2010 Einbürgerungen 239
X. Einbürgerungen
45 Keine Anwendbarkeit von Art. 6 EMRK; Anforderungen hinsichtlich der für die Einbürgerung erforderlichen Sprachkenntnisse. - Art. 6 EMRK ist auf Einbürgerungsverfahren nicht anwendbar (Erw. I./4.2). - Auslegung des Integrations- und Vertrautheitserfordernisses (Erw. II./5). - Überprüfung der Sprachkenntnisse: verfahrensmässige und inhalt- liche Anforderungen (Erw.II./6).
Urteil des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 6. Dezember 2010, in Sa- chen M. (WBE.2010.254).
Aus den Erwägungen
I.
1.-2. (...)
3. (...)
4.
4.1.
Dem Antrag auf Durchführung einer Verhandlung mit Partei-
befragung und Zeugeneinvernahme ist nicht zu entsprechen. Ob und
was der Gemeindeammann der Einwohnergemeinde der Beschwer-
deführerin 1 und/oder ihrem Ehemann im Verlauf des Einbürge-
rungsverfahrens mündlich mitgeteilt und/oder zugesichert hat, spielt
für den Ausgang des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens keine Rol-
le. Selbst wenn der Gemeindeammann irgendwelche Zusicherungen
abgegeben haben sollte, musste der (vertretenen) Beschwerdefüh-
rerin 1, insbesondere nachdem sie bereits einmal erfolglos ein Ein-
bürgerungsverfahren durchlaufen hatte, klar sein, dass allein die Ein-
2010 Verwaltungsgericht 240
wohnergemeindeversammlung für die Zusicherung des Bürgerrechts
zuständig ist.
4.2.
Ein Anspruch auf Durchführung einer Verhandlung lässt sich
entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer auch nicht aus Art. 6
EMRK ableiten. Voraussetzung für die Anwendbarkeit der in
Art. 6 EMRK verankerten Verfahrensgarantien ist ein materieller
Rechtsanspruch nach innerstaatlichem Recht (CHRISTOPH GRABEN-
WARTER, Europäische Menschenrechtskonvention, 4. Aufl., München
2009, S. 330 mit Hinweis). Bei der ordentlichen Einbürgerung be-
steht kein Anspruch auf Erteilung des Bürgerrechts. Dazu kommt,
dass Verfahren über die Verleihung und die Aberkennung der
Staatsbürgerschaft nicht vom Begriff der "civil rights" erfasst sind
und damit nicht zu den zivilrechtlichen Verfahren im Sinne von
Art. 6 EMRK gehören (GRABENWARTER, a.a.O, S. 335).
II.
1.-3.(...)
4.
4.1.
In der Sache wenden sich die Beschwerdeführer in erster Linie
dagegen, dass die Gemeindebehörden mit Bezug auf die Beschwer-
deführerin 1 von ungenügenden Deutschkenntnissen und einer unzu-
reichenden Integration ausgegangen sind.
4.2.
Vor Erteilung der Einbürgerungsbewilligung ist bei der ordent-
lichen Einbürgerung gemäss Art. 14 BüG zu prüfen, ob der Bewerber
zur Einbürgerung geeignet ist, insbesondere ob er (a) in die schwei-
zerischen Verhältnisse eingegliedert ist, (b) mit den schweizerischen
Lebensgewohnheiten, Sitten und Gebräuchen vertraut ist, (c) die
schweizerische Rechtsordnung beachtet, und (d) die innere äus-
sere Sicherheit der Schweiz nicht gefährdet (Art. 14 lit. a - d BüG).
Auf Kantonsebene ist gemäss § 6 KV allein der kantonale Ge-
setzgeber zum Erlass von Normen betreffend das Kantons- und Ge-
meindebürgerrecht zuständig; eine Zuständigkeit der Gemeinden
besteht insoweit nicht (vgl. KURT EICHENBERGER, Verfassung des
Kantons Aargau, Textausgabe mit Kommentar, Aarau 1986, § 6 N 1).
