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Urteil Appellationsgericht (BS - ZB.2021.48 (AG.2022.79))

Zusammenfassung des Urteils ZB.2021.48 (AG.2022.79): Appellationsgericht

Die Mieterin A____ mietete 2012 eine Wohnung von B____ in Basel. Nachdem es zu Streitigkeiten bezüglich Nebenkostenabrechnungen kam, kündigte der Vermieter das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs. Die Mieterin focht die Kündigung an, und nach verschiedenen Verhandlungen bestätigte das Zivilgericht die Gültigkeit der Kündigung und erstreckte das Mietverhältnis bis Februar 2022. Die Mieterin legte Berufung ein, um die Kündigung aufzuheben oder das Mietverhältnis bis 2023 zu verlängern. Das Appellationsgericht bestätigte jedoch die Gültigkeit der Kündigung und wies die Berufung ab. Die Gerichtskosten für die Berufung betrugen CHF 300.-.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts ZB.2021.48 (AG.2022.79)

Kanton:BS
Fallnummer:ZB.2021.48 (AG.2022.79)
Instanz:Appellationsgericht
Abteilung:
Appellationsgericht Entscheid ZB.2021.48 (AG.2022.79) vom 26.01.2022 (BS)
Datum:26.01.2022
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Kündigung und Erstreckung des Mietvertrags
Schlagwörter: Eigenbedarf; Vermieter; Kündigung; Miete; Mieterin; Zivilgericht; Wohnung; Berufung; Enkelin; Eigenbedarfs; Vermieters; Recht; Entscheid; Erstreckung; Gericht; Zivilgerichts; Schulweg; Basel; Mietverhältnis; Interesse; Bundesgericht; Appellationsgericht; Klage; Zivilgerichtsentscheid; Mietzins; Minuten
Rechtsnorm: Art. 113 BGG ;Art. 42 BGG ;
Referenz BGE:118 II 50; 137 III 389; 142 III 336;
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts ZB.2021.48 (AG.2022.79)

Appellationsgericht

des Kantons Basel-Stadt

Dreiergericht


ZB.2021.48


ENTSCHEID


vom 2. Februar2022



Mitwirkende


Dr. Olivier Steiner, Dr. Claudius Gelzer, lic. iur. André Equey

und Gerichtsschreiber PD Dr. Benedikt Seiler




Parteien


A____ Berufungsklägerin

[...] Beklagte

vertreten durch [...], Rechtsanwältin,

[...]

gegen


B____ Berufungsbeklagter

[...] Kläger

vertreten durch [...], Advokat,

[...]



Gegenstand


Berufung gegen einen Entscheid des Zivilgerichts

vom 23. August 2021


betreffend Kündigung und Erstreckung des Mietvertrags



Sachverhalt


Mit Mietvertrag vom 7. Dezember 2012 mietete A____ (Mieterin) von B____ (Vermieter) eine 3-Zimmerwohnung an der [...] in Basel. Am 6. Juni 2020 reichte sie bei der Staatlichen Schlichtungsstelle für Mietstreitigkeiten (Schlichtungsstelle) ein Schlichtungsgesuch wegen fehlender Nebenkostenabrechnung für den Zeitraum April 2018 bis März 2019 ein; später erweiterte sie ihr Schlichtungsgesuch dahingehend, dass der Vermieter zur Herausgabe aller Hauswartungs- und Gartenunterhaltsverträge und zur Vorlage der detaillierten Nebenkostenabrechnungen für die gesamte Mietdauer zu verpflichten sei. Mit Schreiben vom 24. November 2020 kündigte der Vermieter das Mietverhältnis wegen dringenden Eigenbedarfs.


Die Mieterin focht diese Kündigung bei der Schlichtungsstelle an. An der Schlichtungsverhandlung vom 11. Februar 2021 wurde für die Nebenkosten ein Vergleich gefunden. Mit Urteilsvorschlag vom 12. Februar 2021 hob die Schlichtungsstelle sodann die Kündigung vom 24. November 2020 als missbräuchlich auf. Nachdem der Vermieter diesen Urteilsvorschlag abgelehnt hatte, gelangte er mit Klage vom 7. April 2021 an das Zivilgericht Basel-Stadt. Er beantragte, es sei festzustellen, dass die Kündigung vom 24. November 2020 gültig sei. Mit Klageantwort vom 30. Juni 2021 beantragte die Mieterin, es sei die Klage abzuweisen; eventualiter sei das Mietverhältnis angemessen zu erstrecken. Am 23.August 2021 führte das Zivilgericht eine Hauptverhandlung durch. Mit Entscheid vom gleichen Tag stellte es fest, dass die Kündigung gültig sei und erstreckte das Mietverhältnis erstmalig bis zum 28. Februar 2022. Auf Gesuch der Mieterin wurde dieser Entscheid schriftlich begründet.


