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Urteil Verwaltungsgericht (AG - AGVE 2010 46)

Zusammenfassung des Urteils AGVE 2010 46: Verwaltungsgericht

Das Verwaltungsgericht hat in einem Einbürgerungsverfahren entschieden, dass die Ablehnung der Einbürgerung aufgrund eines geringen finanziellen Mangels unverhältnismässig ist und eine umfassende Prüfung aller Voraussetzungen erfordert. Der Beschwerdeführer hatte Betreibungen und offene Verlustscheine, die er jedoch grösstenteils beglichen hat. Das Gericht stellte fest, dass sein finanzieller Leumund nicht schlecht war und die Ablehnung nicht gerechtfertigt war. Die Angelegenheit wurde zur erneuten Prüfung an die zuständige Behörde zurückverwiesen.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts AGVE 2010 46

Kanton:AG
Fallnummer:AGVE 2010 46
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Verwaltungsgericht
Verwaltungsgericht Entscheid AGVE 2010 46 vom 06.12.2010 (AG)
Datum:06.12.2010
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:AGVE - Archiv 2010 Einbürgerungen 251 [...] 46 Einbürgerungsverfahren. Anforderungen hinsichtlich der Beachtung der schweizerischen...
Schlagwörter: Betrei; Betreibun; Betreibung; Einbür; Einbürge; Einbürgerung; Recht; Verlust; Checkliste; Verlustscheine; Rechtsord; Voraussetzung; Bewerber; Verhalten; Krite; Beachtung; Rechtsordnung; Würdigung; Entscheid; Forderung; Betreibungs; Einbürgerungen; Voraussetzungen; Betreibungen; Kantons; ähnt
Rechtsnorm:-
Referenz BGE:-
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts AGVE 2010 46

2010 Einbürgerungen 251

[...]

46 Einbürgerungsverfahren. - Anforderungen hinsichtlich der Beachtung der schweizerischen Rechtsordnung (Erw. 2). - Es ist unverhältnismässig, wenn aufgrund eines eher gering einzustu- fenden Mangels bei einem Einbürgerungskriterium ohne Würdigung der übrigen Voraussetzungen schematisch die Einbürgerung verwei- gert wird (Erw. 2.4.3.1). - Das Erfordernis der fehlenden Betreibung ist in zeitlicher und auch qualitativer Hinsicht zu undifferenziert (Erw. 2.4.3.2).
Urteil des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 6. Dezember 2010, in Sa- chen P. (WBE.2010.261).

