| Appellationsgericht als Verwaltungsgericht Einzelrichter für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht |
AUS.2024.41
URTEIL
vom 8. August 2024
Beteiligte
Migrationsamt des Kantons Basel-Stadt,
Spiegelgasse 12, Postfach, 4001 Basel
gegen
A____, geb. [...] 1997, von Algerien
zur Zeit im Gefängnis Bässlergut,
Freiburgerstrasse 48, 4057 Basel
Gegenstand
Verfügung des Migrationsamtes vom 7. August 2024
betreffend Ausschaffungshaft nach Art. 76a AIG
(Haft im Rahmen des Dublinverfahrens)
Sachverhalt
Der algerische Staatsangehörige A____ (nachfolgend: Beurteilter), geboren am [...]1997, reichte am 20. Juli 2024 in der Schweiz ein Asylgesuch ein, welches mit Beschluss des Staatssekretariats für Migration (SEM) vom 23. Juli 2024 als gegenstandslos abgeschrieben wurde, nachdem der Beurteilte dem Termin vom 22. Juli 2024 zur Abnahme seiner Fingerabdrücke ferngeblieben war. Aufgrund einer Vorsprache beim Migrationsamt Basel-Stadt am 23. Juli 2024 wurde ihm eine Bestätigung zum Bezug von Nothilfe ausgestellt und wurde er zur wöchentlichen Vorsprache beim Migrationsamt aufgefordert, welche er in der Folge jedoch nicht regelmässig wahrnahm. Am 7. August 2024 wurde der Beurteilte in der Dreirosenanlage in Basel durch die Kantonspolizei Basel-Stadt einer Kontrolle unterzogen. Aus einem entsprechenden Eintrag im Zentralen Migrationsinformationssystem (ZEMIS) ergab sich, dass am 5. August 2024 durch das SEM gegen ihn eine Wegweisung in den zuständigen Dublin-Staat Deutschland verfügt worden war. Weil sich des Weiteren aus der mitgeführten Nothilfebestätigung ein Vorsprachetermin vom 6. August 2024 ergab, ohne dass ein neuer Termin vorgemerkt gewesen wäre, kontaktierte die Kantonspolizei das Migrationsamt, welches daraufhin die vorläufige Festnahme des Beurteilten wegen rechtswidrigen Aufenthaltes verfügte. Nachdem ein Abgleich mit der Europäischen Fingerabdruck-Datenbank (EURODAC) bereits zuvor schon ergeben hatte, dass der Beurteilte am 6. Mai 2024 in Nürnberg/Deutschland ein Asylgesuch gestellt hatte, und das SEM in der Folge die deutschen Behörden um seine Übernahme im Rahmen des Dublin-Verfahrens ersucht hatte, welchem Ersuchen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 5. August 2024 entsprach, ordnete das Migrationsamt am 7. August 2024 nach Gewährung des rechtlichen Gehörs eine Dublin-Ausschaffungshaft über den Beurteilten an. Der Beurteilte hat um gerichtliche Überprüfung der Ausschaffungshaft ersucht. Das vorliegende Urteil ergeht im schriftlichen Verfahren unter Beizug der Vorakten.
Erwägungen
1.
Gemäss Art. 80a Abs. 3 des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG, SR 142.20) wird die Rechtmässigkeit und Angemessenheit der Haft in Dublin-Fällen auf Antrag der inhaftierten Person durch eine richterliche Behörde in einem schriftlichen Verfahren überprüft. Diese Überprüfung kann jederzeit beantragt werden. Die Frist, innert welcher die Überprüfung zu erfolgen hat, ist der genannte Bestimmung nicht zu entnehmen. Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung richtet sich die zulässige Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalls. Als Richtschnur dazu hat allerdings die Frist von 96 Stunden nach Art. 80 Abs. 2 AIG zu gelten, welche nicht deutlich überschritten werden sollte (BGE 142 I 135 E. 3.3). Mit der heutigen Überprüfung der Haft wird diese Frist ohne weiteres eingehalten.
2.
