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Urteil Appellationsgericht (BS - BES.2021.36 (AG.2021.506))

Zusammenfassung des Urteils BES.2021.36 (AG.2021.506): Appellationsgericht

Die Beschwerde dreht sich um die Bewilligung der amtlichen Verteidigung für A____, der des Diebstahls schuldig gesprochen wurde. Die Staatsanwaltschaft hatte das Gesuch um amtliche Verteidigung ab dem 8. Januar 2021 abgelehnt, was zu einer Beschwerde führte. Das Gericht entschied, dass der Fall tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten aufweist, die eine amtliche Verteidigung rechtfertigen. Die Beschwerde wurde daher gutgeheissen, die amtliche Verteidigung bewilligt und keine Kosten für das Beschwerdeverfahren erhoben.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts BES.2021.36 (AG.2021.506)

Kanton:BS
Fallnummer:BES.2021.36 (AG.2021.506)
Instanz:Appellationsgericht
Abteilung:
Appellationsgericht Entscheid BES.2021.36 (AG.2021.506) vom 31.08.2021 (BS)
Datum:31.08.2021
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:amtliche Verteidigung
Schlagwörter: Verteidigung; Staatsanwaltschaft; Verfahren; Verfügung; Recht; Befehl; Einsprache; Geschädigte; Geschädigten; Verfahren; Beschwerdeführer; Beweis; Untersuchung; Gesuch; Entscheid; Beschwerdeführers; Rechtsmittel; Schwierigkeiten; Gericht; Diebstahl; Basel; Diebstahls; Verteidigerin; Untersuchungshaft; Bewilligung; Beschwerdeverfahren; Verfahrens; Widerruf; Hinsicht
Rechtsnorm: Art. 132 StPO ;Art. 134 StPO ;Art. 42 BGG ;Art. 428 StPO ;Art. 48 BGG ;
Referenz BGE:-
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts BES.2021.36 (AG.2021.506)

Appellationsgericht

des Kantons Basel-Stadt

Einzelgericht



BES.2021.36


ENTSCHEID


vom 31. August 2021



Mitwirkende


lic. iur. Christian Hoenen

und Gerichtsschreiberin lic. iur. Saskia Schärer




Beteiligte


A____, geb. [...] Beschwerdeführer

[...] Beschuldigter

vertreten durch B____, Advokatin,

[...]

gegen


Staatsanwaltschaft Basel-Stadt Beschwerdegegnerin

Binningerstrasse 21, 4001 Basel



Gegenstand


Beschwerde gegen eine Verfügung der Staatsanwaltschaft

vom 10. Februar 2021


betreffend amtliche Verteidigung


Sachverhalt


Am 17. Dezember 2020 wurde A____ vorläufig festgenommen. Am 18. Dezember 2020 eröffnete die Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren wegen Diebstahls und Hausfriedensbruch. Als Anwältin der ersten Stunde wurde B____ aufgeboten. Diese beantragte mit Schreiben vom 26. Dezember 2020 die Einsetzung als amtliche Verteidigerin. Am 29. Dezember 2020 erliess die Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl, mit welchem A____ des Diebstahls (mehrfache Begehung) und des rechtswidrigen Aufenthalts schuldig erklärt und zu einer bedingt vollziehbaren Freiheitsstrafe von 150 Tagen sowie einer Busse von CHF 900.- verurteilt wurde. Gleichentags wurde A____ aus der Untersuchungshaft entlassen. Gegen den Strafbefehl wurde Einsprache erhoben. Mit Verfügung vom 10. Februar 2021 setzte die Staatsanwaltschaft B____ rückwirkend für die Zeit vom 17. Dezember 2020 bis zum 10. Februar 2021 als amtliche Verteidigerin ein, wies das Gesuch jedoch pro futuro ab dem 8. Januar 2021 ab.


Gegen diese Verfügung hat A____, vertreten durch B____, rechtzeitig Beschwerde erhoben. Er beantragt die Aufhebung der angefochtenen Verfügung und die Bewilligung der amtlichen Verteidigung in der Person seiner Rechtsvertreterin. Überdies ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege beziehungsweise amtliche Verteidigung für das Beschwerdeverfahren. Die Staatsanwaltschaft beantragt mit Stellungnahme vom 9. April 2021 die vollumfängliche Abweisung der Beschwerde. Der Beschwerdeführer lässt in seiner Replik vom 17. Mai 2021 an seinen Anträgen festhalten.


