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Urteil Steuerrekursgericht (AG - AGVE 2019 35)

Zusammenfassung des Urteils AGVE 2019 35: Steuerrekursgericht

Es geht um die Frage, ob eine Person, die in einem betreuten Wohnheim lebt, dadurch einen Wohnsitz begründet. Es wird festgestellt, dass allein der Aufenthalt zu Ausbildungszwecken oder in einer Einrichtung keinen Wohnsitz begründet, es sei denn, die Person hat freiwillig und selbstbestimmt einen unbeschränkten Aufenthalt gewählt. Der zivilrechtliche Wohnsitz wird bestimmt durch den Ort, an dem eine Person mit der Absicht dauerhaften Verbleibens lebt. Der Entscheid des Obergerichts betrifft einen Fall, in dem eine Person freiwillig in ein betreutes Wohnheim eingezogen ist, ohne autoritativ eingewiesen worden zu sein. Die Frage der örtlich zuständigen Sozialhilfebehörde wird von der Frage des zivilrechtlichen Wohnsitzes abgegrenzt.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts AGVE 2019 35

Kanton:AG
Fallnummer:AGVE 2019 35
Instanz:Steuerrekursgericht
Abteilung:-
Steuerrekursgericht  Entscheid AGVE 2019 35 vom 31.08.2019 (AG)
Datum:31.08.2019
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:35 Art. 23 Abs. 1 ZGB; Art. 24 Abs. 1 ZGB
Schlagwörter: Wohnsitz; Person; Aufenthalt; Anstalt; Lebensmittelpunkt; Wohnheim; Absicht; Verbleibens; Umstände; Sozialhilfe; Obergericht; Vermutung; Ausbildung; Unterbringung; Gemeinde; Abteilung; Zivilgericht; Eintritt; Ausbildungszwecken; Anstaltsaufenthalt; Aufenthaltsort; Entscheid; Zivilrecht
Rechtsnorm: Art. 23 ZGB ;Art. 24 ZGB ;Art. 442 ZGB ;
Referenz BGE:127 V 237; 133 V 313; 134 V 236; 137 III 593; 138 V 23;
Kommentar:
-, Basler Zivilgesetzbuch I, Art. 23 ZGB, 2018

Entscheid des Verwaltungsgerichts AGVE 2019 35

2019 Obergericht, Abteilung Zivilgericht 234

35 Art. 23 Abs. 1 ZGB; Art. 24 Abs. 1 ZGB
Zur Beantwortung der Frage, ob die von einer erwachsenenschutz-
rechtlichen Massnahme betroffene Person durch einen Eintritt in ein be-
treutes Wohnheim Wohnsitz begründet hat, sind Lehre und Recht-
sprechung zum zivilrechtlichen Wohnsitz heranzuziehen. Die Vermutung,
dass der Aufenthalt zu Ausbildungszwecken zu anderen Sonder-
zwecken in einer spezifischen Einrichtung für sich allein keinen Wohnsitz
begründet, kann umgestossen werden, wenn sich eine urteilsfähige mün-
dige Person freiwillig und selbstbestimmt zu einem Anstaltsaufenthalt
unbeschränkter Dauer entschlossen und überdies die Anstalt und den
Aufenthaltsort frei gewählt hat. Die Frage des örtlich zuständigen Fa-
miliengerichts ist von der Frage der örtlich zuständigen Sozialhilfebehör-
de abzugrenzen

Aus dem Entscheid des Obergerichts, Kammer für Kindes- und Erwachse-
nenschutz, vom 31. August 2019, i.S. B.I. (XBE.2019.38)
2019 Zivilrecht 235



