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16 Art. 61 lit. a, 132 Abs. 1 lit. b, 133 Abs. 1 StPO; § 4 Abs. 7 EG StPO
- Die Oberstaatsanwaltschaft ist aufgrund des Wortlautes von § 4
Abs. 7 EG StPO und aufgrund des Willens des Gesetzgebers, die Be-
stimmung der amtlichen Verteidigung im konkreten Fall durch die
im Vorverfahren nicht unmittelbar mit der Sache befasste Ober-
staatsanwaltschaft ausführen zu lassen, für die Bestellung der amt-
lichen Verteidigung im Sinne von Art. 133 StPO ausschliesslich zu-
ständig. Die Prüfung der Voraussetzungen gemäss Art. 132 StPO ob-
liegt hingegen nicht der Oberstaatsanwaltschaft, sondern der örtlich
zuständigen Staatsanwaltschaft als Verfahrensleitung (E. 1).
- Bei der Prüfung, ob ein Beschuldigter im Sinne von Art. 132 Abs. 1
lit. b StPO in der Lage ist, die mutmasslich anfallenden Kosten für
seine angemessene Verteidigung aufzubringen, kann aufgrund der
Einheit der Rechtsordnung und der in Bezug auf die Frage der Mit-
tellosigkeit identischen Formulierung von Art. 117 lit. a ZPO ohne
Weiteres auf die bisherige Praxis zur eidgenössischen und kantona-
len Zivilprozessordnung sowie die Rechtsprechung zu Art. 29 Abs. 3
BV zurückgegriffen werden (E. 2.1).
Aus dem Entscheid des Obergerichts, Beschwerdekammer in Strafsachen,
vom 20. Dezember 2011 i.S. M.T. gegen Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach
(SBK.2011.288).
1.
Der Beschwerdeführer moniert vorab, dass die Staatsanwalt-
schaft zum Erlass einer Verfügung, mit welcher das Gesuch um Ge-
währung der amtlichen Verteidigung abgewiesen wird, nicht zustän-
dig gewesen sei.
Gemäss Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO ist für die Anordnung der
amtlichen Verteidigung und mithin auch die Prüfung von deren Vor-
aussetzungen die Verfahrensleitung zuständig. Verfahrensleitung im
Sinne von Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO ist bis zur Einstellung An-
klageerhebung die örtlich zuständige Staatsanwaltschaft (Art. 61 lit.
a StPO). In Art. 133 StPO ist sodann die Bestellung der amtlichen
Verteidigung vorgesehen, d.h. die Einsetzung einer bestimmten Per-
son als amtliche Verteidigung. Dabei sind nach Möglichkeit die
Wünsche der beschuldigten Person zu berücksichtigen (Art. 133
Abs. 2 StPO). Zuständig ist auch dafür an sich die Verfahrensleitung.
Entsprechend dem gesetzgeberischen Motiv, dass sich der als Verfah-
rensleiter handelnde Staatsanwalt im Falle der notwendigen und amt-
lichen Verteidigung seinen "Gegenspieler" nicht selbst auswählen
können soll (Grossrätliches Wortprotokoll der 26. Sitzung vom
16. März 2010, S. 990), ist in § 4 Abs. 7 EG StPO gestützt auf die
Verweisungsnorm von Art. 14 Abs. 3 StPO, wonach die Kantone
Oberstaatsanwaltschaften einrichten können, festgehalten, dass bis
zum Abschluss des Vorverfahrens nicht die örtlich zuständige Staats-
anwaltschaft, sondern die Oberstaatsanwaltschaft die notwendige
und amtliche Verteidigung bestellt.
Aufgrund des Wortlautes von § 4 Abs. 7 EG StPO, wonach aus-
drücklich von der Bestellung der amtlichen Verteidigung die Rede
ist, und aufgrund des Willens des Gesetzgebers, die Bestimmung der
amtlichen Verteidigung im konkreten Fall durch die im Vorverfahren
nicht unmittelbar mit der Sache befasste Oberstaatsanwaltschaft aus-
führen zu lassen, ist die Oberstaatsanwaltschaft für die Bestellung
der amtlichen Verteidigung im Sinne von Art. 133 StPO ausschliess-
lich zuständig. Die Prüfung der Voraussetzungen gemäss Art. 132
StPO obliegt hingegen nicht der Oberstaatsanwaltschaft, sondern der
örtlich zuständigen Staatsanwaltschaft als Verfahrensleitung. Daran
ändert der vom Beschwerdeführer erwähnte Umstand nichts, dass
sich im Kanton Zürich die Oberstaatsanwaltschaft gestützt auf § 155
GOG nicht nur für die Bestellung der amtlichen Verteidigung im
Sinne von Art. 133 StPO, sondern, ohne dies ausdrücklich zu thema-
tisieren, auch für die Prüfung der Voraussetzungen gemäss Art. 132
StPO zuständig erklärt hat (vgl. Leitfaden Amtliche Verteidigung der
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Büro für amtliche Man-
date).
