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71 Anschlussgebühren - Die dem falschen Adressaten eröffnete Anschlussgebührenverfügung ist nichtig (AGVE 2011 S. 327 ff.). Die Rechtsfolge findet nur auf die aktuell bestrittenen Abgaben Anwendung (Präzisierung der Recht- ssprechung). - Wenn die den Bau ausführende Generalunternehmung im massgebli- chen Schätzungszeitpunkt noch Eigentümerin einzelner Stockwerk- eigentumseinheiten war, hat sie keinen Anspruch auf eine nach- trägliche materielle Kontrolle des Gebäudeversicherungswerts. - Verletzungen des Kostendeckungsprinzips sind grundsätzlich unver- ändert nach der publizierten (AGVE 2012 S. 277 ff.) Methode zu korrigieren. Die prozentuale Kürzung erfolgt auf dem gesamten An- schlussgebührenbetrag. Der bereits bezahlte, an sich unstrittige Teil ist ebenfalls zu berücksichtigen, weil damit zur Kostendeckungs- verletzung beigetragen wurde. Die kostendeckungsbedingten Ra- batte können und dürfen aber die bestrittenen Abgaben nicht übersteigen. Aus dem Entscheid des Spezialverwaltungsgerichts, Abteilung Kausalabga-
ben und Enteignungen, vom 2. Dezember 2015 in Sachen X. AG gegen
Einwohnergemeinde Y. (4-BE.2013.7).
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Sachverhalt Am 25. August 2009 erteilte der Gemeinderat Y. der Generalun ternehmerin X. die Baubewilligung für 12 Mehrfamilienhäuser und eine Einstellhalle auf der Parzelle Nr. aaa im Eigentum der Z. Darin verfügte er provisorische Anschlussgebühren Wasser und Abwasser. Von der Parzelle Nr. aaa wurden am 30. November 2009 die Parzellen Nrn. b-f abparzelliert. Die Restparzelle Nr. aaa wurde an die X. verkauft. Die Parzellen Nrn. b-e wurden später an Dritte ver kauft und mit je einem, zusammen vier, Mehrfamilienhäusern über baut. Auf der Parzelle Nr. f wurde eine Einstellhalle mit 87 Miteigen tumseinheiten erstellt, 55 davon übernahm die X. Auf der Restpar zelle Nr. aaa erstellte die X. acht Vierfamilienhäuser (Nrn. 1792 1794 und 1797-1801), aufgeteilt in Stockwerkeigentum, die sie zum Kauf anbot. Im Zeitpunkt, als die Bauten auf der Parzelle Nr. aaa an die kommunalen Wasser- und Abwasserleitungen angeschlossen wurden, hatte sie insgesamt vier Stockwerkeinheiten verkauft. Bis zur Schätzung der fertiggestellten Bauten im November 2012 durch die Aargauische Gebäudeversicherung waren bis auf zwei Ausnahmen alle Stockwerkeinheiten verkauft. Am 7. März 2013 verfügte der Gemeindrat Y. gegenüber der X. definitve Anschlussgebühren Wasser und Abwasser. Diese sind um stritten.
Aus den Erwägungen 5.3.5. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Beschwerdeführe rin für die Anschlussgebühren (Wasser und Abwasser) der Liegen schaften auf den Parzellen Nrn. b-e nicht zahlungspflichtig ist, da sie zu keinem Zeitpunkt Eigentümerin derselben war. In Bezug auf die Einstellhalle hat sie 55 von 87 Anteilen erworben. Die Anschlussge bühren, welche auf die Anteile an der Einstellhalle entfallen, dürfen ebenfalls nicht vollständig der Beschwerdeführerin auferlegt werden.
