversicherung die Kosten für Grundpflegeleistungen übernehmen muss, sofern diese nicht bereits durch die Invalidenversicherung gedeckt sind. Ein Beschwerdeführer mit zystischer Fibrose hatte beantragt, dass die Krankenversicherung die Pflegeleistungen ab dem 1. Januar 2019 übernimmt. Die Beschwerdegegnerin, die Arcosana AG, war jedoch nur teilweise mit der Kostenübernahme einverstanden. Das Gericht entschied teilweise zugunsten des Beschwerdeführers und wies die Sache zur weiteren Abklärung an die Beschwerdegegnerin zurück. Die Gerichtskosten trägt die Staatskasse, und der Beschwerdeführer hat Anspruch auf eine Parteientschädigung von Fr. 1'500.-.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts VG.2022.00045

Kanton:GL
Fallnummer:VG.2022.00045
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:-
Verwaltungsgericht Entscheid VG.2022.00045 vom 24.11.2022 (GL)
Datum:24.11.2022
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Krankenversicherung: Übernahme von Leistungen der Grundpflege
Schlagwörter: Leistung; Pflege; Leistungen; Grundpflege; Verwaltung; Arcosana; Interessen; Recht; Spitex; Beschwerdeführers; Gericht; Krankenversicherung; Pflegebedarf; Urteil; Pflegeleistungen; Behandlung; Grundpflegeleistungen; Bundesgericht; Sozialversicherung; Entscheid; BGer-Urteil; Vergütung; Geburt
Rechtsnorm: Art. 1 KVG ;Art. 32 KVG ;
Referenz BGE:-
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts VG.2022.00045

Geschäftsnummer: VG.2022.00045 (VG.2022.1185)
Instanz: K2
Entscheiddatum: 24.11.2022
Publiziert am: 11.01.2023
Aktualisiert am: 11.01.2023
Titel: Sozialversicherung - Krankenversicherung

Resümee:

Krankenversicherung: Übernahme von Leistungen der Grundpflege

Die obligatorische Krankenpflegeversicherung übernimmt bei Geburtsgebrechen die Kosten für die gleichen Leistungen wie bei Krankheit, sofern diese nicht bereits durch die Invalidenversicherung gedeckt sind (E. II/3.1). Eine Leistungskumulation steht unter dem Vorbehalt einer Überentschädigung (E. II/3.2).
Die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme sind auf den ersten Blick erfüllt, da eine Fachperson die Pflegeabklärung durchgeführt und eine Arztperson die Spitexverordnung unterzeichnet hat (E. II/5.2.2). Da bei pflegenden Familienangehörigen eine genaue Kontrolle notwendig ist, erweist sich der Pflegebedarf vorliegend als ungenügend abgeklärt (E. II/5.2.3). Die Beschwerdegegnerin hat zu prüfen, welchen Bedarf an Grundpflegeleistungen der Beschwerdeführer hat (E. II/5.3).
Eine Rückweisung der Sache an die Beschwerdegegnerin erweist sich als zulässig (E. II/6.2).

Teilweise Gutheissung der Beschwerde.
 

 

 

 

VERWALTUNGSGERICHT DES KANTONS GLARUS

 

 

 

Urteil vom 24. November 2022

 

 

I. Kammer

 

 

Besetzung: Gerichtspräsident MLaw Colin Braun, Verwaltungsrichter Ernst Luchsinger, Verwaltungsrichterin Katia Weibel und Gerichtsschreiberin MLaw Paula Brändli

 

 

 

in Sachen

VG.2022.00045

 

 

 

A.______

Beschwerdeführer

 

vertreten durch B.______ und C.______,

 

diese vertreten durch Prof. Dr. Hardy Landolt, Rechtsanwalt

 

 

 

gegen

 

 

 

Arcosana AG

Beschwerdegegnerin

 

 

betreffend

 

 

Pflegeleistungen

 

Die Kammer zieht in Erwägung:

I.

1.

