Zusammenfassung des Urteils VD.2019.109 (AG.2020.48): Appellationsgericht
Die Rekurrentin hat beim Amt für Sozialbeiträge ein Gesuch um Genugtuung gemäss Opferhilfegesetz eingereicht, das später abgelehnt wurde. Dagegen erhob sie Rekurs beim Verwaltungsgericht, jedoch wurde der Rekurs aufgrund verspäteter Einreichung der Rekursbegründung nicht angenommen. Es wurden keine Kosten für das verwaltungsgerichtliche Verfahren erhoben.
Kanton: | BS |
Fallnummer: | VD.2019.109 (AG.2020.48) |
Instanz: | Appellationsgericht |
Abteilung: |
Datum: | 30.12.2019 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | Gesuch um Genugtuung gemäss Opferhilfegesetz |
Schlagwörter: | Rekurrentin; Rekurs; Verfügung; Opfer; Opferhilfe; Basel; Rekursbegründung; Frist; Recht; Genugtuung; Vertreter; Vertreterin; Verwaltungsgericht; Gesuch; Rechtsmittel; Sozialbeiträge; Opferhilfegesetz; Eingabe; Gericht; Zustellung; Kopie; Vertretung; Verfahren; Entscheid; Einreichung; Bundesgericht; Appellationsgericht; Basel-Stadt; öglich |
Rechtsnorm: | Art. 113 BGG ;Art. 24 VwVG ;Art. 42 BGG ; |
Referenz BGE: | - |
Kommentar: | Waldmann, Egli, Weissenberger, Praxis Verwaltungsverfahrensgesetz, Art. 24 VwVG, 2014 |
Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt als Verwaltungsgericht Einzelgericht |
VD.2019.109
URTEIL
vom 30.Dezember2019
Mitwirkende
lic. iur. André Equey
und a.o. Gerichtsschreiberin MLaw Elisa Steiger
Beteiligte
A____ Rekurrentin
[...]
gegen
Amt für Sozialbeiträge Rekursgegner
Grenzacherstrasse 62, 4058 Basel
Gegenstand
Rekurs gegen eine Verfügung des Amts für Sozialbeiträge
vom 29. Mai 2019
betreffend Gesuch um Genugtuung gemäss Opferhilfegesetz
Sachverhalt
Mit Schreiben vom 28. Mai 2010 reichte der damalige Vertreter von A____ (Rekurrentin) beim Amt für Sozialbeiträge (ASB) ein vorsorgliches Gesuch um Genugtuung gemäss Opferhilfegesetz ein. Mit Schreiben vom 7. August 2018 fragte das ASB die Rekurrentin an, ob sie am Gesuch festhalten wolle. [...] (neue Vertretung) beantragte mit Schreiben vom 23. Januar 2019 namens und im Auftrag der Rekurrentin beim ASB die Zusprechung einer Genugtuung gemäss Opferhilfegesetz in der Höhe von CHF 5'000.-. Mit Verfügung vom 29. Mai 2019 wies das ASB das Gesuch ab, ohne Kosten zu erheben. Diese Verfügung wurde [...] am 3.Juni 2019 zugestellt.
Gegen diese Verfügung erhob die Rekurrentin mit Eingabe vom 6. Juni 2019 Rekurs beim Verwaltungsgericht. Diesen begründete sie mit einem vom 3. Juli 2019 datierten und am 5. Juli 2019 der Schweizerischen Post übergebenen Schreiben. Darin beantragt sie, die Verfügung vom 29. Mai 2019 sei in Gutheissung des Rekurses aufzuheben und es sei die durch die Opferhilfe beantragte Genugtuung gemäss Opferhilfegesetz gutzuheissen. Zudem sei auf die Erhebung einer Entscheidgebühr zu verzichten.