2.1 Die zuständige Behörde kann die betroffene ausländische Person gemäss Art. 76a Abs. 1 AIG zur Sicherstellung der Wegweisung in den für das Asylverfahren zuständigen Dublin-Staat in Haft nehmen, wenn im Einzelfall konkrete Anzeichen befürchten lassen, dass sich diese der Durchführung der Wegweisung entziehen will (lit. a), die Haft verhältnismässig ist (lit. b) und sich weniger einschneidende Massnahmen nicht wirksam anwenden lassen (lit. c). Art. 76a Abs. 2 AIG normiert Gründe, welche als konkrete Indizien befürchten lassen, die betroffene Person werde sich der Wegweisung entziehen. Es handelt sich um objektive gesetzliche Kriterien für die Annahme von Fluchtgefahr. Die angegebenen Haftgründe decken sich über weite Strecken mit den Haftgründen der Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft nach den Art. 75 f. AIG (Botschaft zur Weiterentwicklung des Dublin/Eurodac-Besitzstands vom 7. März 2014, BBl S. 2675 ff., 2702). Ob eine erhebliche Fluchtgefahr tatsächlich besteht, bedarf zusätzlich der Prüfung im Einzelfall (Zünd, in: Spescha et al. [Hrsg.], Kommentar Migrationsrecht, 5. Auflage, Zürich 2019, Art. 76a AIG N 3; Hugi Yar, in: Uebersax et al. [Hrsg], Ausländerrecht, 3. Auflage, Basel 2022, Rz 12.149 ff.). Die betroffene Person kann zur Sicherstellung des Vollzugs zwischen der Eröffnung des Weg- Ausweisungsentscheid für maximal sechs Wochen in Haft genommen werden (Art. 76a Abs. 3 lit. c AIG).
2.2
2.2.1 Das Migrationsamt stützt die angeordnete Haft auf Art. 76a Abs. 2 lit. b AIG, wonach eine Person in Haft genommen werden kann, wenn ihr Verhalten in der Schweiz im Ausland darauf schliessen lässt, dass sie sich behördlichen Anordnungen widersetzt. Dem ist zuzustimmen. Der Beurteilte wurde, nachdem er am 20. Juli 2024 ein Asylgesuch gestellt hatte, für die Abnahme seiner Fingerabdrücke am 22. Juli 2024 im Bundesasylzentrum vorgeladen. Diesem Termin ist er jedoch unentschuldigt ferngeblieben. Der Beurteilte will von diesem Termin zwar nichts gewusst haben (Befragungsprotokoll vom 7. August 2024, S. 5). Dieses Vorbringen ist jedoch unglaubwürdig. Denn in den Akten liegt die betreffende Vorladung vom 20. Juli 2024, auf welcher er unterschriftlich bestätigt hat, von diesem Termin Kenntnis zu haben. Des Weiteren ist der Beurteilte am 6. August 2024 auch nicht zur vorgesehenen wöchentlichen Vorsprache beim Migrationsamt erschienen. Auch von diesem Termin will er nichts gewusst haben. Das Papier sei nass geworden (Befragungsprotokoll vom 7. August 2024, S. 3), was aber ebenso wenig glaubwürdig ist. Wenn er den eingetragenen Termin auf seinem Papier – gemeint ist wohl die Bestätigung zum Nothilfebezug – nicht mehr hätte lesen können, hätte er ohne Weiteres beim Migrationsamt vorsprechen können, um den nächsten Vorsprachetermin in Erfahrung zu bringen. Dass der Beurteilte nicht gewillt ist, sich an behördliche Anordnungen zu halten, zeigt sich auch daran, dass er nach Einreichung seines Asylgesuchs in der Schweiz gemäss seinen Aussagen nach Frankreich ausgereist ist (Befragungsprotokoll vom 7. August 2024, S. 2 f.), obschon er sich während des laufenden Verfahrens den zuständigen Behörden hierzulande hätte zur Verfügung halten müssen. Dass er von dieser Pflicht nichts gewusst haben will, ist als blosse Schutzbehauptung zu werten, zumal ihm auch bewusst sein musste, dass er ohne gültige Reisepapiere gar nicht legal von der Schweiz in ein anderes Land reisen kann. Das Verhalten des Beurteilten zeigt insgesamt unmissverständlich, dass er sich behördlichen Anordnungen widersetzt (Art. 76a Abs. 2 lit. b AIG).
2.2.2 Das Migrationsamt hat die Haftanordnung des Weiteren auch damit begründet, dass der Beurteilte mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt vom 3. August 2024 unter anderem wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 120 Tagen verurteilt worden sei. Da es sich bei Diebstahl um ein Verbrechen im Sinne des Strafgesetzbuches gehe, erfülle er auch den Haftgrund von Art. 76a Abs. 2 lit. h AIG. Das Migrationsamt übersieht dabei, dass die Verurteilung zu einem Verbrechen als Haftgrund nur greifen kann, wenn sie rechtskräftig ist (Hugi Yar, a.a.O., Rz 12.84 und Baumann/Göksu, Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, Zürich/ St. Gallen 2022, Rz 39, jeweils zur gleichlautenden Bestimmung von Art. 75 Abs. 1 lit. h AIG). Im vorliegenden Fall datiert der Strafbefehl vom 3. August 2024. Damit ist er aber noch nicht rechtskräftig, denn der Beurteilte hat 10 Tage Zeit, gegen seine Verurteilung Einsprache zu erheben (Art. 354 Abs. 1 der Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO, SR 312.0]). Demgegenüber ist der Haftgrund von Art. 76a Abs. 2 lit. i AIG erfüllt, wonach als Indiz, dass sich die betroffene Person der Durchführung der Wegweisung entziehen will, zu werten ist, wenn sie gegenüber der zuständigen Behörde unter anderem verneint, in einem Dublin-Staat ein Asylgesuch eingereicht zu haben. Der Beurteilte hat in seiner Befragung vom 7. August 2024 mehrfach ausgesagt, in keinem anderen europäischen Land ein Asylgesuch gestellt zu haben (Befragungsprotokoll, S. 3 und 4).
