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43 Kostenbeteiligung nach § 50 des Kulturgesetzes - Die Höhe der Kostenbeteiligung bestimmt sich nach deren Zu- mutbarkeit und der Vermeidbarkeit des Bauvorhabens (§ 50 Abs. 4 Satz 1 KG). - Das Kriterium der Zumutbarkeit konkretisiert das Verhältnis- mässigkeitsprinzip und bezieht sich auf die Kostenbeteiligung an ar- chäologischen Untersuchungen im konkreten Fall, die Vermeidbar- keit zielt auf die jeweilige archäologische Untersuchung ab. - Das Fehlen eines Kriteriums kann zum Entfallen der Kostenbeteili- gung führen. Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 15. September 2015 in Sa-
chen Stadt A. gegen Regierungsrat (WBE.2014.96).
Aus den Erwägungen 2.3. In Art. 4 des europäischen Übereinkommens zum Schutz des ar chäologischen Erbes vom 16. Januar 1992 (SR 0.440.5) hat sich die Schweizerische Eidgenossenschaft verpflichtet, Massnahmen zum
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physischen Schutz des archäologischen Erbes zu ergreifen. Gemäss Art. 6 besteht die Pflicht, für die öffentliche finanzielle Unterstüt zung der archäologischen Forschung durch die gesamtstaatlichen, regionalen und kommunalen Behörden entsprechend der jeweiligen Zuständigkeit zu sorgen sowie die materiellen Mittel für archäologi sche Rettungsmassnahmen zu erhöhen. Hierbei handelt es sich um Gesetzgebungsaufträge, nicht um direkt anwendbare Bestimmungen (Urteil des Bundesgerichts vom 8. Oktober 2001 [1A.115/2001], Erw. 2g). Nach § 36 Abs. 2 KV sorgt der Kanton für die Erhaltung der Kulturgüter. In dieser generellen Aufgabe ist auch die Archäologie als Kulturaufgabe enthalten (vgl. KURT EICHENBERGER, Verfassung des Kantons Aargau, Textausgabe mit Kommentar, Aarau/Frankfurt a.M./Salzburg 1986, § 36 N 4; vgl. auch PETER HÄNNI/JUDITH LISCHER, Die Schweiz und der internationale Kulturgüterschutz, in: ZBl 100/1999, S. 358, FN 46). 2.4.-4. (...) 5. 5.1. (...) 5.2. Nach § 50 Abs. 4 Satz 1 KG bestimmt sich die Höhe der Kostenbeteiligung nach deren Zumutbarkeit (Abs. 1-3) und nach der Vermeidbarkeit des Bauvorhabens (Abs. 1 und 3 lit. a). Bei den Kriterien der Zumutbarkeit und der Vermeidbarkeit des Bauvorha bens handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, welche in der Verordnung zum Kulturgesetz nicht näher konkretisiert werden und auszulegen sind. 5.2.1. Gemäss Botschaft zum Kulturgesetz zielt das Kriterium der Ver-
meidbarkeit zunächst darauf ab, durch frühzeitige Abklärungen und die Umsetzung einer vertretbaren Umsetzungsalternative, die keine archäologischen Untersuchungen nach sich zieht, die Zahl der ar chäologischen Untersuchungen möglichst gering zu halten. Sodann werde bezweckt, bei unvermeidlichen Bauvorhaben den Umfang der archäologischen Untersuchungen - beispielsweise durch eine Redi mensionierung des Bauvorhabens durch ein modifiziertes Bau-
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vorhaben - zu verkleinern (Botschaft des Regierungsrats des Kan tons Aargau an den Grossen Rat vom 20. August 2008, Bericht und Entwurf zur 1. Beratung [nachfolgend Botschaft], GR.08.246, S. 55; vgl. Erläuterungen des BVU zum Bau- und Nutzungsrecht [BNR], Version 3.1, Juni 2012/Januar 2014, S. 93). Demnach bezieht sich das Kriterium der Vermeidbarkeit u.a. auf die konkreten Verhältnisse, die Alternativen des Baugesuchstellers bzw. Bauherrn sowie die kon krete Ausgestaltung des Bauvorhabens. In diesem Sinne kann bei der Festlegung der Höhe der Kostenbeteiligung rückwirkend einer scho nenden Realisierung bzw. Umsetzung Rechnung getragen werden. Nach dem Willen des Gesetzgebers sind unter dem Gerichtspunkt der