Gegen den schriftlich begründeten Entscheid erhob die Mieterin am 20. Oktober 2021 Berufung beim Appellationsgericht Basel-Stadt. Darin beantragt sie die Aufhebung der Kündigung. Eventualiter sei der Zivilgerichtsentscheid aufzuheben und der Fall zur Neubeurteilung an das Zivilgericht zurückzuweisen. Subeventualiter sei das Mietverhältnis erstmalig bis Ende August 2023 zu erstrecken. Mit Berufungsantwort vom 6.Dezember 2021 beantragt der Vermieter die Abweisung der Berufung. Mit unaufgefordert eingereichter Replik vom 10. Januar 2022 hält die Mieterin an ihrer Berufung fest. Die Akten des Zivilgerichts wurden beigezogen. Der vorliegende Entscheid wurde auf dem Zirkulationsweg gefällt.


Erwägungen


1. Eintreten

In vermögensrechtlichen Angelegenheiten steht die Berufung gegen erstinstanzliche Entscheide offen, wenn der Streitwert der zuletzt aufrechterhaltenen Rechtsbegehren mindestens CHF10'000.- beträgt (Art.308 Abs.2 der Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO, SR272]). Ist wie vorliegend die Gültigkeit einer Kündigung umstritten, entspricht der Streitwert dem Mietzins, der bis zum Zeitpunkt geschuldet ist, auf den frühestens eine neue Kündigung ausgesprochen werden könnte, sollte sich die angefochtene Kündigung als ungültig erweisen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist dabei die dreijährige Frist nach Art. 271a Abs. lit. e des Obligationenrechts (OR, SR 220) zu berücksichtigen, während welcher der Vermieter nicht kündigen darf (BGE 137 III 389 E. 1.1 S. 390 f., 144 III 346 E. 1.2.2 S. 347-349). Nach der Praxis des Appellationsgerichts ist für die Streitwertberechnung nicht der Nettomietzins massgebend, sondern der Bruttomietzins (AGE ZB.2019.8 vom 6. Juni 2019 E.1). Im vorliegenden Fall beträgt der monatliche Bruttomietzins CHF 1'327.50 (Mietzinsanpassung vom 24. April 2020 [Klageantwortbeilage 3]), so dass der massgebliche Streitwert von CHF10'000.- ohne Weiteres erreicht wird (36 Monatsbruttomietzinsen à CHF 1327.50 = CHF47790.-). Auf die im Übrigen frist- und formgerecht erhobene Berufung ist demnach einzutreten.


Zuständig zur Beurteilung der vorliegenden Berufung ist das Dreiergericht des Appellationsgerichts (§92 Ziff.6 des Gerichtsorganisationsgesetzes [GOG, SG154.100]).