1.1 Der am […] geborene A.______ leidet an zystischer Fibrose (Geburtsgebrechen Nr. 459 gemäss Anhang der Verordnung über Geburtsgebrechen vom 9. Dezember 1995 [GgV]). Er bezieht eine Hilflosenentschädigung im Sonderfall.

 

1.2 A.______ wird zu Hause von seiner Mutter, einer ausgebildeten Pflegefachfrau, betreut und gepflegt, welche zu diesem Zweck durch die D.______GmbH angestellt wurde. Die IV-Stelle Glarus vergütete die Kosten der Kinderspitex im Jahr 2018 ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und Präjudiz für künftige Fälle. Ab 2019 übernahm sie lediglich noch Leistungen der Spitex Glarus Nord in akuten Infektsituationen. Dieses Vorgehen wurde sowohl vom Verwaltungsgericht (VGer-Urteil VG.2020.00085 vom 19. November 2020) als auch vom Bundesgericht gutgeheissen (BGer-Urteil 9C_773/2020 vom 15. März 2021).

 

2.

Nachdem A.______ ein Kostenübernahmegesuch für Spitexleistungen ab dem 1. Januar 2019 bei der Arcosana AG (Arcosana) eingereicht hatte, teilte Letztere der D.______GmbH als Leistungserbringerin am 6. April 2021 mit, dass sie die Behandlungspflege lediglich teilweise und die Grundpflege nicht vergüte. Damit zeigte sich A.______ nicht einverstanden und verlangte am 22. April 2021 eine anfechtbare Verfügung. Dem kam die Arcosana am 18. Mai 2021 bzw. am 22. Dezember 2021 nach, wobei sie die zunächst gewährte Kostengutsprache für die Behandlungspflege widerrief. Hiergegen erhob A.______ am 31. Januar 2022 Einsprache, welche die Arcosana am 21. Juni 2022 abwies.

 

3.

3.1 A.______ gelangte mit Beschwerde vom 4. Juli 2022 ans Verwaltungsgericht und beantragte die Aufhebung des Einspracheentscheids der Arcosana vom 21. Juni 2022. Die Arcosana sei zu verpflichten, die ab dem 1. Januar 2019 von der D.______GmbH erbrachten Pflegeleistungen zu vergüten. Eventualiter sei die Sache im Sinne der Erwägungen an die Arcosana zurückzuweisen; alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Arcosana. Die Arcosana beantragte am 2. September 2022 die Abweisung der Beschwerde; unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten von A.______.

 

3.2 Das Verwaltungsgericht edierte am 17. Oktober 2022 die invalidenversicherungsrechtlichen Akten bei der IV-Stelle Glarus. Diese wurden am 20. Oktober 2022 zugestellt.

 

II.

1.

1.1 Das Verwaltungsgericht ist gemäss Art. 1 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung vom 18. März 1994 (KVG) i.V.m. Art. 56 ff. des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vom 6. Oktober 2000 (ATSG) i.V.m. Art. 32 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zum Bundesgesetz über die Krankenversicherung vom 3. Mai 2015 (EG KVG) zur Behandlung der vorliegenden Beschwerde zuständig. Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.

 

