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Urteil Appellationsgericht (BS)

Kopfdaten
Kanton:BS
Fallnummer:SB.2020.103 (AG.2021.368)
Instanz:Appellationsgericht
Abteilung:
Appellationsgericht Entscheid SB.2020.103 (AG.2021.368) vom 23.06.2021 (BS)
Datum:23.06.2021
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Betrug
Schlagwörter: Berufung; Berufungsklägerin; Betrug; Urteil; Anklage; Verfahren; Betrugs; Gemäss; Erstinstanzlich; Gericht; Werden; Entsprechend; Erstinstanzliche; Oktober; Bestellung; Verteidiger; Identität; Entschädigung; Schwer; Entsprechende; Amtlich; Welche; Genugtuung; Verkaufsperson; Unrechtmässig; Vermögen; Zweitinstanzliche; Amtliche; Selbst; Beantragt
Rechtsnorm: Art. 12 StGB ; Art. 135 StPO ; Art. 147 StGB ; Art. 382 StPO ; Art. 398 StPO ; Art. 4 ZGB ; Art. 42 BGG ; Art. 429 StPO ; Art. 48 BGG ;
Referenz BGE:113 Ib 155; 139 IV 243; 143 IV 339; 146 IV 231;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:
Entscheid

Appellationsgericht

des Kantons Basel-Stadt

Dreiergericht



SB.2020.103


URTEIL


vom 23. Juni 2021



Mitwirkende


lic. iur. Christian Hoenen (Vorsitz),

Dr. Annatina Wirz, lic. iur. Barbara Schneider

und Gerichtsschreiberin lic. iur. Barbara Noser Dussy




Beteiligte


A____, geb. [...] Berufungsklägerin

[...] Beschuldigte

vertreten durch [...], Advokat,

[...]


gegen


Staatsanwaltschaft Basel-Stadt Berufungsbeklagte

Binningerstrasse21, 4001 Basel



Gegenstand


Berufung gegen ein Urteil des Einzelgerichts in Strafsachen

vom 27. August 2020


betreffend Betrug



Sachverhalt


A____ (nachfolgend: Berufungsklägerin) wurde mit Urteil des Einzelgerichts in Strafsachen vom 27. August 2020 des Betrugs schuldig erklärt und verurteilt zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu CHF 30.-, abzüglich 52Tagessätze für 52Tage Untersuchungshaft, mit bedingtem Strafvollzug, unter Auferlegung einer Probezeit von 2Jahren. Von der Anklage des mehrfachen Betrugs am 28.September 2018 und 8.Oktober 2018 sowie des versuchten Betrugs am 22.Oktober 2018 wurde die Berufungsklägerin freigesprochen. Das Gericht verfügte zudem die Freigabe der beschlagnahmten Gegenstände sowie die Rückerstattung der von der Schwester der Berufungsklägerin geleisteten Kaution. Schliesslich auferlegte es der Berufungsklägerin die Verfahrenskosten und eine Urteilsgebühr und legte die Entschädigung des amtlichen Verteidigers aus der Gerichtskasse fest.


Gegen dieses Urteil hat A____, amtlich vertreten durch Advokat [...], am 7.September 2020 Berufung angemeldet und nach Erhalt der schriftlichen Urteilsbegründung mit Eingabe vom 20. November 2020 die Berufungserklärung eingereicht, mit der sie einen vollumfänglichen Freispruch beantragt. Die Staatsanwaltschaft hat weder selbst Berufung gegen das Urteil eingereicht noch Nichteintreten auf die Berufung beantragt oder Anschlussberufung erhoben.


Mit Eingabe vom 2. März 2021 hat der Verteidiger der Berufungsklägerin um Freigabe der erstinstanzlich zugunsten der Berufungsklägerin geleisteten Drittkaution von CHF 5'541.90 (EUR 5'000.-) an den Rechtsvertreter der Kautionsstellerin, RA [...], ersucht. Der Verfahrensleiter des Appellationsgerichts hat am 2.Juni 2021 die Freigabe der Kaution verfügt.


In Gutheissung eines entsprechenden Gesuchs vom 15. April 2021 hat der Verfahrensleiter mit Verfügung vom 7. Mai 2021 die Berufungsklägerin vom persönlichen Erscheinen zur Berufungsverhandlung dispensiert.