Die Einzelheiten der Parteistandpunkte ergeben sich, soweit sie für den vorliegenden Entscheid von Bedeutung sind, aus den nachfolgenden Erwägungen.



Erwägungen


1.

1.1 Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen die Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 10. Februar 2021, mit welcher das Gesuch des Beschwerdeführers um Bewilligung der amtlichen Verteidigung ab dem 8. Januar 2021 abgewiesen wurde. Dagegen ist nach Art.393 Abs.1 lit.a der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO, SR312.0) die Beschwerde zulässig. Zuständiges Beschwerdegericht ist das Appellationsgericht als Einzelgericht (§93 Abs.1 Ziff.1 des Gerichtsorganisationsgesetzes [GOG, SG154.100]). Die Kognition des Beschwerdegerichts ist frei und nicht auf Willkür beschränkt (Art.393 Abs.2 StPO).


1.2 Der Beschwerdeführer ist durch die Abweisung der amtlichen Verteidigung unmittelbar in seinen Interessen berührt und hat ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung der angefochtenen Verfügung. Entsprechend ist er zur Beschwerdeerhebung legitimiert (Art.382 Abs.1 StPO). Die vorliegende Beschwerde ist innert der gesetzlichen Frist von Art.396 Abs.1 StPO eingereicht und begründet worden, so dass auf sie einzutreten ist.


2.

2.1 Die Vertreterin des Beschwerdeführers weist darauf hin, dass die Verfügung vom 10.Februar 2021 völlig unklar sei, denn einerseits werde die amtliche Verteidigung bis zum 10. Februar 2021 bewilligt, nicht aber ab dem 8. Januar 2021 pro futuro. In der Sache selbst macht sie geltend, sie dürfe nicht zur Unzeit aus dem Mandat entlassen werden. Entweder werde die amtliche Verteidigung während des Untersuchungsverfahrens aufgrund einer angeblichen Leichtigkeit des Falls nicht gewährt aber sie bleibe nach Einreichung eines Rechtsmittels während des hängigen Verfahrens bis zum Entscheid über das Rechtsmittel bestehen. Ein Widerruf während des hängigen Rechtsmittelverfahrens erfolge zur Unzeit. Es werde auch bestritten, dass es sich in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht um einen einfachen Fall handle und sich der Beschwerdeführer selber verteidigen könne. Dass er eigenständig keine Einsprache erhoben habe, obwohl der Schuldspruch mit gravierenden Ermittlungslücken im Ermittlungsverfahren behaftet sei, zeige bereits seine offensichtliche Unbeholfenheit.


2.2 Die Staatsanwaltschaft gesteht in ihrer Stellungnahme vom 9. April 2021 zu, dass die angefochtene Verfügung unklar formuliert sei. Das Gesuch um Anordnung einer amtlichen Verteidigung habe sie am 10. Februar 2021 pro futuro ab dem Erlassdatum und nicht rückwirkend ab dem 8. Januar 2021 abweisen wollen. Der Beschwerdeführer habe sich im Dezember 2020 während 14 Tagen in Untersuchungshaft befunden, weshalb es gestützt auf Art. 130 lit. a StPO einer notwendigen Verteidigung bedurft habe. Als die Staatsanwaltschaft das Gesuch um amtliche Verteidigung am 10.Februar 2021 geprüft habe, habe sie festgestellt, dass die Voraussetzungen dafür zwischenzeitlich nicht mehr gegeben gewesen seien. Der Widerruf sei alles andere als zur Unzeit erfolgt. Die Einsprache sei bereits erhoben worden und weitere Verfahrensschritte seien nicht geplant gewesen. Damit die amtliche Verteidigung hätte bewilligt werden können, hätte der Straffall in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten bieten müssen, denen der Beschwerdeführer allein nicht gewachsen wäre. Würde man der Argumentation des Beschwerdeführers folgen, so wären sämtliche Personen, welche nicht über eine juristische Ausbildung verfügen, ohne Rechtskenntnis und damit auf eine Verteidigung angewiesen. Dies treffe gemäss geltender Praxis nicht zu. Vielmehr müsse im Einzelfall geprüft werden, welche Schwierigkeiten der Straffall mit sich bringe. Wie bereits in der angefochtenen Verfügung ausgeführt worden sei, sei eine Verteidigung zur Überwindung sprachlicher Barrieren nicht erforderlich (BGer 1B_318/2018 vom 28. September 2018, E. 2.5). Vorliegend handle es sich weder um komplexe Sachverhalte noch seien komplizierte beweismässige Abklärungen notwendig gewesen. Die Beweismittel würden sich auf die Aussagen des Geschädigten sowie auf die Aussagen des Beschwerdeführers beschränken. Es obliege dem Sachgericht, diese Aussagen zu würdigen. Es sei nicht ersichtlich, inwiefern der Fall in rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten bieten sollte, zumal sich keine heiklen Abgrenzungsfragen stellen würden.


