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Urteil Verwaltungsbehörden (AG - AGVE 2019 28)

Zusammenfassung des Urteils AGVE 2019 28: Verwaltungsbehörden

Der Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 28. August 2019 betrifft die Frage, ob ein Kreditbeschluss des Einwohnerrats von Aarau dem Finanzreferendum unterliegt. Dabei geht es um den Erwerb einer Liegenschaft als Kapitalanlage für die Stadt Aarau. Das Gericht klärt die Unterscheidung zwischen Finanz- und Verwaltungsvermögen und kommt zu dem Schluss, dass der geplante Liegenschaftserwerb als Finanzanlage zu betrachten ist und somit nicht dem Finanzreferendum unterliegt. Die bestehenden Alterswohnungen auf der Liegenschaft stellen kein Hindernis für die Einordnung als Finanzvermögen dar. Der Kauf der Liegenschaft dient dazu, die Position der Stadt Aarau auf dem Immobilienmarkt zu stärken und Erträge für die Erfolgsrechnung zu sichern.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts AGVE 2019 28

Kanton:AG
Fallnummer:AGVE 2019 28
Instanz:Verwaltungsbehörden
Abteilung:-
Verwaltungsbehörden  Entscheid AGVE 2019 28 vom 28.08.2019 (AG)
Datum:28.08.2019
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:IX. Wahlen und Abstimmungen 28 Gemeinderecht
Schlagwörter: Finanz; Ausgabe; Finanzvermögen; Finanzreferendum; Alter; Verwaltungsvermögen; Anlage; Liegenschaft; Aarau; Stadt; Apos; Erwerb; Wahlen; Abstimmungen; Finanzvermögens; Entscheid; Alterswohnungen; Verwaltungsgericht; Sinne; Zweck; Kredit; Kapitalanlage; Mitteln; Obergericht; Abteilung; Beschlüsse; Gemeindeordnung
Rechtsnorm:-
Referenz BGE:111 Ia 201; 112 Ia 221; 123 I 78; 138 I 247; 89 I 37;
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts AGVE 2019 28

2019 Wahlen und Abstimmungen 185
IX. Wahlen und Abstimmungen

28 Gemeinderecht
Kein Finanzreferendum bei Kredit betreffend Anschaffung im Bereich
des Finanzvermögens

Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 28. August
2019, in Sachen A.X., B.Y., C.Y. und D.Z. gegen Einwohnergemeinde Aarau
und Departement Volkswirtschaft und Inneres, Gemeindeabteilung
(WBE.2019.238).



