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Urteil Appellationsgericht (BS - AUS.2021.42 (AG.2021.703))

Zusammenfassung des Urteils AUS.2021.42 (AG.2021.703): Appellationsgericht

Ein tunesischer Staatsangehöriger namens A____ wurde zu 20 Jahren Landesverweisung verurteilt. Nach mehreren Haftaufenthalten weigerte er sich, freiwillig in sein Heimatland zurückzukehren und einen notwendigen Covid-19-PCR-Test zu machen. Das Migrationsamt hat ihn nun erneut in Ausschaffungshaft genommen, da er als fluchtgefährdet eingestuft wird. Das Gericht entscheidet, dass die Haft rechtmässig und angemessen ist und keine Kosten erhoben werden. Die Gewinnerperson ist männlich.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts AUS.2021.42 (AG.2021.703)

Kanton:BS
Fallnummer:AUS.2021.42 (AG.2021.703)
Instanz:Appellationsgericht
Abteilung:
Appellationsgericht Entscheid AUS.2021.42 (AG.2021.703) vom 17.12.2021 (BS)
Datum:17.12.2021
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Anordnung der Ausschaffungshaft
Schlagwörter: Ausländer; Migration; Ausschaffung; Migrationsamt; Basel; Sonderflug; Ausländerrecht; Tunesien; Ausschaffungshaft; Durchsetzungshaft; Untertauchen; Recht; Vollzug; Staat; Einzelrichter; Zwangsmassnahmen; Landes; Covid-; -PCR-Test; Behörde; Schweiz; Untertauchensgefahr; Verfügung; Urteil; Einzelrichterin; Heimat; Entlassung; Verhandlung; Abnahme
Rechtsnorm: Art. 72 AIG ;Art. 75 AIG ;Art. 76 AIG ;Art. 78 AIG ;Art. 79 AIG ;
Referenz BGE:125 II 369; 127 II 168; 128 II 241; 130 II 56;
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts AUS.2021.42 (AG.2021.703)

Appellationsgericht

des Kantons Basel-Stadt

als Verwaltungsgericht

Einzelrichterin für Zwangsmassnahmen im
Ausländerrecht


AUS.2021.42


URTEIL


vom 17. Dezember 2021




Beteiligte


Migrationsamt des Kantons Basel-Stadt,

Spiegelgasse 12, Postfach, 4001 Basel


gegen


A____, geb. [ ], von Tunesien,

zurzeit im Gefängnis Bässlergut, Freiburgerstrasse48, 4057Basel


Gegenstand


Verfügung des Migrationsamtes vom 15. Dezember 2021


betreffend Anordnung der Ausschaffungshaft


Sachverhalt


Der tunesische Staatsangehörige A____ wurde mit Strafurteil vom 14. Juni2018 für 20 Jahre des Landes verwiesen. Er befand sich vom 9. Februar bis 18.März 2020 und vom 1. bis 13. September2020 in Ausschaffungshaft (s. VGE AUS.2020.10, AUS.2020.35) und vom 14. September 2020 bis 12. Februar 2021 in der Durchsetzungshaft (s. VGE AUS.2020.36, AUS.2020.55/56 und Verfügung der Einzelrichterin für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht vom 12. Februar 2021 im Verfahren AUS.2021.6). Im Jahr 2020 weigerte er sich zuerst, für ihn reservierte Linienflüge in seine Heimat anzutreten. Die sodann für September 2020 vorgesehene Rückführung des A____ nach Tunesien mit einem Sonderflug scheiterte an dessen Weigerung, den aufgrund von Pandemiebestimmungen notwendigen Covid-19-PCR-Test vor Antritt der Rückreise durchführen zu lassen. Seit der Entlassung aus der Durchsetzungshaft im Februar 2021 befand sich A____ auf freiem Fuss, wobei er regelmässig Nothilfe bezog und die Termine beim Migrationsamt einhielt.


Das Migrationsamt hat nun wiederum einen Sonderflug für A____ durch das Staatssekretariat für Migration (SEM) organisieren lassen und hat A____ anlässlich seiner Vorsprache beim Migrationsamt am 15. Dezember 2021 festgenommen und für die Dauer von einem Monat in Ausschaffungshaft gesetzt.