2010 Einbürgerungen 241
Gemäss § 5 Abs. 1 KBüG können Ausländer, welche die Vorausset-
zungen für die Erteilung der eidgenössischen Einbürgerungsbewil-
ligung erfüllen, um Aufnahme in das Kantons- und Gemeindebürger-
recht nachsuchen, wenn sie bei der Einreichung des Gesuchs seit
mindestens drei Jahren ohne Unterbruch in derselben Gemeinde
wohnen und gesamthaft fünf Jahre im Kanton wohnhaft gewesen
sind (§ 5 Abs. 1 KBüG). Das kantonale Recht knüpft, abgesehen von
einer Zusatzregelung des Wohnsitzerfordernisses (Art. 15 BüG), für
die materiellen Voraussetzungen der Einbürgerung allein an die bun-
desrechtlichen Anforderungen an und stellt keine zusätzlichen Er-
fordernisse auf. Ob die Voraussetzungen für eine Aufnahme ins Ge-
meinde- bzw. Kantonsbürgerrecht erfüllt sind, bestimmt sich dem-
nach allein nach den Kriterien gemäss Art. 14 lit. a - d BüG.
5.
5.1.
Inhaltlich zeichnet sich das Schweizerbürgerrecht dadurch aus,
dass es kein blosses Statusrecht ist (siehe dazu ULRICH HÄFELIN/
WALTER HALLER/HELEN KELLER, Schweizerisches Bundesstaats-
recht, 7. Aufl., Zürich 2008, Rz. 1306). Wer Schweizer Bürger wird,
wird damit nicht bloss Staatsangehöriger, d.h. gehört zum Schweize-
rischen Staatsverband. Wie schon der Wortbildung Schweizerbürger-
recht zu entnehmen ist, erfasst der Begriff darüber hinaus auch die
"citoyenneté", d.h. die mit der Rechtsstellung verbundenen staats-
bürgerlichen Rechte und Pflichten, insbesondere die erst durch die
Erteilung des Schweizerbürgerrechts mögliche politische Partizipa-
tion (FELIX HAFNER/DENISE BUSER, in: BERNHARD EHRENZEL-
LER/PHILIPPE MASTRONARDI/RAINER J. SCHWEIZER/ KLAUS A. VAL-
LENDER, Die Schweizerische Bundesverfassung, Kommentar,
2. Aufl., Zürich 2008, Art. 37 N 6; REGULA ARGAST, Staatsbürger-
schaft und Nation, Ausschliessung und Integration in der Schweiz
1848 - 1933, Göttingen 2007, S. 33 f.; ebenso YVO HANGARTNER,
Grundsätzliche Fragen des Einbürgerungsrechts, AJP 2001, S. 951).
Aus historischer Sicht überlagerten sich von der Entstehung des Bun-
desstaates bis heute in realpolitischen Entscheiden republikanische
und liberale Elemente der Staatsbürgerschaft (ARGAST, a.a.O.,
S. 44 f.). Der Begriff des Schweizerbürgerrechts umfasst daher heute
2010 Verwaltungsgericht 242
sowohl die liberale Deutung als Trägerschaft freiheitlicher (Grund-)-
Rechte als auch den republikanischen Gehalt als Teilnahmerecht an
den politischen Prozessen, welche erst ein demokratisches Staatswe-
sen konstituieren.
5.2.
Diesem umfassenden Verständnis von Staatsbürgerschaft ent-
spricht, dass der Bundesgesetzgeber zwischen verschiedenen Formen
von Einbürgerungen unterscheidet und dafür auch unterschiedlich
hohe Hürden aufstellt: Die erleichterte Einbürgerung greift bei Vor-
liegen bestimmter Tatbestände mit Blick auf eine bereits bestehende
Sonderbeziehung zur Schweiz Platz - so insbesondere bei der er-
leichterten Einbürgerung des Ehegatten eines Schweizerbürgers und
eines Auslandschweizers (zur Durchsetzung des Prinzips der Einheit
des Bürgerrechts; vgl. dazu HÄFELIN/HALLER/KELLER, a.a.O.,
Rz. 1318 sowie 1328 ff.). Liegen keine Sondertatbestände vor, recht-
fertigt die Doppelnatur des Schweizerbürgerrechts als Staatsange-
hörigkeit einer-, andererseits aber auch als Basisrecht für die
Möglichkeit politischer Beteiligung keine Herabsetzung der Erfor-
dernisse für den Erwerb des Schweizerbürgerrechts.