2. Kündigung des Mietverhältnisses wegen dringenden Eigenbedarfs


2.1 Im angefochtenen Entscheid prüfte das Zivilgericht in erster Linie die Frage, ob die Kündigung des Vermieters vom 24. November 2020 missbräuchlich sei. Es legte zu diesem Zweck zunächst die Standpunkte der Parteien dar. Der Vermieter begründe die Kündigung mit dringendem Eigenbedarf für seine Enkelin. Diese besuche das Gymnasium in Basel, durchlebe eine schwierige Phase in ihrer Familie in [...] und befinde sich aus diesem Grund seit Ende März 2021 in psychotherapeutischer Behandlung. Eine eigene Wohnung in der Nähe der Schule werde sich stressreduzierend auf sie und ihre Familie auswirken. Die fragliche Wohnung sei zudem die günstigste in der Liegenschaft des Vermieters. Die Mieterin wende dagegen ein, dass der Vermieter eine nachvollziehbare Dringlichkeit nicht darlege. Aus der Länge des Schulwegs ergebe sich keine Dringlichkeit. Der dringende Eigenbedarf aufgrund der psychotherapeutischen Behandlung erscheine als vorgeschoben. Auch sei unklar, weshalb die Enkelin in Basel zur Schule gehe, ob sie arbeite und ob sie die Wohnung selber zahle. Zudem bestreite die Mieterin, dass die gekündigte Wohnung die günstigste in der Liegenschaft sei. Bereits im Jahr 2016 habe der Vermieter nach dem Geltendmachen von Nebenkostenforderungen durch die Mieterin die Kündigung ausgesprochen, die aber nicht Bestand gehabt habe. Es sei offensichtlich, dass der wahre Kündigungsgrund darin bestehe, dass der Vermieter eine unliebsame Mieterin loswerden wolle (Zivilgerichtsentscheid, E. 3.1). Sodann legte das Zivilgericht die Voraussetzungen dar, unter welchen ein dringender Eigenbedarf des Vermieters zu bejahen sei (E. 3.2). Schliessich prüfte es die vorgebrachten Argumente der Parteien:Im Ergebnis bejahte es einen dringenden Eigenbedarf, dies im Wesentlichen gestützt auf eine Erklärung der Enkelin vom 2. April 2021, in welcher diese ausführt, aus welchen schulischen, familiären und persönlichen Gründen sie auf die Wohnung angewiesen sei. Es gebe keinen Grund, dass diese Erklärung nicht ernstgemeint sei nur dazu diene, dem Vermieter zu helfen, eine unliebsame Mieterin loszuwerden. Die Einwände der Mieterin zum Einkommen der Enkelin, zur Finanzierung der Wohnung, zur Länge des Schulwegs, zum Schulort, zur Dauer der psychotherapeutischen Behandlung sowie zu den Mietzinsen und Wohnflächen der anderen Wohnungen liessen keinen Zweifel daran aufkommen, dass der geltend gemachte Eigenbedarf unmittelbar, tatsächlich und aktuell sei. Von einer Befragung der Enkelin als Zeugin sei abzusehen, da anzunehmen sei, dass sie die in der Erklärung vom 2.April 2021 gemachten Aussagen bestätigen würde. Damit sei der dringende Eigenbedarf gegeben und die Kündigung vom 24. November 2020 gültig (E.3.3).


In ihrer Berufung gegen diesen Entscheid wendet die Mieterin im Kern dreierlei ein:Erstens habe das Zivilgericht zu Unrecht ein Glaubhaftmachen des dringenden Eigenbedarfs genügen lassen und vom Vermieter nicht den vollen Beweis des dringenden Eigenbedarfs verlangt. Zweitens belegten der lange Schulweg und die familiären Probleme der Enkelin keinen dringenden Eigenbedarf. Drittens handle es sich entgegen der Darstellung des Vermieters bei der Wohnung der Mieterin nicht um die kleinste und billigste Wohnung in der Liegenschaft. Dem ersten Einwand wird in E.2.2.3 nachgegangen. Der zweite und der dritte Einwand werden in E. 2.3 geprüft.


2.2

2.2.1 Die Kündigung des Vermieters vom 24. November 2020 ist unbestrittenermassen während einer laufenden dreijährigen Kündigungssperrfrist erfolgt (Art. 271a Abs. 1 lit. e OR). Diese Sperrfrist ist nicht anwendbar, wenn die Kündigung ausgesprochen wird wegen dringenden Eigenbedarfs des Vermieters für sich, nahe Verwandte Verschwägerte (Art. 271a Abs. 3 lit.a OR).

Der Begriff des dringenden Eigenbedarfs findet sich in Art. 261 Abs. 2 lit. e, Art. 271a Abs. 3 lit. a und Art.272 Abs. 2 lit. d OR. Der Begriff hat in den drei Bestimmungen allerdings nicht dieselbe Bedeutung: In Art. 272 Abs. 2 lit. d OR ist er lediglich ein Interesse von mehreren Interessen des Vermieters, die das Gericht gegen die Interessen der Mieterin abwägen muss, um über die Erstreckung des Mietverhältnisses zu befinden. In den Art. 261 Abs. 2 lit. e und Art. 271a Abs. 3 lit. a OR dagegen entscheidet der dringende Eigenbedarf über die Gültigkeit der Kündigung (vgl. zum Ganzen BGE 142 III 336 E.5.2.1). Bei der Beurteilung der Gültigkeit der Kündigung hat der dringende Eigenbedarf grundsätzlich Vorrang vor dem Interesse der Mieterin (BGE 118 II 50 E.3c). Die Gültigkeit der Kündigung hängt mit anderen Worten nicht von einer Abwägung der Interessen des Vermieters (Eigenbedarf) und der Interessen der Mieterin ab (Interesse am Verbleib in der Wohnung). Diese Interessenabwägung ist einzig im Rahmen der Prüfung der Erstreckung vorzunehmen (BGer 4A_639/2018 vom 21. November 2019 E. 5.3.2.3).