In der Berufungsverhandlung vom 23. Juni 2021, an welcher die dispensierte Berufungsklägerin und der bloss fakultativ geladene Vertreter der Staatsanwaltschaft nicht teilgenommen haben, ist der Verteidiger der Berufungsklägerin zum Vortrag gelangt, wofür auf das Verhandlungsprotokoll verwiesen wird. Der Sachverhalt und die Einzelheiten der Parteistandpunkte ergeben sich, soweit sie für das Urteil von Bedeutung sind, aus den nachfolgenden Erwägungen.



Erwägungen


1.

1.1 Gemäss Art. 398 Abs. 1 der Strafprozessordnung (StPO, SR 312.0) ist die Berufung gegen Urteile erstinstanzlicher Gerichte zulässig, mit denen das Verfahren ganz oder teilweise abgeschlossen wird. Das ist vorliegend der Fall. Die Berufungsklägerin ist gemäss Art. 382 Abs. 1 StPO zur Erhebung von Rechtsmitteln legitimiert. Sie hat Ihre Berufungsanmeldung und -erklärung innert der gesetzlichen Fristen gemäss Art.399 Abs. 1 und 3 StPO eingereicht. Auf die Berufung ist daher einzutreten. Zuständiges Berufungsgericht ist gemäss § 88 Abs. 1 in Verbindung mit § 92 Abs. 1 Ziff. 1 des baselstädtischen Gerichtsorganisationsgesetzes (GOG, SG154.100) ein Dreiergericht des Appellationsgerichts.

1.2 Nach Art. 398 Abs. 3 StPO können mit der Berufung Rechtsverletzungen einschliesslich Überschreitung und Missbrauch des Ermessens, Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung, die unvollständige oder unrichtige Feststellung des Sachverhalts sowie Unangemessenheit gerügt werden. Im Rechtsmittelverfahren gilt die Dispositionsmaxime. Die Berufung kann beschränkt werden. Erfolgt bloss eine Teilanfechtung, erwachsen die nicht angefochtenen Punkte in Teilrechtskraft. Im vorliegenden Fall hat die Berufungsklägerin den Schuldspruch wegen Betrugs (Vorfall vom 22. Oktober 2018, zweitletzter Anklagepunkt) angefochten und diesbezüglich einen Freispruch beantragt. Es ist daher einzig dieser Anklagepunkt (einschliesslich die allfällige Strafzumessung und der entsprechende Kostenentscheid) Thema des Berufungsverfahrens. Die Freisprüche von der Anklage des mehrfachen Betrugs am 28. September 2018 und 8. Oktober 2018 sowie des versuchten Betrugs am 22.Oktober 2018 sind in Rechtskraft erwachsen. Das gleiche gilt für die Verfügung über die beschlagnahmten Gegenstände und die von der Vorinstanz verfügte Freigabe der Sicherheitsleistung im Betrag von CHF 5'541.90 an [...]. Dementsprechend hat der Verfahrensleiter des Appellationsgerichts am 2. Juni 2021 die Rückerstattung des entsprechenden Betrags an die Kautionsstellerin verfügt. Schliesslich ist auch die Entschädigung der amtlichen Verteidigung für das erstinstanzliche Verfahren in Rechtskraft erwachsen.


2.

2.1 Der Berufungsklägerin wird vorgeworfen, am 22. Oktober 2018 in der [...]filiale am [...] in Basel sechs Flaschen Champagner und sechs Flaschen Whisky im Gesamtwert von CHF 1'078.80 abgeholt zu haben, welche ihr Lebenspartner B____ zuvor mittels unrechtmässig erlangten Kreditkartendaten bestellt hatte. Dabei soll sie das Verkaufspersonal über ihre wahre Identität getäuscht und sich als C____, wohnhaft am [...] in [...], ausgegeben haben. Solchermassen über die Identität der Berufungsklägerin und über die aufgrund der Verwendung fremder Kartendaten lediglich vorübergehende Gutschrift des Kaufbetrags getäuscht, habe das [...]-Personal die Ware zum Schaden der [...] AG an die Berufungsklägerin herausgegeben; diese habe sich im entsprechenden Umfang unrechtmässig bereichert. Das Strafgericht hat die Berufungsklägerin in diesem Anklagepunkt des Betrugs schuldig erklärt.


