Zusammenfassung des Urteils IV.2021.116 (SVG.2021.296): Sozialversicherungsgericht
Eine Beschwerdeführerin, eine gelernte Verkäuferin, reichte eine Beschwerde wegen fehlender Rentenansprüche aufgrund von Arbeitsunfähigkeit ein. Nach verschiedenen medizinischen Abklärungen und Gutachten wurde die Beschwerde abgewiesen, da keine ununterbrochene Arbeitsunfähigkeit von 40 % vorlag. Die Gerichtskosten von CHF 800,00 trägt die Beschwerdeführerin, da ihr die unentgeltliche Prozessführung bewilligt wurde. Die unterlegene Partei ist weiblich.
Kanton: | BS |
Fallnummer: | IV.2021.116 (SVG.2021.296) |
Instanz: | Sozialversicherungsgericht |
Abteilung: |
Datum: | 29.11.2021 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | IVG |
Schlagwörter: | ähig; Arbeit; Arbeitsfähigkeit; IV-Akte; Gutachten; Bericht; Diagnose; Hinweis; Verfügung; Recht; Diagnosen; Rente; Bundesgericht; Sozialversicherungsgericht; Gutachter; Gericht; Basel; Arbeitsunfähigkeit; Hinweisen; Schmerzklinik; Hinsicht; Bundesgerichts; Basel-Stadt; Advokat; Gesundheit; Beurteilung; ändig |
Rechtsnorm: | Art. 42 BGG ;Art. 44 ATSG ;Art. 47 BGG ;Art. 6 ATSG ;Art. 7 ATSG ;Art. 8 ATSG ;Art. 95 BGG ; |
Referenz BGE: | 125 V 256; 125 V 351; 125 V 352; 131 V 353; 134 V 231; 134 V 277; 135 V 465; |
Kommentar: | - |
Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt
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URTEIL
vom 29. November 2021
Mitwirkende
Dr. G. Thomi (Vorsitz), lic. iur. M. Spöndlin, Dr. med. W. Rühl
und Gerichtsschreiberin MLaw N. Marbot
Parteien
A____
[...]
vertreten durch B____, Advokat, [...]
Beschwerdeführerin
IV-Stelle Basel-Stadt
Rechtsdienst, Aeschengraben9, Postfach, 4002Basel
Beschwerdegegnerin
Gegenstand
IV.2021.116
Verfügung vom 10. Juni 2021
Beschwerde abgewiesen. Bidisziplinäres Gutachten voll beweistauglich.
Tatsachen
I.
a) Die im Jahr 1974 geborene Beschwerdeführerin und gelernte Verkäuferin, reiste im 2012 in die Schweiz ein. Seit ihrer Einreise arbeitete sie vornehmlich als Reinigungskraft, zuletzt vom 5. April 2018 bis 30. Juni 2019 als Unterhaltsreinigerin bei der Firma C____ AG in einem 60 %-Pensum (vgl. Anmeldung für Erwachsene: Berufliche Integration/Rente, IV-Akte 2; Arbeitsverträge, IV-Akte 91, Kündigung vom 23. April 2019, IV-Akte 89).
b) Am 23. Oktober 2014 meldete sich die Beschwerdeführerin erstmals unter Hinweis auf eine Herzkrankheit zum Leistungsbezug an (IV-Akte 2). Mit Verfügung vom 5. April 2017 wurde das Leistungsbegehren aufgrund fehlender ununterbrochener Arbeitsunfähigkeit von mindestens 40 % während eines ganzen Jahres abgewiesen (IV-Akte 58). Diese Verfügung erwuchs unangefochten in Rechtskraft.
c) Mit Schreiben vom 25. April 2018 machte die Beschwerdeführerin eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes geltend und meldete sich erneut zum Leistungsbezug an (IV-Akte 59). Die Beschwerdegegnerin klärte in der Folge den Sachverhalt in erwerblicher und medizinischer Hinsicht ab. So führte sie am 14. Mai 2019 eine Abklärung im Haushalt durch. Gemäss Abklärungsbericht vom 20. März 2019 ([recte: 20. Mai 2019] IV-Akte 92) sei die Beschwerdeführerin bei guter Gesundheit als 83%ige Erwerbstätige ohne Aufgabenbereich zu qualifizieren. Auf eine Haushaltsabklärung wurde daher verzichtet.
d) Ferner veranlasste die Beschwerdegegnerin eine bidisziplinäre Begutachtung bei den Dres. med. D____, Facharzt für Rheumatologie, FMH, und E____, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, FMH. Mit Gutachten vom 18. und 22. September 2020 (IV-Akten 109 und 110) kamen die Experten zum Schluss, dass sowohl in der angestammten Tätigkeit als Reinigungsfrau, als auch in einer leichten bis mittelschweren Verweistätigkeit eine 100%ige Arbeitsfähigkeit vorliege.
e) Nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens (vgl. Vorbescheid vom 18.Januar 2021, IV-Akte 113; Einwand vom 22. Februar 2021, IV-Akte 117) lehnte die Beschwerdegegnerin mit Verfügung vom 10. Juni 2021 (IV-Akte 126) einen Rentenanspruch der Beschwerdeführerin ab. Zur Begründung führte die Beschwerdegegnerin an, die Beschwerdeführerin sei nicht während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich zu mindestens 40 % arbeitsunfähig gewesen.