Offen bleiben kann vorliegend, ob es einem Kanton aufgrund
des Wortlautes von Art. 133 StPO überhaupt zusteht, für die Be-
stellung der amtlichen Verteidigung anstatt der Verfahrensleitung
eine zentrale Stelle wie die Oberstaatsanwaltschaft einzusetzen (vgl.
LIEBER, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung
[StPO], 2010, N. 2 zu Art. 133 StPO). Der Beschwerdeführer könnte
daraus vorliegend nichts zu seinen Gunsten ableiten.
Nach dem Gesagten hat die Staatsanwaltschaft somit zu Recht
geprüft, ob die Voraussetzungen für die Anordnung der amtlichen
Verteidigung erfüllt sind. Die Beschwerde ist in diesem Punkt daher
abzuweisen.
2.
Gemäss Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO ist eine amtliche Verteidi-
gung dann anzuordnen, wenn die beschuldigte Person nicht über die
erforderlichen Mittel verfügt und die Verteidigung zur Wahrung ihrer
Interessen geboten ist.
Gegenstand der vorliegenden Beschwerde ist einzig die Frage,
ob der Beschwerdeführer über die erforderlichen Mittel verfügt oder
nicht. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Staatsanwaltschaft
habe zu Unrecht Steuern und Schulden nicht berücksichtigt und das
Existenzminimum falsch berechnet. Er verfüge nur über einen Über-
schuss von Fr. 408.85. Mit diesem sei er nicht in der Lage, einen
Anwalt zu bevorschussen und zu bezahlen.
2.1.
Bei der Prüfung, ob der Beschwerdeführer im Sinne von
Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO in der Lage ist, die mutmasslich anfallen-
den Kosten für seine angemessene Verteidigung aufzubringen, kann
aufgrund der Einheit der Rechtsordnung und der in Bezug auf die
Frage der Mittellosigkeit identischen Formulierung von Art. 117 lit. a
ZPO ohne Weiteres auf die bisherige Praxis zur eidgenössischen und
kantonalen Zivilprozessordnung sowie die Rechtsprechung zu
Art. 29 Abs. 3 BV zurückgegriffen werden.
Zu prüfen ist somit, ob der Gesuchsteller in der Lage ist, die
mutmasslich für seine angemessene Verteidigung anfallenden An-
waltskosten aus seinem Vermögen seinem Einkommen, das er
nicht zur Deckung seines erweiterten Grundbedarfs benötigt, zu be-
gleichen (vgl. BGE 135 I 221 E. 5.1). Bei weniger aufwendigen
Strafverfahren muss er zur Begleichung der anfallenden Anwalts-
kosten innert Jahresfrist in der Lage sein und bei anderen Strafver-
fahren innert zweier Jahre.
Abzustellen ist auf das betreibungsrechtliche Existenzminimum
gemäss den Richtlinien des Obergerichts (KKS.2005.7), erweitert um
einen Zuschlag in der Höhe von 25 % des Grundbetrages
(AGVE 2002 Nr. 15 S. 65 ff.). Praxisgemäss sind im Kanton Aargau
die Prämien für Versicherungen sowie Gebühren für Radio, Fernse-
hen, Telefon und Internet bereits im Grundbetrag enthalten. Laufende
Steuerschulden und Steuerrückstände werden nur berücksichtigt,
soweit regelmässige Zahlungen belegt sind (BGE 135 I 221 E. 5.2;
AGVE 2002 Nr. 18 S. 68). Ohne diesen Nachweis dürfen Steuer-
schulden somit nicht mit monatlichen Raten im erweiterten Existenz-
minimum berücksichtigt werden. Im Übrigen bleibt gemäss Recht-
sprechung des Bundesgerichts die gewöhnliche Tilgung angehäufter
Schulden bei der Beurteilung der Bedürftigkeit grundsätzlich ausser
Betracht, da die unentgeltliche Rechtspflege nicht dazu dienen soll,
auf Kosten des Gemeinwesens Gläubiger zu befriedigen, die nicht
oder nicht mehr zum Lebensunterhalt beitragen (Urteil des Bundes-
gerichts 4P.80/2006 vom 29. Mai 2006 E. 3.1).