2015 Abgaben 251
XIII. Abgaben
39 Beitragsplan; öffentliche Auflage und Baubeginn Bei Baubeginn muss die öffentliche Auflage des Beitragsplans noch nicht abgeschlossen sein (Präzisierung der Rechtsprechung). Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 23. Oktober 2014 in Sa- chen A. und Mitbeteiligte gegen Einwohnergemeinde B. (WBE.2014.21). Aus den Erwägungen 1.
Die beiden umstrittenen Beitragspläne lagen vom 9. Januar
2012 bis 8. Februar 2012 öffentlich auf. Gemäss den Darstellungen
des Gemeinderats wurde am 16. Januar 2012 mit den Bauarbeiten
begonnen, nachdem offenbar der Baubeginn ursprünglich auf den
12. Januar 2012 terminiert war. Es besteht kein Anlass, an den Anga-
ben des Gemeinderats und namentlich daran zu zweifeln, dass die
Bauarbeiten erst nach dem 9. Januar 2012 (= Beginn der Auflage der
Beitragspläne) aufgenommen wurden. Entsprechend erübrigen sich
diesbezüglich weitere Beweisabnahmen, zumal die Beschwerdefüh-
rer als Beweismittel lediglich die Verfahrensakten anrufen und sich
daraus keine gegenteiligen Schlussfolgerungen ergeben.
2.
2.1.
Das Gesetz über Raumentwicklung und Bauwesen vom
19. Januar 1993 (Baugesetz, BauG; SAR 713.100) enthält keine Be-
stimmung, in welchem Zeitraum ein Beitragsplan aufzulegen ist. Ge-
mäss der Praxis des Verwaltungsgerichts sowie des Spezialverwal-
tungsgerichts, Abteilung Kausalabgaben und Enteignungen, zu § 35
BauG hat die Auflage des Beitragsplans "frühestens nach Erstellung
des auflagereifen Projekts mit Kostenvoranschlag und spätestens vor
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Baubeginn" zu erfolgen (AGVE 2010, S. 127 ff. mit Hinweisen). Das
Verwaltungsgericht hat bis anhin noch nie exakt definiert, was unter
dem Begriff "spätestens vor Baubeginn" genau zu verstehen ist. Im
vorliegenden Fall stellt sich die Frage, ob die Auflage vor Baubeginn
nur eröffnet aber bereits abgeschlossen sein muss. Die bisherige
Rechtsprechung bedarf einer entsprechenden Präzisierung.
2.2.-2.3. (...)
3.
3.1.
Gemäss § 32 Abs. 1 des früheren Baugesetzes des Kantons
Aargau vom 2. Februar 1971 (aBauG) mussten Beitragspflicht und
Höhe der einzelnen Beiträge "vor der Bauausführung" durch den
Beitragsplan festgesetzt werden. Aus der Formulierung ergibt sich
kein Anhaltspunkt dafür, ob die Auflage des Beitragsplans im Zeit-
punkt des Baubeginns nur begonnen haben bereits abge-
schlossen sein musste. Das Verwaltungsgericht hat sich während der
Geltungsdauer des früheren Baugesetzes nie mit dieser Frage
auseinandersetzen müssen.
3.2.
Die Botschaft des Regierungsrats des Kantons Aargau an den
Grossen Rat vom 16. Dezember 1998 (98.005747) zum Gesetz über
Raumplanung, Umweltschutz und Bauwesen vom 19. Januar 1993,
Änderung der §§ 34, 35, 88, 166 und 169 (Erschliessungsfinanzie-
rung), Bericht und Entwurf zur 1. Beratung, enthält folgende Aus-
sage (S. 14): "Dass dem Beitragsplan ein Kostenvoranschlag zu-
grunde liegen und die Auflage vor Baubeginn stattfinden muss,
ergibt sich aus der Sache selbst; ein Hinweis im Gesetz erübrigt
sich." Im Hinblick auf die vorliegend relevante Fragestellung, ob die
Auflage des Beitragsplanes bei Baubeginn abgeschlossen sein oder
lediglich begonnen haben muss, lässt sich aus diesem Passus keine
unmittelbare Aussage ableiten. Demgegenüber ergibt sich daraus
auch kein Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber an der früheren
Regelung in § 32 Abs. 1 aBauG etwas hätte ändern wollen und na-
mentlich die Absicht verfolgt hätte, bei Bauausführung müsse das
Beitragsplanverfahren rechtskräftig abgeschlossen sein die
Auflagen hätten gleichzeitig zu erfolgen.
