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Urteil Spezialverwaltungsgericht (AG - AGVE 2019 31)

Zusammenfassung des Urteils AGVE 2019 31: Spezialverwaltungsgericht

Der Text handelt von einem Fall bezüglich der Verschiebung des Führerausweisentzugs aufgrund beruflicher Gründe. Das Verwaltungsgericht entschied, dass die Vollstreckungsmassnahmen verhältnismässig sein müssen und berücksichtigte die berufliche Angewiesenheit des Betroffenen. Der Beschwerdeführer, ein selbständiger Lohnunternehmer, argumentierte, dass der Entzug während der Erntesaison seine Geschäftstätigkeit stark beeinträchtigen würde. Das Strassenverkehrsamt hatte jedoch Bedenken bezüglich einer Verschiebung des Entzugsbeginns. Letztendlich wurde entschieden, dass der ursprünglich angeordnete Entzugstermin unverhältnismässig war und korrigiert werden musste.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts AGVE 2019 31

Kanton:AG
Fallnummer:AGVE 2019 31
Instanz:Spezialverwaltungsgericht
Abteilung:-
Spezialverwaltungsgericht  Entscheid AGVE 2019 31 vom 23.07.2019 (AG)
Datum:23.07.2019
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:XI. Vollstreckung 31 Vollstreckung; Vollzugsverschiebung des Führerausweisentzugs
Schlagwörter: Entzug; Vollzug; Entzugs; Führerausweis; Ernte; Vollstreckung; Vollzugs; Strassenverkehrsamt; Verwaltungsgericht; Zweck; Fahrzeuglenker; Entzugsbeginn; Verschiebung; Administrativmassnahme; Hinweis; Führerausweisentzug; Vollzugsverschiebung; Führerausweisentzugs; Angewiesenheit; Sachen; Festsetzung; Interesse; Verhältnis; Obergericht
Rechtsnorm: Art. 5 BV ;
Referenz BGE:-
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts AGVE 2019 31

2019 Vollstreckung 209
XI. Vollstreckung

31 Vollstreckung; Vollzugsverschiebung des Führerausweisentzugs
Der Vollzugstermin des Führerausweisentzugs ist unverhältnismässig,
wenn er den Betroffenen aufgrund einer beruflichen Angewiesenheit be-
sonders hart trifft.

Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 23. Juli
2019, in Sachen A. gegen Strassenverkehrsamt (WBE.2019.180).