Das ASB beantragt mit Vernehmlassung vom 9. September 2019 die Abweisung des Rekurses unter o/e-Kostenfolge. Mit Eingabe vom 1. Oktober 2019 replizierte die Rekurrentin hierzu und verzichtete auf die Durchführung einer öffentlichen Parteiverhandlung. Mit Verfügung vom 21. Oktober 2019 ersuchte der instruierende Appellationsgerichtspräsident das ASB, dem Gericht die fehlenden Akten des Verwaltungsverfahrens zu edieren und soweit möglich einen Beleg für den Zeitpunkt der Zustellung der angefochtenen Verfügung vom 29. Mai 2019 einzureichen. Dieser Aufforderung kam das ASB mit Eingabe vom 30. Oktober 2019 nach. Mit Verfügung vom 4.November 2019 erhielt die Rekurrentin die Möglichkeit zur Stellungnahme bezüglich der Einhaltung der Frist für die Rekursbegründung. Am 19.November 2019 reichte die Rekurrentin ihre Stellungnahme ein. Ebenfalls mit Verfügung vom 4.November 2019 ersuchte der instruierende Appellationsgerichtspräsident das ASB, dem Gericht bis zum 20.November 2019 soweit möglich mitzuteilen, wann die Kopie der Verfügung der Rekurrentin persönlich zugestellt wurde. Das ASB liess sich innert Frist nicht mehr vernehmen.
Die Einzelheiten der Standpunkte ergeben sich, soweit sie für den Entscheid von Bedeutung sind, aus den nachfolgenden Erwägungen.
Erwägungen
1.
1.1 Gegen die Verfügung des Amts für Sozialbeiträge ist gemäss § 3 Abs. 3 des Einführungsgesetzes zum Bundesgesetz über die Hilfe an Opfer von Straftaten (EGOHG, SG 257.900) der Rekurs an das Verwaltungsgericht zulässig. Zuständig ist grundsätzlich das Verwaltungsgericht als Dreiergericht (§92 Abs.1 Ziff.11 des Gerichtsorganisationsgesetzes [GOG, SG154.100]). Nach § 44 Abs.1 GOG ist jedoch die Einzelrichterin der Einzelrichter bzw. die Verfahrensleiterin der Verfahrensleiter zuständig, wenn wegen Säumnis ein Nichteintretensentscheid zu ergehen hat das Rechtsmittel wegen Säumnis von Gesetzes wegen dahinfällt. Diese Konstellation liegt im hier zu beurteilenden Fall vor (vgl. E.1.6 ff.). Da die Rekurrentin von der angefochtenen Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Änderung hat, ist sie gemäss § 13 Abs. 1 des Gesetzes über die Verfassungs- und Verwaltungsrechtspflege (VRPG, SG 270.100) zum Rekurs legitimiert.
1.2 Der Rekurs ist binnen zehn Tagen nach der Zustellung der Verfügung schriftlich beim Verwaltungsgericht anzumelden (§ 16 Abs. 1 VRPG). Spätestens binnen 30Tagen, vom gleichen Zeitpunkt an gerechnet, ist eine schriftliche Rekursbegründung einzureichen (§ 16 Abs. 2 VRPG). Wird die Rekursbegründung nicht nicht rechtzeitig eingereicht, so erklärt das Gericht den Rekurs als dahingefallen (§ 16 Abs.3 VRPG).
1.3 Gemäss den Feststellungen des Amts für Sozialbeiträge hat sich dieses bei [...] von der Opferhilfe beider Basel informiert, wer für die Vertretung der Rekurrentin zuständig sei (angefochtene Verfügung Tatsächliches Ziff. 8). Mit Schreiben vom 23. Januar 2019 hat [...] dem ASB unter anderem ein Gesuch um Genugtuung und eine Vollmacht eingereicht. Im Gesuch wird als Vertretung der Rekurrentin "Opferhilfe beider Basel, [...]" angegeben und mit der Vollmacht ermächtigt die Rekurrentin die "Opferhilfe beider Basel" insbesondere zu Eingaben bei den kantonalen Entschädigungsbehörden (z.B. Gesuch um Genugtuung). Damit ist [...] von der Opferhilfe beider Basel zur Vertretung der Rekurrentin im Verfahren betreffend Genugtuung gemäss Opferhilfegesetz ermächtigt gewesen und als Vertretung dem ASB mitgeteilt worden.