II.
a) Mit Beschwerde vom 5. Juli 2021 beantragt die Beschwerdeführerin, es sei die Verfügung der Beschwerdegegnerin vom 10. Juni 2021 aufzuheben und der Beschwerdeführerin mit Wirkung ab 1. April 2019 eine halbe Invalidenrente basierend auf einer mindestens 50%igen Arbeitsunfähigkeit auszurichten. Unter o/e-KostenÂfolge. In verfahrensrechtlicher Hinsicht beantragt die Beschwerdeführerin die Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung und Verbeiständung mit B____, Advokat.
b) Die Beschwerdegegnerin schliesst mit Beschwerdeantwort vom 5. August 2021 auf Abweisung der Beschwerde.
c) Mit Replik vom 18. Oktober 2021 hält die Beschwerdeführerin an ihren eingangs gestellten Begehren fest.
III.
Mit Verfügung vom 2. August 2021 wird der Beschwerdeführerin die unentgeltliche Prozessführung und die unentgeltliche Vertretung durch B____, Advokat, bewilligt.
IV.
Nachdem keine der Parteien die Durchführung einer mündlichen Parteiverhandlung verlangte, findet am 29. November 2021 die Urteilsberatung durch die Kammer des Sozialversicherungsgerichts Basel-Stadt statt.
Entscheidungsgründe
1.
1.1. Das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt ist gemäss Art.57 des Bundesgesetzes vom 6.Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG; SR 830.1) in Verbindung mit §82 Abs.1 des Gesetzes vom 3. Juni 2015 betreffend die Organisation der Gerichte und der Staatsanwaltschaft (Gerichtsorganisationsgesetz, GOG; SG 154.100) und §1 Abs.1 des Gesetzes vom 9. Mai 2001 über das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt und über das Schiedsgericht in Sozialversicherungssachen (Sozialversicherungsgerichtsgesetz, SVGG; SG154.200) in sachlicher Hinsicht als einzige kantonale Instanz zur Beurteilung der vorliegenden Beschwerde zuständig. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus Art.69 Abs.1 lit.a des Bundesgesetzes vom 19.Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG; SR831.20).
1.2. Da auch die übrigen formellen Voraussetzungen erfüllt sind, ist auf die form- und fristgerecht eingereichte Beschwerde einzutreten.
3.2.3. Gutachten externer Spezialärzte, welche von Versicherungsträgern im Verfahren nach Art. 44 ATSG eingeholt wurden und den Anforderungen der Rechtsprechung entsprechen, darf das Gericht vollen Beweiswert zuerkennen, solange nicht konkrete Indizien gegen die Zuverlässigkeit der Expertise sprechen (BGE 135 V 465, 470 E. 4.4; BGE 125 V 352, 353 E. 3b/bb). Gemäss ständiger Praxis des Bundesgerichts, kommt den im Rahmen eines Gutachtens erstellten Berichten unabhängiger Fachärztinnen höherer Beweiswert zu, als solchen von Hausärztinnen und Hausärzten - wie im vorliegenden Fall - behandelnder Fachärzte (vgl. BGE 135 V 465, 470 E. 4.5, mit weiteren Hinweisen).
5.2.2. Mit Bericht vom 18. März 2021 diagnostizierte Dr. med. H____, Facharzt für Allgemeine Innere Medizin, FMH, der Beschwerdeführerin den Verdacht auf eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren F45.41), eine arterielle Hypertonie, ein Aneurysma der Aorta ascendes mit Durchmesser 3.9 cm, Hypothyreose und einen chronischen Eisenmangel. Eine Beurteilung der Arbeitsfähigkeit ist dem Bericht nicht zu entnehmen.
5.2.3. Dr. med. G____ attestierte der Beschwerdeführerin mit Bericht vom 18. Juni 2021 ein chronisches Schmerzsyndrom mit Schmerzstörung; ein Zervikalsyndrom bei Anterolisthesis HW/K2 und 4, sowie Retrolisthese HWK 3 und HWK 4, rechtskonvexe Skoliose der BWS; lumboradikuläre Schmerzen rechts bei rechts paramedianen Bandscheibenesxtrusion L5/S1; Hallux Valgus bds.; Arterielle Hypertonie, aneurysmatische Dilatation der Aorta ascendens 3.9 cm; Hypothyreose, Eisenmangel; chronische Depression mit Panikattacken. Die Diagnose der degenerativen Veränderung zervikal sei in der Schmerzklinik neu im Februar 2021 diagnostiziert worden. Zusammen mit den restlichen bereits bekannten Diagnosen ergebe sich eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit von 50 %.