5.2.1.
Für die ordentliche und die erleichterte Einbürgerung wird ne-
ben der Beachtung der schweizerischen Rechtsordnung (Art. 14 lit. c
und Art. 26 lit. b BüG) sowie dem negativen Erfordernis der Nicht-
gefährdung der inneren und/oder äusseren Sicherheit der Schweiz
(Art. 14 lit. d und Art. 26 lit. c BüG) insbesondere eine erfolgreiche
Integration des Bewerbers (Art. 14 lit. a BüG sowie der inhalts-
gleiche Art. 26 Abs. 1 lit. a BüG) verlangt.
5.2.2.
Im Gegensatz zur erleichterten Einbürgerung verlangt Art. 14
lit. b BüG bei der ordentlichen Einbürgerung neben der Integration
zusätzlich, dass die gesuchstellende Person mit den schweizerischen
Lebensgewohnheiten, Sitten und Gebräuchen vertraut ("accoutumé",
"familiarizzato") ist.
Insbesondere das Erfordernis der Vertrautheit mit den schweize-
rischen Verhältnissen erschliesst sich nur auf dem Hintergrund des
republikanischen Deutungsmusters des Schweizerbürgerrechts: Erst
2010 Einbürgerungen 243
ein gesteigertes Verständnis für die schweizerischen Verhältnisse und
insbesondere die rechtlichen und politischen Gegebenheiten recht-
fertigt die Verleihung politischer Teilhaberechte. Dementsprechend
ist vom Bewerber zu verlangen, dass er sich über einen Grad an
Vertrautheit mit den schweizerischen Verhältnissen ausweist, welcher
namentlich eine Zulassung zur Teilnahme an politischen Prozessen
als gerechtfertigt erscheinen lässt. Das Erfordernis der Vertrautheit
ist damit zwar vergleichbar mit jenem der Integration, indem es kein
besonderes Einzelerfordernis darstellt, sondern ein Querschnittkrite-
rium darstellt, welches grundsätzlich alle Lebensbereiche erfasst
(Familie, Freundeskreis, Schule, Arbeitsplatz, Vereine, politische
Institutionen auf den Stufen Gemeinde, Kanton und Bund). Vertraut-
heit bedeutet indessen in jeder Beziehung gegenüber Integration ein
graduelles Mehr. Sie entspricht einer höheren Stufe der Übernahme
schweizerischer Lebensart und setzt gewisse Kenntnisse über das
Land und insbesondere die Sprache voraus (vgl. CÉLINE GUTZ-
WILLER, Droit de la nationalité et fédéralisme en Suisse, Genf/Zü-
rich/Basel 2008, Rz. 557). Dazu gehören zum einen Kenntnisse einer
der Landessprachen, aber auch ein entsprechendes Wissen über das
Land und seine Bewohner. Um als Bürgerin bzw. Bürger im poli-
tischen System der Schweiz mitwirken zu können, sind insbesondere
auch Kenntnisse über die Grundlagen der politischen und sozialen
Ordnung notwendig. Sprachkenntnisse, Kenntnisse des Landes und
seines politischen Systems und die Einbindung in die Lebensver-
hältnisse müssen so weit gehen, dass anzunehmen ist, dass der
Bewerber nach Verleihung des Staatsbürgerrechts angemessen von
seiner Rechtsstellung und insbesondere auch von den damit ver-
liehenen Teilnahmerechten am politischen Prozess Gebrauch machen
kann. In den bundesrechtlichen Bestimmungen dürfen von einer ein-
bürgerungswilligen Ausländerin einem einbürgerungswilligen
Ausländer dabei indessen nicht mehr Kenntnisse der Geschichte und
der Staatskunde verlangt werden als von einem schweizerischen
Durchschnitt (vgl. BBl 2002 1943).
