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Urteil Appellationsgericht (BS)

Kopfdaten
Kanton:BS
Fallnummer:AUS.2022.12 (AG.2022.159)
Instanz:Appellationsgericht
Abteilung:
Appellationsgericht Entscheid AUS.2022.12 (AG.2022.159) vom 01.03.2022 (BS)
Datum:01.03.2022
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Anordnung der Ausschaffungshaft
Schlagwörter: Migration; Migrationsamt; Werden; Februar; Landes; Februar; Ausländer; Januar; Worden; Bereit; Ausreise; Urteil; Landesverweisung; Lassen; Vollzug; September; Ausschaffung; Monaten; Seiner; Ausschaffungshaft; September; Basel-Stadt; Verbrechen; Selbst; Dezember; Bundesgericht; Verurteilt; Gebucht; Beschwerde; Freiwillig
Rechtsnorm: Art. 75 AIG ; Art. 78 AIG ; Art. 79 AIG ;
Referenz BGE:127 II 168; 128 II 241; 130 II 56;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:
Entscheid

Appellationsgericht

des Kantons Basel-Stadt

als Verwaltungsgericht

Einzelrichter für Zwangsmassnahmen im
Ausländerrecht


AUS.2022.12


URTEIL


vom 2. März 2022




Beteiligte


Migrationsamt des Kantons Basel-Stadt,

Spiegelgasse 12, Postfach, 4001 Basel


gegen


A___, geb. [ ] 1982, von Nigeria,

Wohnort unbekannt

zurzeit im Gefängnis Bässlergut, Freiburgerstrasse48, 4057Basel


Gegenstand


Verfügung des Migrationsamtes vom 28. Februar 2022


betreffend Anordnung der Ausschaffungshaft


Sachverhalt


Der nigerianische Staatsangehörige A___ wurde mit Urteil des Strafgerichts Basel-Stadt vom 18.September 2019 der versuchten Vergewaltigung und der Fälschung von Ausweisen für schuldig erklärt, zu einer Freiheitsstrafe von 19Monaten (bedingter Strafvollzug mit einer Probezeit von 4Jahren) verurteilt und für 6Jahre des Landes verwiesen. Das Appellationsgericht Basel-Stadt bestätigte dieses Urteilam 29.September2020. Mit Urteil vom 8. September2021 wies das Bundesgericht eine hiergegen erhobene Beschwerde ab.


In der Folge wurde A___ verschiedentlich - anlässlich von Vorsprachen wie auch schriftlich - vom Migrationsamt aufgefordert, die Schweiz zu verlassen, ohne dass er, obschon er wiederkehrend Flugbuchungen nach Nigeria vorlegte, diesen Aufforderungen nachgekommen wäre. Am 8.Februar2022 liess das Migrationsamt ihn deswegen im Schengener Informationssystem (SIS) zur Fahndung ausschreiben.


Aufgrund einer Requisition durch B___, der Ehefrau von A___, wonach er trotz Annäherungsverbot an ihrer Wohnungstüre klopfen würde, sie ihn aber nicht hereinlassen wolle, begab sich die Kantonspolizei Basel-Stadt am 27.Februar 2022 zur Wohnung von B___. A___ wurde dabei durch die Polizeibeamten kontrolliert, und es wurde festgestellt, dass er im automatisierten Polizeifahndungssystem RIPOL wegen des Landesverweises zur Fahndung ausgeschrieben war. In der Folge wurde der Piketthabende des Migrationsamts kontaktiert, welcher die vorläufige Festnahme von A___ wegen rechtswidrigen Aufenthalts verfügte.


Nach Durchführung einer Einvernahme und der Gewährung des rechtlichen Gehörs hat das Migrationsamt mit Verfügung vom 28.Februar2022 eine Ausschaffungshaft für die Dauer von drei Monaten, d.h. bis zum 27.Mai2022/11.30, Uhr angeordnet.


Am 2. März2022 hat vor dem Einzelrichter für Zwangsmassnahme im Ausländerrecht eine mündliche Verhandlung stattgefunden. Dabei ist A___ befragt worden, wofür auf das Protokoll verwiesen wird.



Erwägungen


1.