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Soweit sich die Verfügung vom 7. März 2013 auf diese Liegenschaf ten bezieht, ist sie nichtig. Im Zeitpunkt des Anschlusses an die Kanalisation (30. Septem ber 2010) als auch im Zeitpunkt des Anschlusses an die Wasser versorgung (7. Oktober 2010) war die Beschwerdeführerin Mit eigentümerin der Parzelle Nr. aaa und ist somit für die darauf er stellten acht Liegenschaften grundsätzlich anschlussgebührenpflich tig. Es geht somit um die Liegenschaften Nrn. 1792-1794 und 1797 1801. (...) 6. 6.1. Die Beschwerdegegnerin lässt geltend machen, dass bereits die provisorischen Anschlussgebühren der Beschwerdeführerin auferlegt worden seien, obwohl sie nicht Eigentümerin der damals noch einzi gen Bauparzelle war. Sie habe die Anschlussgebühren anstandslos bezahlt und habe ihre Zahlungspflicht nie bestritten (...). In diesem Zusammenhang gilt es zu beachten, dass vorliegend allein die Nachforderungen für die Anschlussgebühren (Wasser und Abwasser) im Streite stehen. Mehr wurde weder verfügt noch ver langt. Das SKE ist an den Streitgegenstand gebunden (KIENER/ RÜTSCHE/KUHN, Öffentliches Verfahrensrecht, 2. Auflage, Zürich/ St. Gallen 2015, N 1279 ff., mit Hinweis) und darf insbesondere bei der Beurteilung der gestellten Begehren nicht darüber hinausgehen (§ 4 Abs. 1 BauG i.V.m. § 48 Abs. 2 VRPG). Das Gericht hat sich mit den unstrittig geleisteten und in der definitiven Abrechnung berücksichtigten Akontozahlungen schon aus diesen prozessualen Gründen nicht weiter auseinanderzusetzen (Präzisierung der Recht sprechung zu AGVE 2011 S. 331). 6.2. Gemäss Art. 36 WR (Wasserreglement, beschlossen von der Gemeindeversammlung am 18. Juni 1986, genehmigt vom damali gen Baudepartement am 1. Juli 1986) verlangt die Gemeinde bei der Erteilung der Baubewilligung eine Akontozahlung von 80 %, basie rend auf den mutmasslichen Baukosten, und die Zahlung hat vor
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Baubeginn zu erfolgen. Bei den Abwasseranschlussgebühren wird analog verfahren (...). Die Problematik besteht unter anderem aber darin, dass zum Zeitpunkt der Erteilung der Baubewilligung gar noch nicht feststeht, wem die Zahlungspflicht für die Anschlussgebühren obliegen wird. Es wird allgemein anerkannt, dass der Sondervorteil und damit die Zahlungspflicht erst eintreten können, wenn der Gebührenpflichtige die Erschliessungsanlage nutzen kann, denn die Anschlussgebühr ist eine öffentlich-rechtliche Gegenleistung für die Gewährung des An schlusses an die Leitung eines öffentlichen Werkes. Aus diesem Grund bestimmen sich die rechtlichen Voraussetzungen für ihre Erhebung grundsätzlich nach dem Zeitpunkt, in dem der Anschluss vollzogen wird, und die Gebührenpflicht trifft grundsätzlich den an schliessenden Grundeigentümer, weil er den Rechtsgrund für die Erhebung der Abgabe setzt (AGVE 2010 S. 321 ff.; BGE 103 Ia 28, mit Hinweisen). Wo Generalunternehmen Überbauungen erstellen, wird die Zah lungspflicht für die Anschlussgebühren häufig privatrechtlich und abweichend vom kommunalen Reglement geregelt. Die öffentlich rechtlich statuierte Zahlungspflicht wird dadurch aber nicht aufgeho ben. Die Gemeinde kann die Anschlussgebühren einzig gegen den gemäss Reglement Verpflichteten verfügen. Verfügt sie gegenüber einem falschen Adressaten, ist die Verfügung nichtig bzw. nicht voll streckbar (vgl. SKEE 4-BE.2014.8 vom 18. März 2015 in Sachen S. G. AG gegen Einwohnergemeinde V.; AGVE 2002 S. 507 ff.). Mit anderen Worten: Die Gemeinde kann zwar die private Abmachung zwischen Generalunternehmer und Eigentümer freiwillig beachten und die Gebühren von Ersterem einziehen. Bezahlt er aber nicht, kann sie die Forderung nur gegenüber dem nach Reglement Zahlungspflichtigen durchsetzen. Daran ändert auch die "freiwillige" Begleichung der provisorischen Rechnung nichts. Der Beschwerdegegnerin steht es frei, die von ihr beanspruch ten Gebühren in einer mehreren neuen Verfügungen den tatsäch lich Zahlungspflichtigen gemäss den einschlägigen Reglementen auf zuerlegen (vorbehältlich immerhin der Ergebnisse der Prüfung des Kostendeckungsprinzips, vgl. hinten Erw. 11.5.1.). Dabei sind neben