2015 Abgaben 253
3.3.
3.3.1.
Gemäss der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung dient die
Auflage des Beitragsplans vor der Bauausführung unter anderem der
kommunalen Budgetwahrung. Erscheint der Gemeinde gestützt auf
das Beitragsplanverfahren der Anteil, den sie schlussendlich
übernehmen muss, zu hoch, so verbleibt ihr die Möglichkeit, nach-
träglich auf den Bau zu verzichten (AGVE 2010, S. 127 ff.,
Erw. 3.3). Diese Überlegung spricht tendenziell dafür, dass vor Be-
ginn der Bauausführung die Auflage des Beitragsplans abgeschlossen
sein soll; in der Regel lassen sich erst in diesem Zeitpunkt die
Opposition gegen den Beitragsplan und somit der Kostenanteil, den
die Gemeinde schlussendlich zu übernehmen hat, einigermassen zu-
verlässig abschätzen. Solange die Einsprachefrist noch läuft, ist eine
entsprechende Beurteilung grundsätzlich schwieriger.
Andererseits ist indessen zu beachten: Praxisgemäss können bei
einer verspäteten Auflage die betroffenen Grundeigentümer ein-
spracheweise die Verwirkung des ihnen gegenüber festgesetzten Bei-
tragsanspruchs geltend machen (AGVE 2010, S. 127 ff, Erw. 3.3).
Diese Konsequenz lässt es nicht angezeigt erscheinen, bei der vorlie-
genden Fragestellung dem öffentlichen Interesse an der Wahrung der
kommunalen Budgethoheit ein entscheidendes Gewicht zukommen
zu lassen. Tatsächlich würden letztlich nicht das Gemeinwesen, son-
dern einzig die betroffenen Grundeigentümer (notabene zulasten des
Gemeinwesens!) einen Vorteil daraus ziehen; es bestünde somit ein
schroffer Gegensatz zwischen der verfolgten Absicht (Budgetwah-
rung) und der effektiven Konsequenz (höhere Ausgaben). Zudem
darf das Interesse der kommunalen Budgetwahrung auch deshalb
nicht zu hoch bewertet werden, weil sich unter Umständen das
Kostenrisiko der Gemeinde bereits vor Beginn der Auflage des Bei-
tragsplans relativ gut abschätzen lässt. Dies gilt namentlich für den
vorliegenden Fall, war doch der Widerstand gegen den Beitragsplan
absehbar: Nachdem schon früh über die Beitragspflicht orientiert
worden war (mit den Unterlagen zur Referendumsabstimmung vom
8. März 2009), wehrte sich ein grosser Teil der Beschwerdeführer be-
2015 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 254
reits auf politischem Weg (Referendum) sowie im Baubewilligungs-
verfahren gegen den Ausbau C.-strasse (Strasse und Kanalisation).
3.3.2.
Im Weiteren dient die Rechtsprechung der Rechtssicherheit;
diese gebietet eine klare Regelung der Frage, bis zu welchem Zeit-
punkt Grundeigentümerbeiträge erhoben werden können
(AGVE 2010, S. 127 ff., Erw. 3.3). Gemäss § 6 des Reglements der
Gemeinde B. über die Finanzierung von Erschliessungsanlagen vom
22. Juni 2001 (RFE) sind zur Bezahlung der Abgaben diejenigen Per-
sonen verpflichtet, denen im Zeitpunkt des Eintritts der Beitrags-
pflicht laut Grundbuch das Eigentum zusteht. Die Beitragspflicht
entsteht mit Beginn der öffentlichen Auflage des Beitragsplanes
(§ 15 RFE).
