38 Sozialhilfe; Subsidiarität
- Die Notlage bzw. Bedürftigkeit ist Anspruchsvoraussetzung des ver-
fassungsmässigen Rechts auf Hilfe in Notlagen und des gesetzlichen
Anspruchs auf Sozialhilfe.
- Ein freiwilliger Einkommensverzicht lässt bei fortgesetzter und auf
Dauer angelegter Freiwilligenarbeit (Pflege und Betreuung) den An-
spruch auf Sozialhilfeleistungen dahinfallen.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 18. September 2014 in Sa- chen A. gegen Beschwerdestelle SPG und Gemeinderat B. (WBE.2014.155). Aus den Erwägungen 2.2. Nach Art. 12 BV hat, wer in Not gerät und nicht in der Lage ist, für sich zu sorgen, Anspruch auf Hilfe und Betreuung und auf die Mittel, die für ein menschenwürdiges Dasein unerlässlich sind. Gemäss § 5 Abs. 1 SPG besteht Anspruch auf Sozialhilfe, so fern die eigenen Mittel nicht genügen und andere Hilfeleistungen nicht rechtzeitig erhältlich sind nicht ausreichen. Damit wird der Grundsatz der Subsidiarität der Sozialhilfe ausgedrückt. Die hilfesu chende Person ist verpflichtet, sich nach Möglichkeit selbst zu hel fen; sie muss alles Zumutbare unternehmen, um eine Notlage aus eigenen Kräften abzuwenden zu beheben. Wer objektiv in der Lage wäre, sich aus eigener Kraft die für das Leben erforderlichen Mittel selber zu verschaffen, hat keinen Anspruch auf Sozialhilfe, da sich eine solche Person nicht in einer Notsituation befindet, auf wel che das Recht auf Hilfe in Notlagen und damit die Ausrichtung von Sozialhilfe zugeschnitten ist. Bei ihr fehlt es bereits an den An spruchsvoraussetzungen (BGE 130 I 71, Erw. 4; AGVE 2009, S. 225; vgl. SKOS-Richtlinien, Kapitel A.4). In solchen Fällen erübrigt sich die Prüfung, ob die Voraussetzungen für einen Eingriff in das Grund recht erfüllt sind, denn dies setzt einen rechtmässigen Anspruch voraus. Ebenso wenig ist in derartigen Konstellationen zu untersu chen, ob ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der unterstützungsbe dürftigen Person vorliegt, welches allenfalls eine vollständige Verweigerung der Unterstützungsleistungen rechtfertigen könnte (BGE 139 I 218, Erw. 3.3 mit Hinweisen). 3. 3.1. (...) 3.2. Aufgrund der Akten ist erstellt, dass der Beschwerdeführer seit mehreren Jahren intensiv in der Pflege und der Haushaltführung von
C. beschäftigt ist, jedoch dafür kein Entgelt verlangt. Wegen dieser Beschäftigung war der Beschwerdeführer auch nicht bereit, bei den Integrationsbemühungen des Gemeinderats zu kooperieren. 3.3. Das Recht auf Existenzsicherung durch die Sozialhilfe entlastet den Einzelnen nicht von der Verpflichtung, die eigene Arbeitskraft zu mobilisieren und die Sozialhilfe erst in Anspruch zu nehmen, wenn er objektiv darauf angewiesen ist (vgl. KATHRIN AMSTUTZ, Das Grundrecht auf Existenzsicherung, Bern 2002, S. 172). Die unter stützungsbedürftige Person hat somit kein Wahlrecht zwischen dem Einsatz der eigenen Arbeitskraft und der Inanspruchnahme der Sozialhilfe (SKOS-Richtlinien, Kapitel A.4; AGVE 2005, S. 293). Jede Arbeitsleistung kann je nach Art der Tätigkeit und des er strebten Ziels als Arbeits- Werkvertrag, als Auftrag Gefälligkeit qualifiziert werden. Freiwilligenarbeit soll in der Regel nicht als (rechtlich nicht bindende) Gefälligkeitshandlung qualifiziert werden, soweit sie fortgesetzt und auf Dauer angelegt ist, insbeson dere wenn sie im wirtschaftlichen Interesse des Begünstigten erfolgt und messbare Auswirkungen auf dessen Vermögen hat (GABRIELA RIEMER-KAFKA, Freiwilligenarbeit aus [arbeits-] vertraglicher und sozialversicherungsrechtlicher Sicht, in: Arbeitsrecht, Zeitschrift für Arbeitsrecht und Arbeitslosenversicherung [ARV] 2007, S. 58 f.). Im Arbeitsverhältnis hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer den Lohn zu entrichten, der verabredet üblich durch Normalar beitsvertrag Gesamtarbeitsvertrag bestimmt ist (Art. 322 Abs. 1 OR). Lebt der Arbeitnehmer in Hausgemeinschaft mit dem Arbeitge ber, so bildet der Unterhalt im Hause mit Unterkunft und Verpfle gung einen Teil des Lohnes, sofern nichts anderes verabredet üblich ist (Abs. 2). Gemäss Art. 394 Abs. 2 OR stehen Verträge über Arbeitsleistung, die keiner besonderen Vertragsart dieses Gesetzes unterstellt sind, den Vorschriften über den Auftrag. Eine Vergütung ist zu leisten, wenn sie verabredet üblich ist (Abs. 3). Sie ist im Unterschied zum Arbeitsvertrag nicht begriffswesentlich (vgl. MANFRED REHBINDER/JEAN-FRITZ STÖCKLI, in: Berner Kommentar, Das Obligationenrecht, Band VI, Der Arbeitsvertrag, Bern 2010, Art. 319 N 12; WOLFGANG PORTMANN, in: Basler Kommentar, Obli-
gationenrecht I, Art. 1 - 529, 5. Auflage, 2011, Art. 319 N 12; RIEMER-KAFKA, a.a.O., S. 61). Eine unentgeltliche Gefälligkeits- handlung wird in der Praxis auch hier nicht angenommen, wenn bspw. erkennbare wirtschaftliche sonstwie geschützte Interessen des Tätigwerdenden bestehen und Auswirkungen auf sein Vermögen bestehen. Diesfalls kann nach Treu und Glauben kaum ein unent geltlicher Auftrag angenommen werden (vgl. ROLF H. WEBER, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht I, a.a.O., Art. 394 N 16; BGE 116 II 695, Erw. 2). (...) Aus diesen Angaben kann der Schluss gezogen werden, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner Arbeitsleistung - unabhängig von der Qualifikation des Vertragsverhältnisses - gegenüber C. einen Anspruch auf Entgelt hat, welcher den Betrag der beanspruchten Sozialhilfe ohne Weiteres deckt. C. wäre aufgrund seiner Einkom mens- und Vermögenssituation (Reinvermögen gemäss Steuerver anlagung 2012: [...]; Total der Einkünfte: [...]) in der Lage, ein die privaten Pflege- und Betreuungskosten deckendes Entgelt zu bezah len. Dies wird vom Beschwerdeführer auch nicht bestritten. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass er den Anspruch auf Entgelt gegenüber C. nötigenfalls gerichtlich geltend machen und durch setzen kann. Nachdem der Beschwerdeführer für erbrachte Arbeitsleistungen auf Mittel verzichtet, mit welchen er seinen Lebensunterhalt bestrei ten könnte, gilt er nicht als bedürftig im Sinne von § 5 Abs. 1 SPG.