| Appellationsgericht als Verwaltungsgericht Dreiergericht |
VD.2023.81
URTEIL
vom 21. Dezember 2023
Mitwirkende
Dr. Stephan Wullschleger, lic. iur. André Equey,
Prof. Dr. Daniela Thurnherr Keller und Gerichtsschreiber Dr. Urs Thönen
Beteiligte
A____ Gesuchsteller
[...]
vertreten durch [...], Advokat,
[...]
gegen
Kantonspolizei Basel-Stadt, Kommando, Recht
Spiegelgasse 6, 4001 Basel
Gegenstand
Gesuch um richterliche Prüfung des Freiheitsentzugs
Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts vom 16. Mai 2023
Sachverhalt
A____ (Gesuchsteller) nahm am 1. Mai 2023 am 1.-Mai-Kundgebungszug teil. Dieser wurde von der Polizei um circa 10.30 Uhr bei der Elisabethenkirche angehalten, eingekreist und die Teilnehmenden vor Ort festgehalten. Um circa 15.37 Uhr wurde der Gesuchsteller einer Personenkontrolle unterzogen und darauf auf den Polizeiposten abgeführt. Dort wurde er gleichentags um circa 19.00 Uhr entlassen.
Mit Eingabe vom 11. Mai 2023 stellte der Gesuchsteller beim Zwangsmassnahmengericht Basel-Stadt ein Gesuch um richterliche Prüfung des Freiheitsentzugs und Feststellung von Grundrechtsverletzungen. Mit seiner Eingabe lässt er folgende Anträge stellen:
«1. Es sei festzustellen, dass meinem Mandanten am 1.5.2023 von 10.34 Uhr bis 19.00 Uhr durch die Einkesselung und die darauf folgende Fesselung und Mitnahme auf den Polizeiposten unrechtmässig die persönliche Freiheit entzogen und er damit aus seinen Rechten gemäss Art. 31 BV und Art. 5 Ziff. 1 EMRK verletzt worden ist.
2. Es sei festzustellen, dass mein Mandant am 1. Mai 2023 in seinen Rechten aus Art. 22 BV, Art. 11 EMRK, Art. 21 UNO-Pakt II (Versammlungsfreiheit) und Art. 16 Abs. 1 und 2 BV, Art. 10 EMRK und Art. 19 Abs. 2 UNO-Pakt II (Meinungsäusserungsfreiheit) verletzt worden ist.
3. Es sei festzustellen, dass die erkennungsdienstliche Behandlung meines Mandanten vom 1. Mai 2023 und seine Aufnahme auf Filmträgern der Kantonspolizei seine persönliche Freiheit und sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 8 EMRK) verletzen.
4. Sämtliche registrierten erkennungsdienstlichen Unterlagen seien unter Aufsicht des kantonalen Datenschutzbeauftragten in allen polizeilichen Registern zu löschen. Zu löschen seien ebenfalls alle Anfragen, die die Kantonspolizei zu meinem Mandanten in sämtlichen einschlägigen Datenbanken, den Registern der Strafverfolgungsbehörden und dem NDB vorgenommen hat.
5. Sämtliche Filmaufnahmen, die die Polizei am 1. Mai 2023 erstellt hat, und auf welchen mein Mandant identifiziert werden kann, seien unter Aufsicht des kantonalen Datenschutzbeauftragten zu löschen.
6. Mein Mandant sei für den widerrechtlichen Freiheitsentzug und die in diesem Zusammenhang vorgenommenen widerrechtlichen Grundrechtseingriffe gestützt auf Art. 5 Abs. 5 EMRK mit einer Genugtuung von CHF 1’000.00 zu entschädigen.
7. Es sei eine mündliche Verhandlung anzuordnen. Es seien dem Unterzeichneten die Verfahrensakten zuzustellen und ihm das Recht zur schriftlichen Stellungnahme zur Gesuchsantwort der Kantonspolizei einzuräumen.
8. Alles unter o/e-Kostenfolge. Eventualiter sei meinem Mandanten die unentgeltliche Rechtspflege mit dem Unterzeichner als Rechtsbeistand zu gewähren.»
Auf dieses Gesuch trat das Zwangsmassnahmengericht mit Verfügung vom 16. Mai 2023 nicht ein und überwies dieses «zuständigkeitshalber an das Appellationsgericht Basel-Stadt, Abteilung Verwaltungsgericht».
Mit Schreiben vom 30. Mai 2023 zog der Gesuchsteller das vorsorglich gestellte Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege zurück, da sein Mandant nicht bedürftig sei.
Mit Eingabe vom 11. August 2023 beantragte die Kantonspolizei innert erstreckter Frist, es sei auf das Gesuch um richterliche Überprüfung des Freiheitsentzugs und Feststellung von Grundrechtsverletzungen vom 11. Mai 2023 mangels Anfechtungsobjekt kosten- und entschädigungsfällig nicht einzutreten. Eventualiter sei ihr nochmals eine Frist zur Stellungnahme anzusetzen und subeventualiter das Gesuch sinngemäss als Gesuch um Erlass einer Verfügung im Sinne von § 38a des Gesetzes betreffend die Organisation des Regierungsrates und der Verwaltung des Kantons Basel-Stadt (OG; SG 153.100) entgegenzunehmen und zuständigkeitshalber an die Kantonspolizei Basel-Stadt zu überweisen. Darauf beschränkte der Instruktionsrichter des Verwaltungsgerichts das Verfahren vorläufig antragsgemäss auf die Eintretensfrage.
Mit Replik vom 30. August 2023 beantragte der Gesuchsteller, es sei die Beschränkung des Verfahrens auf die Eintretensfrage aufzuheben und das Verfahren auch in der Sache fortzuführen.
Die Einzelheiten der Parteistandpunkte und die weiteren Tatsachen ergeben sich, soweit sie für das Urteil von Bedeutung sind, aus den nachfolgenden Erwägungen. Das vorliegende Urteil ist auf dem Zirkulationsweg ergangen.
Erwägungen
1.