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den Stockwerkeigentumseinheiten auch die zugehörigen Miteigen tumsanteile an der Einstellhalle und gegebenenfalls ein erworbener Disponibelraum zu beachten. Die tatsächlich Zahlungspflichtigen können dann allenfalls gestützt auf eine vertragliche Abmachung mit der Beschwerdeführerin im Innenverhältnis für die zu bezahlenden Gebühren Regress nehmen; ihr öffentlich-rechtliches Verhältnis als Zahlungsverpflichtete gegenüber der Gemeinde wird dadurch aber nicht berührt (vgl. Entscheid der Schätzungskommission 4 BE.2010.34 vom 25. April 2012 in Sachen R + K AG gegen Einwoh nergemeinde R, m.w.H.). 7. 7.1. Nachfolgend sind die Anschlussgebühren (Wasser und Abwas ser), für welche die Beschwerdeführerin zahlungspflichtig ist, zu überprüfen. 7.2. Die Beschwerdeführerin rügt zuvorderst, dass die Gebäudever sicherungswerte falsch ermittelt worden seien. Im Weiteren lässt die Beschwerdeführerin geltend machen, dass ihr diese Werte nie eröff net worden seien. Da sie die Liegenschaften veräussert habe, sei sie nicht Partei der Schätzungsverfahren gewesen. Sie habe daher in den Verfahren bezüglich der Festlegung der Gebäudeversicherungswerte überhaupt keine Rechte gehabt. Die Entscheide der Gebäudever sicherung könnten ihr gegenüber daher keine rechtliche Bindungs wirkung entfalten. Gemäss Angaben der Beschwerdeführerin beruhen die von der Beschwerdegegnerin angegebenen Gebäudeversicherungswerte auf falschen Annahmen. Das Gesamtschätzungsergebnis sei nach Kennt nis der Beschwerdeführerin nie mit der Bauabrechnung abgeglichen worden, obwohl dies gemäss § 9 Abs. 1 des Schätzungsreglements so vorgesehen sei. Gestützt auf die Bauabrechnung würden sich Kosten inklusive nachträglicher Käuferwünsche sowie Mehrwertsteuer von Fr. 17'525'559.55 ergeben. Davon seien die Positionen Erdarbeiten, Kanalisationsgebühren, Elektrizitätsanschlussgebühren, Wasseran schlussgebühren und Medien von total Fr. 1'515'910.45 abzuziehen. Entsprechend resultiere eine Bausumme von Fr. 16'009'649.10. Im
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Vergleich dazu sei der kumulierte geschätzte Gebäudeversicherungs wert von Fr. 23'709'000.00 deutlich zu hoch angesetzt. 7.3. (...) 7.4. Die Beschwerdegegnerin vertritt den Standpunkt, dass die Be schwerdeführerin im Zeitpunkt der Schätzung noch Eigentümerin von zwei Wohnungen war und somit von der Schätzungsverfügung rechtzeitig Kenntnis erhalten habe (...). Grundsätzlich habe die Be schwerdeführerin anerkannt, dass der Gebäudeversicherungswert für die Festsetzung von Anschlussgebühren zulässig sei. Es gehe aber nicht an, dass sie die rechtskräftige Schätzung der Gebäudeversiche rung nochmals anfechte. Überprüfbar sei im vorliegenden Fall nur noch, ob das Abstellen auf die rechtskräftigen Schätzungen im kon kreten Fall zu überhöhten Gebühren führe und dies treffe hier nicht zu. 8. 8.1. Die Anschlussgebühren Wasser und Abwasser werden in der Einwohnergemeinde Y. anhand des Brandversicherungswerts berech net. Massgebend ist der Zeitpunkt des Kanalisationsanschlusses (...). Der Brand- Gebäudeversicherungswert wird von der AGV ge schätzt. Gegen Verfügungen der AGV, die gestützt auf das GebVG ergehen, kann Einsprache erhoben werden. Der Einspracheentscheid kann beim SKE angefochten werden (§ 50 ff. GebVG). 