2.
2.1.
Bei der Festsetzung des Vollzugsbeginns eines Warnungsentzu-
ges ist - wie im Verwaltungsrecht allgemein - der Grundsatz der
Verhältnismässigkeit (vgl. § 3 VRPG; Art. 5 Abs. 2 BV) zu beachten.
Dieses Prinzip fordert, dass die Vollstreckungsmassnahmen zur Ver-
wirklichung des im öffentlichen Interesse liegenden Ziels geeignet
und notwendig sind. Ausserdem muss der angestrebte Zweck in
einem vernünftigen Verhältnis zu den Belastungen stehen, die den
Privaten auferlegt werden, d.h. zumutbar sein (vgl. ULRICH
HÄFELIN/GEORG MÜLLER/FELIX UHLMANN, Allgemeines Verwal-
tungsrecht, 7. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2016, Rz. 514; TOBIAS
JAAG, in: ALAIN GRIFFEL [Hrsg.], Kommentar zum Verwaltungs-
rechtspflegegesetz des Kantons Zürich, 3. Auflage,
Zürich/Basel/Genf 2014, § 30 N 68). Aufgrund des Legali-
tätsprinzips, der Rechtsgleichheit und der Rechtssicherheit sind die
Behörden verpflichtet, Sachentscheide zu vollstrecken. Sie haben
daher im Rahmen der Vollstreckung lediglich einen gewissen Ermes-
sensspielraum bei der Bestimmung der Modalitäten. Beim Vollzug
eines Warnungsentzugs geht es ausschliesslich um die Ansetzung des
2019 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 210
Entzugsbeginns (vgl. AGVE 2013, S. 351; VGE vom 20. September
2012 [WBE.2012.331], S. 5).
2.2.
Beim Entscheid über die Aufschiebung eines Warnungsentzugs
sind das öffentliche Interesse am Vollzug der Administrativmass-
nahme und das private Interesse des betroffenen Fahrzeuglenkers am
Aufschub gegeneinander abzuwägen. Es besteht ein öffentliches In-
teresse an einem möglichst zügigen Vollzug; damit wird der erzie-
herische Zweck der Massnahme am ehesten erreicht. Der Zeitpunkt
des Entzugs kann nicht weitgehend nach den Wünschen des betrof-
fenen Fahrzeuglenkers festgelegt werden. Zu vermeiden ist auf der
anderen Seite, dass die Massnahme über den damit bezweckten er-
zieherischen Zweck hinaus den betroffenen Fahrzeuglenker aus in
seiner Person liegenden Gründen besonders schwer trifft schi-
kanös wird (vgl. VGE vom 20. September 2012 [WBE.2012.331],
S. 5; RENÉ SCHAFFHAUSER, Grundriss des schweizerischen Stras-
senverkehrsrechts, Band III: Die Administrativmassnahmen, Bern
1995, Rz. 2729, 2731; AGVE 1989, S. 494).
3.
3.1.
Berufliche Gründe, mit welchen ein betroffener Fahrzeuglenker
vor Erlass der Vollstreckungsverfügung um Verschiebung nachsucht,
sind bei der Festsetzung des Entzugsbeginns zu berücksichtigen (vgl.
AGVE 2013, S. 351; VGE vom 26. Juni 2013 [WBE.2013.144],
S. 6 f.). Die Praxis stellt hohe Anforderungen an den Nachweis der
beruflichen Angewiesenheit, zumal zu verhindern ist, dass ein be-
rufstätiger Automobilist gegenüber einem nicht Erwerbstätigen bes-
sergestellt ist (VGE vom 20. September 2012 [WBE.2012.331], S. 6
mit Hinweisen).
3.2.
Im Gesuch um Vollzugsverschiebung verwies der Be-
schwerdeführer im Wesentlichen auf seine Tätigkeit als selbständiger
Lohnunternehmer. Vom Mai bis November müssten folgende Arbei-
ten erledigt werden: Getreideernte Gerste, Getreideernte Weizen und
Raps, Gülletransporte, Kartoffeltransporte sowie Maisernte. In der
2019 Vollstreckung 211
Stellungnahme konkretisierte der Beschwerdeführer sein Vorbringen
wie folgt:
Das verstehe ich nicht. Der Beginn einen Monat [richtig: zwei Monate] später
hat doch nichts mit der Erziehungswirkung zu tun. Ich führe zusammen mit einigen
Familienmitgliedern und Angestellten unter anderem ein Lohnunternehmen. Bis
Ende Oktober ist jeweils Erntehochsaison. Jedermann wird gebraucht, um in den
jeweils sehr engen, nicht voraussehbaren Zeitfenstern die Erntearbeiten bzw. Aufträ-
ge zu erledigen (Tag u. Nacht!).
Ich führe das Lohnunternehmen schon unzählige Jahre und habe absolut am
meisten Erfahrung und Fertigkeiten u. Kontakte. Fast alles läuft bei mir zusammen.