Strittig ist vorliegend zunächst die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts zur Beurteilung des Feststellungsgesuchs des Gesuchstellers. Diese wird von der Kantonspolizei bestritten, weshalb das Verfahren vom Instruktionsrichter zunächst auf die Frage der Zuständigkeit beschränkt worden ist.
1.1 Das Verwaltungsgericht beurteilt gemäss § 10 Abs. 1 des Gesetzes über die Verfassungs- und Verwaltungsrechtspflege (VRPG; SG 270.100) Verfügungen des Regierungsrates, der Präsidienkonferenzen, des Gerichtsrats, der vom Grossen Rat Regierungsrat gewählten Kommissionen und des Büros des Grossen Rates. Die verwaltungsgerichtliche Beurteilung setzt daher im Grundsatz eine vorgängige Beurteilung durch Organe der Verwaltung voraus. Sie bezieht sich daher auf eine nachträgliche Verwaltungskontrolle (Wullschleger/Schröder, Praktische Fragen des Verwaltungsprozesses im Kanton Basel-Stadt, in: BJM 2005, S. 300 f.). Vorbehalten bleiben aber abweichende Vorschriften.
Mit seinem Gesuch verfolgt der Gesuchsteller demgegenüber das Ziel, ohne vorangegangene verwaltungsinterne Prüfung seiner Anträge direkt an ein Gericht zu gelangen. Er stützt sich dabei als abweichende Vorschrift auf Art. 5 Abs. 4 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK; SR 0.101) und Art. 31 Abs. 4 der Bundesverfassung (BV; SR 101). Gemäss diesen Bestimmungen hat jede Person, die festgenommen der die Freiheit entzogen ist, das Recht zu beantragen, dass ein Gericht innerhalb kurzer Frist über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs entscheidet und ihre Entlassung anordnet, wenn der Freiheitsentzug nicht rechtmässig ist.
1.2 In der Überweisungsverfügung vom 16. Mai 2023 führt das Zwangsmassnahmengericht aus, der Vorfall habe keine strafrechtlichen bzw. strafprozessualen Berührungspunkte. Die Frage der Untersuchungshaft habe sich nie gestellt. Es handle sich vielmehr um polizeiliche Handlungen und Zwangsmassnahmen, die sich auf das kantonale Polizeigesetz stützen und gemäss § 38a Abs. 1 lit. c OG auf dem Verwaltungsweg anzufechten seien. Dennoch gelangte das Zwangsmassnahmengericht zur Ansicht, dass gestützt auf Art. 31 Abs. 4 BV und dem (zu einem ausserkantonalen Gesetzgebungsproblem ergangenen) Präjudiz BGE 136 I 87 solche Freiheitsentzüge direkt richterlich überprüfbar sein müssten. Da der Gesuchsteller wieder auf freiem Fuss sei, bestehe keine zeitliche Dringlichkeit, die ein Verfahren vor dem Zwangsmassnahmengericht notwendig erscheinen lasse.
1.3 Mit ihrer Vernehmlassung stellt sich die Kantonspolizei auf den Standpunkt, dass das Recht einer inhaftierten Person auf raschestmögliche gerichtliche Überprüfung der Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs als Teil der Habeas-Corpus-Garantie nur zum Tragen komme, solange die Person nicht entlassen ist. Dies gelte auch für den polizeilichen Gewahrsam. Auch aus Art. 29a BV folge keine allgemeine Anfechtbarkeit von verfügungsfreiem Staatshandeln. Dem Gesetzgeber stünden zur Umsetzung der Rechtsweggarantie verschiedene Wege offen, um Realakte einer wirksamen gerichtlichen Beurteilung zuzuführen. Gestützt auf § 38a OG könne bei schutzwürdigem Interesse von der Behörde, die für Handlungen zuständig ist, welche sich auf öffentliches Recht des Kantons stützen und Rechte und Pflichten berühren, unter anderem verlangt werden, dass sie die Widerrechtlichkeit von Handlungen feststellten. Mit diesem Anspruch auf Erlass einer Verfügung über die Rechtmässigkeit von Realakten gemäss § 38a OG werde der Rechtsschutz für Rechtsstreitigkeiten aus nicht verfügungsmässigem Staatshandeln genügend sichergestellt. Für die nachträgliche Überprüfung der Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs bestehe auch keine besondere zeitliche Dringlichkeit, welche ein Abweichen vom ordentlichen verwaltungsrechtlichen Instanzenzug rechtfertigen würde.
1.4 Demgegenüber stellt sich der Gesuchsteller auf den Standpunkt, dass ihm gemäss Art. 31 Abs. 4 BV und Art. 5 Abs. 4 EMRK ohne Durchlaufen des verwaltungsrechtlichen Instanzenzuges ein gerichtliches Verfahren zur Prüfung der Rechtmässigkeit seines Freiheitsentzugs zur Verfügung stehen müsse. Er bezieht sich dabei zunächst auf den Überweisungsbeschluss des Zwangsmassnahmengerichts. Weiter verweist er einerseits auf den Wortlaut, wonach das Gericht jederzeit angerufen werden könne, und andererseits die ratio legis, wonach ein Grundrechtsverzicht nicht leichthin angenommen werden könne. Ob ein Freiheitsentzug vorliege, zeige sich bei einer Einkesselung erst aufgrund einer Gesamtschau und somit erst nach der Entlassung. Im Polizeikessel bestehe während der Zeit des Gewahrsams gar keine Möglichkeit, ein Gericht anzurufen. Die richterliche Haftprüfung finde immer erst nach der Entlassung statt. Die Argumente der Kantonspolizei zielten darauf ab, den Rechtsschutz nach Art. 31 Abs. 4 BV bzw. Art. 5 Abs. 4 EMRK generell zu unterlaufen. Weiter verweist er darauf, dass in der publizierten Rechtsprechung die Begehren um gerichtliche Haftprüfung jeweils erst nach der Entlassung aus der Anhaltung erfolgt seien. Dies zeige, dass in Fällen von polizeilichen Einkesselungen der gerichtliche Rechtsschutz nicht davon abhänge, ob die Gesuche vor der Entlassung aus dem Polizeigewahrsam eingereicht worden sind. Weiter prüfe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) bei Einkesselungen von Demonstrierenden auch die Verletzung von Art. 10 und 11 EMRK, sodass bei einem Nichteintreten des Verwaltungsgerichts auch diesbezüglich kein wirksames Rechtsmittel zur Verfügung stehe und die Rechtsweggarantie sowie Art. 13 EMRK verletzt würden. Schliesslich seien die Betroffenen während ihrer Freiheitsentziehung nicht über die Gründe der Festhaltung orientiert worden, was für sich allein schon eine Verletzung von Art. 5 Abs. 4 EMRK begründe.