3.

3.1 Der Beschwerdeführer hat sich im Dezember 2020 während 14 Tagen in Untersuchungshaft befunden. Damit hat der Fall einer notwendigen Verteidigung vorgelegen (Art. 130 lit. a StPO), weshalb zu der Zeit angesichts der unbestrittenen Bedürftigkeit des Beschwerdeführers auch ein Anspruch auf amtliche Verteidigung bestanden hat. Allerdings führt der blosse Umstand, dass der Beschwerdeführer mehr als 10 Tage Untersuchungshaft absolviert hat, nach erfolgter Haftentlassung nicht automatisch zur Fortdauer der notwendigen amtlichen Verteidigung (BGer 1B_313/2014 E. 5). Ein Widerruf der amtlichen Verteidigung ist möglich, wenn der Grund für deren Bewilligung wegfällt (Art. 134 Abs. 1 StPO). Davon, dass der Widerruf nicht während eines hängigen Einspracheverfahrens erfolgen darf, sagt das Gesetz nichts. Die Staatsanwaltschaft hat deshalb am 10. Februar 2021 bei der Beurteilung des Gesuchs um Bewilligung der amtlichen Verteidigung zu Recht geprüft, ob der vorliegende Fall in tatsächlicher rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten bietet, denen der Beschwerdeführer allein nicht gewachsen wäre (Art. 132 Abs. 2 StPO). Soweit sie jedoch als Begründung für die Verweigerung der amtlichen Verteidigung darauf hinweist, die Einsprache sei bereits erhoben worden und weitere Verfahrensschritte seien nicht geplant gewesen, kann ihr nicht gefolgt werden. Gemäss Art.355 Abs. 1 StPO nimmt die Staatsanwaltschaft nach Erhebung einer Einsprache die weiteren Beweise ab, die zur Beurteilung der Einsprache erforderlich sind. Gemäss Art.355 Abs. 3 StPO entscheidet sie nach Abnahme der Beweise, ob sie am Strafbefehl festhält, das Verfahren einstellt, einen neuen Strafbefehl erlässt Anklage beim erstinstanzlichen Gericht erhebt. Im Zeitpunkt, als die Staatsanwaltschaft mit der vorliegend angefochtenen Verfügung die amtliche Verteidigung pro futuro abwies, hatte sie weder weitere Beweise abgenommen noch hatte sie über das weitere Vorgehen entschieden. Erst am 16. März 2021 findet sich in einer Aktennotiz der Staatsanwaltschaft der Hinweis, dass ein neuer Strafbefehl erlassen werden müsse, da der Geschädigte nach Erlass des ersten Strafbefehls Rechnungen eingereicht habe, welche zeigen würden, dass der Deliktsbetrag offensichtlich zu hoch sei. Am 31. März 2021 erfolgte dann der neue Strafbefehl, ohne dass jedoch dem Beschwerdeführer zuvor Gelegenheit geboten worden wäre, Beweisanträge einzureichen.