An der heutigen Verhandlung ist A____ zur Sache befragt worden. Er macht darauf aufmerksam, dass er seit seiner Verhaftung am Finger verletzt wurde. Ihm ist von der Einzelrichterin zugesichert worden, dass das Migrationsamt auf die Notwendigkeit einer ärztlichen Versorgung des verletzten Daumens hingewiesen wird. Für sämtliche Depositionen wird auf das Protokoll verwiesen.


Erwägungen


1.

Gemäss Art. 80 Abs. 2 Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG, SR 142.20) sind die Rechtmässigkeit und Angemessenheit der Haft spätestens nach 96 Stunden durch eine richterliche Behörde aufgrund einer mündlichen Verhandlung zu überprüfen. Diese Frist ist mit der heutigen Verhandlung und Haftüberprüfung eingehalten.


2.

Die Ausschaffungshaft setzt einen erstinstanzlichen Weg- Ausweisungsent-scheid eine erstinstanzliche Landesverweisung nach Artikel 66a 66abis Strafgesetzbuch (StGB, SR 311.0) Artikel 49a 49abis Militärstrafgesetzbuch (MStG, SR 321.0) voraus, dessen Vollzug mit der entsprechenden Festhaltung sichergestellt werden soll. Die Verfügung muss (noch) nicht in Rechtskraft erwachsen sein (Busslinger/Segessenmann, Ausschaffung im Dublin-Verfahren, in: Rechtsschutz bei Schengen Dublin, Breitenmoser/Gless/Lagodny [Hrsg.], Zürich/St. Gallen 2013, S. 207, 214; Göksu, in: Handkommentar AIG, Caroni/Gächter/Thurnherr [Hrsg.], Bern 2010, Art. 76 AIG N 2). A____ wurde mit in Rechtskraft erwachsenem Strafurteil vom 14. Juli 2018 des Landes verwiesen, womit diese Voraussetzung der Haft vorliegt.


3.

3.1 Nach den gesetzlichen Vorschriften kann ein Ausländer zur Sicherstellung des

Vollzugs eines eröffneten erstinstanzlichen Weg- Ausweisungsentscheids einer erstinstanzlichen Landesverweisung nach Art. 66a 66abis StGB Art.49a oder 49abis MStG insbesondere in Haft genommen werden, wenn Gründe nach Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 1 i.V.m. Art. 75 Abs. 1 lit. b, c, g h AIG vorliegen, so etwa, wenn gegen eine Einreisesperre für das Gebiet der Schweiz verstossen wird (Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 1 i.V.m. Art. 75 Abs. 1 lit. c AIG). Ausserdem kann er in Haft genommen werden, wenn konkrete Anzeichen befürchten lassen, dass er sich der Ausschaffung entziehen will, insbesondere weil er besonderen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt (Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 AIG), wenn Untertauchensgefahr vorliegt (Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff.3 und 4 AIG). Dies ist regelmässig der Fall, wenn der Ausländer bereits einmal untergetaucht ist, behördlichen Auflagen keine Folge leistet, hier straffällig geworden ist, durch erkennbar unglaubwürdige und widersprüchliche Angaben die Vollzugsbemühungen der Behörden zu erschweren versucht sonst klar zu erkennen gibt, dass er auf keinen Fall in sein Heimatland zurückzukehren bereit ist (BGE 128 II 241 E. 2.1 S. 243, 125 II 369 E. 3 b/aa S. 375). Untertauchensgefahr ist auch zu bejahen bei eigentlichen Täuschungsmanövern, um die Identität zu verschleiern bzw. die Papierbeschaffung zu erschweren (z.B. Verwendung gefälschter Papiere, Auftreten unter mehreren Namen). Das Gleiche gilt bei strafrechtlich relevantem Verhalten, ist bei einem straffällig gewordenen Ausländer doch eher als bei einem unbescholtenen davon auszugehen, er werde in Zukunft behördliche Anordnungen missachten (vgl. auch Art. 75 Abs. 1 lit. g und h AIG).


Die Beurteilung der Untertauchensgefahr beruht auf einer Prognose. Diese ist in erster Linie vom Haftgericht vorzunehmen und zu begründen, letzteres nicht zuletzt deshalb, da das Haftgericht den Ausländer im Rahmen der obligatorischen mündlichen Verhandlung befragt und von ihm einen persönlichen Eindruck erhält (vgl. Hugi Yar, Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, in: Ausländerrecht, Uebersax et al. [Hrsg.], 2. Auflage 2009, Rz. 10.94; Entscheid des Verwaltungsgerichts ZH VB.2014.00104 E. 4.3).


Die Ausschaffungshaft setzt nicht voraus, dass dem betroffenen Ausländer eine Ausreisfrist gesetzt wurde und er bereits Gelegenheit zur selbständigen Ausreise hatte, da er im Falle des Bestehens einer Untertauchensgefahr eine solche Frist zum Untertauchen nutzen könnte (Businger, Ausländerrechtliche Haft, in: Zürcher Studien zum öffentlichen Recht, Zürich/Basel/Genf 2015, S. 98).


3.2 A____ weigert sich hartnäckig, freiwillig die Schweiz zu verlassen und der für ihn im Herbst 2021 vorgesehene Sonderflug konnte nicht stattfinden, weil er seine Kooperation für die Abnahme des für den Flugantritt und die Einreise nach Tunesien notwendigen Covir-19-PCR-Tests verweigerte. Die Abnahme dieses Tests gegen seinen Willen war mangels gesetzlicher Grundlage zu jenem Zeitpunkt nicht möglich (s. dazu unten E. 4.3). Dass er grundsätzlich verpflichtet wäre, im Rahmen der freiwilligen Ausreisevorbereitung einen solchen vornehmen zu lassen, hat das Bundesgericht mit Urteil 2C_35/2021 vom 10. Februar 2021 (E. 3.2 f.) unmissverständlich festgehalten und die damals nach Scheitern des geplanten Sonderflugs angeordnete Durchsetzungshaft geschützt. Seit seiner Entlassung aus der Durchsetzungshaft imFebruar 2021 hat A____ dem Migrationsamt weiterhin unmissverständlich mitgeteilt, dass er nicht bereit sei, freiwillig auszureisen sowie freiwillig einen Covid-19-PCR-Test machen zu lassen und sich auch nicht gegen das Covid-19-Virus impfen lassen werde (s. Protokoll vom 19. März 2021, Aktennotiz vom 28.Mai 2021). Auch an seiner Befragung vom 15. Dezember 2021 hat er wiederum angegeben, dass er «lieber hier sterben, als in die Heimat zurückkehren» würde und nicht bereit sei, einen Covid-19-PCR-Test zu machen. Gelebt hat er seit seiner Entlassung aus der Durchsetzungshaft zuerst bei seiner Partnerin, [...], in Basel, gemäss seinen Angaben im September 2021 zuletzt allerdings nicht mehr dort, sondern «bei verschiedenen Freunden/Kollegen». Vor dem Hintergrund der unmissverständlich kommunizierten und bereits seit bald zwei Jahren bestehenden Weigerung des A____ in seine Heimat auszureisen, ist ohne Weiteres anzunehmen, dass angesichts der ihm nun bekannten Planung seiner Rückführung mit einem Sonderflug davon auszugehen ist, dass er in Freiheit entlassen den Migrationsbehörden nicht freiwillig zum Antritt des Sonderflugs zur Verfügung stehen, sondern umgehend in der Schweiz dem angrenzenden Ausland untertauchen wird. Aufgrund seiner bereits mehrjährigen Anwesenheit in der Schweiz ist er auch genügend vernetzt, um solches bewerkstelligen zu können. Der Haftgrund der Untertauchensgefahr ist folglich gegeben.


3.3 Eine mildere Massnahme, wie etwa die Eingrenzung auf ein bestimmtes Gebiet des Kantons, ist angesichts des in der Vergangenheit manifestierten massiv renitenten Verhaltens des A____ offensichtlich nicht geeignet, sicher zu stellen, dass er den für ihn vorgesehenen Sonderflug nach Tunesien antritt. Ohnehin hält sich A____, wie seine strafrechtlichen Verurteilungen zeigen, nicht an die Schweizer Rechtsordnung und es kam seit seiner Entlassung aus der Durchsetzungshaft bereits wieder zu einem Ereignis, welches eine polizeiliche Intervention und seine kurzzeitige Festnahme zur Folge hatte (s. Polizeirapport vom 24. Mai 2021). A____ wird sich in Freiheit nicht an Anweisungen halten, deren Einhaltung letztlich in seiner Verantwortung liegen und bei welchen ein Verstoss in aller Regel erst im Nachhinein festgestellt werden kann, mithin hält ihn einzig die Haft von einem Untertauchen ab.


4.

4.1 Die Vorbereitungs- und die Ausschaffungshaft nach Art. 75 bis 77 AIG sowie die Durchsetzungshaft nach Art. 78 AIG dürfen zusammen in der Regel die maximale Haftdauer von sechs Monaten nicht überschreiten (Art. 79 Abs. 1 AIG). Diese Frist kann mit Zustimmung des zuständigen Gerichts um höchstens zwölf Monate verlängert werden, wenn die betroffene Person nicht mit der zuständigen Behörde kooperiert sich die Übermittlung der für die Ausreise erforderlichen Unterlagen durch einen Staat, der kein Schengen-Staat ist, verzögert (Art. 79 Abs. 2 lit. a und b AIG). Weiter darf der Vollzug einer allfälligen Weg- Ausweisung nicht aus rechtlichen tatsächlichen Gründen undurchführbar sein (Art. 80 Abs. 6 lit. a AIG; BGE 127 II 168 E. 2c S. 171 f.). Schliesslich muss die zuständige Behörde ohne Verzug über die Aufenthaltsberechtigung des Ausländers entscheiden (Art. 75 Abs. 2 AIG, Beschleunigungsgebot) und die Haft als Ganzes verhältnismässig sein (vgl. BGE 130 II 56 E.1 S. 58 und BGE 125 II 369 E. 3a S. 374 f.).


4.2 A____ befindet sich insgesamt (vorgehende Haften mitgerechnet) seit über 6 Monaten in ausländerrechtlicher Administrativhaft, auch wenn die aktuelle Inhaftnahme erst vor zwei Tagen erfolgte. Die über sechs Monate hinausgehende Haftdauer ist zulässig, da deren Notwendigkeit einzig und allein auf dem unkooperativen Verhalten des A____ beruht, der bereits im Frühjahr 2020 freiwillig nach Tunesien hätte ausreisen können und müssen.


4.3 Die Ausschaffung nach Tunesien ist tatsächlich und rechtlich möglich; die tunesischen Behörden haben für den als tunesischen Staatsbürger anerkannten A____ in der Vergangenheit bereits mehrfach ein Laissez-Passer ausgestellt. Wie dargelegt, war die Durchführung einer Rückführung im September 2020 nur deshalb nicht möglich, weil A____ die Abnahme eines Covid-19-PCR-Tests verweigerte. Seit dem 2.Oktober 2021 ist mit dem temporär ins AIG aufgenommenen Art.72 die zwangsweise Abnahme eines solchen Tests möglich (Art. 72 Abs. 3 AIG). Damit ist davon auszugehen, dass die geplante Ausschaffung des A____ mit einem Sonderflug nach Tunesien tatsächlich stattfinden kann.


4.4 Die Verhältnismässigkeit der Haftanordnung ist nach dem Gesagten ohne Weiteres zu bejahen. Es besteht zudem ein grosses öffentliches Interesse am Vollzug der strafrechtlichen 20-jährigen Landesverweisung des A____. Im Rahmen der Verhältnismässigkeit ist auch darauf hinzuweisen, dass das Migrationsamt die Anordnung der Haft einzig für die Dauer eines Monats vorgenommen hat. Es ist folglich um eine zeitlich straffe Organisation der Ausschaffung bemüht und kommt damit dem Beschleunigungsgebot nach.


5.

Es werden keine Kosten erhoben (§ 4 Gesetz über den Vollzug der Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, SG 122.300).


Demgemäss erkennt die Einzelrichterin:


://: Die über A____ angeordnete Ausschaffungshaft ist vom 15. Dezember 2021 bis zum 14. Januar 2022 rechtmässig und angemessen.


Es werden keine Kosten erhoben.


Mitteilung an:

- A____

- Migrationsamt

- Staatssekretariat für Migration



VERWALTUNGSGERICHT BASEL-STADT


Die Einzelrichterin für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht

lic. iur. Barbara Grange




Rechtsmittelbelehrung


Gegen diesen Entscheid kann unter den Voraussetzungen von Art. 82 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) innert 30 Tagen Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erhoben werden. Die Beschwerdeschrift ist fristgerecht dem Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, einzureichen. Diese ist mit einem Antrag und einer Begründung zu versehen. Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung.


Der inhaftierte Ausländer kann einen Monat nach der Haftüberprüfung ein Haftentlassungsgesuch einreichen beim Verwaltungsgericht Basel-Stadt, Bäumleingasse 1, 4051 Basel.


Hinweis


Dieses Urteil wurde dem Ausländer am heutigen Tag mündlich erläutert und schriftlich ausgehändigt.



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Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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