1.
(...) Umstritten ist einzig, ob der Kreditbeschluss des Einwoh-
nerrats vom 25. März 2019 dem Finanzreferendum und damit dem
obligatorischen Referendum untersteht.
Mit den vom Einwohnerrat gesprochenen CHF 33'580'000.00
will die Stadt Aarau die Liegenschaft auf Walthersburg in Aarau als
Kapitalanlage erwerben (Botschaft und Antrag an den Einwohnerrat
vom 21. Januar 2019), wobei beabsichtigt ist, den Kaufpreis aus
eigenen Mitteln des Finanzvermögens (Anlagefonds) durch
Aufnahme von Fremdkapital zu finanzieren. Neben 30 Mietwoh-
nungen verfügt die Liegenschaft über 29 Alterswohnungen für
selbstständiges Wohnen im Alter, welche von einer Betriebsgenos-
senschaft als Seniorenzentrum betrieben werden. Die Stadt Aarau ist
aktuell eine von mehreren Genossenschafterinnen. Mit dem Kauf
möchte die Stadt Aarau ihre Position auf dem Immobilienmarkt stär-
ken und die Erträge zugunsten der Erfolgsrechnung sichern, wobei in
erster Linie marktgerechte Mieteinnahmen erzielt werden sollen.
2.
2.1.
2019 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 186
Beschlüsse der Gemeindeversammlung des Einwohnerra-
tes unterliegen nach Massgabe von Gesetz und Gemeindeordnung
der obligatorischen Volksabstimmung (§ 62 Abs. 2 KV). Gemäss
§ 57 GG müssen der Gesamtheit der Stimmberechtigten, neben den
in lit. a - e aufgezählten und im vorliegenden Fall nicht einschlägigen
Geschäften, die von der Gemeindeordnung ausdrücklich bezeichne-
ten weiteren Geschäfte zum Entscheid durch die Urne vorgelegt wer-
den (lit. f).
2.2.
Die Gemeindeordnung der Einwohnergemeinde Aarau vom
23. Juni 1980 (GO, SRS 1.1-1) bestimmt in § 4 Abs. 1 lit. g (GO),
dass Beschlüsse, die eine einmalige Ausgabe von mehr als
Fr. 6'000'000.- neue, jährlich wiederkehrende Ausgaben von
mehr als Fr. 300'000.- zur Folge haben , der Gesamtheit der
Stimmberechtigten zum Entscheid an der Urne vorgelegt werden
müssen. Ein solcherart ausgestaltetes Finanzreferendum soll den
Stimmbürgern als Steuerzahler über das Verfassungs- und
Gesetzesreferendum hinaus bei Verwaltungsakten von erheblicher
finanzieller Tragweite ein unmittelbares Mitspracherecht sichern
(ADRIAN HUNGERBÜHLER, Das Finanzreferendum nach der
aargauischen Kantonsverfassung vom 25. Juni 1980, ZBl 86/1985
S. 331).
3.
Für die Beantwortung der Frage, ob das Finanzreferendum auf
ein konkretes Sachgeschäft Anwendung findet, sind der Begriff der
Ausgabe und die Unterscheidung zwischen Finanz- und Verwal-
tungsvermögen von ausschlaggebender Bedeutung.
3.1.
§ 84a Abs. 1 GG umschreibt das Finanzvermögen als jene Ver-
mögenswerte, die ohne Beeinträchtigung der öffentlichen Aufgaben-
erfüllung veräussert werden können. Das Verwaltungsvermögen um-
fasst demgegenüber jene Vermögenswerte, die der öffentlichen Auf-
gabenerfüllung dienen (§ 84a Abs. 2 GG). Während das Finanzver-
mögen demnach nur mittelbar durch seinen Vermögenswert oder
seine Erträgnisse für die Erfüllung staatlicher Aufgaben zur Verfü-
gung steht, dienen dem Verwaltungsvermögen zuzurechnende Werte
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unmittelbar aufgrund ihres Gebrauchswerts der Besorgung öffent-
licher Aufgaben. Diese Gebrauchswerte sind denn auch - im Gegen-
satz zu den grundsätzlich realisierbaren Aktiven des Finanzvermö-
gens - nicht veräusserbar pfändbar (ULRICH HÄFELIN/GEORG
MÜLLER/FELIX UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Auf-
lage, Zürich 2016, N 2203 ff.; BGE 138 I 247 E. 2.3.2). In der Ver-
ordnung über den Finanzhaushalt der Gemeinden, Gemeindeverbän-