Aus den Erwägungen
2.2. 2.2.1. Die Kommission für Justiz des Grossen Rats (JUS) hat im ange fochtenen Entscheid ausgeführt, die Beachtung der schweizerischen Rechtsordnung verlange auch einen einwandfreien finanziellen Leu mund. Gemäss ihrer Praxis dürften in den letzten drei Jahren vor Gesuchseinreichung und auch während des Einbürgerungsverfahrens keine Betreibungen angehoben werden. Der Beschwerdeführer sei
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daher mit Schreiben des Departements Volkswirtschaft und Inneres (DVI) vom 20. Januar 2009 über die diversen Betreibungen und offe nen Verlustscheine informiert worden. In seiner Stellungnahme vom 29. November 2009 habe er erklärt, dass ihm die Situation leid tue und diese aus seiner Sicht aufgrund der nicht korrekt funktionie renden Postzustellung entstanden sei. Unter Würdigung dieser Sach lage sei die JUS der Meinung, dass der Entscheid über die Einbürge rung um zwei Jahre hinausgeschoben werden solle, um dem Be schwerdeführer die Gelegenheit zu gewähren, sich während dieser Zeit zu bewähren, um danach einen einwandfreien finanziellen Leu mund ausweisen zu können. 2.2.2. Der Beschwerdeführer führt aus, es treffe zu, dass es in früherer Zeit, offensichtlich jedoch vor dem 1. Januar 2004, zu gegen ihn ge richteten Betreibungen gekommen sei. Der Grund dafür habe darin gelegen, dass bei den Zustellungen von Rechnungen und Mahnungen postalische Verwechslungen erfolgt seien. Grund für die Betreibun gen sei nicht seine Nachlässigkeit gewesen, vielmehr habe er von den Forderungen bzw. Mahnungen keine Ahnung gehabt. In den letz ten fünfeinhalb Jahren sei es nur noch zu einer einzigen Betreibung gekommen, offenbar im Zusammenhang mit einem alten Verlust schein. Die entsprechende Forderungssumme sei verhältnismässig bescheiden. Zudem habe er die Forderung vollumfänglich bezahlt. Es könne somit bei ihm nicht von einem nicht einwandfreien finanziel len Leumund gesprochen werden. 2.3. 2.3.1. Die Einbürgerung setzt namentlich einen guten strafrechtlichen Leumund voraus. Auch der betreibungsrechtliche Leumund kann im Zusammenhang mit der Beachtung der schweizerischen Rechtsord nung berücksichtigt werden. Von einer Bewerberin einem Be werber ist sodann zu erwarten, dass sie er sich zu den demo kratischen Institutionen unseres Landes bekennt. Auch das Nicht beachten von zivilrechtlichen Verpflichtungen (z.B. der Verpflich tung zur Zahlung von Unterhaltsbeiträgen Alimenten) kann eine Verletzung der schweizerischen Rechtsordnung darstellen (Botschaft
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vom 21. November 2001 zum Bürgerrecht für junge Ausländerinnen und Ausländer und zur Revision des Bürgerrechtsgesetzes, BBl 2002, S. 1943; vgl. auch Botschaft vom 26. August 1987 zur Änderung des Bürgerrechtsgesetzes, BBl 1987 III, S. 305). 2.3.2. Bereits aus diesen bundesrätlichen Erläuterungen zur geltenden Rechtslage erhellt, dass die Voraussetzung der Beachtung der Rechts ordnung (ebenso wie die Erfüllung dieser Voraussetzung zusammen mit den übrigen Voraussetzungen gemäss Art. 14 lit. a., b. und d. BüG) eine Gesamtschau verlangt. Es ist danach zu fragen, ob ein Be werber insgesamt gesehen die Grundwerte, auf welchen das schwei zerische Staatswesen beruht, anerkennt und dies auch durch sein Ver halten bezeugt. Dies erfordert zum einen das Fehlen strafrechtlich vorwerfbaren Verhaltens, welches auf eine unzureichende Achtung der Rechtsordnung schliessen lässt. Darüber hinaus ist im Einbür gerungsverfahren (soweit dies überhaupt möglich ist) zu prüfen, ob der Bewerber die verfassungsrechtliche Grundordnung, insbesondere die Grundrechte (z.B. Gewaltmonopol des Staates, Gleichheit der Geschlechter, Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit), die ein demokra tisches Staatswesen auszeichnen, achtet und in seinem privaten All tag (z.B. im Verhalten gegenüber den Behörden, am Arbeitsplatz, in der Familie, mit Freunden, etc.) auch tatsächlich lebt. Dazu gehört schliesslich auch, dass der Bewerber als Teilnehmer am Wirtschafts leben seinen finanziellen Verpflichtungen nachkommt. 2.3.3. Die Notwendigkeit einer Gesamtschau hinsichtlich des Erfor dernisses der Beachtung der Rechtsordnung (kein ins Gewicht fallen des strafrechtliches Verhalten, erkennbare Achtung der verfassungs rechtlichen Grundordnung, ausreichender finanzieller Leumund) ver langt, selbst wenn bei einem der genannten Kriterien nicht allzu schwerwiegende Defizite im Verhalten des Bewerbers zutage treten, eine Abwägung mit seinem Verhalten hinsichtlich der anderen Krite rien. Dabei ist der den zuständigen Einbürgerungsbehörden zuste hende Spielraum jedenfalls dann überschritten, wenn eine bloss schematische Prüfung anhand eines starren Kriterienkatalogs vorge nommen und der Bewerber wegen eines in seinem Ausmass nur ge-