2.2 Die Berufungsklägerin bestreitet, sich der [...]-Verkäuferin gegenüber als C____ ausgegeben zu haben. Ihr Lebenspartner habe die Bestellung gemacht und ihr gesagt, auf welchen Namen sie die Ware abholen müsse. Sie habe ihn nicht gefragt, warum er nicht ihren eigenen Namen eingesetzt habe. Sie habe im Laden lediglich den Namen sagen müssen, auf den die Bestellung gemacht worden sei, dann sei ihr die Ware ausgehändigt worden (erstinstanzliches Verhandlungsprotokoll, Akten S.744). Sie habe nicht gesagt, sie selbst sei C____. Das Verkaufspersonal habe sie auch weder nach ihrer Identität gefragt noch die Vorlage eines Ausweises verlangt (Plädoyer, zweitinstanzliches Protokoll, Akten S.832f.). Ihr Verteidiger hat im zweitinstanzlichen Verfahren diesbezüglich beantragt, die entsprechende Verkaufsperson bei [...] ausfindig zu machen und dazu zu befragen, ob die Berufungsklägerin nach ihrer Identität gefragt oder ob die Vorlage eines Ausweises verlangt worden sei (Berufungserklärung, Akten S.794f.; zweitinstanzliches Protokoll, Akten S.832).

3.

3.1 Einen Betrug nach Art. 146 des Strafgesetzbuches (StGB; SR311.0) begeht, wer in der Absicht, sich oder einen anderen unrechtmässig zu bereichern, jemanden durch Vorspiegelung oder Unterdrückung von Tatsachen arglistig irreführt oder ihn in einem Irrtum arglistig bestärkt und so den Irrenden zu einem Verhalten bestimmt, wodurch dieser sich selbst oder einen andern am Vermögen schädigt. Die objektiven Tatbestandsmerkmale sind somit (1) eine arglistige Täuschung, (2) ein Irrtum, (3) eine Vermögensdisposition und (4) ein Vermögensschaden. Weiter bedarf es eines Motivationszusammenhangs sowohl zwischen der arglistigen Täuschung und dem Irrtum als auch zwischen dem Irrtum und der Vermögensdisposition, sowie eines Kausalzusammenhangs zwischen der Vermögensdisposition und dem Schaden (vgl. Trechsel/Crameri, in Trechsel/Pieth [Hrsg.], Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 3.Auflage 2018, Art. 146 N 1). Zum subjektiven Tatbestand gehört neben der Absicht ungerechtfertigter Bereicherung auch der Vorsatz, welcher sich auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale beziehen muss. Vorsätzlich begeht ein Verbrechen oder Vergehen, wer die Tat mit Wissen und Willen ausführt; vorsätzlich handelt bereits, wer die Verwirklichung der Tat für möglich hält und in Kauf nimmt (Art. 12 Abs. 2 StGB).


3.2 Im vorliegenden Fall hat nach unbestrittener Feststellung der Vorinstanz der Lebenspartner der Berufungsklägerin, B____, mittels unrechtmässig erworbenen Kreditkartendaten die fraglichen Getränke auf den Namen «C____» bestellt (vgl. Lieferschein, Akten S.350). Anschliessend gab er der Berufungsklägerin den Auftrag, die Ware abzuholen. Er informierte sie erst am Tag der Abholung über die Art der Bestellung und darüber, auf welchen Namen die Ware bestellt war. Hinsichtlich der Finanzierung hat B____ der Berufungsklägerin nach deren unwiderlegten Aussagen bloss gesagt, dass er die Bestellungen mittels einer «Carte Bleue» getätigt habe, welche er im Internet erworben habe (vgl. erstinstanzliches Urteil S.4 f.mit Hinweisen). Dass er die Bestellungen in Tat und Wahrheit mit unrechtmässig erworbenen Kreditkartendaten getätigt hatte, wusste sie nach eigenen Angaben nicht. Wie er zu diesen Daten kam, konnte auch die Staatsanwaltschaft nicht in Erfahrung bringen, zumal ein Rechtshilfeersuchen nach Frankreich weitgehend ergebnislos blieb (vgl.Rechtshilfeersuchen, Akten S.511, 530; Antwort Akten S.552ff.).