1.2 Soweit die Beschwerdegegnerin zunächst geltend macht, es bestehe das Risiko eines Interessenkonflikts, indem die D.______GmbH, bei welcher der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers als Geschäftsführer fungiert, sowohl Leistungserbringerin als auch Arbeitgeberin der Pflegeperson des Beschwerdeführers sei, ist ihr nicht zu folgen. So liegt ein unzulässiger Interessenkonflikt nämlich nur dann vor, wenn der Anwalt die Wahrung der Interessen eines Klienten übernommen hat und dabei Entscheidungen zu treffen hat, mit denen er sich potentiell in Konflikt zu eigenen anderen ihm zur Wahrung übertragenen Interessen begibt. Massgebend dafür ist, dass sich der Anwalt in seinen Entscheidungen für den Klienten nicht frei fühlt, weil diese seinen eigenen die Interessen Dritter tangieren könnten, mit denen der Anwalt aus irgendwelchen Gründen verbunden ist. Eine unzulässige Interessenkollision liegt aber nur vor, wenn ein konkreter Interessenkonflikt besteht. Die bloss abstrakte Möglichkeit, dass eine Interessenkollision auftreten könnte, genügt nicht (BGE 134 II 108 E. 4.2.2, BGer-Urteil 1B_99/2013 vom 13. Mai 2013 E. 2.5 f.). Vorliegend sind die Interessen des Beschwerdeführers mit denjenigen der Leistungserbringerin deckungsgleich, da beide Parteien die Vergütung der Spitex-Leistungen durch die Krankenversicherung erreichen möchten (vgl. hierzu auch VGer-Urteil VG.2020.00104 vom 4. Februar 2021, nicht publiziert). Ein (konkreter) Interessenkonflikt liegt damit nicht vor.

 

2.

2.1 Der Beschwerdeführer macht sodann geltend, er leide seit Geburt an einer schweren Behinderung und sei aufgrund dessen rund um die Uhr hilfs-, betreuungs-, pflege- und überwachungsbedürftig. Es sei nicht zuletzt mit Blick auf die Empfehlungen von Fachverbänden sowie den behandelnden Ärzten von der Richtigkeit der Pflegebedarfsfeststellung durch die zugelassene Leistungserbringerin auszugehen. Andernfalls werde eine gerichtliche Expertise beantragt, um den behinderungsbedingten Pflegebedarf festzustellen. Das Bundesgericht habe im vorliegenden Fall die Leistungspflicht der Invalidenversicherung (IV) für medizinische Massnahmen verneint, da behinderungsbedingte Leistungen, für die kein Diplom notwendig sei, durch die Hilflosenentschädigung (HE) und den Intensivpflegezuschlag (IPZ) abgegolten seien. Diese Leistungen würden für den tatsächlichen Bedarf aber regelmässig nicht ausreichen, vor allem, wenn der massgebliche Spitex-Tarif angewandt werde. Höchstrichterlich sei denn auch festgehalten worden, dass die Krankenversicherung nach Art. 27 KVG subsidiär für Pflegekosten zuständig und damit verpflichtet sei, Kostenbeiträge gemäss Art. 7a Abs. 1 der Verordnung des EDI über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung vom 29. September 1995 (Krankenpflege-Leistungsverordnung, KLV) zu erbringen. Die HE hierbei nochmals abzuziehen bedeute eine unzulässige doppelte Anrechnung. Demgegenüber müsse in Anlehnung an Art. 69 ATSG eine Gegenüberstellung der behinderungsbedingten Kosten mit den teilweise kongruenten Versicherungsleistungen erfolgen. Im Falle einer Unterdeckung sei sodann zu klären, ob die nicht gedeckten Kosten vom obligatorischen Krankenversicherer zu übernehmen seien. Der Erwerbs-ausfall der pflegenden Angehörigen sei ebenfalls in die Überentschädigungsberechnung miteinzubeziehen. Dabei sei davon auszugehen, dass seine Mutter ihrer angestammten beruflichen Tätigkeit als Pflegefachfrau vollzeitig nachginge, wenn sie die Pflegeleistungen und übrigen Hilfs-, Betreuungs- und Überwachungsleistungen für ihn, den Beschwerdeführer, nicht erbringen würde. Zwar habe das Bundesgericht auf eine familienrechtliche Beistands- und Unterstützungspflicht hingewiesen. Es habe bis anhin aber nie unter Hinweis darauf einen Abzug im Zusammenhang mit der Geltendmachung von Pflegeleistungen gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. b und c KLV vorgenommen. Hinzu komme, dass seine Eltern nicht nur Pflege-, sondern auch andere behinderungsbedingte Versorgungsleistungen erbrächten und damit einer allfälligen Beistandspflicht mehr als nur nachkämen. Im sozialversicherungsrechtlichen Kontext bestehe schliesslich keine Schadenminderungspflicht für Angehörige der versicherten Person.