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ringen Nichteinhaltens eines einzelnen Kriteriums bei unzweideutig vollständiger Erfüllung der übrigen Kriterien ohne weiteres abge lehnt wird. 2.4. 2.4.1. Der Beschwerdeführer hat sich keine strafrechtlich relevanten Verfehlungen zuschulde kommen lassen. Gegenüber dem Stadtrat wies er sich anlässlich des "Einbürgerungsgesprächs" vom 20. Au gust 2007 über gute Kenntnisse des Staatsrechts, des Staatssystems und der politischen Rechte und Pflichten eines Schweizerbürgers aus. Aus den Akten ergeben sich darüber hinaus keine Hinweise darauf, dass der Beschwerdeführer die Grundwerte der Bundesver fassung in seinem täglichen Leben nicht beachten würde. 2.4.2. 2.4.2.1. In einem Schreiben vom 3. Januar 2006 an die Gemeinderäte des Kantons Aargau teilte der Vorsteher des DVI mit, dass die JUS in Zukunft für die Behandlung von Gesuchen um Erteilung des Kan tonsbürgerrechts die Einhaltung bestimmter, im Schreiben näher de finierter Voraussetzungen erwarte. Diesem Schreiben, mit dem die JUS ihre eigene Praxis offen legte (vgl. dazu auch Protokoll des Grossen Rats, 37. Sitzung vom 29. Juni 2010, Votum Regierungsrat Hofmann S. 1433), lag eine detaillierte "Checkliste der Prüfungs kriterien für Gemeinden" bei. Gemäss dieser Checkliste verlangt die JUS mit Blick auf den finanziellen Leumund, dass (a) keine Betrei bungen in den letzten drei Jahren und während des Verfahrens vorlie gen. Ausserdem dürfen (b) keine unerledigten jüngeren Verlust scheine vorliegen; Verlustscheine, die vor fünf Jahren weniger ausgestellt worden sind, müssen erledigt sein. Überdies müssen (c) alle fälligen Steuern bezahlt sein und dürfen (d) keine fälligen Schul den aus Unterhaltspflicht und Verwandtenunterstützungspflicht be stehen. 2.4.2.2. Offene Steuerschulden sowie fällige Schulden aus Unterhalts pflicht und Verwandtenunterstützungspflicht sind beim Beschwerde führer nicht aktenkundig. Hingegen ergibt sich aus einem in den
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Akten liegenden Betreibungsregisterauszug vom 12. Januar 2009, dass er in den Jahren 1997 bis 1998 insgesamt elfmal betrieben wur de. Eine zwölfte Betreibung durch ein Inkassounternehmen für einen Betrag von Fr. 712.70 datiert vom 29. Oktober 2007. Ausserdem weist der erwähnte Betreibungsregisterauszug fünf aus dem Jahr 1998 datierende Verlustscheine über Fr. 33'187.05 als offen aus. Wie sich aus einem weiteren Betreibungsregisterauszug vom 15. Mai 2008 ergibt, bezahlte der Beschwerdeführer im ersten Halbjahr 2008 die Forderung über Fr. 712.70. Im Laufe des Jahres 2009 beglich er auch die offenen Verlustscheine. Gemäss einem dritten Betreibungs registerauszug vom 10. November 2009 bestanden keine offenen Forderungen mehr. Gemäss Aktenlage erfüllte der Beschwerdeführer damit gemäss Checkliste die Erfordernisse des Fehlens offener Steuerschulden (c) sowie des Nichtbestehens offener Schulden aus Unterhaltspflicht und Verwandtenunterstützungspflicht (d). Ausserdem ergibt sich aus den erwähnten Betreibungsregisterauszügen, dass er gemäss Checkliste das Erfordernis des Fehlens neuerer (d.h. weniger als fünf Jahre al ter) Verlustscheine erfüllte (b). Einzig das Kriterium des Fehlens von Betreibungen innert der letzten drei Jahre (a) hielt der Beschwerde führer nicht ein, da die Betreibungsregisterauszüge eine Betreibung vom 29. Oktober 2007 über Fr. 712.70 auswiesen. Diese lag im Zeit punkt der Beurteilung durch die JUS rund zweieinhalb Jahre zurück; der in Betreibung gesetzte Betrag war im Zeitpunkt der Beurteilung durch die JUS seit rund zwei Jahren bezahlt. 2.4.3. 2.4.3.1. Für den Entscheid darüber, ob das Kantonsbürgerrecht erteilt werden kann, ist, wie bereits erwähnt (Erw. 2.3.2.), eine Gesamtwür digung aller für die Einbürgerung verlangten Voraussetzungen vor zunehmen. Dabei ist namentlich für das Erfordernis der Beachtung der schweizerischen Rechtsordnung (Art. 14 lit. c BüG) neben dem finanziellen Leumund das Fehlen strafrechtlich relevanten Verhaltens sowie die Haltung des Gesuchstellers gegenüber der verfassungs rechtlichen Grundordnung zu würdigen. Wie bereits erwähnt, ist es unverhältnismässig, wenn aufgrund eines eher gering einzustufenden