2.3 Angesichts der wiederholt demonstrierten Bereitschaft des Beurteilten, sich nicht zur Verfügung der Behörden halten zu wollen, sind mildere Massnahmen wie Eingrenzung, Zuweisung eines Aufenthaltsorts und/oder Meldepflichten offensichtlich nicht geeignet, seine Rückkehr in den zuständigen Dublin-Staat sicherzustellen. Er ist ohne jegliche Bezüge zur Schweiz und offenkundig an keinen Ort gebunden, was die Untertauchensgefahr zusätzlich erhöht. Dies umso mehr, als er in seiner Befragung ausgesagt hat, im Falle einer Haftentlassung nach Frankreich auszureisen zu wollen (Befragungsprotokoll vom 7. August 2024, S. 5). Es lassen sich somit keine weniger einschneidenden Massnahmen wirksam anwenden (Art. 76a Abs. 1 lit. c AIG).
2.4 Die Anordnung der Ausschaffungshaft bis zum 18. September 2024 und damit für die maximal mögliche Dauer von sechs Wochen (Art. 76a Abs. 3 lit. c AIG) ist insofern nicht zu beanstanden, als zum heutigen Zeitpunkt offen ist, ob der Beurteilte noch Beschwerde gegen die Wegweisungsverfügung des SEM vom 5. August 2024, welche ihm erst am 7. August 2024 eröffnet worden ist, erheben wird und ob diesfalls der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt würde (vgl. Art. 64a Abs. 2 AIG). Das Migrationsamt hat am 8. August 2024 auf informellem Weg von der Bundespolizeiinspektion Weil am Rhein bereits die provisorische Zustimmung zur Überstellung des Beurteilten am 16. August 2024 an die deutschen Behörden am Grenzübergang Basel/Weil Autobahn erhalten. Die formelle Zustimmung des deutschen Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ist derzeit aber noch ausstehend. Angesichts einer noch möglichen Beschwerde gegen die Wegweisung und allfällig damit verbundenen Weiterungen erscheint die verfügte Haftdauer von sechs Wochen als geboten und angemessen. Soweit der Beurteilte keine Beschwerde erheben wird, wird er den deutschen Behörden innert vorgesehener Frist übergeben werden können.
3.
Die Ausschaffungshaft im Rahmen des Dublin-Verfahrens erweist sich nach dem Gesagten als rechtmässig und angemessen. Für das vorliegende Verfahren werden keine Kosten erhoben (§ 4 des Gesetzes über den Vollzug der Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht [SG 122.300]).
Demgemäss erkennt der Einzelrichter:
://: Die über A____ angeordnete Ausschaffungshaft im Rahmen des Dublin-Verfahrens vom 7. August 2024, 10.57 Uhr bis zum 18. September 2024, 10.57 Uhr ist rechtmässig und angemessen.
Es werden keine Kosten erhoben.
Das Migrationsamt wird angewiesen, A____ das vorliegende Urteil in einer für ihn verständlichen Sprache zu eröffnen.
Mitteilung an:
- A____
- Migrationsamt
- Staatssekretariat für Migration
VERWALTUNGSGERICHT BASEL-STADT
Der Einzelrichter für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht
Dr. Alexander Zürcher
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid kann unter den Voraussetzungen von Art. 82 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) innert 30 Tagen Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erhoben werden. Die Beschwerdeschrift ist fristgerecht dem Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, einzureichen. Diese ist mit einem Antrag und einer Begründung zu versehen. Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung.
Der inhaftierte Ausländer kann jederzeit ein Haftentlassungsgesuch einreichen beim Verwaltungsgericht Basel-Stadt, Bäumleingasse 1, 4051 Basel.
Bestätigung
Dieses Urteil wurde A____ durch das Migrationsamt
in _________________ Sprache eröffnet.
Datum:
Unterschrift Beurteilter:
Unterschrift Migrationsamt: