liche Anforderungen an Richter und Gerichte, 2001, S. 312). Art. 30
Abs. 1 BV will verhindern, dass Gerichte eigens für die Beurteilung
einer Angelegenheit gebildet werden. Die Rechtsprechung soll auch
nicht durch eine gezielte Auswahl der Richter im Einzelfall beein-
flusst werden können. Jeder Verfahrensbeteiligte hat Anspruch da-
rauf, dass die Behörde richtig zusammengesetzt ist, vollständig und
ohne Anwesenheit Unbefugter entscheidet (BGE 137 I 340 E. 2.2.1).
Ob ein Gericht in ordnungsgemässer Zusammensetzung
entschieden hat, beurteilt sich in erster Linie nach dem einschlägigen
kantonalen Organisations- und Verfahrensrecht, welches nachfolgend
darzulegen ist.
4.3.
Die Besetzung des Familiengerichts als Kindes- und Erwachse-
nenschutzbehörde im Kanton Aargau und deren Stellvertretung sind
in §§ 55 und 56 des Gerichtsorganisationsgesetzes des Kantons
Aargau (GOG, SAR 155.200) geregelt. Sie haben folgenden Wort-
laut:
§ 55 Familiengericht
a) Zusammensetzung
1 Das Familiengericht setzt sich für das ordentliche Verfahren
zusammen aus einer Bezirksgerichtspräsidentin einem Bezirks-
gerichtspräsidenten als Präsidentin Präsident sowie Bezirks-
richterinnen und Bezirksrichtern. In Fällen, in denen Kinderbelange
im Vordergrund stehen, kann die Präsidentin der Präsident
anstelle von Bezirksrichterinnen Bezirksrichtern höchstens zwei
Fachrichterinnen Fachrichter des Kindes- und Erwachsenen-
schutzes, die in Voll- Teilpensen tätig sind, einsetzen.
2 Das Familiengericht als Kindes- und Erwachsenenschutzbe-
hörde setzt sich zusammen aus einer Bezirksgerichtspräsidentin oder
einem Bezirksgerichtspräsidenten als Präsidentin Präsident,
Fachrichterinnen und Fachrichtern des Kindes- und Erwachsenen-
schutzes, die in Voll- Teilpensen tätig sind, sowie nebenamt-
lichen Fachrichterinnen und Fachrichtern des Kindes- und Erwachse-
nenschutzes.
§ 56 b) Stellvertretung
1 Bezirksgerichtspräsidentinnen und Bezirksgerichtspräsidenten
vertreten sich für Piketteinsätze im ganzen Kanton gegenseitig.
2 Fachrichterinnen und Fachrichter des Kindes- und Erwachse-
nenschutzes, die in Voll- Teilpensen tätig sind, vertreten sich im
ganzen Kanton gegenseitig. Im Bereich des Kindes- und Erwachse-
nenschutzrechts können sie stellvertretend als Präsidentinnen und
Präsidenten des Familiengerichts eingesetzt werden.
3 Nebenamtliche Fachrichterinnen und Fachrichter des Kindes-
und Erwachsenenschutzes können in den Familiengerichten aller Be-
zirksgerichte im Kanton eingesetzt werden.
4.4.
Für die Familiengerichte im Kanton Aargau bestehen demnach
detaillierte gesetzliche Kriterien, nach denen sich die Spruchkörper-
bildung zu richten hat. Sinn und Zweck des neuen Kindes- und
Erwachsenenschutzrechts, welches seit 1. Januar 2013 in Kraft ist,
war unter anderem die Schaffung einer interdisziplinären Kindes-
und Erwachsenenschutzbehörde. Von einer solch interdisziplinär
zusammengesetzten Behörde wird erwartet, dass sie den Sachverhalt
aus unterschiedlichen Blickwinkeln beurteilt und ihre Entschei-
dungen gestützt auf eine umfassende Situationsanalyse abstützt.
Mit der Regelung in § 55 Abs. 2 GOG wurde die interdiszipli-
näre Zusammensetzung der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde
sichergestellt, indem neben einer Bezirksgerichtspräsidentin bzw.
einem Bezirksgerichtspräsidenten zwei Fachrichterinnen bzw. Fach-
richter mit teilweise verschiedenen Fachkompetenzen und Diszipli-
nen am Entscheid mitwirken müssen.
4.5.
Der vorinstanzliche Entscheid wurde von zwei Gerichtspräsi-
denten und lediglich einer Fachrichterin gefällt. Diese vom Familien-
gericht X. gewählte Verfahrensweise ist nicht mit der kantonalen
Regelung von § 55 Abs. 2 GOG, welche eine interdisziplinäre Zu-
sammensetzung vorsieht, vereinbar. Die Beachtung derselben ist
keineswegs in das Belieben des Familiengerichts gestellt. Vielmehr
haben die Prozessparteien, wie unter E. 4.2. dargelegt, einen bundes-
rechtlich geschützten Anspruch (Art. 30 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 1
EMRK), wonach die Gerichtsbehörde in der durch Verfassung,
Gesetz Verordnung festgelegten Besetzung entscheidet.
Insbesondere auch vor dem Hintergrund der Stellvertretungsre-
gelung unter den Fachrichterinnen und Fachrichtern des Kindes- und
Erwachsenenschutzes gemäss § 56 Abs. 2 und 3 GOG über die Be-
zirksgrenze hinaus, würde eine beliebige Änderung der Besetzung
des Familiengerichts keinen Sinn machen und käme überdies einer
Aushebelung der Regelung über die Spruchkörperbildung gemäss
§ 55 Abs. 2 GOG gleich.