Da eine gesetzliche Regelung des Rechtsschutzes gegen polizeilichen Freiheitsentzug fehle, sei Art 5 Abs. 4 EMRK bereits verletzt. Es könne den Betroffenen daher nicht vorgeworfen werden, eine Frist zur rechtzeitigen Anrufung des Gerichts verpasst zu haben, wenn das Polizeigesetz diese Frage gar nicht regle. Er bezieht sich weiter in Analogie auf das Konkordat über Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen (SG 123.400) und dessen Umsetzung im kantonalen Recht. Weder in Art. 8 Abs. 5 des Konkordats noch in § 4 der Verordnung betreffend die Umsetzung des Konkordats über Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen (SG 123.410) sei eine Frist enthalten, wann ein Gesuch um richterliche Prüfung des Freiheitsentzugs eingereicht werden müsste. Die Kantonspolizei stelle damit für eine rein präventive Einkesselung einer Demonstration Voraussetzungen für den gerichtlichen Rechtsschutz auf, welche für Personen, die an Sportveranstaltungen bereits gewalttätig geworden sind, nicht gelten würden.
Schliesslich macht er geltend, dass die Kantonspolizei institutionell gar nicht in der Lage sei, ihm im Verfahren gemäss § 38a OG effektiven Rechtsschutz in Einhaltung der Garantien von Art. 5 Abs. 4 EMRK zu gewähren. Die entsprechenden Gesuche von 64 Personen, die um Erlass von Verfügungen zu den einzelnen Grundrechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Demonstration vom 1. Mai 2023 ersucht hätten, seien noch nicht behandelt worden. Daher könne nicht von wirksamem und effektivem Rechtsschutz gesprochen werden.
2.
2.1 Das baselstädtische Recht sieht für Fälle wie den vorliegenden eine Beschwerde an die Kantonspolizei vor. § 38a OG betrifft die Verfügung über Realakte und lautet:
1 Wer ein schutzwürdiges Interesse hat, kann von der Behörde, die für Handlungen zuständig ist, welche sich auf öffentliches Recht des Kantons stützen und Rechte und Pflichten berühren, verlangen, dass sie:
a) widerrechtliche Handlungen unterlässt, einstellt widerruft;
b) die Folgen widerrechtlicher Handlungen beseitigt;
c) die Widerrechtlichkeit von Handlungen feststellt.
2 Die Behörde entscheidet durch Verfügung.
Das Zwangsmassnahmengericht hat in seiner Überweisungsverfügung zutreffend erkannt, dass es sich bei § 38a OG um die einschlägige kantonale Zuständigkeitsnorm handelt, welche die erstinstanzliche Zuständigkeit der Kantonspolizei (mit späterer Möglichkeit der gerichtlichen Prüfung) begründet. Zudem hat das Zwangsmassnahmengericht zutreffend die zeitliche Dringlichkeit der Beurteilung verneint, da sich der Gesuchsteller wieder auf freiem Fuss befand. Gestützt auf eine Prima-vista-Beurteilung der Verfassungslage (hiervor E. 1.2) ist das Zwangsmassnahmengericht dann aber von der Regelzuständigkeit abgewichen und hat das Gesuch dem Verwaltungsgericht überwiesen.
2.2 Art. 5 EMRK und Art. 31 BV enthalten verschiedene Grundrechtsgewährleistungen im Zusammenhang mit dem Freiheitsentzug. Sie schützen vor ungerechtfertigter Verhaftung und Inhaftierung und räumen prozessuale Garantien ein. Art. 31 BV ist in weitem Masse Art. 5 EMRK und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Bundesgerichts nachgebildet. Nach der besonderen Rechtsweggarantie gemäss Art. 31 Abs. 4 BV hat jede Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wird, das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen, welches so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs entscheidet (BGer 1C_350/2013 vom 22. Januar 2014 E. 3.2). Art. 5 Abs. 4 EMRK und Art. 31 Abs. 4 BV gründen auf dem Habeas-Corpus-Gedanken (Harrendorf/König/Voigt, in: Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer [Hrsg.], Handkommentar EMRK, 5. Auflage, Baden-Baden 2013, Art. 5 N 94; Elberling, in: Karpenstein/Mayer, EMRK Kommentar, 3. Auflage 2022, Art. 5 N 99; Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 7. Auflage, München 2021, § 21 N 65; Müller, Entstehung und Entwicklung der Grundrechte in der Schweiz, in: Diggelmann/Hertig Randall/Schindler [Hrsg.], Verfassungsrecht der Schweiz Bd. II, Zürich 2020, S. 1170; Schürmann, in: Basler Kommentar BV, Basel 2015, Art. 31 N 44; Vest, in: St. Galler Kommentar BV, 4. Auflage, St. Gallen 2023, Art. 31 N 42). Gemäss dem englischen Habeas Corpus Act von 1679 mussten Inhaftierte innert kurzer Frist dem Richter vorgeführt werden. Diese Garantie wurde zum Vorbild für die Rechtsentwicklung in Frankreich und den USA im späten 18. Jahrhundert (Haller/Kölz/Gächter, Allgemeines Staatsrecht, 6. Auflage, Zürich 2020, S. 362; Schabas, The European Convention on Human Rights, A Commentary, Oxford 2015, S. 253 f.). Entsprechend sollen festgenommene Personen sowohl zu Beginn wie auch später unmittelbaren und wirksamen Zugang zur gerichtlichen Überprüfung der Rechtmässigkeit einer Freiheitsentziehung erhalten (Harrendorf/König/Voigt, a.a.O., N 94 f.). Die Anwendung der Garantie von Art. 5 Abs. 4 EMRK wird stark auf den Einzelfall bezogen. Es müssen die konkreten Umstände, der Kontext und die Folgen der Entscheidung für die betroffene Person beurteilt werden (Bleichrodt, Right to Liberty and Security, in: van Dijk/van Hoof/van Rijn/Zwaak [Hrsg.], Theory and Practice of the European Convention on Human Rights, 5. Auflage, Cambridge 2018, S. 489; Schabas, a.a.O., S. 254).
