XII. Schulrecht
50 Laufbahnentscheide; vorsorgliche Massnahmen - Beim Entscheid, ob bei Übertritten in die Oberstufe der Besuch der höheren Schulstufe für die Dauer des Beschwerdeverfahrens vor- sorglich erlaubt wird, ist eine Interessenabwägung vorzunehmen. - Neben den privaten Interessen des Schülers kommen den öffentli- chen Interessen und dem Verhältnismässigkeitsprinzip Bedeutung zu. - In einer summarischen Entscheidprognose ist zu prüfen, ob die Übertrittsanforderungen erfüllt sind.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 19. November 2013 in Sa- chen A. gegen Regierungsrat, Schulpflege B. und Schulrat des Bezirks C.
(WBE.2013.420).
Aus den Erwägungen
1.3.
1.3.1.
Die Beschwerde hat aufschiebende Wirkung, wenn nicht aus
wichtigen Gründen im angefochtenen Entscheid durch beson-
dere Vorschrift etwas anderes bestimmt wird (§ 46 Abs. 1 VRPG).
Die Beschwerdeinstanz das ihr vorsitzende Mitglied prüft, ob
eine gegenteilige Anordnung andere vorsorgliche Massnahmen
zu treffen sind (Abs. 2).
Die aufschiebende Wirkung der Beschwerde verschafft dem Be-
schwerdeführer für die Dauer des Rechtsmittelverfahrens grundsätz-
lich jene Rechtsposition, welche vor dem angefochtenen Entscheid
bestand. Sofern bereits zuvor positive Anordnungen getroffen wur-
den, verschafft die aufschiebende Wirkung dem Beschwerdeführer
somit grundsätzlich einen vorsorglichen Rechtsschutz in dem Sinne,
dass der angefochtene Entscheid nicht rechtskräftig und vollstreckbar
wird und bisherige Anordnungen für die Dauer des Rechtsmittelver-
fahrens weiterhin Geltung beanspruchen. Beim Fehlen entsprechen-
der Anordnungen beim Vorliegen früherer negativer, ablehnen-
der Entscheide stellt sich die Frage, ob auf Gesuch hin von Am-
tes wegen in Anwendung von § 46 Abs. 2 VRPG vorsorgliche Mass-
nahmen zu treffen sind (vgl. AGVE 1998, S. 527; MICHAEL
MERKER, Rechtsmittel, Klage und Normenkontrollverfahren nach
dem aargauischen Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege, Kom-
mentar zu den §§ 38-72 [a]VRPG, Zürich 1998, § 44 N 9; Botschaft
des Regierungsrats des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom
14. Februar 2007, 07.27, S. 59; THOMAS MERKLI/ARTHUR AESCHLI-
MANN/RUTH HERZOG, Kommentar zum Gesetz über die Verwal-
tungsrechtspflege im Kanton Bern, Bern 1997, Art. 27 N 7; ALFRED
KÖLZ/JÜRG BOSSHART/MARTIN RÖHL, VRG, Kommentar zum Ver-
waltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, 2. Aufl., Zürich
1999, § 6 N 6). Vorsorgliche Massnahmen gestützt auf § 46 Abs. 2
VRPG sind Anordnungen, die von der Beschwerdeinstanz für die
Dauer des Beschwerdeverfahrens getroffen werden.
1.3.2.
Die Vorinstanzen haben der Beschwerdeführerin den prüfungs-
freien Übertritt an die Bezirksschule nicht erlaubt. Die Anfechtung
dieser Entscheide bzw. die aufschiebende Wirkung der Beschwerde
hat nicht zur Folge, dass die Beschwerdeführerin einstweilen für die
Dauer des Rechtsmittelverfahrens in die höhere Schulstufe eintreten
könnte. Hierzu bedarf es einer besonderen vorsorglichen Massnahme
(vgl. AGVE 1981, S. 518).
1.3.3.
Die vorsorglichen Massnahmen errichten bei entsprechendem
Bedürfnis für die Dauer des Prozesses eine wirksame Übergangsord-
nung (MERKER, a.a.O., § 44 N 34; AGVE 1980, S. 281). In Sachen
der Volksschule gebietet das Wohl des Kindes in aller Regel die ra-
sche Beendigung des Schwebezustands und den Vollzug einer An-
ordnung (HERBERT PLOTKE, Schweizerisches Schulrecht, 2. Aufl.,
Bern/Stuttgart/Wien 2003, S. 732).