 

2.2 Die Beschwerdegegnerin macht geltend, die Tatsache, dass das Bundesgericht mit seinem Entscheid im vorliegenden Fall eine Leistungspflicht der IV für die nichttherapeutische Pflege und Betreuung verneint habe, führe nicht unweigerlich zu einer subsidiären Leistungspflicht ihrerseits. Hierfür müssten im konkreten Einzelfall sowohl die materiellen als auch die formellen Voraussetzungen erfüllt sein. Sie anerkenne zwar die Diagnose der zystischen Fibrose, bestreite aber die geltend gemachte Pflegebedürftigkeit. Der ärztliche Behandlungsbedarf sei ausgewiesen und unbestritten. Auch ein pflegerischer Versorgungsbedarf sei im Grundsatz zu bejahen, wenngleich dieser nicht mit Pflegebedürftigkeit gleichgesetzt werden dürfe und im Detail konkret in Pflichtleistungen und Nichtpflichtleistungen der primär zuständigen IV und allenfalls subsidiär zuständigen Krankenversicherung unterteilt werden müsse. Grundpflegerische Leistungen seien beim Beschwerdeführer, welcher keinerlei krankheitsbedingte Selbständigkeits- Mobilitätseinschränkungen habe und höchstens eine altersentsprechende Betreuung brauche, nicht ersichtlich und es bestehe weder Bedarf noch Anspruch auf grundpflegerische Leistungen durch eine externe Pflegeperson der Spitex. Ein Gutachten und die Feststellung des Pflegebedarfs sei aufgrund der bereits heute detaillierten Sachverhaltsdokumentation nicht erforderlich. Die strittigen Leistungen seien weder der Grund- noch Behandlungspflege nach Art. 7 Abs. 2 lit. b und c KLV zuzuordnen, womit auch eine Leistungspflicht für Leistungen nach Art. 7 Abs. 2 lit. a KLV entfalle. Ausserhalb akuter Erkrankungssituationen hätten die tägliche Inhalation, die körperliche Aktivierung sowie die allfällige Einnahme von Medikamenten und Pankreasenzymen auch einen grossen vorsorglichen und nicht einzig therapeutischen Charakter. Sie anerkenne sodann grundsätzlich, dass die HE und der IPZ in Einzelfällen unter Umständen nicht ausreichten, um die tatsächlich erbrachten Pflegeleistungen vollständig abzugelten. Dies treffe auf den vorliegenden Fall jedoch nicht zu. Die IV vergüte mit HE im Sonderfall jenen geburtsgebrechensbedingten Mehraufwand, welchen die Mutter des Beschwerdeführers für diesen erbringe und für welchen es keine medizinische Fachqualifikation brauche. Alternativ seien die strittigen Leistungen von den Eltern des Beschwerdeführers im Rahmen ihrer familienrechtlichen Beistands- und Unterstützungspflichten zu erbringen. Allein die Tatsache, dass vorliegend sowohl ein zugelassener Leistungserbringer sowie eine angestellte Familienangehörige mit medizinischer Berufsqualifikation als auch ärztliche Anordnungen vorlägen, berechtige nicht ohne Weiteres zu einer Leistungsübernahme durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung. Mit Blick auf das durchaus bestehende Missbrauchspotenzial sei zu fordern, dass in atypischen Konstellationen, namentlich wo die Tätigkeit als Angestellte Angestellter der Spitex einzig in der Pflege von Familienangehörigen bestehe, sowohl die Kriterien der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit der Leistungen nach Art. 32 Abs. 1 KVG als auch das Vorliegen der Anspruchsberechtigung nach Art. 7 Abs. 2 KLV genauer zu überprüfen seien. Schliesslich sei kein Nachweis eines Lohnausfalls der Mutter des Beschwerdeführers aufgrund der strittigen Leistungen ins Recht gelegt worden, womit dies lediglich eine Parteibehauptung darstelle.