Gemäss Art. 80 Abs. 2 Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG, SR 142.20) sind die Rechtmässigkeit und Angemessenheit der Haft spätestens nach 96 Stunden durch eine richterliche Behörde aufgrund einer mündlichen Verhandlung zu überprüfen. Diese Frist ist mit der heutigen Verhandlung und Haftüberprüfung eingehalten.


2.

Die Ausschaffungshaft setzt einen erstinstanzlichen Weg- oder Ausweisungsent-scheid oder eine erstinstanzliche Landesverweisung nach Artikel 66a oder 66abis Strafgesetzbuch (StGB, SR 311.0) oder Artikel 49a oder 49abis Militärstrafgesetzbuch (MStG, SR 321.0) voraus, dessen Vollzug mit der entsprechenden Festhaltung sichergestellt werden soll. Gegen A___ liegt unbestrittenermassen eine durch das Strafgericht mit Urteil vom 18.September2019 ausgesprochene Landesverweisung nach Art.66aStGB vor, welche letztinstanzlich durch das Bundesgericht mit
Urteil vom 8.September2021 bestätigt worden ist.


3.

3.1 Nach den gesetzlichen Vorschriften kann ein Ausländer zur Sicherstellung des

Vollzugs eines eröffneten erstinstanzlichen Weg- oder Ausweisungsentscheids oder einer erstinstanzlichen Landesverweisung nach Art. 66a oder 66abis StGB oder Art.49a oder 49abis MStG insbesondere in Haft genommen werden, wenn Gründe nach Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 1 in Verbindung mit Art. 75 Abs. 1 lit. b, c, g oder h AIG vorliegen, so etwa wenn er wegen eines Verbrechens verurteilt worden ist (Art. 76 Abs.1 lit. b Ziff. 1 in Verbindung mit Art. 75 Abs. 1 lit. h AIG). Ausserdem kann er in Haft genommen werden, wenn konkrete Anzeichen befürchten lassen, dass er sich der Ausschaffung entziehen will, insbesondere, weil er besonderen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt (Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 AIG), oder wenn Untertauchensgefahr vorliegt (Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff.3 und 4 AIG). Dies ist regelmässig der Fall, wenn der Ausländer bereits einmal untergetaucht ist, behördlichen Auflagen keine Folge leistet, hier straffällig geworden ist, durch erkennbar unglaubwürdige und widersprüchliche Angaben die Vollzugsbemühungen der Behörden zu erschweren versucht oder sonst klar zu erkennen gibt, dass er auf keinen Fall in sein Heimatland zurückzukehren bereit ist (BGE 128 II 241 E. 2.1 S. 24 und 125 II 369 E.3b/aa S. 375).


3.2 A___ ist mit Urteil des Strafgerichts vom 18.September2019, bestätigt letztinstanzlich durch Urteil des Bundesgerichts vom 8.September2021, unter anderem wegen versuchter Vergewaltigung für schuldig befunden und zu einer Freiheitsstrafe von 19Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Unter Verbrechen im Sinne von Art.75 Abs.1 lit.hAIG sind Straftaten zu verstehen, die mit Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren bedroht sind (Art.10 Abs.2StGB). Beim Straftatbestand der Vergewaltigung handelt es sich um ein Verbrechen im Sinne der genannten Bestimmung, da Art.190 StGB bei Vergewaltigung eine Strafandrohung bis zu zehn Jahre bereithält. Der Haftgrund der (rechtskräftigen) Verurteilung wegen eines Verbrechens ist damit vorliegend erfüllt (Art. 76 Abs.1 lit. b Ziff. 1 in Verbindung mit Art. 75 Abs. 1 lit. h AIG). Unerheblich ist, dass A___ bloss zu einer Freiheitsstrafe von 19 Monaten verurteilt worden ist. Denn massgebend ist allein die abstrakte Strafandrohung, nicht die tatsächlich verhängte Strafe (BGer2C_260/2018 vom 9.April2018 E.4.3; Zünd, in: Spescha et al. [Hrsg.], Kommentar Migrationsrecht, 5.Auflage, Zürich2019, Art.75 AIG N12). Auch die Verurteilung wegen Versuchs ist ausreichend für die Anordnung der Ausschaffungshaft (BGer2C_455/2009 vom 5.August2009 E.2.1; Zünd, a.a.O., Art. 75 AIG N12).