Falls ich zu dieser Zeit keine Fahrzeuge (alle Kategorien) führen kann, können wir
unsere Aufträge und allfällige Notfälle nicht erledigen. Der Verlust wäre enorm, da
regelmässig sehr teure Maschinen zum Einsatz kommen. Ich muss jeweils Feldbe-
sichtigungen machen, Material- und Erntetransporte durchführen, Reparaturen erle-
digen, Ernten, je nach aktueller Situation.
3.3.
Das Strassenverkehrsamt hatte anlässlich der Gewährung des
rechtlichen Gehörs am 25. Januar 2019 mitgeteilt, der Abgabetermin
müsse innerhalb von 7 Monaten festgelegt werden (d.h. spätestens
am 25. August 2019). Um dem erzieherischen Zweck der Massnah-
me gerecht zu werden, ist seines Erachtens eine Verschiebung auf
den 1. November 2019 ausgeschlossen. Verwiesen wird zudem auf
einen früheren Warnungsentzug aus dem Jahre 2012.
3.4.
Nach den Ausführungen des Strassenverkehrsamts hätte für den
Beschwerdeführer die Möglichkeit bestanden, den Führerausweis be-
reits zu Beginn dieses Jahres abzugeben. Tatsächlich wurde dem Be-
schwerdeführer anlässlich der Gewährung des rechtlichen Gehörs
vom 25. Januar 2019 nicht nur die Administrativmassnahme in Aus-
sicht gestellt; sondern er wurde gleichzeitig darauf hingewiesen, dass
er den Abgabetermin innerhalb der nächsten 7 Monate frei wählen
könne. Der Sachentscheid, mit welchem die Entzugsdauer auf
3 Monate festgesetzt wurde, datiert indessen erst vom 28. März
2019. Er enthielt den Hinweis, dass ein sofortiger Vollzug möglich
sei, wenn ein Gesuch um Vollzugsverschiebung gestellt und der Füh-
rerausweis beigelegt werde. Ein sofortiger Ausweisentzug konnte in-
2019 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 212
dessen zu diesem Zeitpunkt den geltend gemachten beruflichen Be-
dürfnissen des Beschwerdeführers (vgl. vorne Erw. 3.2) nicht genü-
gend Rechnung tragen. Damit kein Konflikt mit den im Mai begin-
nenden Erntearbeiten entstanden wäre, hätte eine Abgabe in den Mo-
naten Februar/März/April erfolgen müssen. Das Strassenverkehrsamt
bezieht sich in seinen Ausführungen zu den Dispositionsmöglich-
keiten des Beschwerdeführers somit auf einen Zeitpunkt, in welchem
noch gar keine Administrativmassnahme verfügt war. Auch unter Be-
rücksichtigung, dass dem Beschwerdeführer der Ausweis bereits
einmal entzogen werden musste, ist nachvollziehbar, dass er zuerst
Kenntnis von der definitiven Entzugsdauer haben wollte, bevor er
sich um deren konkrete zeitliche Festlegung kümmern konnte.
Die Praxis des Strassenverkehrsamts, wonach dreimonatige
Führerausweisentzüge, welche nicht angefochten werden, innert
7 Monaten ab Gewährung des rechtlichen Gehörs zu vollziehen sind,
dient als Richtwert der rechtsgleichen Anordnung der Vollstreckung.
Massgebend ist aber stets der Einzelfall, so dass berufliche Gründe,
mit welchen ein betroffener Fahrzeuglenker um eine Verschiebung
nachsucht, bei der individuellen Festsetzung des Entzugsbeginns zu
berücksichtigen sind (AGVE 2013, S. 351 mit Hinweis).
3.5.
Das Verwaltungsgericht hat in seiner bisherigen Praxis nicht be-
anstandet, dass bei einem selbständigen Maler der Entzugstermin be-
reits Mitte Juni angesetzt wurde und nicht erst - wie ersucht - Mitte
Dezember. Dieser Beschwerdeführer nahm keinen Bezug auf allfälli-
ge saisonale zyklische Geschäftsentwicklungen und beschränkte
sich darauf darzulegen, dass ihn der Führerausweisentzug als solcher
besonders hart treffe. Nicht ersichtlich war, dass ihn der Ausweisent-
zug mit späterem Entzugsbeginn weniger empfindlich beeinträchti-
gen würde als der angeordnete (vgl. VGE vom 23. Mai 2018
[WBE.2018.140], S. 6). Bei einem angestellten Aussen-
dienstmitarbeiter hat das Verwaltungsgericht nicht beanstandet, dass
die Verschiebung des Vollzugsbeginns nicht - wie beantragt - auf