5.2.3.
Die dargelegte Auslegung des Integrations- und Vertrautheits-
erfordernisses gibt noch keinen Aufschluss darüber, wie jeder ein-
2010 Verwaltungsgericht 244
zelne zu berücksichtigende Teilgehalt (Sprachkenntnisse, Kenntnisse
über Land und Leute sowie über das politische System, Verhalten am
Arbeitsplatz, in der Schule, in der Nachbarschaft, Teilnahme am
dörflichen Leben, etc.) bei der Ermittlung, ob ausreichende Integra-
tion bzw. Vertrautheit besteht, zu gewichten ist. Insbesondere ist da-
mit noch nichts darüber gesagt, wie weit der den zuständigen Behör-
den zustehende Beurteilungsspielraum reicht. Immerhin liefert die
dargelegte Auslegung den zentralen Anhaltspunkt für die Beantwor-
tung der Frage, ob sich die Behörde im Rahmen des ihr zustehenden
Beurteilungsspielraums gehalten diesen überschritten hat. Ent-
scheidend dafür muss unter Berücksichtigung des dargelegten staats-
bürgerlichen Verständnisses des Schweizerbürgerrechts sein, ob es -
unter Zugrundelegung des Massstabs eines durchschnittlichen
Stimmbürgers - als vertretbar erscheint, die betroffene Bewerberin
bzw. den Bewerber von den qua Schweizerbürgerrecht zustehenden
Rechtspositionen, insbesondere von den Rechten auf Teilnahme am
politischen Prozess auszuschliessen.
6.
6.1.
Hier ist der Sache nach allein das Erfordernis der ausreichenden
Integration bzw. als gesteigerte Form davon der Vertrautheit mit den
schweizerischen Lebensgewohnheiten, Sitten und Gebräuchen um-
stritten. Konkret wendet sich die Beschwerdeführerin 1 vor allem
gegen die Feststellung, sie verfüge für den Erwerb des Schweizerbür-
gerrechts nicht über ausreichende Sprachkenntnisse.
6.2.
Den Sprachkenntnissen kommt für die Beurteilung der Integ-
ration Einbürgerungswilliger die Funktion einer eigentlichen Schlüs-
selkompetenz zu. Nur entsprechende Kenntnisse setzen nämlich eine
Person überhaupt in die Lage, am wirtschaftlichen und sozialen
Leben des Gastlandes aktiv teilzunehmen und sich auf diese Weise
zu integrieren (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom
24. Juni 2008 [C-1212/2006], Erw. 4.3 mit Hinweis). Das Erlernen
einer Landessprache stellt daher ein wichtiges Element der Integra-
tion dar und fehlende Kenntnisse der vor Ort gesprochenen Landes-
2010 Einbürgerungen 245
sprache können als Indiz für eine mangelnde Integration verstanden
werden (vgl. BGE 134 I 56, Erw. 3, S. 59).
Entsprechend der dargelegten Stufenfolge von Integration und
Vertrautheit gemäss Art. 14 lit. a und b BüG gehen die Anforde-
rungen an die Sprachkenntnisse bei der ordentlichen Einbürgerung
über diejenigen bei einer erleichterten Einbürgerung hinaus. Das bei
einer ordentlichen Einbürgerung zu verlangende Niveau an Kennt-
nissen der Landessprache, im Kanton Aargau der deutschen Stand-
ardsprache und/oder des Dialekts, lässt sich dabei funktionell wie
folgt festlegen: Die Sprachkenntnisse müssen so umfassend sein,
dass die Ausübung staatsbürgerlicher Rechte, insbesondere politi-
scher Rechte wie des Stimm- und Wahlrechts auf einem durch-
schnittlichen Niveau gewährleistet ist (vgl. auch EIDG. AUSLÄNDER-
KOMMISSION [EKA], Einbürgerung und Sprachnachweis, Empfeh-
lungen der EKA an die Gemeinden, die Kantone und den Bund,
Bern 2006, S. 5).