1.4 Mit Schreiben vom 3. April 2019 hat das ASB [...] von der Opferhilfe beider Basel als Vertreterin der Rekurrentin einen Vorbescheid zugestellt mit dem Hinweis, dass sie innert 30 Tagen im Namen der Rekurrentin dazu Stellung nehmen könne und dass ihr nach Ablauf dieser Frist eine Verfügung zugestellt werde, gegen die sie Beschwerde erheben könne. Mit E-Mail vom 23. April 2019 an das ASB, mit Kopie an [...], hat die Rekurrentin persönlich unter Bezugnahme auf den Vorbescheid festgehalten, dass das bisher angegebene Datum der Straftat falsch sei, und um eine erneute Prüfung der Genugtuungsforderung auf der Grundlage des richtigen Datums und um einen schriftlichen Entscheid gebeten. Mit E-Mail vom 29.April 2019 an die Rekurrentin persönlich, mit Kopie an [...], hat das ASB der Rekurrentin mitgeteilt, dass es die Angelegenheit nochmals prüfen und ihr danach die Verfügung zustellen werde. Aus dieser E-Mail-Korrespondenz kann nicht geschlossen werden, die Rekurrentin hätte die Vollmacht von [...] bzw. der Opferhilfe beider Basel widerrufen. Folglich hat das ASB die angefochtene Verfügung vom 29. Mai 2019 zu Recht [...][...] von der Opferhilfe beider Basel zugestellt.
1.5 Gemäss dem vom ASB eingereichten Ausdruck der Sendungsverfolgung ist die an [...] von der Opferhilfe beider Basel eingeschrieben versendete Verfügung dieser am 3. Juni 2019 zugestellt worden. Dies wird von der Rekurrentin nicht bestritten. Da die Rekurrentin von [...] von der Opferhilfe beider Basel vertreten worden ist, ist für den Beginn der Rechtsmittelfristen die Zustellung an diese massgebend. Dass eine Kopie der Verfügung mit gewöhnlicher Post an die Rekurrentin persönlich gesendet worden ist, ändert daran nichts. Im vorliegenden Fall ist ausgeschlossen, dass dieses Vorgehen zu einer Verwirrung betreffend den Fristbeginn geführt hat. Erstens hat das ASB im Begleitschreiben vom 29. Mai 2019 klargestellt dass die Rekurrentin bloss eine Kopie der Verfügung zur Information erhalten hat. Folglich hat der Rekurrentin klar sein müssen, dass die massgebliche Zustellung an [...] von der Opferhilfe beider Basel als ihrer Vertreterin erfolgt ist. Zudem hat [...] gemäss den Angaben der Rekurrentin ihre Rekursbegründung grammatikalisch korrigiert und sie informiert, bis wann sie diese einreichen muss. Beim dazu notwendigen Kontakt mit [...] hat die Rekurrentin zweifellos erfahren, dass ihre Vertreterin die Verfügung bereits erhalten hatte. Im Übrigen behauptet die Rekurrentin nicht, dass ihr die Kopie der Verfügung nach dem 3. Juni 2019 zugestellt worden sei.
1.6 Aufgrund der Zustellung der Verfügung an die Vertreterin der Rekurrentin am 3. Juni 2019 hat die Frist für die Einreichung der Rekursbegründung am 4. Juni 2019 begonnen und am 3. Juli 2019 geendet. Damit ist die am 5. Juli 2019 der Post übergebene Rekursbegründung verspätet. Die Rekurrentin hat zwar am 6. Juni 2019 fristgerecht ihren Rekurs angemeldet, aber in diesem Schreiben keine Anträge gestellt und den Rekurs auch nicht begründet. Diese Eingabe vom 6. Juni 2019 kann somit nicht als Rekursbegründung gedeutet werden.