8.2. Wechselt ein Gebäude nach Anschluss an die Erschliessungs anlagen aber vor der Schätzung durch die AGV die Hand, kann der für die Anschlussgebühren Zahlungspflichtige das Schätzungser gebnis der AGV nicht anfechten. Dazu ist nur der Gebäudeeigen tümer im Zeitpunkt der Schätzung berechtigt bzw. der Verfügungs adressat (vgl. § 50 Abs. 1 GebVG). Damit der für die Anschluss gebühr Zahlungspflichtige in solchen Fällen nicht ohne Rechtsschutz bleibt, hat das SKE ausnahmsweise im Anschlussgebührenverfahren vorfrageweise den Gebäudeversicherungswert zu prüfen (VGE BE.94.00025 vom 23. Dezember 1997 in Sachen B. AG, Erw. III, 1. a; AGVE 1984, S. 230 ff.; Entscheid der Schätzungskom-
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mission 4-BE.2010.34 vom 25. April 2012 in Sachen R+K AG gegen Einwohnergemeinde R., Erw. 6.3.2.). Der abgabepflichtigen Be schwerdeführerin ist daher im Rahmen des Verfahrens betreffend Anschlussgebühren Wasser und Abwasser die Möglichkeit zu geben, sich zur Gebäudeschätzung zu äussern. Das ist eine zwingende Folge des rechtlichen Gehörs und der Bezugnahme des Wasser- und des Abwasserreglements auf den Gebäudeversicherungswert (vgl. AGVE 1984, S. 231. f). Sachfremde Aspekte, wie die Interessen des Anschlussgebüh renpflichtigen an einer tieferen Abgabe, dürfen das Ergebnis einer Gebäudeschätzung nicht verfälschen (AGVE 1999, S. 494). Das SKE nimmt nur eine summarische Prüfung auf offensichtli che von der Beschwerdeführerin konkret gerügte Fehler in der Gebäudeschätzung vor (Entscheid der Schätzungskommission 4 BE.2010.34 vom 25. April 2012 in Sachen R+K AG gegen Einwoh nergemeinde R., Erw. 6.3.2.). 8.3. Die acht Liegenschaften (Nrn. 1792-1794 und 1797-1801) auf der Parzelle Nr. aaa sowie die Einstellhalle wurden alle am 15. No vember 2012 von der AGV geschätzt. Bei der Liegenschaft Nr. 1798 fand am 19. November 2012 eine zweite Schätzung statt. Gemäss der Verkaufsliste Stockwerkeigentum Parzelle Nr. aaa (...) hatte die Be schwerdeführerin zu diesem Zeitpunkt mit zwei Ausnahmen sämtli che Stockwerkeigentumseinheiten verkauft. Am 15. bzw. 19. No vember 2012 war sie noch Eigentümerin von zwei Wohnungen in der Liegenschaft Nr. 1798 (4.5-Zimmer-Wohnung, Parterre Rechts, Nr. E17 und 4.5-Zimmer-Wohnung, Parterre Links, Nr. E18). An den übrigen Liegenschaften (Nrn. 1792-1794, 1797 und 1799-1801) war sie nicht mehr beteiligt. 8.4. Wie aus den Akten der AGV ersichtlich ist, wurden nicht die einzelnen Wohnungen geschätzt, sondern die Vierfamilienhäuser als jeweils gesamte Gebäude. Im Anhang der Policen sind dann die Mehrwerte der jeweiligen Wohnungen aufgeführt. In der Folge wur den die Schätzungen der Liegenschaften Nrn. 1792-1794 und 1797 1801 sowie der Einstellhalle Nr. 1802 der S. Immobilien Treuhand
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zugestellt. Diese handelte als Verwalterin für die Stockwerkeigentü mergemeinschaft (...). Hat die Stockwerkeigentümergemeinschaft einen Verwalter be stellt, können Verfügungen, welche an die Stockwerkeigentümer insgesamt gerichtet sind, wirksam an diesen mitgeteilt werden (Art. 712t Abs. 3 ZGB). Wird eine Mitteilung dem Verwalter zuge stellt, so gilt sie von Gesetzes wegen als der Stockwerkeigentü mergemeinschaft zugekommen. Mit der Inempfangnahme durch den Verwalter wird fingiert, sie sei allen Stockwerkeigentümern zuge gangen (ARTHUR MEIER-HAYOZ/HEINZ REY, Berner Kommentar, Bern 1988, Art. 712t ZGB, N 60 ff.). Die Beschwerdeführerin war im Schätzungszeitpunkt noch Ei gentümerin von zwei Wohnungen in der Liegenschaft Nr. 1798. Aus diesem Grund gilt die von der AGV der Verwalterin zugestellte Schätzung auch als ihr zugekommen. Sie muss sich das Wissen der Verwalterin zurechnen lassen und hat demgemäss unbestreitbar Kenntnis von der Schätzungsverfügung erhalten. Es darf daher vorausgesetzt werden, dass ihr der geschätzte Versicherungswert für die Liegenschaft 1798 im Betrag von Fr. 1'940'000.00 (zweite Schät zung vom 19. November 2012, ohne Aufräumkosten) bekannt war zumindest hätte bekannt sein müssen. 