3.3 Das Migrationsamt hat die Haftanordnung auch mit der Untertauchensgefahr begründet (Art.76 Abs.1 lit.b Ziff.3 und4AIG). Nachdem bereits der Haftgrund der strafrechtlichen Verurteilung des Beurteilten wegen eines Verbrechens (Art. 76 Abs.1 lit. b Ziff. 1 in Verbindung mit Art. 75 Abs. 1 lit. h AIG) erfüllt ist, erübrigt es sich, auf den weiteren Haftgrund der Untertauchensgefahr einzugehen.


4.

4.1 Die Vorbereitungs- und die Ausschaffungshaft nach Art. 75 bis 77 AIG sowie die Durchsetzungshaft nach Art. 78 AIG dürfen zusammen in der Regel die maximale Haftdauer von sechs Monaten nicht überschreiten (Art. 79 Abs. 1 AIG). Weiter darf der Vollzug einer allfälligen Weg- oder Ausweisung nicht aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen undurchführbar sein (Art. 80 Abs. 6 lit. a AIG; BGE 127 II 168 E.2c S. 171 f.). Schliesslich muss die Haft als Ganzes verhältnismässig sein (vgl. BGE 130 II 56 E. 1 S. 58 und 125 II 369 E. 3a S. 374 f.) und müssen die Behörden das Beschleunigungsgebot einhalten.


4.2 Ein milderes Mittel zur Sicherstellung des Vollzugs der Landesverweisung ist nicht ersichtlich. Es kann nach den bisherigen Geschehnissen nicht davon ausgegangen werden, dass A___ freiwillig nach Nigeria zurückkehren wird. Er hat zwar anlässlich seiner Befragung durch das Migrationsamt am 28.Februar 2022 die Frage, ob er bereit sei, die Heimreise anzutreten, bejaht, was er heute bestätigt hat. Wie das Migrationsamt in der Haftanordnung eingehend dargelegt hat, ist A___ seit dem vergangenen Herbst seiner Verpflichtung zur Ausreise jedoch nicht freiwillig nachgekommen, obschon er hierzu mehrmals mündlich und schriftlich ermahnt worden war und er verschiedentlich bereits aus eigenen Mitteln ein Flugticket erworben hatte. So habe A___ dem Migrationsamt bei einem Ausreisegespräch am 6.Oktober2022 mitgeteilt, seine Ausreise selbst finanzieren zu wollen, und hierbei ein E-Ticket für eine Ausreise am 26.Oktober2021 vorgelegt. Diesen Ausreisetermin habe er nicht wahrgenommen. Über die kantonale Rückkehrberatung habe das Migrationsamt dann erfahren, dass A___ neu am 19.Dezember2021, wiederum selbst für die Reisekosten aufkommend, in die Heimat ausreisen wolle. Er sei dann am 24.November 2021 brieflich aufgefordert worden, bis spätestens 6.Dezember 2021 ein entsprechendes Flugticket einzureichen. A___ habe sich dann am 7.Dezember2021 telephonisch gemeldet und die Ticket-Übermittlung angekündigt, welche anlässlich des vereinbarten Vorsprachetermins tags darauf erfolgt sei. Das Ausreisedatum habe indessen nicht wie angekündigt auf den 19. Dezember2021 gelautet, sondern erst auf den 4.Januar2022. Allerdings sei A___ auch an diesem Tag nicht ausgereist. Das Migrationsamt habe deshalb über swissREPAT (SEM) einen Flug per 11.Januar2022 gebucht und A___ zu einer Vorsprache am 7.Januar 2022 vorgeladen, zu der er auch erschienen sei. Dort habe er angegeben, an den beiden ersten vorgesehenen Daten vom 26.Oktober2021 und 19.Dezember 2021 aus finanziellen Gründen (Geldnot), am 4.Januar2022 wegen der schlechten psychischen Verfassung seiner Frau und seiner Tochter nicht ausgereist zu sein. Da A___ angegeben habe, bereits selbständig seinen Abflug auf den 27.Januar 2022 umgebucht zu haben, habe das Migrationsamt im Sinne einer allerletzten Chance ihm die Möglichkeit eingeräumt, mit dem selbst erstandenen Flugticket die Heimreise per 27.Januar2022 anzutreten. Am 29.Januar2022 habe er dem Migrationsamt eine Bestätigung zugestellt, wonach die Fluggesellschaft den Flug vom 27.Januar 2022 annuliert habe. Zugleich habe er dem Migrationsamt ein neues E-Ticket per 4.Februar2022 zugestellt. Am 14.Februar2022 habe ein Mitarbeiter des Migrationsamts A___ auf dem Centralbahnplatz erblickt. Zusätzliche Abklärungen hätten dann ergeben, dass A___ trotz angekündigter Ausreise per 4.Februar 2022 nie ausgereist sei und sich nach wie vor in der Schweiz aufhalte.