Gestützt auf die zitierte Regelung steht mit dem Beginn der
Auflage grundsätzlich fest, wer beitragspflichtig ist. Aus Gründen
der Rechtssicherheit erübrigt es sich somit, mit dem Bau erst nach
Ende der Auflage des Beitragsplanes anzufangen.
3.3.3.
Die Auflage des Beitragsplans "vor der Bauausführung" schützt
zudem die privaten Beitragspflichtigen. Das Verwaltungsgericht
führte in diesem Zusammenhang aus (AGVE 2010, S. 127 ff.,
Erw. 3.3):
"Die betroffenen Grundeigentümer müssen die Möglichkeit haben, sich vor der Bauausführung gegen ihre persönliche Beitragspflicht wehren zu können. Unter Umständen gibt nämlich erst die Höhe der zu erwartenden Beiträge Anlass, sich gegen die Erschliessung zu weh- ren, sei es mit dem Argument, ein Ausbau der Erschliessungsanlage sei gar nicht nötig es seien billigere Varianten denkbar. Individuelle Beitragspflicht und Beitragsbemessung hängen zudem massgeblich von den Verhältnissen vor Baubeginn ab, welche sich im Nachhinein vielfach kaum mehr zuverlässig eruieren lassen." Die zitierten Erwägungen des Verwaltungsgerichts erfolgten
allerdings nicht zur Erörterung der Frage, in welchem Zeitraum die
Auflage des Beitragsplans zu erfolgen hat, sondern im Hinblick
darauf, welche Konsequenzen sich aus einer verspäteten Auflage
2015 Abgaben 255
ergeben. Der Beitragsplan wurde seinerzeit erst rund vier Monate
nach Baubeginn aufgelegt.
Der zweitgenannten Aspekt (Feststellung der Verhältnisse vor
Baubeginn) lässt eher darauf schliessen, dass die Auflage des Bei-
tragsplans bei Baubeginn abgeschlossen sein muss. Ansonsten ist es
denkbar, dass jemand innert Frist Einsprache erhebt, wesentliche
Beweise jedoch bereits durch die angefangenen Bauarbeiten vernich-
tet wurden. Allerdings ist die Beweissicherung auch auf andere Art
und Weise möglich (...). Hinzu kommt, dass grundsätzlich das Ge-
meinwesen dafür beweispflichtig ist, dass die bisherige Erschlies-
sung ungenügend war und entsprechend eine Beitragspflicht der be-
troffenen Grundeigentümer besteht (AGVE 1992, S. 197 mit Hinwei-
sen). Das Risiko allenfalls vernichteter Beweise liegt folglich primär
beim Gemeinwesen; entsprechend darf dieser Aspekt - ebenso wie
derjenige der kommunalen Budgetwahrung (vgl. vorne Erw. 3.3.1) -
nicht allzu hoch gewichtet werden.
Gestützt auf den erstgenannten Gesichtspunkt (Betroffene sol-
len sich in Kenntnis ihrer Beitragspflicht gegen das Bauprojekt weh-
ren können) müssten eigentlich Bauprojekt und Beitragsplan gleich-
zeitig aufgelegt werden. Tatsächlich fehlt jedoch - wie gesehen - im
aargauischen Recht eine derartige Vorschrift. Soweit die Beschwer-
deführer dennoch einen entsprechenden Anspruch behaupten, kann
ihnen nicht gefolgt werden. In diesem Zusammenhang ist wesentlich,
dass sich der von den Beschwerdeführern zitierte BGE 102 Ia 46 ff.
auf eine kantonale Regelung stützt, die explizit die gleichzeitige
Auflage vorschreibt. Entsprechend lässt sich der Entscheid nicht
unbesehen auf den vorliegenden Fall übertragen. Das ebenfalls
zitierte Urteil des Bundesgerichts vom 17. Oktober 2005
(2P.84/2005) bezieht sich auf eine kantonale Regelung, welche eine
Erstellung des Beitragsplans "vor der Bauausführung" verlangt und
damit grundsätzlich der Praxis des Kantons Aargau entspricht. Die-
sem Urteil lässt sich indessen keine Aussage entnehmen, wonach
auch ohne entsprechende kantonalrechtliche Grundlage eine gleich-
zeitige Auflage von Bauprojekt und Beitragsplan notwendig wäre.