Die Garantie von Art. 5 Abs. 4 EMRK wird in der ausländischen Literatur unter den Bezeichnungen «habeas corpus», «review by a court», «review of detention», «testing the legality of the detention» «le droit à un recours» kommentiert (Schabas, a.a.O., S. 253; Bleichrodt, a.a.O., S. 489; Reid, A Practitioner’s Guide to the European Convention on Human Rights, 6. Auflage, London 2019, S. 1087; Jacobs/White/Ovey, The European Convention on Human Rights, 8. Auflage, Oxford 2021, S. 268; Renucci, Droit européen des droits de l'homme, Droits et libertés fondamentaux garantis par la CEDH, 8. Auflage, Paris 2019, S. 426). Sie soll verhafteten und inhaftierten Personen das Recht sichern, eine gerichtliche Überprüfung der Rechtmässigkeit der Massnahme zu beantragen (EGMRE 67604/10 vom 6. November 2012 i.S. Osmanovic vs. Kroatien Rn. 45 betreffend die zweitgerichtliche Prüfung einer Haftdauer von 8 Tagen, welche durch ein erstinstanzliches Gericht geprüft, durch das Verfassungsgericht aber zufolge Entlassung nicht behandelt wurde). Bei einem Entzug der Bewegungsfreiheit soll der gerichtliche Rechtschutz unmittelbar einsetzen (BGer 1C_350/2013 vom 22. Januar 2023 E. 3.2). Weil es dabei um die Freiheit der betroffenen Person geht, ist dafür zu sorgen, dass die Entscheidung so schnell wie möglich ergeht (Harrendorf/König/Voigt, a.a.O., N 102). Dies hat innert Tagen zu erfolgen (Vest, a.a.O., Art. 31 N 42; Jacobs/White/Ovey, a.a.O., S. 272; Bleichrodt, a.a.O., S. 493; Schabas, a.a.O., S. 256 f.; Reid, a.a.O., N 79-016).
Während der Inhaftierung muss ein Rechtsbehelf verfügbar sein, welcher der betroffenen Person rasch Zugang zu einer gerichtlichen Überprüfung und einer allfälligen Freilassung verschafft (EGMRE 67604/10 vom 6. November 2012 i.S. Osmanovic vs. Kroatien Rn. 45). Das angerufene Gericht wird dabei unmittelbar in die Lage versetzt, den Freiheitsentzug einer Prüfung zu unterziehen und allenfalls schon im Voraus vorsorgliche Massnahmen zu treffen (BGE 136 I 87 E. 6.5.2 S. 107 f.; BGer 1C_350/2013 vom 22. Januar 2023 E. 3.2). Diese Überprüfung darf allerdings – zumindest bei einer länger als nur kurz dauernden Haft (vgl. Elberling, a.a.O., Art. 5 N 99; Dörr, in: Dörr/Grote/Marauhn [Hrsg.], EMRK/GG Konkordanzkommentar, Bd. I, 3. Auflage, Tübingen 2022, Art. 5 N 80) – auch im Fall einer zwischenzeitlichen Entlassung nicht unterbleiben (EGMRE 67604/10 vom 6. November 2012 i.S. Osmanovic vs. Kroatien Rn. 47 ff. [Haftdauer 8 Tage]; 51564/99 vom 5. Februar 2002 i.S. Conka vs. Belgien Rn. 55 [Haftdauer 5 Tage, unterbliebene gerichtliche Prüfung wegen erfolgter Abschiebung ins Ausland; vgl. Reid, a.a.O., N 79-012]). Im Fall von kurzzeitigen Freiheitsentzügen mit einer Entlassung innert Stunden weniger Tage (short-term detention) hat der Gerichtshof wiederholt festgestellt, dass sich Art. 5 Abs. 4 EMRK nur auf Rechtsbehelfe bezieht, die «während der Inhaftierung einer Person» zur Verfügung stehen und «zu ihrer Freilassung führen» können. Demgegenüber fallen Rechtsbehelfe zur Überprüfung einer bereits abgelaufenen, insbesondere kurzzeitigen Haft nicht unter Art. 5 Abs. 4 EMRK (EGMRE 48321/99 vom 9. Oktober 2003 i.S. Slivenko vs. Lettland Rn. 158-159 [Haftdauer weniger als 24 bzw. 30 Stunden], 12244/86 vom 30. August 1990 i.S. Fox, Campbell und Hartley vs. Grossbritannien Rn. 45 [44 Stunden; vgl. Bleichrodt, a.a.O., S. 493], 2512/04 vom 12. Februar 2009 i.S. Nolan und K. vs. Russland Rn. 91 und 101 [9 Stunden]; 36188/09 vom 13 Dezember 2016 i.S. Tiba vs. Rumänien Rn. 49-51 [9 Stunden 10 Minuten]).