2.2.2 Das Erfordernis der Dringlichkeit des Eigenbedarfs im Sinn von Art. 271a Abs.3 lit. a OR (und Art. 261 Abs. 2 lit. e OR) enthält ein sachliches und ein zeitliches Element: In sachlicher Hinsicht muss der dringende Eigenbedarf tatsächlich sein. Die angerufenen Gründe müssen nach objektiver Beurteilung ei­ne gewisse Bedeutung haben. Es genügt, dass man aus wirtschaftlichen anderen - etwa persönlichen - Gründen vom Vermieter vernünftigerweise nicht verlangen kann, dass er auf den Gebrauch der vermieteten Räume verzichtet. Eine Zwangs- Notlage des Vermieters wird aber nicht verlangt. Dagegen ist der Eigenbedarf nicht tatsächlich, wenn der angerufene Grund vorgeschoben missbräuchlich ist (vgl. zum Ganzen BGer 4A_639/2018 vom 21. November 2019 E. 5.3.2.2).

In zeitlicher Hinsicht muss der Bedarf unmittelbar und aktuell sein. Bei einer Kündigung im Sinn von Art. 271a Abs. 3 lit a OR ist der Eigenbedarf unmittelbar, wenn er sich voraussichtlich innert mehr weniger kurzer Frist konkretisiert; dabei ist zu prüfen, ob es dem Vermieter im von ihm gewählten Kündigungszeitpunkt zumutbar gewesen wäre, den Ablauf der Kündigungssperrfrist abzuwarten und erst dann zu kündigen. Der Eigenbedarf muss sodann auch aktuell sein; ein zukünftiger, bloss möglicher Bedarf genügt nicht (vgl. zum Ganzen BGer 4A_639/2018 vom 21. November 2019 E. 5.3.2.1).

2.2.3 Beim Entscheid über die Frage, ob der Vermieter einen dringenden Eigenbedarf hat, muss das Gericht alle erheblichen Umstände des Einzelfalls im Zeitpunkt der Kündigung würdigen. Dabei verfügt es über einen weiten Ermessensspielraum. Ob ein dringender Eigenbedarf vorliegt, beurteilt sich in Bezug auf den Zeitpunkt, in welchem die Kündigung ausgesprochen wird. Ereignisse, die nach der Kündigung eintreten, können die Begründung nicht im Nachhinein beeinflussen; sie können aber die Absichten des Vermieters im Zeitpunkt der Kündigung erhellen (vgl. zum Ganzen BGer 4A_639/2018 vom 21. November 2019 E. 5.4).

Im Allgemeinen obliegt es der Empfängerin der Kündigung zu beweisen, dass diese aus einem verpönten ohne schützenswerten Grund erfolgte. Der Kündigende hat jedoch redlich zur Wahrheitsfindung beizutragen; er hat im Bestreitungsfall alle für die Beurteilung des angegebenen Kündigungsgrunds notwendigen Unterlagen vorzulegen. In diesem Sinn hat der Kündigende den Kündigungsgrund mindestens glaubhaft zu machen (zum Ganzen vgl. BGer 4A_525/2009 vom 15. März 2010 E.10.1). Im besonderen Fall der Kündigung während einer Sperrfrist, die der Vermieter mit dringendem Eigenbedarf begründet (Art. 271 Abs. 3 lit. a OR), trägt der Vermieter die Beweislast für seinen dringenden Eigenbedarf (BGE 142 III 336 E. 5.2.4). Beim anwendbaren Beweismass stellt sich die Frage, ob der Vermieter im Einklang mit den dargelegten allgemeinen Grundsätzen den Kündigungsgrund des dringenden Eigenbedarfs lediglich glaubhaft machen ob er diesen strikt beweisen muss. Das Bundesgericht spricht in diesem Zusammenhang regelmässig davon, dass der Vermieter den dringenden Eigenbedarf aufzeigen («démontrer») (vgl. etwa BGer 4A_225/2007 vom 24. Oktober 2007 E. 5.2.3; BGer 4A_52/2015 vom 9. Juni 2015 E.2.2) erstellen muss («établir») (vgl. etwa BGer 4A_225/2007 vom 24. Oktober 2007 E. 5.2.2; BGer 4A_85/2008 vom 12. Juni 2008 E. 3.1; BGer 4A_23/2009 vom 24.März 2009 E. 3.1; BGer 4A_447/2013 vom 20. November 2013 E. 4.1; BGer 4A_52/2015 vom 9. Juni 2015 E. 2.2; BGer 4A_639/2018 vom 21. November 2019 E.5.1). Zuweilen führt das Bundesgericht auch aus, dass der Vermieter den dringenden Eigenbedarf «behaupten» und «belegen» muss (BGer 4A_284/2019 vom 1. Oktober 2019 E. 2.3.1; so auch Higi, Zürcher Kommentar, 4. Auflage 1996, Art.271a OR N204). Eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Frage des Beweismasses im Rahmen von Art. 271a Abs. 3 lit. c OR findet sich in den genannten Entscheiden nicht. Die Frage kann letztlich auch offenbleiben, da der Vermieter im vorliegenden Fall einen dringenden Eigenbedarf jedenfalls hinreichend behauptet und belegt hat (vgl. nachfolgende E.2.3).