Die erwähnte Literaturstelle (RALPH VAN DEN BERGH, in: Kom- mentar zum Baugesetz des Kantons Aargau, Bern 2013, § 35 N 4)
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erscheint in Bezug auf den vorliegenden Fall ebenfalls nicht aus-
sagekräftig. Zum einen wird die Pflicht zur gleichzeitigen Auflage
aus den erwähnten beiden Urteilen des Bundesgerichts abgeleitet,
zum anderen handelt es sich dabei weniger um eine Lehrmeinung
zum geltenden Recht denn um ein Revisionsanliegen zuhanden des
Gesetzgebers.
Effektiv vermögen die Beschwerdeführer gestützt auf das gel-
tende Recht allein aus dem Anliegen, dass sich die Betroffenen in
Kenntnis ihrer Beitragspflicht gegen das Bauprojekt wehren können,
keinen Anspruch auf eine gleichzeitige Auflage abzuleiten. In Bezug
auf die vorliegend einzig relevante Fragestellung, ob die Auflage des
Beitragsplans bei Baubeginn beendet sein muss noch andauern
darf, lassen sich aus dem genannten Grundeigentümerinteresse keine
relevanten Schlussfolgerungen ziehen: Selbst wenn vor Baubeginn
das Ende der Auflage des Beitragsplans abgewartet werden müsste,
wäre keineswegs gewährleistet, dass sich die Betroffenen in Kennt-
nis des Beitragsplans gegen das Bauprojekt wehren könnten. Viel-
mehr bliebe es auch bei einer derartigen Regelung möglich, dass der
Beitragsplan erst nach Abschluss des Baubewilligungsverfahrens
aufgelegt wird.
3.4.
Gesamthaft lässt sich festhalten, dass sich weder aus dem Wort-
laut von § 32 Abs. 1 aBauG noch aus den Materialien zu § 35 BauG
Hinweise darauf ergeben, ob die Auflage des Beitragsplans bei
Baubeginn nur begonnen haben bereits abgeschlossen sein
muss.
In Bezug auf die verschiedenen Zwecke, welche mit der von der
Rechtsprechung verlangten Auflage des Beitragsplans spätestens vor
Baubeginn verfolgt werden, erscheint es gerechtfertigt, dem Aspekt
der Rechtssicherheit eine prioritäre Bedeutung zuzumessen. Danach
erübrigt es sich, vor Baubeginn das Ende der Auflage des Beitrags-
plans abzuwarten. Ein gewichtiger Grund für die gegenteilige Lö-
sung ist demgegenüber nicht ersichtlich. Die bisherige Rechtspre-
chung ist demzufolge dahingehend zu präzisieren, dass bei Baube-
ginn die Auflage des Beitragsplans angefangen haben muss, aber
nicht abgeschlossen zu sein braucht. Bezogen auf den zu beurteilen-
2015 Abgaben 257
den Fall rechtfertigt sich diese Lösung umso mehr, da schon vor Auf-
lage des Bauprojekts über die grundsätzliche Beitragspflicht infor-
miert worden war und dadurch die Betroffenen die Möglichkeit hat-
ten (und in concreto auch grossmehrheitlich nutzten), sich in Kennt-
nis der (ungefähr) zu entrichtenden Beiträge gegen das Bauprojekt zu
wehren.
Es ist gegebenenfalls Sache des Gesetzgebers, bezüglich der
dargelegten Problematik eine klarere Regelung zu erlassen.
(Hinweis: Das Bundesgericht hat eine Beschwerde in öffent-
lich-rechtlichen Angelegenheiten gegen diesen Entscheid abgewie-
sen, soweit es darauf eingetreten ist; Urteil des Bundesgerichts vom
5. November 2015 [2C_1131/2014])
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