Zumutbarkeit insbesondere das Verhältnis von Baukostenvolumen und Kosten der archäologischen Untersuchungen sowie das Verhält nis von Vorteilen für die Bauherrschaft und den Kosten der Rettungs grabung zu beachten (Botschaft, S. 55). Weitere Kriterien und deren Umschreibung lassen sich den Materialien nicht entnehmen. 5.2.2. Die Vorinstanz hat unter dem Gesichtspunkt der Vermeidbarkeit berücksichtigt, dass nicht ein blosser Umbau, sondern eine Erweite rung des bestehenden Gebäudes vorliegt, welche betriebliche Gründe habe. Eine Schonung der archäologischen Substanz sei aufgrund der Unterkellerung des Foyers nicht erfolgt. Der Regierungsrat erachtete eine Beteiligung von 40 % an den Kosten der archäologischen Unter suchungen im Verhältnis zu den Kosten des Bauprojekts und dem fi nanziellen Engagement der Beschwerdeführerin als zumutbar. Diese Begründung der Vermeidbarkeit und Zumutbarkeit entspricht im We sentlichen den Kriterien, welche von Vertretern der Kantonsarchäolo gie an der Besprechung vom 7. November 2013 angeführt wurden. Anlässlich der Verhandlung führte der Kantonsarchäologe aus, zur Beurteilung der Zumutbarkeit bestünden interne Richtlinien. Beim überwiegenden Teil der archäologischen Untersuchungen liege das Verhältnis zwischen Baukosten und Kosten der archäologischen Untersuchungen in einem Bereich zwischen 2:1 und 10:1. Für den Fall, dass das Verhältnis 10:1 übersteige, werde aufgrund der Zumut barkeit eine maximale Kostenbeteiligung von 50 % eingesetzt. Die
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Zumutbarkeit sei das Hauptkriterium und auch bei Unvermeidbarkeit resultiere eine Kostenbeteiligung. Beim Kriterium der Vermeidbar keit seien mögliche Alternativstandorte für das Bauvorhaben und Umsetzungsvarianten bei der Bauausführung relevant. Dieses Krite rium beziehe sich aber auch auf die Zerstörung der archäologischen Substanz und ziele zudem indirekt auf die Vermeidbarkeit des Bauvorhabens ab. Die Vertreter des Kantons betonten, dass weitere Aspekte für die Kostenaufteilung, wie Finanzkraft und Grösse einer Gemeinde, Anzahl archäologische Fundstellen, Vorteile des Baupro jekts für die Gemeinde berücksichtigt würden. Die Kostenverteilung werde aufgrund einer Gesamtbetrachtung vorgenommen. 5.2.3. Ziel und Zweck des Gesetzes ist es, archäologische Unter suchungen an aktenkundigen Fundstellen zu steuern, insbesondere zu minimieren. Mittel dazu ist gemäss § 50 Abs. 1 KG eine Kostenbe teiligung bei (öffentlichen) Bauvorhaben von Einwohner- und Kirch gemeinden, die ihrerseits zur Erhaltung von Kulturgütern verpflichtet sind (§ 25 Abs. 1 KG). Der Vorinstanz und der Kantonsarchäologie ist insoweit zuzustimmen, dass bei der Bemessung des Kostenanteils der Gemeinden zwischen 0 und 50 % eine Gesamtwürdigung mass gebend ist. Die Zumutbarkeit bezieht sich auf die Kostenbeteiligung im konkreten Fall; das Kriterium der Vermeidbarkeit zielt auf die jeweilige archäologische Untersuchung ab. Nach dem Wortlaut von § 50 Abs. 4 KG sind die beiden Kriterien gleichwertig. Sie sind daher bei der Bestimmung des Kostenanteils der Gemeinden kumu lativ anzuwenden. Entgegen der Auffassung der Abteilung Kultur kann eine Kostenbeteiligung sowohl im Falle der Zumutbarkeit einer Beteiligung und der Unvermeidbarkeit der Grabungen, wie auch bei deren Vermeidbarkeit und der Unzumutbarkeit einer Kosten beteiligung entfallen. Wohl war die ursprüngliche Intention des Gesetzgebers eine minimale Kostenbeteiligung der Gemeinde von 20 % (Botschaft, S. 54), indessen wurde die untere Schranke in den parlamentarischen Beratungen abgelehnt (Protokoll des Grossen Rats [Prot. GR] vom 22. Oktober 2008, Art. 2002, S. 4163, Antrag Wiederkehr). Mit dem Gesetzeswortlaut ist es daher schwer ver einbar, die Zumutbarkeit massgeblich (nur) nach dem Kostenver-