2.3

2.3.1 Im vorliegenden Fall fragt sich, ob der Vermieter im Zeitpunkt der Kündigung - am 24. November 2020 - einen dringenden Eigenbedarf im Sinn der in E. 2.2 dargelegten Grundsätze hatte und diesen hinreichend behauptet und belegt hat. Es ist im Folgenden zu prüfen, ob sein Eigenbedarf beziehungsweise derjenige seiner Enkelin tatsächlich, aktuell und unmittelbar war.


2.3.2 In sachlicher Hinsicht ist ein dringender Eigenbedarf im Sinn eines tatsächlichen Bedarfs zu bejahen. Der geltend gemachte Grund - der Wunsch der Enkelin des Vermieters, eine Wohnung in der Nähe ihrer Schule zu beziehen und dem belastenden Verhältnis zur Familie aus dem Weg zu gehen - hat ohne Weiteres eine gewisse Bedeutung und ist in diesem Sinn tatsächlich. Ihren Wunsch erläuterte die Enkelin eingehend in einer Erklärung vom 2. April 2021 (Klagebeilage 12). Auf diese Erklärung stellte auch das Zivilgericht massgeblich ab (Zivilgerichtsentscheid, E. 3.3).


Die Mieterin zieht die Erklärung der Enkelin sowohl in Bezug auf die Länge des Schulwegs als auch in Bezug auf die familiären Probleme in Zweifel. In Bezug auf den Schulweg macht die Mieterin geltend, es sei nicht ersichtlich, weshalb dieser - nach beinahe 3 ¾ Jahren - plötzlich nicht mehr zumutbar sein soll. Zudem sei die Angabe in der Erklärung der Enkelin vom 2. April 2021 insofern nachweislich falsch, als das Tram nach [...] nicht wie behauptet im 30-Minuten-Takt, sondern im 15-Minuten-Takt verkehre. Der Wunsch der Enkelin, die fragliche Wohnung in Anspruch zu nehmen, sei vor diesem Hintergrund nicht dringend. Die Begründung des Eigenbedarfs mit dem Schulweg erscheine in dieser Situation und angesichts des engen zeitlichen Zusammenhangs zwischen dem Schlichtungsgesuch der Mieterin und der Kündigung des Vermieters als vorgeschoben (Berufung, Rz 9). Der Vorwurf der Mieterin, die Erklärung der Mieterin sei in Bezug auf die Länge des Schulwegs nachweislich falsch, ist unzutreffend: Wie sich dem von der Mieterin eingereichten Haltestellenfahrplan (Klageantwortbeilage 2) unschwer entnehmen lässt, verkehrt die Tramlinie 10 grundsätzlich im 15-Minuten-Takt, wobei aber nur jedes zweite Tram bis nach [...] fährt. Damit gilt für die Fahrt vom Schulort Basel zum bisherigen Wohnort der Enkelin tatsächlich ein 30-Minuten-Takt. Sodann ist auch die Angabe der Enkelin nachvollziehbar, dass sie in der Stadt oft 30 Minuten auf das Tram nach [...] warten müsse. Es ist somit nicht zu beanstanden, dass das Zivilgericht auf die Erklärung der Enkelin abstellte, wonach ihr Schulweg mit einer Fahrzeit von 40 Minuten verbunden sei und sie in der Stadt oft weitere 30 Minuten auf das Tram warten müsse (Zivilgerichtsentscheid, E. 3.3 S. 6 f.).