8.5. 8.5.1. An der Verhandlung machte der Vertreter der Beschwerdeführe rin dazu geltend, dass das Stockwerkeigentum die Handlungsfähig keit beschränke. Es gelte zu beachten, dass nur die Stockwerk eigentümergemeinschaft aktivlegitimiert sei. Der Einzelne sei nicht befugt. Dies gehe aus BGE 5D_92/2009 vom 21. August 2009 hervor (...). Seine Mandantin wäre somit gar nicht legitimiert gewesen, die Schätzung der AGV anzufechten. 8.5.2. Beim angeführten Entscheid handelt es sich um eine Ver fassungsbeschwerde. Gemäss dem Sachverhalt, der diesem Entscheid zugrunde lag, hat eine Gemeinde einer Stockwerkeigentümergemein schaft Wasser-, Kanalisations- und Kehrichtgebühren im Betrag von Fr. 1'481.50 in Rechnung gestellt. Die Stockwerkeigentümergemein-
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schaft erhob dagegen Einsprache, welche vom Gemeinderat abgewiesen wurde. In der Folge betrieb die Gemeinde die Stockwer keigentümergemeinschaft. Schliesslich wurde für den in Betreibung gesetzten Betrag die definitive Rechtsöffnung erteilt. Dagegen erhob die Stockwerkeigentümergemeinschaft Nichtigkeitsbeschwerde beim Obergericht des Kantons Luzern. Diese wurde abgewiesen, weshalb die Stockwerkeigentümergemeinschaft mit Beschwerde ans Bundes gericht gelangte. In materieller Hinsicht rügte die Stockwerkei gentümergemeinschaft, das Rechtsöffnungsgesuch richte sich gegen sie als Stockwerkeigentümergemeinschaft. Der Wasserverbrauch betreffe jedoch die einzelnen Eigentümer und nicht die Gemein schaft. Das Bundesgericht hielt dazu fest, dass sich die Gebüh renrechnung als auch der Entscheid des Gemeinderats an die Stock werkeigentümergemeinschaft gerichtet habe. Diese hätte daher den Rechtsöffnungstitel anfechten müssen, wenn sie der Meinung ge wesen sei, die Verfügung betreffe sie nicht. Im Weiteren ging es um die Leistung von zwei Teilbeträgen von je Fr. 393.85 und einem solchen von Fr. 693.80 durch drei Stockwerkeigentümer. Diesbezüg lich verwies das Bundesgericht auf die Vorinstanz und hielt fest, dass die Beschwerdegegnerin die Zahlungen an die Gebührenrechnung der Stockwerkeigentümergemeinschaft nur dann hätte anrechnen dürfen, wenn die beteiligten Stockwerkeigentümer dies ausdrücklich erklärt hätten. 8.5.3. In dem von der Beschwerdeführerin erwähnten Entscheid wur den die von den einzelnen Stockwerkeigentümern geleisteten Teilbe träge nicht der Stockwerkeigentümergemeinschaft zugerechnet, weil keine entsprechende Erklärung vorhanden war. Eine Anrechnung und somit die Vertretung der Stockwerkeigentümergemeinschaft durch die drei Zahlenden wäre aber offenbar möglich gewesen, wenn aus drücklich erklärt worden wäre, dass die geleisteten Teilbeträge für die Stockwerkeigentümergemeinschaft erfolgt seien. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin kann aus diesem Entscheid nicht abgeleitet werden, dass sie nicht zur Anfechtung der Schätzungen legitimiert gewesen wäre. Vielmehr ist es so, dass die Schätzung der AGV jeden Stockwerkeigentümer in seinen persönlichen Interessen