Beim Erlass vorsorglicher Massnahmen, die letztlich demselben
Zweck wie die aufschiebende Wirkung dienen, ist aufgrund einer In-
teressenabwägung zu prüfen, ob die Gründe für den vorsorglichen
Rechtsschutz jene für die Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Zu-
stands überwiegen (vgl. AGVE 1998, S. 529). Dabei kommt neben
den privaten Interessen des Beschwerdeführers dem Grundsatz des
öffentlichen Interesses wie auch dem Verhältnismässigkeitsprinzip
Bedeutung zu (Art. 5 Abs. 2 BV; § 3 VRPG; vgl. REGINA KIENER,
in: CHRISTOPH AUER/MARKUS MÜLLER/BENJAMIN SCHINDLER
[Hrsg.], Kommentar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfah-
ren [VwVG], Zürich/St. Gallen 2008, Art. 56 N 8; MERKLI/
AESCHLIMANN/HERZOG, a.a.O., Art. 27 N 12). Zur Konkretisierung
der sich gegenüberstehenden Interessen ist soweit möglich eine sum-
marische Entscheidprognose vorzunehmen (vgl. ALFRED KÖLZ/
ISABELLE HÄNER/MARTIN BERTSCHI, Verwaltungsverfahren und
Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 3. Aufl., Zürich/Basel/Genf
2013, Rz. 567).
1.3.4.
Wie sich aus dem Zeugnis ergibt, erreichte die Beschwerdefüh-
rerin in der 5. Klasse der Primarschule in den Kernfächern folgende
Noten: 4.5 in Deutsch, 4.5 in Mathematik und 5 in Realien. Unter an-
derem gestützt darauf wurde der prüfungsfreie Übertritt in die
1. Klasse der Bezirksschule nicht empfohlen, welcher in den Kern-
fächern überwiegend gute bis sehr gute Leistungen voraussetzt
(§ 13a Abs. 2 SchulG; § 13 der Verordnung über die Laufbahnent-
scheide an der Volksschule vom 19. August 2009 [Promotionsverord-
nung; SAR 421.352]). An der Übertrittsprüfung nahm die Beschwer-
deführerin nicht teil (§ 14 Abs. 3 Promotionsverordnung; Verordnung
über die Übertrittsprüfungen in die Sekundar- und Bezirksschule
vom 17. November 2004 [Übertrittsprüfungsverordnung;
SAR 421.355]).
1.3.5.
Vorliegend ist das private Interesse der Beschwerdeführerin am
sofortigen Besuch der Bezirksschule für die Dauer des Beschwerde-
verfahrens nicht liquid. Die Notengebung wird nicht beanstandet.
Nicht geltend gemacht wird, dass die Leistungen für einen prüfungs-
freien Übertritt vorlägen, und die darauf abgestützte Einschätzung
der Lehrperson wird grundsätzlich nicht in Frage gestellt. Angebliche
Defizite bzw. unterschiedliche Leistungen bei vorbereiteten und un-
vorbereiteten Prüfungen werden mit Verweis auf den im regierungs-
rätlichen Beschwerdeverfahren eingereichten und vor Verwaltungs-
gericht ergänzten privaten Fachbericht auf Lese- und Rechtschreibe-
schwäche sowie Prüfungsangst zurückgeführt. Bereits die Lehrper-
son hat ihre Einschätzung neben der Benotung und dem Verhalten im
Unterricht zusätzlich auf einen standardisierten Leistungstest (Check
5) abgestützt. Die Beschwerdeführerin und ihre Eltern hatten die
Lehrperson zuvor nicht auf im Bericht erwähnte Schwächen bzw.
Defizite angesprochen und dieser waren aufgrund des Unterrichts
keine solchen bekannt. Der schulpsychologische Dienst war nicht in
Anspruch genommen worden. Im familiären Umfeld begründete oder
andere Umstände, welche objektiv geeignet wären, das Leistungsver-
mögen der Primarschülerin (vorübergehend) zu beeinträchtigen, wer-
den nicht geltend gemacht und sind ebenfalls nicht ersichtlich. Die
Voraussetzungen für den prüfungsfreien Übertritt liegen bei sum-
marischer Betrachtung somit nicht vor. Damit ist im Ergebnis nicht
zu beanstanden, dass die Vorinstanz von einer schlechten Entscheid-
prognose ausging.
Die Beschwerdeführerin macht zutreffend geltend, dass der Be-
such der 1. Klasse der Sekundarschule einen Wechsel an die Bezirks-
schule im Falle der Gutheissung der Beschwerde erschwert. Dabei
wird aber übersehen, dass an der Umsetzung der Schulgesetzgebung
und der Aufrechterhaltung des Leistungsniveaus an der Bezirks-
schule ein erhebliches öffentliches Interesse besteht. Der prüfungs-
freie Übertritt in die 1. Klasse der Bezirksschule ist von der Empfeh-
lung abhängig, welche aufgrund der Promotionsverordnung getroffen
wird. (...)
Unter den gesamten Umständen und aufgrund der Beschwerde
überwiegt das private Interesse der Beschwerdeführerin am unver-
züglichen Besuch der Bezirksschule die entgegenstehenden öffentli-
chen Interessen nicht. Konkrete Umstände, welche den Übertritt in
die 1. Klasse der Sekundarschule unverhältnismässig erscheinen las-
sen, werden nicht geltend gemacht und sind nicht ersichtlich.