In Bezug auf die familiären Probleme der Enkelin kritisiert die Mieterin die Bestätigung von [...], Fachpsychologin für Psychotherapie, vom 17. Mai 2021 (bei den Beilagen, die der Vermieter an der Hauptverhandlung vom 23. August 2021 einreichte). Darin bestätigt diese, dass die Enkelin sich seit dem 26. März 2021 aufgrund einer mittelgradigen depressiven Episode in ambulanter psychotherapeutischer Behandlung befinde. Die Mieterin vermisst in dieser Bestätigung Ausführungen zu den Gründen der depressiven Episode, zu deren Dauer und zur Frage, ob ein Wohnungswechsel der depressiven Episode Einhalt gebieten könne. Sodann stellt die Mieterin in Frage, weshalb die familiären Probleme ausgerechnet am 24. November 2020 - dem Tag der Kündigung - einen weiteren Verbleib im Haus der Familie in [...] unzumutbar machen sollten, zumal es dort bei einer Wohnfläche von 107m2 «genügend Rückzugsmöglichkeiten» gebe. Schliesslich seien die tatsächlichen Bedürfnisse der Enkelin am Tag der Kündigung unklar geblieben, und es sei auch einigermassen erstaunlich, dass sie bisher keine Suchbemühungen angestellt habe (Berufung, Rz 10 und 11). Diese Ausführungen stellen das Vorliegen eines tatsächlichen Eigenbedarfs der Enkelin nicht in Frage: Die Bestätigung der Fachpsychologin vom 17. Mai 2021 steht im Einklang mit der Erklärung der Enkelin vom 2.April 2021. Anders als die Mieterin anzunehmen scheint, setzt das Behaupten und Belegen eines tatsächlichen Eigenbedarfs nicht voraus, dass ein solcher von einer Psychologin einem Psychiater bescheinigt wird. Die eingehende und plausible Erklärung der Enkelin vom 2. April 2021 und die Bestätigung der Fachpsychologin vom 17. Mai 2021 bilden im vorliegenden Fall eine völlig ausreichende Grundlage zur Bejahung eines tatsächlichen Eigenbedarfs. Der Vermieter beziehungsweise seine Enkelin sind nicht gehalten, darüber hinaus sämtliche Fragen zu beantworten, welche die Mieterin interessieren, aber für die Abklärung des Eigenbedarfs nicht notwendig sind.


Die Mieterin macht schliesslich geltend, dass die Liegenschaft des Vermieters über insgesamt vier 3-Zimmerwohnungen verfüge. Die Kündigung der fraglichen Wohnung der Mieterin habe der Vermieter damit begründet, dass diese Wohnung die kleinste und billigste sei. Die Mieterin räumt zwar ein, dass die anderen Wohnungen knapp 7m2 grösser seien. Sie macht aber geltend, dass die anderen Wohnungen referenzzinssatz- und teuerungsbereinigt je rund CHF 40.- günstiger seien als ihre Wohnung. Entgegen den zivilgerichtlichen Ausführungen spiele dies sehr wohl eine Rolle bei der Beurteilung, ob der Eigenbedarf vorgeschoben sei (Berufung, Rz 12). Diese Ausführungen der Mieterin zum Mietzins der anderen Wohnungen sind spekulativ und wenig plausibel; es leuchtet nicht ein, dass die anderen Wohnungen, die unbestrittenermassen merklich grösser und überdies auch besser gelegen sind als die fragliche Wohnung (1. bis 3. Stock gegenüber Erdgeschoss), einen geringeren Mietzins abwerfen sollten. Die Ausführungen sind somit nicht geeignet, den geltend gemachten Eigenbedarf nicht als tatsächlich, sondern nur als vorgeschoben zu erachten.


Aufgrund der vom Vermieter dargelegten und belegten Umstände - langer Schulweg der Enkelin, familiäre Probleme - ist ein tatsächlicher Eigenbedarf zu bejahen. Vom Vermieter beziehungsweise von seiner Enkelin kann in dieser Situation vernünftigerweise nicht verlangt werden kann, dass sie zu Gunsten der Mieterin auf den Gebrauch der Wohnung verzichten. Eine Zwangs- Notlage wird nicht verlangt. Der vorliegende Fall reiht sich denn auch zwanglos in eine Vielzahl ähnlich gelagerter Fällen ein, in welchen das Bundesgericht einen tatsächlichen Eigenbedarf bejahte:

- Der Vermieter wollte seiner Tochter, die verstörende Erlebnisse bei ihrer Mutter hinter und den Beginn der Lehre vor sich hatte, ermöglichen, eine Wohnung zu beziehen, die sich in der Nähe des Lehrbetriebs, des Vermieters und der Grosseltern der Tochter befand (BGer 4C.388/2005 vom 20. Februar 2006 E. 2.3).

- Der Vermieter wollte es seiner Tochter, die gerade ihr Universitätsstudium abgeschlossen hatte, ermöglichen, das Elternhaus zu verlassen und mit ihrem Freund zusammenzuziehen (BGer 4C.17/2006 vom 27. März 2006 E. 3.4.1).