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betrifft und daher davon auszugehen ist, dass er individuell zur An fechtung derselben legitimiert ist (vgl. BGE 1C_100/2012 vom 16. Oktober 2012, Erw. 1). Zudem ist im vorliegenden Fall allein die Frage massgebend, ob sich die Beschwerdeführerin das Wissen der Verwaltung in Bezug auf die Schätzungswerte der AGV zurechnen lassen muss. Aufgrund der Ausführungen in Erw. 8.4. ist dies klar zu bejahen. Die Beschwerdeführerin hätte also schon damals um die heute gerügte Diskrepanz zwischen Gebäudeversicherungswert und Baukostenab rechnung gewusst. Sie hätte sich dagegen wehren müssen und kön nen. Das hat sie nicht getan. Anderes behauptet sie selbst nicht (vgl. im Übrigen Erw. 8.8. unten). 8.6. Im Kanton Aargau werden die Gebäude grundsätzlich zum Neu wert versichert. Dieser entspricht den mittleren Kosten für die Er stellung eines in Art, Grösse, Ausbau und Standort gleichen Gebäu des (§ 15 Abs. 1 GebVG; vgl. auch A. KLEINER, Das Recht der öffentlichen Gebäudeversicherungen, Separatdruck aus "Mitteilun gen", Jahrgänge 1978/1979, S. 21). Der Neuwert errechnet sich durch Multiplikation der ermittelten Summe der kostenverursachen den Einheit (Kubikinhalt) mit den Kosten je Einheit (Kubikmeter preis). Ausnahmsweise günstige Erstellungskosten ungewöhn lich hohe Baukosten, die auf ausserordentliche Umstände zurückge hen und sich bei einem allfälligen Wiederaufbau nicht wiederholen, sind nicht zu berücksichtigen. Die Baukostenabrechnung ist von der AGV zum Vergleich heranzuziehen, sofern sie im Zeitpunkt der Schätzung vorliegt. Das heisst aber nicht, dass diese zum Versiche rungswert erhoben wird. Gefragt sind die durchschnittlichen Kosten, mit denen bei einem Wiederaufbau zu rechnen ist (vgl. §§ 8 und 9 Schätzungsreglement). (...) Beim Gebäudeversicherungswert handelt es sich zudem um ei nen Schätzwert, dem notwendigerweise ein Unsicherheitsfaktor anhaftet (vgl. ROLAND HÜRLIMANN/THOMAS SIEGENTHALER, Die Haftung des Liegenschaftenschätzers gegenüber einem vertragsfrem den Dritten in: Baurecht 3/2004, S. 108 f.). Das Bundesgericht geht bei den Verkehrswertschätzungen von einer branchenüblichen Schät-
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zungstoleranz von 10 % aus (BGE 9C_238/2009 vom 11. September 2009, Erw. 3.4; so auch FRANCESCO CANONICA, Die Immobilienbe wertung, 2009, S. 40). Dieser Ansatz gilt auch für die Gebäudever sicherungsschätzungen. 8.7. Bei den 12 Vierfamilienhäusern der Überbauung L. handelt es sich um serienmässige Bauten. Die einzelnen Gebäude haben alle in etwa den gleichen Grundriss. Einzig die Liegenschaften Nrn. 1795 und 1800 weichen lagebedingt davon ab (...). In jedem der 12 Ge bäude gibt es vier Wohnungen. Wie aus der Verkaufsliste Stock werkeigentum Parzelle Nr. aaa (...) ersichtlich ist, bestehen die meis ten Liegenschaften aus je zwei 4.5- und je zwei 5.5-Zimmer Wohnungen. Wie bereits festgestellt wurde (...) bezieht sich die von der Be schwerdeführerin eingereichte Übersicht über die Baukosten auf die Gesamtüberbauung. Eine Übersicht über die Kosten der einzelnen Gebäude und der Einstellhalle reichte die Beschwerdeführerin nicht ein. Aufgrund der konkreten Umstände (serienmässiger Bau von zwölf Vierfamilienhäusern) darf jedoch davon ausgegangen werden, dass sich die Kosten - abzüglich der Kosten für die Einstellhalle - in etwa gleichmässig auf die 12 Gebäude verteilen (bestätigt durch die eingeholten Schätzungsakten [...], wonach die eingesetzten Kubik meterpreise [Erw. 8.6.] in einem engen Band variieren). 8.8. Wie in Erw. 8.4. ausgeführt wurde, gilt die Schätzung der Lie genschaft Nr. 1798 als der Beschwerdeführerin zugestellt. Sie muss sich das Wissen der Verwaltung anrechnen lassen. Entgegen ihrer Ausführungen in der Beschwerde vom 2. Mai 2013 (...), kann daher vorausgesetzt werden, dass ihr der Schätzwert für diese einzelne Liegenschaft zumindest hätte bekannt sein müssen. Im Übrigen hat dies auch für die Einstellhalle zu gelten. Aufgrund der konkreten Umstände ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Schätzung durch die AGV auch noch Eigentumsanteile an der Einstellhalle hatte. Die Differenz zwischen dem Gebäudeversicherungswert der Liegenschaft Nr. 1798 und den Baukosten hätte für die Beschwerde-