Massgebend für die Habeas-Corpus-Prüfung nach Art. 5 Abs. 4 EMRK ist eine Betrachtungsweise, die das innerstaatliche Verfahren insgesamt beurteilt, so dass Verfahrensdefizite einer Prüfungsinstanz unter Umständen durch einen gerichtlichen Rechtsbehelf geheilt werden können. Zudem genügt grundsätzlich eine gerichtliche Instanz. Der Staat ist nicht verpflichtet, eine zweite gerichtliche Instanz einzurichten. Tut er dies aber, so muss auch das zweitinstanzliche Gerichtsverfahren dem Standard von Art. 5 Abs. 4 EMRK genügen (Bleichrodt, a.a.O., S. 492; Schabas, a.a.O., S. 256; Jacobs/White/Ovey, a.a.O., S. 271; Reid, a.a.O., N 79-015; Renucci, a.a.O., N 340; Dörr, a.a.O., N 85; Villiger, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention, 3. Auflage, Zürich 2020, N 442).
2.3 Keinen Anspruch auf direkten Zugang zu einem Gericht begründet eine blosse Freiheitsbeschränkung, welche die in der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen eines Freiheitsentzugs mit Bezug auf deren Dauer sowie auf deren Art, deren Wirkung und Modalitäten nicht erfüllt (BGE 136 I 87 E. 6.5.3 S. 108 f.). Dies ergibt sich auch aus der dargestellten Rechtsprechung des EGMR zu kurzzeitigen Freiheitsentzügen, wonach der Zeitfaktor der Entscheidung vor allem mit Blick auf die Haftentlassung eine Rolle spielt.
2.4 Die verfahrensrechtlichen Zuständigkeiten richten sich in grossen Teilen nach kantonalem Recht. Dies ergibt sich zum einen aus der gliedstaatlichen Autonomie, welche den Kantonen zufällt (Art. 3 BV) und den entsprechenden originären Rechtsetzungskompetenzen im kantonalen Verwaltungsrecht (vgl. § 115 der Verfassung des Kantons Basel-Stadt [KV; SG 111.100]). Zum anderen besteht die kantonale Autonomie bei der Organisation der Behörden und Gerichte auch im Rahmen der Umsetzung des Bundesrechts (Schweizer, Verteilung der Staatsaufgaben zwischen Bund und Kantonen, in: Diggelmann/Hertig Randall/Schindler [Hrsg.], Verfassungsrecht der Schweiz Bd. I, Zürich 2020, S. 700). Die kantonale Autonomie bei der Gerichtsorganisation ist sehr weitgehend. Dies ergibt sich allgemein aus Art. 46 Abs. 3 und Art. 47 Abs. 2 BV und besonders für das Zivil- und Strafrecht aus Art. 122 Abs. 2 und Art. 123 Abs. 2 BV sowie Art. 3 ZPO und Art. 14 StPO (Buser, Gerichte in den Kantonen, in: Diggelmann/Hertig Randall/Schindler [Hrsg.], Verfassungsrecht der Schweiz Bd. III, Zürich 2020, S. 1861; Rhinow/Koller/Kiss/Thurnherr/Brühl-Moser, Öffentliches Prozessrecht, 4. Auflage, Basel 2021, N 171 ff.; Kiener/Rütsche/Kuhn, Öffentliches Verfahrensrecht, 3. Auflage 2021, N 127). Daraus folgt, dass die Kantone bei der Regelung der verfahrensrechtlichen Zuständigkeiten durch abweichende Ordnungen anderer Kantone nicht gebunden sind, sondern in Beachtung des übergeordneten Rechts autonome Regelungen treffen können.
2.5
2.5.1 Eine sofortige gerichtliche Überprüfung eines Freiheitsentzugs erweist sich zum Schutz vor unrechtmässiger Freiheitsberaubung nur solange als dringend und damit notwendig, als diese andauert. Die Dringlichkeit der direkten Anrufung eines Gerichts besteht nur dann, wenn die Freiheit auf dem Spiel steht (Hottelier, in: Commentaire romand Cst. [BV], Basel 2021, art. 31 N 64). Der Anspruch gemäss Art. 5 Abs. 4 EMRK und Art. 31 Abs. 4 BV kommt als Habeas-Corpus-Garantie nur zum Tragen, solange die Person noch nicht entlassen ist. In diesem Fall soll der gerichtliche Rechtschutz unmittelbar einsetzen (BGer 1C_350/2013 vom 22. Januar 2023 E. 3.2). Ein direkter Anspruch auf gerichtliche Überprüfung besteht daher nach erfolgter Entlassung nicht mehr (Schürmann, a.a.O., Art. 31 N 44). Dies gilt zumindest dann, wenn das Gesuch erst nach der Entlassung gestellt wird.
Weitergehende Ansprüche lassen sich aus BGE 136 I 87 nicht ableiten. Das Bundesgericht äusserte sich in diesem Urteil zu einem durch das Zürcher Kantonsparlament beschlossenen Gesetz (sog. abstrakte Normenkontrolle). Dabei korrigierte es den Zürcher Gesetzgeber, der für die Prüfung von Freiheitsentzügen den Haftrichter bzw. die Haftrichterin einsetzte, dabei aber Freiheitsentzüge von weniger als 24 Stunden Dauer vom Rechtsschutz ausnehmen wollte. Das Bundesgericht führte aus, Art. 31 Abs. 4 BV diene «Personen, denen die freie Bewegungsfreiheit entzogen ist und die wegen ihrer Situation eines besondern Schutzes bedürfen» (E. 6.5.2). Das Bundesgericht bezog sich explizit auf die Systematik des Zürcher Polizeigesetzes und folgerte, dass die eingerichtete Zuständigkeit des Haftgerichts von Anfang an, bereits «während der 24-stündigen Dauer des Gewahrsams offensteht» (E. 6.5.3). Es betonte zudem, dass es Sache des kantonalen Gesetzgebers ist, den Anspruch auf direkten Zugang zum Gericht im kantonalen Prozessrecht umzusetzen (E. 6.5.4). Aus diesen Ausführungen wird klar, dass das Bundesgericht den Rechtsschutz von aktuell bestehenden Freiheitsentzügen vor Augen hatte und vermeiden wollte, dass die Betroffenen bei andauerndem Freiheitsentzug währen der ersten 24 Stunden warten müssen, bis sie um richterliche Prüfung nachsuchen dürfen. Indessen lässt sich diesem Urteil nicht entnehmen, dass das Bundesgericht die Schutzbedürftigkeit nach einer erfolgen Entlassung als ebenso wichtig beurteilt hätte wie jene bei einem fortdauernden, im Zeitpunkt der Gesuchstellung bestehenden Freiheitsentzug.