- Der Vermieter beabsichtigte, nach seinem befristeten Einsatz als IKRK-Delegierter in Brasilien, dauerhaft nach Genf zurückzukehren und in seine dortige Wohnung einzuziehen; es spielte keine Rolle, dass der Vermieter über eine zweite - von seiner Tochter bewohnte - Wohnung in Genf verfügte (BGer 4A_52/2015 vom 9. Juni 2016 E. 2.4).


2.3.3 In zeitlicher Hinsicht ist sodann die Unmittelbarkeit und Aktualität des Eigenbedarfs zu prüfen. Im Rahmen der Unmittelbarkeit des Eigenbedarfs ist zu beurteilen, ob es dem Vermieter im Kündigungszeitpunkt - am 24. November 2020 - zumutbar gewesen wäre, den Ablauf der Kündigungssperrfrist abzuwarten und erst dann zu kündigen (vgl. oben E. 2.2.2). Im vorliegenden Fall wurde durch das Schlichtungsgesuch der Mieterin vom 6.Juni 2020 (Nebenkostenabrechnung) eine dreijährige Kündigungssperrfrist ausgelöst (vgl. Art. 271a Abs. 1 lit.d OR). Dieses Schlichtungsverfahren wurde mit Vergleich vom 11. Februar 2021 beendet, so dass die Kündigungssperrfrist voraussichtlich bis zum 11. Februar 2024 gedauert hätte (vgl. Art. 271a Abs. 1 lit. e Ziffer 4 OR). Im Kündigungszeitpunkt war es dem Vermieter offensichtlich nicht zuzumuten, die über dreijährige Kündigungssperrfrist abzuwarten und erst dann zu kündigen. Insofern liegt auch ein unmittelbarer Eigenbedarf vor.


Im Rahmen der Aktualität des Eigenbedarfs ist zu beurteilen, ob lediglich ein zukünftiger, bloss möglicher Bedarf vorliegt (vgl. oben E. 2.2.2). Ein aktueller Eigenbedarf ist im vorliegenden Fall ohne Weiteres zu bejahen: Aufgrund des langen Schulwegs und der familiären Probleme bestand im Zeitpunkt der Kündigung nicht bloss ein künftiges, sondern ein aktuelles Bedürfnis der Enkelin des Vermieters, die Wohnung der Mieterin zu beziehen. Dass der Eigenbedarf in der Zukunft liege und nicht aktuell sei, wird von der Mieterin denn auch zu Recht nicht vorgebracht.


2.3.4 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Zivilgericht zu Recht einen tatsächlichen, unmittelbaren und aktuellen Eigenbedarf bejahte und damit die angefochtene Kündigung als gültig erachtete (vgl. Zivilgerichtsentscheid, E. 3.3).


3. Erstreckung des Mietverhältnisses


Nachdem das Zivilgericht die Kündigung als gültig beurteilt hatte, prüfte es die Frage der Erstreckung des Mietverhältnisses. Es legte zunächst die Grundsätze der Erstreckung und den Standpunkt der Mieterin dar (Zivilgerichtsentscheid, E. 4.1 und 4.2). Aufgrund der konkreten Umstände - deutlich eingeschränkte Möglichkeiten der Mieterin auf dem Wohnungsmarkt (Mietzins von CHF 1'100.- etwas mehr, erfolglose Suchbemühungen, Verlustschein über CHF11'738.60, aber geregeltes Einkommen von rund CHF 3'200.-) und dringender Eigenbedarf, aber keine Notlage des Vermieters - sei eine Erstreckung zu gewähren. Da eine zuverlässige Prognose nicht möglich sei, bis wann die Mieterin eine neue Wohnung gefunden habe, und da der Eigenbedarf keinen langen Aufschub dulde, sei eine relativ kurze erstmalige Erstreckung von sechs Monaten bis Ende Februar 2022 angemessen (E. 4.3 bis 4.5).


Die Mieterin führt in ihrer Berufung zunächst aus, dass das Zivilgericht angesichts der ungewissen Prognose zu Recht eine erstmalige Erstreckung gewährt habe. Sie verweist sodann auf ihre knappen finanziellen Mittel, auf den ausgetrockneten Wohnungsmarkt, ihre erfolglosen Suchbemühungen und ihre angeschlagene Gesundheit (Berufung, Rz 14 erster Abschnitt). Diese Umstände auf Seiten der Mieterin berücksichtigte das Zivilgericht vollumfänglich - mit Ausnahme der angeschlagenen Gesundheit. Die Mieterin legt nicht dar, dass sie ihren Gesundheitszustand bereits vor Zivilgericht behauptet und belegt hat. Demgemäss ist anzunehmen, dass das Zivilgericht die von der Mieterin vorgetragenen Umstände vollständig berücksichtigte.