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führerin also schon zum Zeitpunkt der Eröffnung des Gebäudever sicherungswerts der Liegenschaft Nr. 1798 ersichtlich sein müssen. Die Tatsache, dass der Gebäudeversicherungswert der Liegen schaft Nr. 1798 der Beschwerdeführerin eröffnet wurde, ist im vor liegenden Fall auch für die übrigen Gebäude von Bedeutung. Da es sich um serienmässig erstellte und gleichwertige Gebäude handelt, musste die Beschwerdeführerin davon ausgehen, dass sich die einzel nen Gebäudeversicherungswerte in etwa im selben Rahmen bewe gen. Die Diskrepanz, welche sich zwischen der Gesamtheit der Gebäudeversicherungswerte und den Baukosten - welche ja eben falls nur für die gesamte Überbauung vorliegen - ergibt, wäre für die Beschwerdeführerin bereits im Zeitpunkt der Eröffnung der Gebäu deversicherungswerte erkennbar gewesen. Dennoch hat sie die Schätzung der AGV vom 19. November 2012 nicht gerügt. Die Verfügungen der AGV sind unstrittig in Rechtskraft erwachsen. Un ter den genannten Umständen erübrigt sich im vorliegenden Fall die beantragte vorfrageweise Prüfung der Gebäudeversicherungswerte. Das Gericht hat anders als in der skizzierten Rechtsprechung (Erw. 8.2.) keinen Anlass, auf die rechtskräftigen Gebäudeversi cherungswerte zurückzukommen. 9. (...) 10. 10.1. Im Weiteren lässt die Beschwerdeführerin rügen, dass mit der angefochtenen Verfügung das Kostendeckungs- und Äquivalenzprin zip verletzt werde. 10.2 (...) 11. - 11.1.2. (...) 11.2. 11.2.1. Gerade im Bereich des Kostendeckungsprinzips wird verlangt, dass sich ein Beschwerdeführer nicht damit begnügt, dessen Einhal tung bloss in allgemeiner Form zu bestreiten und zu verlangen, dass die notwendigen, oft sehr aufwendigen Abklärungen durch die Be hörde getätigt werden; vielmehr sind die Einwendungen, jedenfalls soweit dies aufgrund allgemein zugänglicher Unterlagen (dazu ge-
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hört insbesondere die Gemeinderechnung) möglich ist, konkret vorzubringen und zu belegen (AGVE 2003, S. 105). Vorliegend macht die Beschwerdeführerin keine konkreten Angaben, worin die Verletzung des Kostendeckungsprinzips liegt. Sie bezieht sich nicht auf einzelne Positionen der Rechnung, welche auf einen möglichen Verstoss gegen das Kostendeckungsprinzip hin weisen. Sie macht lediglich geltend, falls die Rechnung nicht ausge glichen sei, liege eine Verletzung des Kostendeckungsprinzips vor. Offenbar hat sie die Rechnung gar nicht näher geprüft. Somit fehlt es in Bezug auf die Verletzung des Kostendeckungsprinzips an einer substantiierten Rüge. Die blosse Behauptung, dass das Prinzip ver letzt sei, reicht allerdings, wie gesagt, für eine einlässliche Prüfung nicht aus (AGVE 2003 S. 105). Aufgrund der Prozessgrundsätze für das Verwaltungsverfahren (Offizialmaxime und Rechtsanwendung von Amtes wegen) sieht das Gericht nicht ganz von einer Prüfung der Rüge ab, aber es beschränkt sich bei dieser Ausgangslage praxisgemäss auf eine summarische Minimalprüfung. 11.2.2. (...) 11.2.3. Abzustellen ist auf die Sach- und Rechtslage im Entscheidzeit punkt. Das SKE ist bisher noch immer von den aktuellsten, ihm be kannt gegebenen Zahlen ausgegangen. Im Rechnungswesen liegt es in der Natur der Sache, dass die jeweils aktuellste Rechnung die "richtigste" ist (weil die aktuellsten Erkenntnisse und Anforderungen berücksichtigt werden und vermutet werden darf, dass darin frühere Fehler berichtigt sind), und weil der Zeitablauf natürlich jeweils erhärtet, ob die früheren Prognosen zutreffend waren: Schätzungen werden durch Abrechnungen ersetzt (SKEE 4-BE.2012.5 vom 26. März 2014 in Sachen R.R. gegen Einwohnergemeinde U.). (11.3. und 11.4.: sowohl im Bereich Wasser, als auch im Be reich Abwasser ist das Kostendeckungsprinzip verletzt) 11.5. 11.5.1. Bei Verletzungen des Kostendeckungsprinzips sind die strittigen Anschlussgebühren zu reduzieren. Selbstverständlich fällt ausser Be-