2.2.
2.2.1. Der zivilrechtliche Wohnsitz bestimmt sich nach den Re-
geln von Art. 23-26 ZGB. Der Wohnsitz einer Person befindet sich
an dem Ort, wo sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens auf-
hält; der Aufenthalt zum Zweck der Ausbildung die Unter-
bringung einer Person in einer Erziehungs- Pflegeeinrichtung,
einem Spital einer Strafanstalt begründet für sich allein keinen
Wohnsitz (Art. 23 Abs. 1 ZGB). Der einmal begründete Wohnsitz
einer Person bleibt bestehen bis zum Erwerb eines neuen Wohnsitzes
(Art. 24 Abs. 1 ZGB). Nicht massgebend für den zivilrechtlichen
Wohnsitz ist, wo eine Person angemeldet ist und ihre Schriften hin-
terlegt hat (vgl. BGE 133 V 313 E. 3.3). Dies sind lediglich Indizien
für die Absicht dauernden Verbleibens. Bei der Bestimmung des
selbständigen Wohnsitzes geht es darum, festzustellen, wo eine Per-
son ihre intensivsten familiären, gesellschaftlichen und beruflichen
Beziehungen unterhält, d.h. wo sich ihr Lebensmittelpunkt befindet.
Dabei spielen die gesamten Lebensumstände eine Rolle (vgl. DANIEL
STAEHELIN, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, 6. Auflage
2018, N. 5 ff. und N. 23 zu Art. 23 ZGB; BGE 134 V 236).
2.2.2. Der Aufenthalt zu Ausbildungszwecken der Aufent-
halt zu anderen Sonderzwecken in einer spezifischen Einrichtung be-
gründet - wie erwähnt - für sich allein keinen Wohnsitz. Er setzt eine
widerlegbare Vermutung, der Aufenthalt am Studienort in einer
Anstalt bedeute nicht, dass auch der Lebensmittelpunkt an den frag-
lichen Ort verlegt worden sei. Die Vermutung kann umgestossen
werden, wenn sich eine urteilsfähige mündige Person freiwillig und
selbstbestimmt zu einem Anstaltsaufenthalt unbeschränkter Dauer
entschlossen und überdies die Anstalt und den Aufenthaltsort frei
gewählt hat. Als freiwillig und selbstbestimmt hat der Anstaltseintritt
auch dann zu gelten, wenn er vom Zwang der Umstände (etwa An-
gewiesensein auf Betreuung, finanzielle Gründe) diktiert wird (vgl.
BGE 137 III 593 E. 4.1). Wer in diesem Sinn freiwillig und selbstbe-
stimmt seinen Lebensmittelpunkt an diesen Ort verlegt, begründet
dort einen Wohnsitz und behält nicht gemäss Art. 24 Abs. 1 ZGB
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seinen bisherigen Wohnsitz als fiktiven bei (vgl. zum Ganzen:
DANIEL STAEHELIN, a.a.O., N. 19d zu Art. 23 ZGB mit Hinweisen,
insbesondere auf BGE 138 V 23 E. 3.1.2; URS VOGEL, in: Basler
Kommentar, Zivilgesetzbuch I, 6. Auflage 2018, N. 5 zu Art. 442
ZGB).
(...)
2.4
Von einer autoritativen Einweisung bzw. Unterbringung in das
begleitete Wohnheim kann vorliegend nicht gesprochen werden. So
wird als Unterbringung in einer Anstalt die Einweisung durch
Dritte gegen den eigenen Willen der betroffenen Person betrachtet.
Trotz der Empfehlung der Mutter des Betroffenen, er solle lernen
selbständiger zu leben, und der Hilfe der Psychiaterin bei der Woh-
nungssuche, ist vorliegend von einem freiwilligen und selbstbe-
stimmten Eintritt in das begleitete Wohnheim auszugehen mit dem
Zweck, auf unbestimmte Zeit dort zu leben. Gemäss der Aussage des
Betroffenen wollte er sich sogar bei der Gemeinde X. anmelden und
seine Schriften dort hinterlegen, was als Indiz für die Absicht dauern-
den Verbleibens gewertet werden kann, doch erlaubte ihm die Ge-
meinde lediglich die Anmeldung als Wochenaufenthalter.
Die Aussage der Beiständin, sie traue dem Betroffenen zu, wie-
der selbständig zu wohnen, aber nicht in den nächsten zwei Jahren,
vermag am Ergebnis des dauernden Verbleibens in X. nichts zu än-
dern. Selbst wenn der Betroffene die Absicht hat, einen Ort später
(auf Grund veränderter, nicht mit Bestimmtheit vorauszusehender
Umstände) wieder zu verlassen, schliesst dies eine Wohnsitz-
begründung nicht aus (BGE 127 V 237 E. 2c).
Schliesslich ist auch der Einwand des Familiengerichts A., das
soziale Leben des Betroffenen spiele sich im Umkreis von B. ab, zu
relativieren. Es ist zwar richtig, dass der Betroffene in W. bei der
Stiftung Z. arbeitet und seine Eltern nach wie vor in B. wohnen.
Doch hat er ausgeführt, dass er seine Eltern am Wochenende ledig-
lich besuche und nicht bei ihnen übernachte. Er habe bei seinen El-
tern kein eigenes Zimmer mehr. Er unternehme am Wochenende sel-
ber etwas in A. in X. Mit seinen Kollegen aus dem Umkreis B.
treffe er sich nur selten. Der Lebensmittelpunkt einer Person liegt in
2019 Zivilrecht 237
der Regel dort, wo sie abends regelmässig heimkehrt, übernachtet,
von wo aus sie ihre familiären Beziehungen pflegt, die Freizeit ver-
bringt und sich ihre persönlichen Effekten befinden. Der Betroffene
hat unter den gegebenen und auch für Aussenstehende erkennbaren
Umständen - nach mittlerweile über einjährigem Aufenthalt im be-
gleiteten Wohnheim - seinen Lebensmittelpunkt in X.
(...)
3.
Im Übrigen erweist sich auch der in der Stellungnahme der
Gemeinde X. vom 8. April 2019 vorgebrachte Einwand, die Gemein-
de würde auf Kosten im Sozialhilferecht sitzen bleiben, als unbe-
gründet. Die Frage des örtlich zuständigen Familiengerichts ist von
der Frage der örtlich zuständigen Sozialhilfebehörde abzugrenzen.
Der Aufenthalt in einem Heim, Spital einer anderen Einrichtung
sowie behördliche Unterbringung einer volljährigen Person in Fami-
lienpflege begründen keinen Unterstützungswohnsitz (§ 6 Abs. 1 und
3 Sozialhilfe- und Präventionsgesetz [SPG] i.V.m. Art. 5 Zuständig-
keitsgesetz [ZUG]). Damit wird verhindert, dass die Gemeinden mit
Spezialeinrichtungen finanziell allzu stark belastet werden. Es kann
somit am Ort der Einrichtung unter Umständen zivilrechtlicher, aber
nicht unterstützungsrechtlicher Wohnsitz begründet werden. Vom
vorliegenden Entscheid betroffen sind einzig die moderaten Kosten
für die Führung der Beistandschaft (vgl. zum Ganzen: URS VOGEL,
a.a.O., N. 5 zu Art. 442 ZGB).

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Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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