Mit der gleichen Überlegung erklären sich Urteile des EGMR, wonach bei sehr kurzfristiger Haft der Anspruch gemäss Art. 5 Abs. 4 EMRK mit der unbedingten Entlassung erlischt, wenn eine Kontrolle aus zeitlichen Gründen gar nicht durchführbar ist (Harrendorf/König/Voigt, a.a.O., Art. 5 N 95; Elberling, a.a.O., Art. 5 N 99; Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, 3. Auflage, Kehl 2009, Art. 5 N 127). Der EGMR hat dabei angemerkt, dass Art. 5 Abs. 4 EMRK nur den Rechtsweg während der Dauer des Freiheitsentzugs betrifft, aber nicht den Rechtsweg bei bereits (durch Entlassung) beendeten Inhaftierungen (EGMRE 48321/99 vom 9. Oktober 2003 i.S. Slivenko vs. Lettland, Rn. 158):
«A cet égard, la Cour relève que cette disposition ne traite que des voies de recours qui doivent être disponibles durant la détention d’un individu, afin que celui-ci puisse obtenir au sujet de la légalité de sa détention un contrôle juridictionnel rapide susceptible de conduire, le cas échéant, à sa remise en liberté. Cette disposition ne traite pas des autres voies de recours pouvant permettre de vérifier la légalité d’une détention qui a déjà pris fin, et en particulier d’une détention brève comme celles en cause ici.»
2.5.2 Weiter wird in der Rechtsprechung des EGMR und der einschlägigen Literatur dargelegt, dass die gerichtliche Prüfung nach Art. 5 Abs. 4 EMRK nicht zwingend in erster Instanz erfolgen muss. Vielmehr darf der Prüfungsantrag zunächst an eine Verwaltungsbehörde gerichtet werden, sofern dieser Antrag anschliessend von einem Gericht geprüft werden kann und das Verfahren nicht wesentlich verzögert wird (EGMRE 6232/09 vom 8 Dezember 2015 i.S. Mäder vs. Schweiz Rn. 61; mit Hinweis auf Kommissionsentscheid des EGMR 26900/95 vom 21. Januar 1998 i.S. S.M. vs. Schweiz; Elberling, a.a.O., Art. 5 N 107). Massgeblich für die Berechnung der Verfahrensdauer ist die Zeit zwischen dem Antrag, der gegebenenfalls auf Verwaltungsebene zu stellen ist, und dem gerichtlichen Urteil (Bleichrodt, a.a.O., S. 492; Schabas, a.a.O., S. 256 f.; Villiger, a.a.O., N 445). Schon im Präjudiz Sanchez-Reisse vs. Schweiz (EGMRE 9862/82 vom 21. Oktober 1986) hat der Gerichtshof den vorgängigen Entscheid einer Administrativbehörde für zulässig gehalten, solange das Recht, anschliessend an ein Gericht zu gelangen, gewahrt wird (Bleichrodt, a.a.O., S. 491, 493; Reid, a.a.O., N 79-007; Villiger, a.a.O., N 442). Auch im Entscheid Khlaifia vs. Italien (EGMRE 16483/12 vom 15. Dezember 2016 Rn. 105), auf den sich der Gesuchsteller beruft, hat der Gerichtshof die Zweistufigkeit des Verfahrens, welches durch eine verwaltungsrechtliche Entscheidung eingeleitet und danach durch einen Entscheid des Richters fortgesetzt wird, nicht bemängelt.
Im Falle von beendeten Freiheitsentzügen besteht demnach kein Grund mehr zum Abweichen vom Grundsatz der nachträglichen Verwaltungskontrolle durch Verwaltungsgerichte, wie er im kantonalen Recht auf formell-gesetzlicher Stufe eingerichtet ist. Diese Regelung soll es der Verwaltung zunächst auch im Interesse der internen Verwaltungskontrolle ermöglichen, freiheitsbeschränkende und -entziehende Massnahmen auf ihre Recht- und Zweckmässigkeit sowie Angemessenheit hin zu überprüfen, bevor eine gerichtliche Kontrolle einsetzt (vgl. dazu auch Rhinow/Koller/Kiss/Thurnherr/Brühl-Moser, a.a.O., N 68 ff.). In teleologischer Hinsicht besteht daher nach einer erfolgten Entlassung kein Grund mehr, in Abweichung vom ordentlichen Rechtsmittelweg eine direkte Anrufung des Gerichts zu ermöglichen.
2.5.3 Dabei ist auch zu beachten, dass sich bei nachträglichen Gesuchen um gerichtliche Überprüfung eines Freiheitsentzugs gerade bei kurzzeitiger Anhaltung das Problem der Abgrenzung zwischen Freiheitsentzug im Sinne von Art. 5 Abs. 4 EMRK und einer blossen Freiheitsbeschränkung stellt (vgl. dazu etwa mit Bezug auf die Einkesselung von Demonstrationen Elberling, a.a.O., Art. 5 N 28a m.H. auf EGMRE 39692/09 vom 15. März 2012 i.S. Austin vs. Grossbritannien Rn. 66-68). Diesbezüglich besteht nur ein gradueller Unterschied je nach Intensität (Hottelier, a.a.O., art. 31 N 24 ff.).
So ist nach dem EGMR etwa kein Freiheitsentzug im Sinne von Art. 5 EMRK gegeben, wenn friedliche Demonstranten über sieben Stunden lang in einem Polizeikordon festgehalten werden und sich diese Massnahme aufgrund der Umstände als verhältnismässig erweist, unter Berücksichtigung des besonderen Kontexts sowie der polizeilichen Pflicht zum Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit (EGMRE 39692/09 vom 15. März 2012 i.S. Austin vs. Grossbritannien Rn. 60-67).