6.3.
In praktischer Hinsicht stellen sich im Hinblick auf die Hand-
habung des Sprachkriteriums weitere Fragen, nämlich zum einen die
Frage nach dem erforderlichen Niveau an Sprachkenntnissen und
zum andern die Frage nach den für die Eruierung der beim Bewerber
vorhandenen Sprachkenntnisse zu verwendenden Methoden. Auch
wenn die zuständigen (Gemeinde-)Behörden insoweit über einen
grossen Beurteilungsspielraum verfügen, kommt das Verwaltungs-
gericht - mangels konkreter gesetzlicher Vorgaben - im Hinblick auf
eine willkürfreie und rechtsgleiche Handhabung des Spracherfor-
dernisses nicht darum herum, gewisse Leitplanken zu setzen.
6.3.1.
Als Referenzsystem für die Ermittlung der zu verlangenden
Kenntnisse der deutschen Standardsprache und/oder des Dialekts
bietet sich der gemeinsame europäische Referenzrahmen für Spra-
chen des Europarats (GER bzw. [englische Abkürzung] CEFR) an,
welcher auch bereits im Bundesrecht Verwendung findet (vgl. etwa
Art. 62 Abs. 1 lit. c VZAE, der für die vorzeitige Erteilung der Nie-
derlassungsbewilligung Kenntnisse in der am Wohnort gesprochenen
Landessprache mindestens des Niveaus A2 des GER verlangt; siehe
2010 Verwaltungsgericht 246
auch Art. 7 VIntA, wo für die Betreuungs- und Lehrtätigkeit [z.B.
religiöse Betreuungspersonen Lehrkräfte für heimatliche Spra-
che und Kultur] Kenntnisse der am Arbeitsort gesprochenen
Landessprache auf dem Sprachniveau B1 des GER verlangt werden).
Der GER (Internetadresse in VZAE, SR 142.201, FN 19) weist
sechs Niveaus aus: Die beiden Eingangsniveaus A1 und A2 umfassen
die elementare Sprachverwendung, die Niveaus B1 und B2 die
selbstständige Sprachverwendung, und die beiden höchsten Niveaus
C1 und C2 umschreiben die kompetente Sprachverwendung (vgl.
dazu auch die zugehörige Globalskala sowie den Raster zur Selbst-
beurteilung [Anhang E zu GÜNTHER SCHNEIDER/STEFANIE NEUNER-
ANFINDSEN/PETER SAUTER/THOMAS STUDER/LUKAS WERTEN-
SCHLAG/CORINNE WIDMER, Rahmenkonzept für den Nachweis der
sprachlichen Kommunikationsfähigkeit im Hinblick auf die Einbür-
gerung, Kurzbericht erstellt im Auftrag der EKA, Bern 2006], wel-
cher zwischen verschiedenen sprachrelevanten Fertigkeiten unter-
scheidet: Verstehen [Hören, Lesen], Sprechen [an Gesprächen teil-
nehmen, zusammenhängend sprechen] und Schreiben).
Gerade in einem mehrsprachigen Land wie der Schweiz würde
es zu weit führen, wenn für eine Einbürgerung bei den in erster Linie
kommunikationsrelevanten Fertigkeiten Verstehen und Sprechen ein
sehr hohes Sprachniveau (C1 und C2) verlangt würde. Dann be-
stünde die Gefahr, dass Sprache als (vorgeschobenes) Kriterium
missbraucht wird, d.h. dass negative Einbürgerungsentscheide mit
mangelnder Sprachkenntnis begründet werden, obwohl in Wirklich-
keit andere Motive hinter der Verweigerung der Einbürgerung stehen
(vgl. dazu GÜNTHER SCHNEIDER ET AL, a.a.O., S. 7). Hinsichtlich der
weniger kommunikationsrelevanten und stark vom jeweiligen
Bildungsniveau abhängigen Sprachkompetenz Schreiben würde es
sogar zu weit führen, eine Sprachbeherrschung oberhalb des Niveaus
A2 zu verlangen. Dies würde nämlich im Ergebnis auf dem Umweg
über das Spracherfordernis zur Errichtung zusätzlicher Hürden
insbesondere für bildungsferne Bürgerrechtsbewerber führen (vgl.