de und Gemeindeanstaltenvom 19. September 2012 (FiV,
SAR 617.113) ist ausserdem festgelegt, dass zum Finanzvermögen
unter anderem Grundstücke gehören, die als Kapitalanlage erworben
werden (§ 3 Abs. 1 FiV). Zum Verwaltungsvermögen zählt § 3
Abs. 1 lit. a und b FiV dagegen insbesondere Grundstücke, die mit
Bauten und Anlagen für öffentliche Zwecke überbaut sind, und sol-
che in der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen.
3.2.
Der Begriff der Ausgabe wird bereits in § 63 Abs. 1 lit. d KV
bei der Regelung des fakultativen Referendums auf Kantonsebene
verwendet. Das Gemeindegesetz umschreibt die Ausgabe als Ver-
wendung von Finanzvermögen zur Erfüllung öffentlicher Zwecke
(§ 84b Abs. 2 GG). Von einer Ausgabe, welche dem Finanzreferen-
dum unterliegt, wird dann gesprochen, wenn der Staat mit der Geld-
summe keinen gleichwertigen realisierbaren Vermögenswert erwirbt
(HUNGERBÜHLER, a.a.O., S. 333). Auch der Erwerb von Verwal-
tungsvermögen sowie die Umwandlung von Finanz- in Verwaltungs-
vermögen stellen eine Ausgabe dar (BGE 123 I 78; HÄFELIN/
MÜLLER/UHLMANN, a.a.O., N 2220).
Demgegenüber untersteht die blosse Kapitalanlage als solche
nicht dem Finanzreferendum (HUNGERBÜHLER, a.a.O., S. 333). Eine
Anlage ist ein Finanzvorfall, dem ein frei realisierbarer Wert gegen-
übersteht und der bloss zur Umschichtung innerhalb des Finanzver-
mögens führt (§ 84b Abs. 3 GG). Das entscheidende Kriterium für
die Unterstellung unter das Finanzreferendum ist folglich die Ver-
minderung des Finanzvermögens und damit einhergehend die Mehr-
belastung des Steuerzahlers. Werden dem Finanzvermögen Mittel
entzogen, muss darüber abgestimmt werden - dies jedoch nur bei
einem echten Mittelabfluss, d.h. wenn dem Finanzvermögen kein
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realisierbarer Gegenwert zugeführt wird. Eine Investition mit Mitteln
aus dem Finanzvermögen in Werte, die wiederum zum Finanzver-
mögen gehören, verringert das Finanzvermögen nicht und die Reali-
sierbarkeit bleibt erhalten (GIERI CAVIEZEL, Das Finanzreferendum
im Allgemeinen und unter besonderer Berücksichtigung des Kantons
Graubünden, Diss. Freiburg 1987, S. 54 f.; vgl. auch PIERRE
TSCHANNEN, in: Basler Kommentar zur Bundesverfassung, Basel
2015, Art. 34 N 27 f.; GEROLD STEINMANN, Die Schweizerische
Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 3. Auflage 2014, Art. 34
N 18; YVO HANGARTNER/ANDREAS KLEY, Die Demokratischen
Rechte in Bund und Kantonen der Schweizerischen Eidgenossen-
schaft, Zürich 2000, N 1832 ff.).
3.3.
In einem älteren Entscheid hielt das Bundesgericht fest, der Er-
werb von Liegenschaften zu Anlagezwecken stelle keine Ausgabe im
Sinne des Finanzreferendums dar (BGE 89 I 37 S. 43 f.). Einige Jah-
re später äusserte es sich in ähnlicher Weise, dass der Erwerb eines
Grundstücks durch den Staat keine Ausgabe (im Sinne einer Vermin-
derung des Staatsvermögens) darstellt, sondern erst die Inanspruch-
nahme dieses Grundstücks für einen bestimmten öffentlichen Zweck
(BGE 111 Ia 201 E. 5a S. 208 f.). An dieser Ansicht hielt das Bun-
desgericht in den folgenden Jahren fest und führte zum verfassungs-
politischen Zweck des Finanzreferendums aus, dem Bürger solle
damit bei Beschlüssen über erhebliche Ausgaben, die ihn als Steuer-
zahler mittelbar treffen, ein Mitspracherecht gesichert werden. Mit
Verweis auf das Begriffspaar Anlage und Ausgabe stellte es
ausserdem fest, um eine Anlage handle es sich dann, wenn einer
staatlichen Aufwendung ein frei realisierbarer Wert gegenüberstehe