Das Vorliegen eines Freiheitsentzugs (im Unterscheid zu einer blossen Freiheitsbeschränkung) bildet dabei aber als doppelrelevante Tatsache (vgl. dazu BGE 145 II 153 E. 1.4 S. 156) nicht nur Grundlage der materiellen Beurteilung, sondern auch Voraussetzung für das direkte gerichtliche Eintreten auf ein entsprechendes Feststellungsbegehren ohne vorgängige verwaltungsinterne Beurteilung. Liesse man erst nach einer Entlassung gerade auch bei bloss kurzzeitigen freiheitstangierenden Massnahmendirekt bei einem Gericht gestellte Feststellungsbegehren zu, so würde bei einer Verneinung der Voraussetzungen eines Freiheitsentzugs ein Nichteintretensentscheid ergehen und die gesuchstellende Partei verlöre die Möglichkeit, die Rechtmässigkeit der erfolgten Freiheitsbeschränkung im angehobenen Verfahren materiell beurteilen zu lassen. Demgegenüber wäre die Situation bei einem während einem Freiheitsentzug vor der Entlassung gestellten Gesuch umgekehrt. Hier besteht ein Interesse daran, dass die direkte Zuständigkeit des Gerichts auch nach der Entlassung fortbesteht und die Zulässigkeit des Freiheitsentzugs beurteilt wird.
2.5.4 Schliesslich stellt der Gesuchsteller über die Überprüfung der Rechtmässigkeit seines Freiheitsentzugs hinaus eine Vielzahl von Anträgen mit Bezug auf seine erkennungsdienstliche Behandlung, für welche die besondere Rechtsweggarantie gemäss Art. 5 Abs. 4 EMRK und Art. 31 Abs. 4 BV nicht zur Anwendung kommt. Darauf könnte zum vorneherein in diesem Verfahren nicht eingetreten werden, sodass es zu einer Gabelung des Rechtswegs käme.
2.6 Entgegen der Auffassung des Gesuchstellers kann auch nicht die Rede davon sein, dass ihm beim Ausschluss der direkten Einreichung eines Feststellungsbegehrens bei einem Gericht der Zugang zum Gericht verwehrt würde. Dieser besteht nach erfolgtem Durchlaufen des verwaltungsinternen Rechtsmittelweges selbstverständlich weiterhin. Die Kantonspolizei als Verfügungsinstanz gemäss § 38a OG wie auch das Justiz- und Sicherheitsdepartement als verwaltungsinterne Rekursinstanz gemäss § 41 Abs. 2 OG sind zwar zweifellos institutionell nicht in der Lage, effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu gewähren. Gegen ihre Entscheide steht aber mit dem verwaltungsgerichtlichen Rekurs ein gerichtlicher Rechtschutz zur Verfügung.
2.7 Schliesslich führt auch der Wortlaut von Art. 5 Abs. 4 EMRK und Art. 31 Abs. 4 BV, wonach eine von einem Freiheitsentzug betroffene Person jederzeit das Gericht anrufen kann, zu keinem anderen Ergebnis. Damit soll verdeutlicht werden, dass sie auch nach einer anfänglichen gerichtlichen Haftanordnung -überprüfung bei fortdauerndem Freiheitsentzug jederzeit direkt an das Gericht gelangen kann, um die Massnahme mit Blick auf eine allfällige Veränderung der Verhältnisse neu prüfen zu lassen (Vest, in: St. Galler Kommentar BV, 4. Auflage, St. Gallen 2023, Art. 31 N 44; Hottelier, a.a.O., art. 31 N 62). Der Anspruch auf jederzeitigen direkten Zugang zum Gericht setzt aber voraus, dass der ansprechenden Person die Freiheit entzogen wird, was nach erfolgter Entlassung gerade nicht mehr der Fall ist.
2.8 Der Gesuchsteller kann auch aus dem EGMRE 16483/12 vom 15. Dezember 2016 i.S. Khlaifia vs. Italien (Replik S. 3) nichts zu seinen Gunsten ableiten. Dort wurde als Verstoss gegen Art. 5 Abs. 4 EMRK erkannt, dass die betroffenen Personen sich einer 12- bzw. 9-tägigen Rückführung auf dem Schiff von Sizilien nach Tunesien unterziehen mussten, die weder durch eine gerichtliche noch durch eine verwaltungsrechtliche Entscheidung bestätigt worden war (Rn. 105). Dieser Sachverhalt ist mit den vorliegend gerügten Vorgängen anlässlich einer Demonstration sowohl hinsichtlich der Dauer des Freiheitsentzugs als auch hinsichtlich der Schwere seiner Folgen für die Betroffenen kaum vergleichbar. Zudem hat der Gerichtshof, wie hiervor in E. 2.5.2 erwähnt, die Zweistufigkeit des Verfahrens (vorgängige verwaltungsrechtliche Entscheidung) nicht kritisiert. Bemängelt wurde vielmehr, dass u.a. auch der erste, verwaltungsrechtliche Schritt unterblieben ist.
2.9 Ebenfalls nichts zu seinen Gunsten kann der Gesuchsteller aus den von ihm genannten Entscheiden mit einer Prozessgeschichte ableiten, gemäss welcher ein Gericht die Rechtmässigkeit eines Freiheitsentzugs nach dem jeweils lokal anwendbaren Verfahrensrecht auch dann direkt prüfte, wenn der Betroffene das Gesuch als Freigelassener (also nach seiner Entlassung) gestellt hatte. Vorliegend ist der nach Art. 5 Abs. 4 EMRK und Art. 31 Abs. 4 BV zu gewährende Rechtschutz im Verfahrensrecht des Kantons Basel-Stadt zu beurteilen (vgl. hiervor E. 2.4). Inwieweit andere Gemeinwesen darüber hinaus eine direkte gerichtliche Beurteilung zulassen, erscheint hierfür irrelevant.