3.2 In der Sache selbst ist festzuhalten, dass sich der vorliegende Fall keineswegs so einfach gestaltet, wie dies die Staatsanwaltschaft behauptet. Die Staatsanwaltschaft hat vollumfänglich auf die Beschuldigung des Geschädigten, wonach er vom Beschwerdeführer bestohlen worden sei, abgestellt, ohne diesen je mit dem Beschwerdeführer, der den Vorwurf des Diebstahls bestreitet, konfrontiert zu haben. Sie hat es überdies unterlassen, weitere Abklärungen über das angebliche Diebesgut vorzunehmen, obschon sie ohne Weiteres die Bekannte des Geschädigten, die ihm die fünf Goldmünzen und den Goldbarren am Tag vor dem Diebstahl geschenkt haben will, hätte befragen können. Die durch den Geschädigten eingereichten Bankbelege aus den Jahren 2012 und 2013, ausgestellt an einen «Kassakunde» (Akten S.154 und 155), sind kein schlüssiger Beweis für deren Besitz durch den Geschädigten im Zeitpunkt des behaupteten Diebstahls und können eine Befragung der Bekannten des Geschädigten nicht ersetzen. Immerhin soll es sich um Werte von CHF8'415.- für die fünf Goldmünzen und von CHF 4'947.- für den Goldbarren handeln, was eine sauberere Untersuchung des Sachverhalts erforderlich erscheinen lässt. Es kommt hinzu, dass der Beschwerdeführer, dessen Muttersprache Ungarisch ist, nicht nur zur Überwindung sprachlicher Barrieren auf eine juristisch geschulte Vertretung angewiesen ist. Vielmehr hat er auch nie eine Schule besucht und bezeichnet sich als Analphabet (Akten S. 4). Er ist somit nicht einmal in der Lage, selbständig den Strafbefehl zu lesen. Nach dem Gesagten bietet das Strafverfahren durchaus tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten, denen der Beschwerdeführer allein nicht gewachsen wäre. In Anwendung von Art.397 Abs.2 StPO kann die Beschwerdeinstanz einen reformatorischen Entscheid fällen. Die Beschwerde ist deshalb gutzuheissen und die amtliche Verteidigung auch für die Zeit seit dem 10. Februar 2021 zu bewilligen.


4.

Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind keine ordentlichen Kosten zu erheben (Art. 428 Abs. 1 StPO). Dem Beschwerdeführer ist die amtliche Verteidigung auch für das Beschwerdeverfahren zu bewilligen. Die Vertreterin hat die Festsetzung des Honorars ins Ermessen des Beschwerdegerichts gestellt. Angemessen erscheinen sechs Stunden bei einem Stundenansatz von CHF 200.-, wobei die Auslagen, nicht aber die Mehrwertsteuer, enthalten sind.



Demgemäss erkennt das Appellationsgericht (Einzelgericht):


://: Die Beschwerde wird gutgeheissen und Advokatin B____ wird als amtliche Verteidigerin im Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer eingesetzt.


Für das Beschwerdeverfahren werden keine Kosten erhoben.


Der amtlichen Verteidigern B____ wird für das Beschwerdeverfahren ein Honorar von CHF 1'200.- (einschliesslich Auslagen), zuzüglich 7,7%MWST von CHF 92.40, aus der Gerichtskasse ausgerichtet.


Mitteilung an:

- Beschwerdeführer

- Staatsanwaltschaft Basel-Stadt


APPELLATIONSGERICHT BASEL-STADT


Der Präsident Die Gerichtsschreiberin

lic. iur. Christian Hoenen lic. iur. Saskia Schärer

Rechtsmittelbelehrung


Gegen diesen Entscheid kann unter den Voraussetzungen von Art. 78 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) innert 30 Tagen seit schriftlicher Eröffnung Beschwerde in Strafsachen erhoben werden. Die Beschwerdeschrift muss spätestens am letzten Tag der Frist beim Bundesgericht (1000 Lausanne 14) eingereicht zu dessen Handen der Schweizerischen Post einer diplomatischen konsularischen Vertretung der Schweiz im Ausland übergeben werden (Art. 48 Abs. 1 BGG). Für die Anforderungen an den Inhalt der Beschwerdeschrift wird auf Art. 42 BGG verwiesen. Über die Zulässigkeit des Rechtsmittels entscheidet das Bundesgericht.


Die amtliche Verteidigerin kann gegen den Entscheid betreffend ihre Entschädigung für das zweitinstanzliche Verfahren gemäss Art. 135 Abs. 3 lit. b der Strafprozessordnung (StPO) innert 10 Tagen seit schriftlicher Eröffnung Beschwerde beim Bundesstrafgericht (Viale Stefano Franscini 7, Postfach 2720, 6501 Bellinzona) erheben (vgl. dazu Urteil des Bundesgerichts 6B_360/2014 vom 30. Oktober 2014).



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Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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