 

3.

3.1 Nach Art. 27 KVG übernimmt die obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP) bei Geburtsgebrechen, die nicht durch die IV gedeckt sind, die Kosten für die gleichen Leistungen wie bei Krankheit. Nach Art. 25a Abs. 1 KVG leistet sie einen Beitrag an die Pflegeleistungen, welche aufgrund einer ärztlichen Anordnung und eines ausgewiesenen Pflegebedarfs ambulant erbracht werden. Diese werden gemäss Art. 7 Abs. 1 KLV unterteilt in Untersuchungen, Behandlungen und Pflegemassnahmen, welche aufgrund der Bedarfsabklärung nach Art. 7 Abs. 2 lit. a KLV und nach Art. 8 KLV auf ärztliche Anordnung hin im ärztlichen Auftrag erbracht werden. Leistungen im Sinne von Art. 7 Abs. 1 KLV sind dabei gemäss Art. 7 Abs. 2 KLV Massnahmen der Abklärung, Beratung und Koordination (lit. a), Massnahmen der Untersuchung und der Behandlung (lit. b) und Massnahmen der Grundpflege (lit. c). Die Leistungen müssen nach Art. 32 Abs. 1 KVG wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sein.

 

3.2 Art. 27 KVG und Art. 25a KVG schliessen nicht aus, dass Krankenpflegeleistungen nach Art. 7 KLV auch an Personen erbracht werden, die Leistungen der IV nach Art. 13 f. des Bundesgesetzes vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG) beziehen. Die darauf gestützten Leistungen decken den Pflegeaufwand nämlich nicht ab, namentlich, weil Leistungen, welche auch durch andere Personen als durch medizinisches Fachpersonal erbracht werden können, nicht erfasst sind. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass die HE und der IPZ der IV mindestens teilweise auch Leistungen abdecken, welche die OKP unter dem Titel Pflegeleistungen erbringt. Die ständige und besonders aufwändige Pflege bzw. die Behandlungs- und Grundpflege, welche nach Art. 37 Abs. 3 lit. c bzw. Art. 39 Abs. 2 der Verordnung über die Invalidenversicherung vom 17. Januar 1961 (IVV) Voraussetzung für einen Anspruch auf HE bzw. IPZ ist, überschneidet sich materiell mit den Krankenpflegeleistungen gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. b und c KLV. Demzufolge steht die Leistungskumulation gemäss Art. 122 der Verordnung über die Krankenversicherung vom 27. Juni 1995 (KVV) unter dem Vorbehalt einer durch die HE bzw. den IPZ bewirkten Überentschädigung (BGE 146 V 253 E. 2.2.2; BGer-Urteil 9C_886/2010 vom 10. Juni 2011 E. 4.4 f.).

 

4.

4.1 Für die Beurteilung des Gesundheitszustands und der rechtlichen Folgen sind Versicherungsträger und Gerichte auf Angaben ärztlicher Expertinnen und Experten angewiesen. Deren Aufgabe ist es, sämtliche Auswirkungen einer Krankheit eines Unfalls auf den Gesundheitszustand der Versicherten zu beurteilen und zu umschreiben. Diese Einschätzungen haben die Verwaltung und die kantonalen Versicherungsgerichte nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (Art. 61 lit. c ATSG) ohne Bindung an förmliche Beweisregeln umfassend und pflichtgemäss zu würdigen. Für das Beschwerdeverfahren bedeutet dies, dass das Gericht alle Beweismittel, unabhängig davon, von wem sie stammen, objektiv zu prüfen und danach zu entscheiden hat, ob die verfügbaren Unterlagen eine zuverlässige Beurteilung des streitigen Rechtsanspruchs gestatten. Hinsichtlich des Beweiswerts eines Arztberichts ist entscheidend, ob dieser für die streitigen Belange umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, die geklagten Beschwerden berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten (Anamnese) abgegeben worden ist, in der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge und in der Beurteilung der medizinischen Situation einleuchtet und ob die Schlussfolgerungen begründet sind. Ausschlaggebend für den Beweiswert ist grundsätzlich somit weder die Herkunft eines Beweismittels noch die Bezeichnung der eingereichten in Auftrag gegebenen Stellungnahme als Bericht Gutachten (vgl. BGE 125 V 351 E. 3a, mit Hinweisen).