den 18. Februar, sondern lediglich auf den 11. Januar gewährt wurde.
Zur Begründung erwog es, dass dem Beschwerdeführer nach durch-
geführtem Rechtsmittelverfahren ausreichend Zeit für Dispositionen
2019 Vollstreckung 213
zur Verfügung gestanden habe. Die Argumentation des Beschwerde-
führers (Stellensuche, prekäre finanzielle Verhältnisse, bestehende
Unterhaltspflichten sowie Hinweis auf die Karenzfrist für den Bezug
von Arbeitslosentaggeldern) legte nahe, dass lediglich ein möglichst
langer Aufschub des Führerausweisentzugs bezweckt wurde (vgl.
VGE vom 9. Januar 2019 [WBE.2018.445], S. 6 ff.). Schliesslich hat
das Verwaltungsgericht bei einem Arzt, welcher an zwei Spitälern tä-
tig war und das Auto im Wesentlichen für den Arbeitsweg einsetzte,
nicht beanstandet, dass kein Vollzugsaufschub um weitere zwei Mo-
nate gewährt worden war. Entsprechende Erschwernisse, Unan-
nehmlichkeiten Kosten seien unausweichlich Folge der Wider-
handlung gegen das Strassenverkehrsgesetz. Für Notfallsituationen
seien Vorkehren und Dispositionen innerhalb der Arbeitsorganisation
zu treffen; diese Problematik bestehe auch bei der Festlegung eines
späteren Entzugstermins (VGE vom 20. September 2012
[WBE.2012.331], S. 6 f.).
3.6.
Als selbständiger Lohnunternehmer ist der Beschwerdeführer
saisonalen Schwankungen besonders ausgesetzt. Typischerweise füh-
ren Lohnunternehmen für Landwirtschaftsbetriebe insbesondere Ern-
tearbeiten aus, bei welchen bestimmte (kostenintensive) Landma-
schinen wie beispielsweise Mähdrescher zum Einsatz gelangen. Der
Beschwerdeführer legt dar, dass er jeweils von Mai bis Ende Oktober
insbesondere für die Ernte von Gersten, Weizen, Raps und Mais so-
wie für Kartoffel- und Gülletransporte äusserst stark beansprucht
wird. Dabei verweist er auf zu erwartende finanzielle Einbussen,
falls die Landmaschinen nicht planmässig eingesetzt werden können.
In diesem Zusammenhang betont er seine Funktion als Ge-
schäftsführer, welche neben dem Ernten insbesondere Feldbesichti-
gungen, Material- und Erntetransporte sowie Reparaturen umfasse.
Unter zusätzlicher Berücksichtigung der wetterabhängigen Arbeiten,
welche unter Zeitdruck erfolgen, ist davon auszugehen, dass ein mo-
bilitätsbedingter Ausfall des Beschwerdeführers während der Ern-
tesaison kaum durch den Einsatz von Familienmitgliedern und Ange-
stellten aufgefangen werden könnte. Bei dieser Ausgangslage ist
darauf zu schliessen, dass den Beschwerdeführer der angeordnete
2019 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 214
Entzug des Führerausweises ab dem 25. August 2019 besonders hart
trifft. Die ungünstigen Wirkungen des Entzugs entsprechen aufgrund
besonderer Umstände nicht mehr dem üblichen Ausmass (vgl.
SCHAFFHAUSER, a.a.O., Rz. 2731). Damit erfüllt der Be-
schwerdeführer die Anforderungen der (vorübergehenden) berufli-
chen Angewiesenheit auf den Führerausweis, welche eine Verschie-
bung des Vollzugs rechtfertigen, zumal im Herbst/Winter keine ver-
gleichbare Abhängigkeit vom Führerausweis besteht. Dem erzieheri-
schen Zweck der Massnahme kann auch entsprochen werden, wenn
er den Führerausweis nach der Erntesaison (mithin gut 2 Monate spä-
ter als vom Strassenverkehrsamt angeordnet) abgibt. Auch diesfalls
wird er Beeinträchtigungen in Kauf nehmen müssen; diese dürften
jedoch deutlich weniger einschneidend sein als bei einem Entzug
während der Erntearbeiten. Hinzu kommt, dass zwischen der Zustel-
lung der Administrativmassnahme und dem Entzugsbeginn gut
7 Monate liegen werden. Die erzieherische Wirkung des Entzugs ist
damit nicht infrage gestellt.
Der vom Strassenverkehrsamt angeordnete Führerausweisent-
zug vom 25. August 2019 bis und mit 24. November 2019 erweist
sich somit als unverhältnismässig und ist zu korrigieren.

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