Dieses Geschehen macht deutlich, dass A___ trotz wiederkehrender anderslautender Äusserungen letztlich nicht willens ist, freiwillig seiner Verpflichtung nachzukommen, die Schweiz aufgrund der gegen ihn ausgesprochenen Landesverweisung zu verlassen. Das Migrationsamt hat sich bislang aufgrund der, wie es in der Haftanordnung heisst, nicht unproblematischen familiären Verhältnisse äusserst zurückhaltend in der zwangsweisen Durchsetzung der Landesverweisung gezeigt und ihm im Sinne des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes mehrmals die Möglichkeit eingeräumt, seine Heimkehr selbst zu organisieren. A___ hat insgesamt vier Ausreisetermine aus verschiedenen Gründen ungenutzt verstreichen lassen (denjenigen vom 4.Februar2022 hat er nach seinen Angaben wegen Spitalaufenthalts verpasst). Unter diesen Umständen bleibt nur die Möglichkeit, behördlicherseits für eine geordnete Rückkehr von A___ in seine Heimat besorgt zu sein, was nach dem bisherigen Geschehen nur noch mit einer Inhaftierung sichergestellt werden kann. Dies umso mehr als er heute gemäss seinen eigenen wiederholten Aussagen immer noch nicht versteht, warum er das Land verlassen soll. Darauf, dass er nicht freiwillig ausreisen, sondern hierzulande bleiben will, deutet auch seine heutige Aussage, dass er weiterarbeiten würde, sollte er freigelassen werden. Das öffentliche Interesse am Vollzug der Landesverweisung ist hoch und überwiegt dasjenige von A___ an seiner persönlichen Freiheit. Die Haft erweist sich damit als verhältnismässig und rechtmässig.


Wie das Migrationsamt gestern telephonisch mitgeteilt hat, hätten in der Zwischenzeit Reisepass und Reisegepäck von A___ behändigt werden können, womit nun Flüge gebucht werden könnten. Nach weiterer Auskunft des Migrationsamts vom gestrigen Tag sollte ein Flug nach Nigeria binnen ca. 10 Tagen gebucht werden können. Angesichts dessen erscheint die verfügte Haftdauer von 3Monaten zu lang. Allerdings gilt es auch gewisse Unwägbarkeiten wie Flugannullationen oder allfällig positiver Coronatest vor Abflug zu berücksichtigen, so dass eine Haft von sechs Wochen, d.h. bis zum 10.April2022, insgesamt als angemessen erscheint. Das Migrationsamt hat indessen dem Beschleunigungsgebot Rechnung tragend die Rückführung von A___ beförderlich voranzutreiben.

5.

Es werden keine Kosten erhoben (§4 des Gesetzes über den Vollzug von Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, SG 122.300).


Demgemäss erkennt der Einzelrichter:



://: Die über A___ angeordnete Ausschaffungshaft ist vom 27.Februar2022, 11.30Uhr bis zum 10.April2022, 11.30Uhr rechtmässig und angemessen.


Es werden keine Kosten erhoben.


Mitteilung an:

- A___

- Migrationsamt

- Staatssekretariat für Migration



VERWALTUNGSGERICHT BASEL-STADT


Der Einzelrichter für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht

Dr. Alexander Zürcher



Rechtsmittelbelehrung


Gegen diesen Entscheid kann unter den Voraussetzungen von Art. 82 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) innert 30 Tagen Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erhoben werden. Die Beschwerdeschrift ist fristgerecht dem Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, einzureichen. Diese ist mit einem Antrag und einer Begründung zu versehen. Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung.


Der inhaftierte Ausländer kann einen Monat nach der Haftüberprüfung ein Haftentlassungsgesuch einreichen beim Verwaltungsgericht Basel-Stadt, Bäumleingasse 1, 4051 Basel.


Hinweis


Dieses Urteil wurde dem Ausländer am heutigen Tag mündlich erläutert und schriftlich ausgehändigt.



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