 

4.2 Die Verwaltung als verfügende Instanz und – im Beschwerdefall – das Gericht dürfen eine Tatsache nur dann als bewiesen annehmen, wenn sie von ihrem Bestehen überzeugt sind. Im Sozialversicherungsrecht hat das Gericht seinen Entscheid, sofern das Gesetz nicht etwas Abweichendes vorsieht, nach dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu fällen. Die blosse Möglichkeit eines bestimmten Sachverhalts genügt den Beweisanforderungen nicht (BGE 138 V 218 E. 6).

 

5.

5.1 Das Bundesgericht hat für das vorliegende Verfahren verbindlich festgehalten, dass die OKP leistungspflichtig sein kann (BGer-Urteil 9C_773/2020 vom 15. März 2021 E. 4.2.3). Sodann hat es die strittigen Leistungen insofern bereits klassifiziert, als dass dafür keine medizinische Fachqualifikation notwendig ist (E. 4.1). Demgegenüber wird für Leistungen nach Art. 7 Abs. 2 lit. a und b KLV eine medizinische Fachqualifikation vorausgesetzt (vgl. BGE 145 V 161 E. 5.3). Demgemäss fällt eine Übernahme der vom Beschwerdeführer in Rechnung gestellten Leistungen durch die Beschwerdegegnerin lediglich gestützt auf Art. 7 Abs. 2 lit. c Ziff. 1 KLV (Grundpflegeleistungen) in Betracht. Dies gilt für sämtliche im Recht liegenden Rechnungen, zumal jeweils die gleichen Leistungen erbracht wurden und sich lediglich die Verteilung bzw. der zeitliche Aufwand geändert hat.

 

5.2

5.2.1 Die OKP übernimmt Pflegemassnahmen, die aufgrund der Bedarfsabklärung nach Art. 7 Abs. 2 lit. a i.V.m. Art. 8 KLV auf ärztliche Anordnung hin im ärztlichen Auftrag erbracht werden. Die Bedarfsermittlung hat durch einen Pflegefachmann eine Pflegefachfrau zu erfolgen (Art. 8a Abs. 1 KLV). Vorliegend stellt sich die Beschwerdegegnerin offenbar auf den Standpunkt, der Beschwerdeführer habe keinen Bedarf an Grundpflegeleistungen nach Art. 7 Abs. 2 lit. c KLV. Indessen anerkennt sie gleichzeitig einen pflegerischen Versorgungsbedarf, sieht diesen aber durch die Leistungen der IV als gedeckt.

 

5.2.2 Vorliegend wurde die Pflegeabklärung durch E.______, Pflegefachfrau FH der Spitex-Organisation, durchgeführt und die Spitexverordnung sodann jeweils von Dr. med. F.______, Oberarzt Pneumologie, unterzeichnet. Damit erscheinen die in Art. 7 ff. KLV enthaltenen Voraussetzungen auf den ersten Blick als erfüllt. Worauf die Beschwerdegegnerin ihre Einschätzung, der Beschwerdeführer habe keinen Bedarf an Grundpflegeleistungen, abstützt, bleibt indessen unklar, zumal sie selbst keine medizinischen Untersuchungen durchgeführt solche in Auftrag gegeben hat. Dennoch stellt sie sich auf den Standpunkt, dass die erbrachten Leistungen einen präventiven Charakter aufweisen würden. Es ist davon auszugehen, dass sie hiermit zum Ausdruck bringen will, dass diese nicht als Grundpflegeleistungen gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. c KLV anzusehen und deshalb nicht durch die OKP zu vergüten sind. Auch diese Einschätzung wird aber durch keine entsprechenden medizinischen Untersuchungen Beweismittel ihrerseits untermauert.

 

5.2.3 Gestützt auf die vom Beschwerdeführer eingereichten Unterlagen spricht demgegenüber einiges für den geltend gemachten Pflegebedarf. Den beurteilenden medizinischen Fachpersonen wird hierbei zudem ein gewisser Spielraum zugestanden (vgl. Gebhard Eugster, in Hans-Ulrich Stauffer/Basile Cardinaux [Hrsg.], Rechtsprechung des Bundegerichts zum KVG, 2. A., Zürich/Basel/Genf 2018, S. 192). Der Beschwerdegegnerin ist indessen darin beizupflichten, dass bei pflegenden Familienangehörigen wegen des Missbrauchpotentials eine genauere Kontrolle notwendig ist (BGer-Urteil 9C_702/2010 vom 21. Dezember 2010, E. 7.1). Hierfür hätte sie die vom Beschwerdeführer eingereichten Unterlagen denn aber auch eingehend prüfen und eine medizinische Einschätzung einholen müssen. Einzig auf das bereits abgeschlossene invalidenversicherungsrechtliche Verfahren abzustellen, genügt hierbei zumindest nicht, da darin nicht der Bedarf, sondern die erforderliche Fachqualifikation für die jeweilige Leistung strittig war.

 

5.3 Damit erweist sich der Pflegebedarf des Beschwerdeführers als ungenügend abgeklärt, was Aufgabe der Beschwerdegegnerin ist und sie dementsprechend nachzuholen hat. Dementsprechend wird sie zun.hst abklären müssen, welchen Bedarf der Beschwerdeführer an Grundpflegeleistungen gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. c KLV aufweist. Alsdann wird sie prüfen müssen, ob die erbrachten Leistungen wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sind (vgl. Art. 32 KVG). Diejenigen, welche die IV bereits im Rahmen der medizinischen Leistungen in Akutsituationen erbringt, sind in Abzug zu bringen bzw. nicht erneut zu vergüten. Sofern daraufhin feststeht, dass Grundpflegeleistungen in der OKP versichert und nach Art. 7 Abs. 2 lit. c KLV zu übernehmen sind, kann deren Vergütung nicht mit einem pauschalen Verweis auf die familienrechtliche Fürsorgepflicht der Eltern verneint werden, da hierfür im Sozialversicherungsrecht keine gesetzliche Grundlage besteht. Die Abgrenzung zu allfälligen familienrechtlichen Pflichten erfolgt bereits im Rahmen der medizinischen Abklärungen und der Prüfung gemäss Art. 32 KVG. Leistungen mit medizinischer Notwendigkeit und entsprechender Vergütungspflicht der OKP ist inhärent, dass sie das übliche Mass der elterlichen Fürsorgepflicht überschreiten. In diesem Fall hat die OKP die Leistung zu vergüten, nicht zuletzt, da die versicherte Person hierfür Prämien geleistet hat. Alsdann wird durch die Beschwerdegegnerin zu prüfen sein, in welchem Ausmass sich die Leistungen der OKP mit denjenigen der IV überschneiden und eine allfällige Vergütung wäre sodann entsprechend dem Überentschädigungsverbot anzupassen. Aufseiten des Beschwerdeführers ist hierbei auch ein allfälliger Erwerbsausfall der Pflegenden miteinzubeziehen, wenn Letztere ihre Erwerbstätigkeit reduziert aufgeben haben, um Betreuungs- und Pflegeleistungen zu seinen Gunsten zu erbringen (vgl. Art. 69 Abs. 2 ATSG). Es ist an dieser Stelle schliesslich bereits darauf hinzuweisen, dass nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung bis anhin noch nie ein vollständiger Abzug der IV-Leistungen von denjenigen der OKP vorgenommen wurde, womit bei Annahme einer Leistungspflicht voraussichtlich ein von der OKP zu übernehmender Restbetrag verbleiben würde.

 

6.

6.1 Gemäss neuer bundesgerichtlicher Rechtsprechung können die Sozialversicherungsgerichte nicht mehr frei entscheiden, ob sie eine Streitsache zur neuen Begutachtung an die Verwaltung zurückweisen. Die Beschwerdeinstanz hat vielmehr im Regelfall selbst ein Gerichtsgutachten einzuholen, wenn sie einen im Verwaltungsverfahren anderweitig erhobenen Sachverhalt überhaupt für gutachterlich abklärungsbedürftig hält wenn ein Administrativgutachten in einem rechtserheblichen Punkt nicht beweiskräftig ist. Eine Rückweisung an die Vorinstanz bleibt hingegen möglich, wenn sie allein in der notwendigen Erhebung einer bisher vollständig ungeklärten Frage begründet ist oder, wenn lediglich eine Klarstellung, Präzisierung Ergänzung von gutachterlichen Ausführungen erforderlich ist (BGE 137 V 210 E. 4.4.1 ff.).

 

6.2 Die Beschwerdegegnerin hat es im Verwaltungsverfahren unterlassen, den Pflegebedarf, die Notwendigkeit der erbrachten Leistungen sowie die Vergütungspflicht nach Art. 7 Abs. 2 lit. c KLV zu prüfen. Sie ist lediglich pauschal und ohne weitere Abklärungen davon ausgegangen, dass ein allfälliger Bedarf entweder nicht existiere bereits durch die IV die familiäre Fürsorgepflichten abgedeckt sei, was ungenügend ist. Richtigerweise hat sie zunächst den Bedarf medizinisch abzuklären und daraufhin zu prüfen, in welchem Ausmass die hierfür erbrachten Leistungen durch die IV-Leistungen abgedeckt sind. Da es nicht Aufgabe des kantonalen Sozialversicherungsgerichts sein kann, im Verwaltungsverfahren versäumte Abklärungen zu veranlassen, erweist sich eine Rückweisung an die Beschwerdegegnerin als zulässig. Dies entspricht auch dem Eventualantrag des Beschwerdeführers.

 

Dies führt zur teilweisen Gutheissung der Beschwerde. Der Einspracheentscheid der Beschwerdegegnerin vom 21. Juni 2022 ist aufzuheben und die Sache ist im Sinne der Erwägungen an diese zurückzuweisen.

 

III.

1.

Die Gerichtskosten sind von Gesetzes wegen auf die Staatskasse zu nehmen (Art. 1 Abs. 1 KVG i.V.m. Art. 61 lit. fbis ATSG e contrario). Da bei einer Rückweisung der Sache an die Vorinstanz mit offenem Ausgang hinsichtlich der Kosten- und Entschädigungsfolgen von einem Obsiegen der beschwerdeführenden Partei auszugehen ist, hat der Beschwerdeführer zu Lasten der Beschwerdegegnerin Anspruch auf eine angemessene Parteientschädigung (Art. 1 Abs. 1 KVG i.V.m. Art. 61 lit. g ATSG). Diese ist auf Fr. 1'500.- (inkl. Mehrwertsteuer) festzusetzen.

 

2.

Gegen diesen Zwischenentscheid steht die Beschwerde ans Bundesgericht nur nach Massgabe von Art. 93 Abs. 1 des Gesetzes über das Bundesgericht vom 17. Juni 1995 (BGG) offen.

Demgemäss erkennt die Kammer:

1.

Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Einspracheentscheid der Beschwerdegegnerin vom 21. Juni 2022 wird aufgehoben und die Sache wird im Sinne der Erwägungen an diese zurückgewiesen.

2.

Die Gerichtskosten werden auf die Staatskasse genommen.

3.

Die Beschwerdegegnerin wird verpflichtet, dem Beschwerdeführer innert 30 Tagen nach Rechtskraft dieses Entscheids eine Parteientschädigung von Fr. 1'500.- (inkl. Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.

Schriftliche Eröffnung und Mitteilung an:

 

[…]

 



 
Quelle: https://findinfo.gl.ch
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