3.3 Die Vorinstanz hat zutreffend erwogen, dass der Berufungsklägerin die Tathandlungen ihres Lebenspartners nur in der Konstellation der Mittäterschaft zugerechnet werden könnten, dass die Anklageschrift aber keinen Konnex zwischen den Tathandlungen von B____ und der Berufungsklägerin herstellt resp. umschreibt (erstinstanzliches Urteil S. 5). Insbesondere wird in der Anklageschrift weder geschildert, dass die Berufungsklägerin die unrechtmässig erfolgten Bestellungen zusammen mit B____ geplant habe, noch dass die von ihr getätigte Abholung der Ware ein mittäterschaftlicher Tatbeitrag bei der Verwirklichung eines gemeinsamen Vorhabens gewesen sei. Damit können der Berufungsklägerin die Tathandlungen von B____ nicht zugerechnet werden, selbst wenn Klarheit über diese bestünde.


3.4 In Bezug auf die Getränkebestellung in der [...]-Filiale am [...] in Basel hat die Vorinstanz der Berufungsklägerin jedoch eine Täuschung des Verkaufspersonals über ihre wahre Identität angelastet und dies als eigenständige Betrugshandlung gewertet. Sie hat erwogen, das würde selbst dann gelten, wenn die Berufungsklägerin - wie sie geltend macht - lediglich angegeben hätte, ein Paket auf den Namen «C____» abzuholen, da sie damit ebenfalls klar suggeriert hätte, dass es sich bei ihr um C____ handle (erstinstanzliches Urteil S. 5). Dieser Beurteilung kann in mehrfacher Hinsicht nicht gefolgt werden:


3.4.1 Zum einen ist es im alltäglichen Geschäftsverkehr gang und gäbe, dass man für jemand anderen eine Bestellung abholt, zum Beispiel für einen Familienangehörigen oder eine Nachbarin. Wenn man in einem Ladengeschäft angibt, eine «Bestellung für XY» abholen zu wollen, suggeriert man damit keineswegs automatisch, man sei selbst diese Person. Es liegt in diesem Fall im Ermessen des Geschäfts, einen Identitätsnachweis oder eine Vertretungsvollmacht zu verlangen oder nicht. Im vorliegenden Fall wurde gemäss unbestrittener Aussage der Berufungsklägerin nichts dergleichen verlangt. Davon ist auszugehen.


3.4.2 Zum Zweiten wird bei einer Bestellung durch «Click&Collect» die Ware automatisch an die angegebene Abhol- oder Lieferadresse geliefert, nachdem die entsprechende Gutschrift erfolgt ist. Es ist dabei kein menschlicher Entscheidungsträger involviert (vgl. Rapport, Akten S.576). Ein Schaden ist vorliegend zwar entstanden, da der Betrag offenbar nur vorübergehend gutgeschrieben wurde. Die Vermögensverfügung, die zum Schaden führte, erfolgte jedoch nicht wegen einer (allfälligen) Täuschung des Verkaufspersonals über die Identität der Berufungsklägerin, sondern wegen der vorübergehenden Deckung des Kaufpreises durch die missbrauchten Kreditkartendaten. Damit liegt wohl ein - durch B____ begangener, aber in der Anklageschrift nicht geschilderter - betrügerischer Missbrauch einer Datenverarbeitungsanlage nach Art. 147 StGB vor, aber kein Betrug. Das Abholen der Ware durch die Berufungsklägerin wäre daher - bei entsprechendem Vorsatz - eine reine Gehilfenschaft zu einem durch B____ bereits vorgängig verübten betrügerischen Missbrauch einer Datenverarbeitungsanlage. Könnte aufgrund der Umstände eine weitergehende Beteiligung der Berufungsklägerin an der Planung und Ausführung oder ein späterer Beitritt zum Vorsatz nachgewiesen werden - was wie bereits ausgeführt nicht der Fall ist -, wäre auch an Mittäterschaft zu denken. All dies ist aber nicht angeklagt. Die Anklageschrift schildert einzig einen eigenständigen Betrug durch die Berufungsklägerin durch Täuschung über ihre Identität. Ein solcher ist nach dem Gesagten nicht gegeben. Damit erübrigt sich auch die vom Verteidiger beantragte Befragung des Verkaufspersonals. Die Berufungsklägerin ist von der Anklage des Betrugs freizusprechen.