Die Mieterin führt sodann aus, dass der Eigenbedarf des Vermieters nicht dringend sei (Berufung, Rz 14 zweiter Abschnitt). Wie ausgeführt wurde, trifft diese Auffassung der Mieterin nicht zu (vgl. oben E. 2). Das Zivilgericht berücksichtigte demgemäss zu Recht das Vorliegen eines dringenden Eigenbedarfs.


Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Zivilgericht die Umstände, die bei der Art und Dauer der Erstreckung zu berücksichtigen sind, vollständig und zutreffend berücksichtigte und die erstmalige Erstreckung von sechs Monaten jedenfalls nicht als unangemessen kurz erscheint. Für die von der Mieterin verlangte erstmalige Erstreckung von 2 ½ Jahren fehlt es an einer Grundlage.


4. Entscheid und Prozesskosten

4.1 Aus diesen Erwägungen folgt, dass das Zivilgericht die Kündigung vom 24.November 2020 zu Recht als gültig erachtete. Demgemäss ist der angefochtene Zivilgerichtsentscheid vom 23. August 2021 zu bestätigen und die dagegen erhobene Berufung abzuweisen.


4.2 Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt grundsätzlich die Mieterin die Prozesskosten des Berufungsverfahrens (Art.106 Abs.1 ZPO).


In Verfahren vor Zivilgericht und Appellationsgericht, die ihren Ursprung bei der Schlichtungsstelle haben, betragen die Gerichtskosten zwischen CHF 200.- und CHF 500.- bei einer Nettomonatsmiete bis CHF 2'500.- bei Wohnungsmiete und bis CHF 3'500.- bei Geschäftsmiete (§ 2a Abs. 2 des Gesetzes über die Gerichtsgebühren [Gerichtsgebührengesetz, SG 154.800], in Kraft seit dem 5. Juli 2018). Im vorliegenden Fall beträgt der Nettomonatsmietzins CHF 1'077.50 (Mietzinsanpassung vom 20. April 2020 [Klageantwortbeilage 3]), so dass § 2a Abs. 2 des Gerichtsgebührengesetzes anwendbar ist. Demgemäss sind die Gerichtskosten für das Berufungsverfahren auf CHF 300.- festzusetzen.


In Verfahren vor Zivilgericht und Appellationsgericht, die - wie das vorliegende Verfahren - ihren Ursprung bei der Schlichtungsstelle haben, werden keine Parteientschädigungen gesprochen (§ 2a Abs. 1 und § 3a Gerichtsgebührengesetz).



Demgemäss erkennt das Appellationsgericht (Dreiergericht):


://: Die Berufung gegen den Entscheid des Zivilgerichts vom 23.August 2021 wird abgewiesen.


Die Berufungsklägerin trägt die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens von CHF300.-.


Mitteilung an:

- Berufungsklägerin

- Berufungsbeklagter

- Zivilgericht Basel-Stadt


APPELLATIONSGERICHT BASEL-STADT


Der Gerichtsschreiber

PD Dr. Benedikt Seiler


Rechtsmittelbelehrung


Gegen diesen Entscheid kann unter den Voraussetzungen von Art. 72 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) innert 30 Tagen seit schriftlicher Eröffnung Beschwerde in Zivilsachen erhoben werden. In vermögensrechtlichen Angelegenheiten gilt dies nur dann, wenn der Streitwert die Beschwerdesumme gemäss Art. 74 Abs. 1 lit. a b BGG erreicht (CHF15'000.- bei Streitigkeiten aus Miete Arbeitsverhältnis bzw. CHF30'000.- in allen übrigen Fällen) wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt. Die Beschwerdeschrift ist fristgerecht dem Bundesgericht (1000 Lausanne 14) einzureichen. Für die Anforderungen an deren Inhalt wird auf Art. 42 BGG verwiesen. Über die Zulässigkeit des Rechtsmittels entscheidet das Bundesgericht.


Ob an Stelle der Beschwerde in Zivilsachen ein anderes Rechtsmittel in Frage kommt (z.B. die subsidiäre Verfassungsbeschwerde an das Bundesgericht gemäss Art. 113 BGG), ergibt sich aus den anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen. Wird sowohl Beschwerde in Zivilsachen als auch Verfassungsbeschwerde erhoben, sind beide Rechtsmittel in der gleichen Rechtsschrift einzureichen.



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