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tracht, dass die festgestellten Überschüsse allein der Beschwerde führerin zugutekämen und deswegen mit den strittigen Anschluss gebühren quasi zu verrechnen wären. Ebensowenig kommt es in Frage, die Überschüsse aus dem ganzen jeweiligen Verwaltungs zweig allein der Investitionsrechnung zuzuschreiben und aus diesem Kostendeckungsgrad die Kürzungsrate für die strittigen Anschluss gebühren herzuleiten, wie es die Beschwerdeführerin verlangt (100 % beim Abwasser, 65,21 % beim Wasser). Nach Auffassung des Gerichts hat sich die Höhe der Reduktion im Grundsatz nach dem Prozentsatz zu richten, um den die Investitionseinnahmen während des gesamten Planungshorizonts zu senken wären, damit am Ende ein Überschuss in der maximal zulässigen Höhe resultiert (AGVE 2012, S. 277). Aber auch hierbei handelt es sich um eine punktuelle Behelfslösung, weil damit nur der im konkreten Fall zu gewährende Rabatt festgelegt wird. Es ist damit keine Verpflichtung für die Gemeinde verbunden, die Anschlussgebührenansätze regle mentarisch entsprechend herabzusetzen. Sie ist einzig gehalten, die Finanzierung im jeweiligen Eigenwirtschaftsbetrieb zu prüfen und gegebenenfalls die notwendigen Korrekturen auf der Einnahmen und/oder Ausgabenseite anzuordnen, wie es auch im Fall einer Unterfinanzierung der Fall wäre. Dabei lässt der den Gemeinwesen bei den Erschliessungsabgaben zustehende Autonomiebereich verhältnismässig grosse Handlungsspielräume offen (...). 11.5.2. 11.5.2.1. Beim Abwasser beträgt die bundesgerichtliche Limite des zulässigen Überschusses Fr. 3'266'000.00 (...). Bei einer rechneri schen Reduktion der Anschlussgebühren (Einnahmen in der Investiti onsrechnung) um 50 % liegt der Überschuss bei Fr. 3'697'000.00 (ohne Zinseinrechnung). (...) Selbstredend liesse sich die Prozentzahl zur Erreichung der zu lässigen Reservelimite genau berechnen. Es würde sich indessen da bei um eine Scheingenauigkeit handeln, welche die Tatsache, dass ein Finanzplan auf Annahmen beruht und stets an die aktuellen Ent wicklungen anzupassen ist, schlicht überginge. Eine "runde" Prozent zahl wird dem, sowie den Grundsätzen des Erschliessungsabgabe-
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rechts, welches mit Schematisierungen und Pauschalierungen ope riert, der Bedeutung des Entscheids und der Funktion des Gerichts (Erw. 11.5.1.) eher gerecht. 11.5.2.2. Beim Wasser beträgt die bundesgerichtliche Limite des zulässi gen Überschusses Fr. 2'402'000.00 (...). Bei einer rechnerischen Re duktion der Anschlussgebühren (Einnahmen in der Investitionsrech nung) um 90 % liegt der Überschuss bei noch Fr. 2'768'000.00 (ohne Zinseinrechnung). (...) 11.5.3. Abschliessend fragt sich, worauf genau die kostendeckungsbe dingten Rabatte zu rechnen sind. Die festgestellten Überschüsse sind namentlich auf die Leistungen früherer Abgabepflichtiger zurückzu führen, zu denen auch die Beschwerdeführerin mit ihren aktuell nicht strittigen Akontozahlungen (...) gehört. Es drängt sich daher auf, in die Rabattermittlung die gesamten Anschlussgebühren, also Akonto zahlungen und definitive Abrechnungen einzubeziehen. 11.5.4. Wie ausgeführt (Erw. 6.1.), sind im vorliegenden Verfahren allein die definitiven Abrechnungen strittig. Nach bisherigem Zwi schenstand hätte die Beschwerdeführerin noch Fr. 33'150.00 An schlussgebühren Abwasser (...) und Fr. 46'240.00 Anschlussgebüh ren Wasser (...) zu bezahlen. Die kostendeckungsbedingten Rabatte (Erw. 11.5.3.) würden diese Restbeträge klar übersteigen. Prozessual fällt indessen mehr als eine volle Gutheissung des Rechtsmittels nicht in Betracht.
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