1.7 Die Rekurrentin behauptet, [...] habe ihr erklärt, dass sie die Rekursbegründung spätestens bis zum 6. Juli 2019 der Post übergeben müsse (Eingabe vom 19. November 2019). Diese Behauptung ist unglaubhaft. Der 6. Juli 2019 ist ein Samstag gewesen. Es ist kaum vorstellbar, dass eine Mitarbeiterin einer Beratungsstelle der Kantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft, deren Aufgabe unter anderem darin besteht, Opfer bei der Wahrnehmung ihrer Rechte zu unterstützen (Art.12 Abs. 1 des Opferhilfegesetzes [OHG, SR312.5]), nicht berücksichtigt, dass die Frist für die Einreichung der Rekursbegründung beim Verwaltungsgericht des Kantons Basel-Stadt erst am nächstfolgenden Werktag endet, wenn der letzte Tag der Frist ein Samstag ist (Art. 20 Abs. 3 des Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren [VwVG, SR 172.021] in Verbindung mit § 21 Abs. 1 VRPG). Selbst wenn die Rekurrentin von ihrer Vertreterin die behauptete Information erhalten hätte, könnte sie daraus aber nichts zu ihren Gunsten ableiten. Aufgrund der Zustellung der Verfügung an die Vertreterin am 3. Juni 2019, der korrekten Rechtsmittelbelehrung der angefochtenen Verfügung und der klaren gesetzlichen Regelung (§ 16 Abs. 1 und 2 VRPG) hat die Vertreterin bei Anwendung minimaler Sorgfalt ohne weiteres erkennen müssen, dass die Frist für die Einreichung der Rekursbegründung am 3. Juli 2019 endet. Falls sie gegenüber der Rekurrentin erklärt hätte, die Frist ende erst am 6. Juli 2019, beruhte diese Fehlinformation deshalb auf einem Verschulden der Vertreterin. Dieses wäre der Rekurrentin wie eigenes Verschulden zuzurechnen (VGEVD.2014.1 vom 16. Juni 2014 E. 3.3; vgl. Egli, in: Waldmann/Weissenberger [Hrsg.], Praxiskommentar Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Auflage, Zürich 2016, Art.24 N16 f.). Damit wäre eine Fristwiederherstellung gemäss Art. 24 Abs. 1 VwVG in Verbindung mit § 21 Abs. 1 VRPG ausgeschlossen (vgl. dazu VGE VD.2017.48 vom 8.März 2018 E. 2.2).
1.8 Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass wegen verspäteter Einreichung der Rekursbegründung auf den Rekurs nicht einzutreten ist.
2.
Gemäss Art. 30 Abs. 1 OHG sind für das Verfahren betreffend die Gewährung von Entschädigung sowie Genugtuung nach OHG keine Kosten zu erheben, soweit nicht von einer mutwilligen Prozessführung im Sinne von Art. 30 Abs. 2 OHG gesprochen werden kann. Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt, weshalb für das verwaltungsgerichtliche Verfahren keine Kosten erhoben werden.
Demgemäss erkennt das Verwaltungsgericht (Einzelgericht):
://: Auf den Rekurs wird nicht eingetreten.
Für das verwaltungsgerichtliche Rekursverfahren werden keine Kosten erhoben.
Mitteilung an:
- Rekurrentin
- Amt für Sozialbeiträge
- Bundesamt für Justiz
APPELLATIONSGERICHT BASEL-STADT
Die Gerichtsschreiberin
MLaw Elisa Steiger
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid kann unter den Voraussetzungen von Art. 82 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) innert 30 Tagen seit schriftlicher Eröffnung Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erhoben werden. Die Beschwerdeschrift ist fristgerecht dem Bundesgericht (1000 Lausanne 14) einzureichen. Für die Anforderungen an deren Inhalt wird auf Art. 42 BGG verwiesen. Über die Zulässigkeit des Rechtsmittels entscheidet das Bundesgericht.
Ob an Stelle der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ein anderes Rechtsmittel in Frage kommt (z.B. die subsidiäre Verfassungsbeschwerde an das Bundesgericht gemäss Art. 113 BGG), ergibt sich aus den anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen. Wird sowohl Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten als auch Verfassungsbeschwerde erhoben, sind beide Rechtsmittel in der gleichen Rechtsschrift einzureichen.
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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