EKA, a.a.O., S. 7; vgl. auch Bericht der Staatspolitischen Kommis-
sion des Nationalrats betreffend die von der Schweizerischen Volks-
partei eingereichte parlamentarische Initiative "Keine Einbürgerung
2010 Einbürgerungen 247
ohne gute mündliche und schriftliche Sprachkenntnisse", Curia Vista
08.468n, S. 2). Als Ergebnis lässt sich somit festhalten: Kommu-
nikative Fähigkeiten (Verstehen, Sprechen) von B1 bis B2 (insbe-
sondere soweit es um Begriffe und Themen aus dem Bereich der
Staats- und Landeskunde geht) können jedenfalls im Regelfall vom
Bürgerrechtsbewerber verlangt werden, ohne dass die zuständige Be-
hörde dadurch den ihr zustehenden Beurteilungsspielraum verletzt.
Mit Bezug auf die schriftliche Sprachbeherrschung (Schreiben) dür-
fen die Anforderungen gemäss Niveau A2 nicht überschritten wer-
den.
6.3.2.
Das Spracherfordernis muss zudem rechtsgleich gehandhabt
werden. Ausserdem muss das Verfahren, in dem die erforderlichen
Sprachkenntnisse ermittelt werden, fair, d.h. in erster Linie transpa-
rent und zuverlässig sein (vgl. dazu GÜNTHER SCHNEIDER ET AL.,
a.a.O., S. 20f.).
Diesen Anforderungen genügt das heute in vielen Gemeinden
übliche Gespräch, welches mit dem Bewerber geführt wird, in der
Regel nicht (vgl. wiederum GÜNTHER SCHNEIDER ET AL., a.a.O.,
S. 6). Zum einen ist nicht sichergestellt, dass die Gemeindebehörden
- abgesehen vom Fall offensichtlich fehlender Sprachkenntnisse des
Bewerbers - über die erforderliche Fachkompetenz verfügen (bzw.
dass sie entsprechend ausgebildet wurden), um zuverlässige Aussa-
gen über das Sprachniveau des Bewerbers machen zu können. Hinzu
kommt, dass ein Gespräch, das weder von seinem Inhalt noch vom
verwendeten Wortmaterial her im Hinblick auf die zu evaluierenden
Sprachkenntnisse fachlich vorbereitet und durchgeführt wird, kaum
zuverlässige Aussagen über den Stand der Sprachkenntnisse des
Bewerbers zulassen dürfte. Im Bewusstsein dieser Mängel hat die
EKA bereits im Jahr 2006 Empfehlungen für die Erhebung der
Sprachkenntnisse im Hinblick auf eine Einbürgerung abgegeben
(vgl. EKA, a.a.O., S. 7 ff.). Darin wird erhebliches Gewicht auf die
Qualitätssicherung bei der Feststellung der Sprachkenntnisse gelegt.
Insbesondere sollen die Bewerber schon im Vorfeld darüber in
Kenntnis gesetzt werden, welches Sprachniveau von ihnen verlangt
wird. Ausserdem muss das Evaluationsverfahren inhaltlich so aus-
2010 Verwaltungsgericht 248
gestaltet sein, dass es zuverlässige Aussagen über das Sprachniveau
erlaubt; zudem müssen fachlich qualifizierte bzw. entsprechend ge-
schulte Personen am Verfahren teilnehmen.