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hältnis zwischen Baukosten und Untersuchungskosten zu bestimmen. Das Kostenverhältnis als Ausgangspunkt für die Bemessung des Kostenanteils zu nehmen und das Kriterium der Vermeidbarkeit nur als Korrektiv für die Bestimmung des Kostenanteils zwischen 0 bis 50% einzusetzen, ist nach dem Gesetzeswortlaut und unter Berück sichtigung des Normzweckes nicht zulässig. Das Kulturgesetz verlangt zum Schutz der archäologischen Hinterlassenschaften in erster Linie deren Erhaltung in ihrer aktuellen Beschaffenheit und untersagt jede Veränderung und Beeinträchtigung (§ 38 Abs. 1 und 2 KG). Nach dem Normzweck und dem Willen des Gesetzgebers sind selbst notwendige archäologische Grabungen möglichst zu vermei den bzw. zu verhindern (Prot. GR, a.a.O., S. 4162, Votum Wanner; Botschaft, S. 4). Die von der Vorinstanz bemessene Kostenbeteili gung von 40 % beruht daher auf einem unzutreffenden methodischen Ansatz, indem das Kriterium der Unvermeidbarkeit lediglich zu ei nem Abzug von 10 % der Untersuchungskosten von der maximalen Beteiligungsquote führte, welche aufgrund des Zumutbarkeitskri teriums 50 % betrug. 5.2.4. Innerhalb der Kriterien der Zumutbarkeit und Vermeidbarkeit können Unterkriterien gebildet werden, wobei im Einzelfall verschie dene Aspekte relevant sein können; eine abschliessende Aufzählung ist nicht möglich. Das Zumutbarkeitskriterium konkretisiert das Verhältnismässig keitsprinzip (§ 5 Abs. 2 BV; § 2 Satz 2 KV) mit Blick auf die finan ziellen Möglichkeiten und Belastungen der Gemeinden im Allgemei nen (Finanzkraft; Gesamtbelastung durch Kosten zum Schutz von ar chäologischen Hinterlassenschaften) als auch im Einzelfall (Höhe der Kosten, Relation zu den Baukosten). Das Kriterium der Vermeidbarkeit bezieht sich - wie erwähnt (Erw. 5.2.1) - auf die Notwendigkeit und das Ausmass der archäolo gischen Grabungen. Die Berücksichtigung weiterer Unterkriterien zur Vermeidbarkeit ist nicht vorgesehen. Grundsätzlich soll die archäologische Substanz erhalten und soweit wie möglich vor Ein griffen verschont werden. Die Vermeidbarkeit bestimmende allge meine Parameter sind daher übergeordnete Auflagen und Vorgaben
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(z.B. Standortalternativen unter Berücksichtigung von Richt- und Nutzungsplanung sowie die Erfüllung öffentlicher Aufgaben) und im konkreten Einzelfall die Vorkehrungen im Rahmen der Projektpla nung zur Schonung der archäologischen Hinterlassenschaft (vgl. dazu Botschaft, S. 55; Prot. GR, a.a.O., S. 4163, Votum Regierungs rat Huber). Hingegen sind die Vorteile einer Gemeinde aus der Realisierung des Bauvorhabens keine Frage der Zumutbarkeit Vermeid barkeit, abgesehen davon, dass sich diese Aspekte kaum objektivie ren lassen. Zu weit führen würde auch die Berücksichtigung von allfälligen Vorteilen der Gemeinden aus den Ergebnissen der archä ologischen Untersuchungen (touristische wissenschaftliche Aspekte wie z.B. neue Sehenswürdigkeiten neue Standort Marketingelemente).
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