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Mangels bei einem der genannten Kriterien ohne Würdigung der übrigen Voraussetzungen schematisch die Einbürgerung verweigert wird. Schon unter diesem Gesichtspunkt erweist sich der ange fochtene Entscheid als unverhältnismässig, weil die JUS darin keine umfassende Würdigung der Einbürgerungsvoraussetzungen vorge nommen, sondern einfach schematisch wegen eines eher geringfü gigen Mangels im Hinblick auf den finanziellen Leumund die Auf nahme ins Kantonsbürgerrecht verweigert hat. 2.4.3.2. Der Entscheid ist im Übrigen auch bereits allein unter dem Ge sichtspunkt der Würdigung des finanziellen Leumunds des Be schwerdeführers nicht haltbar. Dass der Beschwerdeführer drei der in der Checkliste mit Blick auf den finanziellen Leumund aufgestellten Erfordernisse erfüllte, wurde bereits erwähnt. Das nicht erfüllte Erfordernis der fehlenden Betreibung innert drei Jahren gemäss Checkliste ist zudem, wie ge rade der vorliegende Fall zeigt, in zeitlicher und auch qualitativer Hinsicht zu undifferenziert. Die Checkliste unterscheidet nämlich in qualitativer Hinsicht in keiner Weise danach, ob eine Betreibung zu Recht erfolgte nicht, ob nur eine Betreibung innert der Dreijah resfrist erfolgte mehrere, und wie hoch der in Betreibung ge setzte Betrag war. Es ist gemäss Checkliste auch unerheblich, ob die Bewerberin bzw. der Bewerber allfällige Schulden bezahlt nicht. All diese Umstände sind aber für die Beurteilung des finanziel len Leumunds einer Person von Bedeutung. Allein der Umstand, dass eine Person betrieben wurde, genügt nicht für die Annahme eines finanziell schlechten Leumunds. Auch für die Würdigung des finan ziellen Leumunds ist eine Gesamtbetrachtung anzustellen. Bei dieser muss neben der Anzahl der Betreibungen im "Verdachtszeitraum" und deren Höhe auch das Verhalten des Gesuchstellers gewürdigt werden. Auch dass ein Bürgerrechtsbewerber - und sei es vor dem Hintergrund des laufenden Einbürgerungsverfahrens - einem Teil all seinen offenen finanziellen Verpflichtungen nachkommt, ist von erheblicher Bedeutung. Hier sticht ins Auge, dass der Beschwerdeführer seit den aus dem Jahr 1998 datierenden Verlustscheinen bis November 2007, d.h.
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während rund neun Jahren, nicht betrieben wurde und vor der Be handlung seines Gesuchs durch die Subkommission sämtliche den Verlustscheinen zugrunde liegenden Forderungen erfüllt hatte. Aus serdem kam es zwar im "Verdachtszeitraum" noch zu einer Betrei bung. Auch den damit in Betreibung gesetzten Betrag bezahlte der Beschwerdeführer indessen noch weit vor der Behandlung des Ein bürgerungsgesuchs durch die Subkommission Einbürgerungen bzw. die JUS (...). Von einem schlechten finanziellen Leumund, der die Verweigerung der Aufnahme ins Kantonsbürgerrecht zu rechtfertigen vermöchte, kann bei dieser Sachlage nicht ernsthaft gesprochen werden. Auch insoweit erweist sich damit der angefochtene Ent scheid als unverhältnismässig. 3. Diese Erwägungen führen in Gutheissung der Beschwerde zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids und zur Rückweisung der Angelegenheit zur weiteren Behandlung im Sinne der Erwägungen an die JUS. Liegen keine neuen Umstände vor, die bei einer Gesamt würdigung aller relevanten Tatsachen gegen eine Aufnahme ins Kan tonsbürgerrecht sprechen, wird die JUS nicht umhin kommen, dem Beschwerdeführer das Kantonsbürgerrecht zu erteilen.
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Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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