4.

4.1 Wird die beschuldigte Person freigesprochen, hat sie gemäss Art. 429 Abs.1 lit.c StPO Anspruch auf Genugtuung für besonders schwere Verletzungen ihrer persönlichen Verhältnisse, insbesondere bei Freiheitsentzug. Die Genugtuung nach dieser Bestimmung setzt im Gegensatz zur Genugtuung nach Art.431 Abs.1StPO keine rechtswidrige Zwangsmassnahme voraus, sondern gewährt den Anspruch allein schon aufgrund der Tatsache, dass ein Freispruch erfolgt ist und sich dadurch der Freiheitsentzug im Nachhinein als ungerechtfertigt herausstellt, auch wenn die Zwangsmassnahme im Zeitpunkt ihrer Aussprechung gerechtfertigt war (Wehrenberg/Frank, in: Basler Kommentar StPO, 2. Auflage 2014, Art. 429 StPO N26 f.; BGE 143 IV 339 E.3.1 S.341 m.w.H.). Die Entschädigungs- und Genugtuungsansprüche infolge eines Freispruchs sind von Amtes wegen zu prüfen (Art. 429 Abs. 2 StPO). Die Festlegung der Genugtuungssumme beruht auf der Würdigung sämtlicher Umstände und richterlichem Ermessen (Art. 4 ZGB; vgl. BGE 146 IV 231 E.2.3.1 S.234). Zur Bestimmung der Höhe der Genugtuung sind die Dauer und Umstände der Haft massgebend (Wehrenberg/Frank, a.a.O., Art. 429 StPO N 28). Das Bundesgericht erachtet bei kürzeren Freiheitsentzügen grundsätzlich einen Betrag von Fr. 200.- pro Tag als angemessen, sofern nicht aussergewöhnliche Umstände vorliegen, die eine höhere oder geringere Entschädigung rechtfertigen. Zu den zu berücksichtigenden Besonderheiten des Einzelfalles gehören die Dauer des Freiheitsentzugs, die Auswirkungen des Strafverfahrens und der Haft auf die betroffene Person (z.B. Verlust der Arbeitsstelle, psychische Probleme) und die Schwere der ihr vorgeworfenen Taten etc. (vgl. BGE 146 IV 231 E.2.3 S.25, 143 IV 339 E.3.1 S.342; BGer 6B_984/2018 vom 4. April 2019 E.5.1, 6B_506/2015 vom 6. August 2015 E.1.3., 6B_53/2013 vom 8. Juli 2013 E.3.2 [nicht publ. in: BGE 139 IV 243]; je mit Hinweisen). Bei längerer Untersuchungs- und/oder Sicherheitshaft (von mehreren Monaten Dauer) ist der Tagessatz nach der Praxis in der Regel zu senken, da die erste Haftzeit besonders schwer ins Gewicht fällt (vgl. BGE 113 Ib 155 E. 3b S.156; BGer 6B_1052/2014 vom 22. Dezember 2015 E.2.1; AGE SB.2017.8 vom 27. Februar 2018 E.6; Botschaft StPO, in: BBl 2006, S. 1085, 1330).


4.2 Die Berufungsklägerin befand sich während 52 Tagen in Untersuchungshaft. Diese war für sie als Mutter eines damals erst 1¼ Jahre alten Kleinkindes psychisch ausgesprochen belastend. So machte sie sich anfänglich um die Unterbringung und das Wohlergehen ihres Kindes, welches sich im Zeitpunkt ihrer Verhaftung bei einer Nachbarin an ihrem Wohnort in Frankreich befand, grosse Sorgen. Auch später war die lange Trennung von ihrem Kind für sie nur sehr schwer erträglich. Schliesslich verlor die Berufungsklägerin infolge der langen Untersuchungshaft auch ihre Arbeitsstelle (vgl. erstinstanzliches Protokoll, Akten S. 476). Es rechtfertigt sich daher, ihr für die gesamte Zeit der Untersuchungshaft eine Entschädigung von CHF200.- pro Tag, insgesamt also CHF 10'400.-, zuzusprechen.