2.10 Schliesslich vermögen auch die Erwägungen des Zwangsmassnahmengerichts im Überweisungsbeschluss vom 16. Mai 2023 keine Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts zu begründen. Diese erscheinen relevant bezüglich der Verneinung der eigenen Zuständigkeit, sie vermögen das Verwaltungsgericht aber nicht dergestalt zu binden, dass sie eine nicht bestehende direkte Zuständigkeit zu begründen vermöchten.
3.
3.1 Daraus folgt, dass auf das Gesuch nicht einzutreten ist. Da mit dem Gesuch die Prüfung der Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs beantragt wird, rechtfertigt es sich, die Sache direkt an die zuständige Kantonspolizei zum Erlass einer entsprechenden Verfügung gemäss § 38a OG zu überweisen.
Eine Verpflichtung zur Überweisung an die zuständige Behörde wird im verwaltungsinternen Verfahren allgemein angenommen, auch in Bezug auf Überweisungen des Verwaltungsgerichts an eine Verwaltungsinstanz (VGE VD.2015.7 vom 17. November 2015 E. 4.2, mit Hinweis auf VGE VD.2015.108 vom 27. Oktober 2015 E. 2; VD.2014.211 vom 4. Mai 2015 E. 2.2; VD.2010.194 vom 15. Juni 2011 E. 1.3; VD.2010.150 vom 22. März 2011 E. 3; Kölz/Häner/Bertschi, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 3. Auflage, Zürich 2013, N 398; Rhinow/Koller/Kiss/Thurnherr/Brühl-Moser, a.a.O., N 1083, 1252). Die Überweisung von Eingaben unter Fristwahrung ist in § 52 OG zwar nur für die Weiterleitung unter Verwaltungsbehörden geregelt; es handelt sich dabei jedoch um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, der sich auf die gesamte Rechtsordnung bezieht (BJM 2002 S. 162; BGE 121 I 93 E. 1d S. 95; Wullschleger/Schröder, a.a.O., S. 303) und der im Kanton Basel-Stadt jedenfalls im Verhältnis von Verwaltungsbehörde und Verwaltungsgericht anerkannt wird (Schwank, Das verwaltungsinterne Rekursverfahren des Kantons Basel-Stadt, in: Buser [Hrsg.], Neues Handbuch des Staats- und Verwaltungsrechts des Kantons Basel-Stadt, Basel 2008, S. 440; dies., Das verwaltungsinterne Rekursverfahren des Kantons Basel-Stadt, Diss. Basel 2003, S. 48).
3.2 Damit unterliegt der Gesuchsteller mit seinem Antrag auf direkte richterliche Prüfung und hat teilweise die Kosten des Verfahrens zu tragen. Bei der Kostenverlegung ist zu berücksichtigen, dass die Überweisung der Sache an das Verwaltungsgericht vom Zwangsmassnahmengericht ausgegangen ist, was der Gesuchsteller zunächst nicht zu vertreten hatte. Da er sich aber mit seiner Replik explizit der Befassung des Verwaltungsgerichts anschloss und die materielle Behandlung seines Gesuchs durch das Verwaltungsgericht bekräftigte, rechtfertigt sich eine Kostenauflage im Umfang von CHF 600.–.
3.3 Die Jugendanwaltschaft Basel-Stadt hat das Verwaltungsgericht mit E-Mail vom 18. September 2023 um Orientierung über das Urteil in den Verfahren VD.2023.80/81 angefragt. Den Parteien wurde diese Anfrage mit Verfügung vom 22. September 2023 mitgeteilt. Von Seiten des Gesuchstellers wurden keine Einwände erhoben. Die Kantonspolizei hat sich mit Schreiben vom 27. Oktober 2023 der Urteilsmitteilung widersetzt, da das Verfahren auf die Eintretensfrage beschränkt sei. Dazu ist zu erwägen, dass mit dem laufenden Jugendstrafverfahren ein Interesse der anfragenden Behörde an der Orientierung über den Verfahrensausgang besteht. Zudem ist der sachliche Konnex dargetan. Demgegenüber sind keine überwiegenden öffentlichen privaten Geheimhaltungsinteressen ersichtlich, die einer Mitteilung entgegenstehen würden. Demnach ist das vorliegende Urteil der Jugendanwaltschaft mitzuteilen (Art. 194 Abs. 2 Strafprozessordnung [StPO, SR 312.0], Art. 3 Abs. 1 Jugendstrafprozessordnung [JStPO; SR 312.1]; vgl. Rudin, in: Rudin/Baeriswyl [Hrsg.], Praxiskommentar zum Informations- und Datenschutzgesetz des Kantons Basel-Stadt, Zürich 2014, § 21 N 8 ff.).
Demgemäss erkennt das Verwaltungsgericht (Dreiergericht):
://: Auf das Gesuch vom 11. Mai 2023 wird nicht eingetreten.
Die Sache wird an die Kantonspolizei Basel-Stadt zum Erlass einer Verfügung gemäss § 38a des Organisationsgesetzes überwiesen.
Der Gesuchsteller trägt die Kosten des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens mit einem Gebührenanteil von CHF 600.– (einschliesslich Auslagen).
Mitteilung an:
- Gesuchsteller
- Kantonspolizei Basel-Stadt
- Jugendanwaltschaft Basel-Stadt
APPELLATIONSGERICHT BASEL-STADT
Der Gerichtsschreiber
Dr. Urs Thönen
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid kann unter den Voraussetzungen von Art. 82 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) innert 30 Tagen seit schriftlicher Eröffnung Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erhoben werden. Die Beschwerdeschrift ist fristgerecht dem Bundesgericht (1000 Lausanne 14) einzureichen. Für die Anforderungen an deren Inhalt wird auf Art. 42 BGG verwiesen. Über die Zulässigkeit des Rechtsmittels entscheidet das Bundesgericht.
Ob an Stelle der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ein anderes Rechtsmittel in Frage kommt (z.B. die subsidiäre Verfassungsbeschwerde an das Bundesgericht gemäss Art. 113 BGG), ergibt sich aus den anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen. Wird sowohl Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten als auch Verfassungsbeschwerde erhoben, sind beide Rechtsmittel in der gleichen Rechtsschrift einzureichen.