und das erworbene Objekt nicht von Rechts wegen zu einer Verwen-
dung bestimmt sei, welche seine wirtschaftliche Veräusserung aus-
schliesse, wie diejenige zu Verwaltungszwecken. Daraus folgerte es
im konkreten Fall, dass mit der Absicht, einen Wohn-, Büro- und La-
dentrakt eines Gebäudes zu erstellen und weiterzuvermieten eine An-
lagetätigkeit verfolgt werde und der Vorgang keine Ausgabe darstelle
(BGE 112 Ia 221 E. 2a S. 226 f.). Schliesslich qualifizierte das Bun-
desgericht den Kredit für den Umbau einer bisher an eine private
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Mieterin vermieteten Liegenschaft der Stadt Zürich, um die Liegen-
schaft danach als Gerichtsgebäude zu nutzen, als eine Übertragung
von Finanz- in Verwaltungsvermögen und damit als Ausgabe, welche
dem Finanzreferendum unterstellt ist (BGE 123 I 78 E. 5b S. 84).
Anlagen seien Veränderungen innerhalb des Finanzvermögens; dabei
werde zur Werterhaltung und Sicherung eines angemessenen Ertra-
ges vorhandenes eigenes Vermögen in eine andere wirtschaftliche
Form gebracht (BGE 123 I 78 E. 3c S. 82).
4.
4.1.
Beim beabsichtigten Erwerb der Liegenschaft auf Walthers-
burg , welche sich in der Wohnzone und nicht in der Zone für öffent-
liche Bauten befindet, steht das Tätigen einer reinen Finanzanlage im
Vordergrund. So soll die Liegenschaft nach dem Kauf in das Liegen-
schaftenportfolio im Finanzvermögen integriert werden. In diesem
Zusammenhang bleibt festzuhalten, dass der Erwerb und die Ver-
äusserung von Grundstücken nicht den Wert des Gemeindevermö-
gens verändert, sondern bloss die Zusammensetzung desselben. An-
stelle von liquiden Mitteln (Kaufpreis) wird der Wert eines Grund-
stücks im Finanzvermögen bilanziert umgekehrt (ANDREAS
BAUMANN, Aargauisches Gemeinderecht, 4. Auflage, Zürich 2017,
S. 361 FN 7).
4.2.
Die 29 bestehenden Alterswohnungen stellen dabei kein Hin-
dernis für die Überführung in das Finanzvermögen dar, unterscheidet
sich doch das Anbieten von Wohnungen für ein selbstbestimmtes
Wohnen im Alter klar von der Führung eines Altersheims, welches
zum Verwaltungsvermögen gehört. Dies gilt unabhängig davon, ob
die Miete der Alterswohnungen an den Bezug von (minimalen) Pfle-
ge- und Betreuungsleistungen gebunden ist nicht. Unter Beach-
tung der gesetzlichen und vertraglichen Fristen können Alterswoh-
nungen gekündigt und anderweitig (ohne Pflichtleistungen) vermietet
werden. Die Stellung der Stadt als eine von vierzehn Genossenschaf-
terinnen der Betriebsgenossenschaft ändert an der Qualifikation der
Alterswohnungen als Finanzvermögen nichts. Erst wenn die Stadt
beispielsweise selber Pflege- und Betreuungsdienste anbieten oder
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aus sozialpolitischen Gründen auf Marktmieten verzichten würde,
könnte dies als Wechsel vom Finanz- zum Verwaltungsvermögen be-
trachtet werden und unterläge demnach dem Finanzreferendum. Da-
von ist in der stadträtlichen Botschaft jedoch keine Rede.
4.3.
Wird der Begriff Ausgabe im Sinne von § 4 lit. g GO in
Übereinstimmung mit dem übergeordneten Recht und der bundesge-
richtlichen Rechtsprechung ausgelegt, wird klar, dass sich eine Aus-
gabe ausschliesslich auf das Verwaltungsvermögen die Um-
widmung von Finanz- in Verwaltungsvermögen beziehen kann. Der
vorliegende Erwerb der Liegenschaft auf Walthersburg ist als Ka-
pitalanlage zu qualifizieren und nicht als Ausgabe im Sinne von § 4
lit. g GO. Das Sachgeschäft untersteht damit nicht dem Finanzrefe-
rendum.

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