5.

Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind der Berufungsklägerin weder für das erstinstanzliche noch für das zweitinstanzliche Verfahren Kosten aufzuerlegen (Art.426 Abs. 1, 48 Abs. 1 StPO). Die Bemühungen des amtlichen Verteidigers der Berufungsklägerin im zweitinstanzlichen Verfahren sind gemäss Art.135 Abs.1 StPO aus der Gerichtskasse zu vergüten, ohne Rückforderungsvorbehalt gemäss Art. 135 Abs. 4 StPO. Für die Höhe seiner Entschädigung kann auf seine Kostennote vom 22. Juni 2021 abgestellt werden, wobei für die Hauptverhandlung zusätzlich 2Stunden Aufwand zu vergüten sind. Demgemäss ist dem Verteidiger ein Honorar von CHF 2'550.- und ein Auslagenersatz von CHF44.80 zuzüglich 7,7% MWST aus der Gerichtskasse zuzusprechen.



Demgemäss erkennt das Appellationsgericht (Dreiergericht):


://: Es wird festgestellt, dass folgende Punkte des Urteils des Einzelgerichts in Strafsachen vom 27. August 2020 mangels Anfechtung in Rechtskraft erwachsen sind:

- Freisprüche von der Anklage des mehrfachen Betrugs am 28. September 2018 und 8. Oktober 2018 und des versuchten Betrugs am 22. Oktober 2018;

- Verfügung über die beschlagnahmten Gegenstände (Mobiltelefon Samsung mit Ladekabel, 2 Bankkarten, Notizbuch);

- Freigabe der Sicherheitsleistung im Betrag von CHF 5541.90 an [...];

- Entschädigung der amtlichen Verteidigung für das erstinstanzliche Verfahren.


A____ wird von der Anklage des Betrugs kostenlos freigesprochen.


Der Berufungsklägerin wird gestützt auf Art. 429 Abs. 1 lit. c der Strafprozessordnung eine Haftentschädigung von CHF 10400.- aus der Gerichtskasse zugesprochen.


Dem amtlichen Verteidiger, [...], werden für die zweite Instanz ein Honorar von CHF 2'550.- und ein Auslagenersatz von CHF 44.80, zuzüglich 7,7% Mehrwertsteuer von insgesamt CHF 200.-, somit total CHF 2'794.80, aus der Gerichtskasse zugesprochen.


Mitteilung an:

- Berufungsklägerin (Dispositiv und Rechtsmittelbelehrung auf Französisch übersetzt)

- Staatsanwaltschaft Basel-Stad

- Strafgericht Basel-Stadt

- Strafregister-Informationssystem VOSTRA

- Migrationsamt Basel-Stadt


APPELLATIONSGERICHT BASEL-STADT


Der Präsident Die Gerichtsschreiberin

lic. iur. Christian Hoenen lic. iur. Barbara Noser Dussy

Rechtsmittelbelehrung


Gegen diesen Entscheid kann unter den Voraussetzungen von Art. 78 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) innert 30 Tagen seit schriftlicher Eröffnung Beschwerde in Strafsachen erhoben werden. Die Beschwerdeschrift muss spätestens am letzten Tag der Frist beim Bundesgericht (1000 Lausanne 14) eingereicht oder zu dessen Handen der Schweizerischen Post oder einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung der Schweiz im Ausland übergeben werden (Art. 48 Abs. 1 BGG). Für die Anforderungen an den Inhalt der Beschwerdeschrift wird auf Art. 42 BGG verwiesen. Über die Zulässigkeit des Rechtsmittels entscheidet das Bundesgericht.


Die amtliche Verteidigung kann gegen den Entscheid betreffend ihre Entschädigung für das zweitinstanzliche Verfahren gemäss Art. 135 Abs. 3 lit. b der Strafprozessordnung (StPO) innert 10 Tagen seit schriftlicher Eröffnung Beschwerde beim Bundesstrafgericht (Viale Stefano Franscini 7, Postfach 2720, 6501 Bellinzona) erheben (vgl. dazu Urteil des Bundesgerichts 6B_360/2014 vom 30. Oktober 2014).



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Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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