5.2.4. Der Bericht der Schmerzklinik äussert sich nicht zur Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführerin. Er ist daher bereits unter diesem Gesichtspunkt nicht geeignet, die entsprechenden gutachterlichen Feststellungen in Zweifel zu ziehen (vgl. Urteil des Bundesgerichts 8C_800/2011 vom 31. Januar 2012 E. 3.3, mit weiteren Hinweisen). Ferner sind dem Bericht der Schmerzklinik keine Diagnosen zu entnehmen, mit welchen sich die Gutachter nicht auseinandergesetzt hätten. So führt Dr. med. E____ in seinem Gutachten aus, weshalb die Diagnose einer Schmerzstörung nicht gestellt werden könne, sondern vielmehr eine Schmerverarbeitungsstörung vorliege. Zudem erscheint die gutachterliche Darstellung, wonach bei zweimaliger Hyperventilation noch nicht von Panikattacken im pathologischen Sinne auszugehen sei, nachvollziehbar (IV-Akte 110, S. 30 f.). Dr. med. D____ hält in seinem Gutachten fest, dass ein Ganzkörperschmerzsyndrom ohne organische Ursache vorliege. Zudem gibt er an, dass er während der Untersuchung den Eindruck erhalten habe, dass die Beschwerdeführerin eine chronische Schmerzpatientin sei. Auch mit den übrigen, im Bericht der Schmerzklinik aufgeführten Diagnosen, mit Ausnahme der Hypothyreose, nimmt der Rheumatologe Stellung (Rheumatologisches Gutachten vom 18. September 2020, IV-Akte 109, S. 38ff.). Angesichts der guten Behandlungsmöglichkeiten einer Schilddrüsenunterfunktion mit Medikamenten ist allerdings nicht ersichtlich, weshalb diese Diagnose Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit haben sollte; dies wird im Übrigen seitens der Schmerzklinik auch nicht schlüssig dargetan. Insgesamt sind dem Bericht der Schmerzklinik somit keine wesentlichen Aspekte zu entnehmen, die im Rahmen der Begutachtung unerkannt ungewürdigt geblieben sind (Urteil des Bundesgerichts 9C_246/2018 vom 16. August 2018 E. 4.1 mit Hinweis auf 8C_29/2018 vom 6. Juli 2018 E. 3.2.2 und 9C_91/2018 vom 7. Juni 2018 E. 4.2, mit weiteren Hinweisen). 5.3. Hinsichtlich des im laufenden Verfahren eingereichten Berichts von Dr. med. G____ vom 18. Juni 2021 ist zu bemerken, dass dieser nach dem Verfügungsdatum datiert und deshalb grundsätzlich keine Berücksichtigung erfahren kann (BGE 131 V 353, 354 E. 2; BGE 134 V 277, 283 E. 3.4). Da dem Bericht vom 18. Juni 2021 jedoch ohnehin keine neuen Diagnosen zu entnehmen sind und darin auch keine klinischen Befunde aufgeführt werden, vermag er ohnehin keine Zweifel an der gutachterlichen Darstellung zu schüren.Demgemäss erkennt das Sozialversicherungsgericht:
://: Die Beschwerde wird abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin trägt die ordentlichen Kosten des Verfahrens, bestehend aus einer Gebühr von CHF 800.00. Zufolge Bewilligung des Kostenerlasses gehen diese Kosten zu Lasten des Staates.
Die ausserordentlichen Kosten werden wettgeschlagen.
Dem Vertreter der Beschwerdeführerin im Kostenerlass, B____, Advokat, wird ein Anwaltshonorar von CHF 3'000.00 (inkl. Auslagen) zuzüglich Mehrwertsteuer von CHF 231.00 aus der Gerichtskasse zugesprochen.
Sozialversicherungsgericht BASEL-STADT
Der Präsident Die Gerichtsschreiberin
Dr. G. Thomi MLaw N. Marbot
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen nach der Eröffnung der vollständigen Ausfertigung beim Bundesgericht Beschwerde eingereicht werden (Art. 100 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht [Bundesgerichtsgesetz, BGG]). Die Beschwerdefrist kann nicht erstreckt werden (Art. 47 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdegründe sind in Art. 95 ff. BGG geregelt.
Die Beschwerdeschrift ist dem Bundesgericht, Schweizerhofquai 6, 6004 Luzern, in dreifacher Ausfertigung zuzustellen. Die Beschwerdeschrift hat den Anforderungen gemäss Art. 42 BGG zu genügen; zu beachten ist dabei insbesondere:
a) Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift zu enthalten;
b) in der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht verletzt;
c) die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in Händen hat, ebenso der angefochtene Entscheid.
Geht an:
- Beschwerdeführerin
- Beschwerdegegnerin
- Bundesamt für Sozialversicherungen
Versandt am:
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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