Zur Evaluation der erforderlichen Sprachkenntnis sind ver-
schiedene Verfahren denkbar (vgl. dazu ausführlich die bereits mehr-
fach angeführte Studie von GÜNTHER SCHNEIDER ET. AL., a.a.O.,
S. 9, wo drei Modelle vorgeschlagen werden: [a] Kommissions-
modell, d.h. Befragung durch die zuständige Kommission unter Ein-
bezug einer Fachperson; [b] Sachbearbeitermodell, d.h. Befragung
durch geschulte Sachbearbeiter anhand einer Checkliste; [c] Test
bzw. Sprachprüfungsmodell, d.h. externe Durchführung einer eigent-
lichen Sprachprüfung). Dabei kann und darf das Verwaltungsgericht
den zuständigen Behörden kein bestimmtes Verfahren vorschreiben.
Damit würde es die ihm zustehende Kognition überschreiten und in
unzulässiger Weise in die Kompetenzen der Gemeinden eingreifen.
Im Hinblick auf die rechtsgleiche Handhabung des Spracherforder-
nisses und die Gewährleistung eines fairen Verfahrens ist indessen
immerhin zu verlangen,
· dass der Bürgerrechtsbewerberin bzw. dem -bewerber vor
Einleitung des Einbürgerungsverfahrens bzw. mindestens
zu einem frühen Zeitpunkt in diesem Verfahren mitgeteilt
wird, Kenntnisse welchen Sprachniveaus bei den verschie-
denen sprachlichen Fertigkeiten (Verstehen: Hören und Le-
sen; Sprechen: an Gesprächen teilnehmen, zusammenhän-
gendes Sprechen; Schreiben) von ihr bzw. ihm erwartet
werden;
· dass die zuständige Behörde die ausreichende Qualität des
Evaluationsverfahrens sicherstellt (im Hinblick auf das Ziel
"Feststellung der Sprachkenntnisse" geeigneter Test bzw.
geeignetes Gespräch; namentlich für Zweifelsfälle: Teilnah-
me einer fachlich qualifizierten Person [Fachperson bzw.
entsprechend geschulter Sachbearbeiter] am Verfahren);·
dass die Evaluation ausreichend dokumentiert wird (z.B.
Wortprotokoll; Video- Audioaufzeichnung mit Einver-
ständnis des Bewerbers; aussagekräftige schriftliche Auf-
zeichnungen über Verlauf und Ergebnis der Evaluation);
2010 Einbürgerungen 249
erst damit wird eine spätere Überprüfung durch die Rechts-
mittelinstanzen, ob das verlangte Niveau erreicht wurde,
möglich;
· dass die Evaluation in Bezug auf den selbstständigen Ge-
suchsteller bzw. die selbstständige Gesuchstellerin indivi-
duell durchgeführt wird, sodass die einbezogenen weiteren
Personen (insbesondere Kinder des Bürgerrechtsbewerbers)
nicht als Dolmetscher fungieren können.
Werden diese Mindesterfordernisse verletzt, liegt in der Regel
eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes (häufig damit verbun-
den des Anspruchs auf rechtliches Gehör) vor, welche zur Rückwei-
sung der Angelegenheit an die zuständige Behörde führt.
6.4.
6.4.1.
Hier ist zunächst den Akten nicht zu entnehmen, welches gene-
relle, d.h. bei allen Bewerberinnen und Bewerbern anwendbare,
Sprachniveau die zuständigen Gemeindebehörden verlangen. Die
Aussage, die Sprachkenntnisse seien ungenügend, ist indessen ohne
eine vorherige Definition des geforderten Niveaus, inhaltsleer. Weiter
fehlen Angaben darüber, dass die Beschwerdeführerin 1 vor dem Ge-
spräch vom 17. April 2009 über das in der Einwohnergemeinde von
Bürgerrechtsbewerberinnen und -bewerbern generell mindestens
erwartete Niveau an Beherrschung des Dialekts bzw. der deutschen
Standardsprache aufgeklärt worden wäre.
6.4.2.
Schliesslich liegen hier mit Bezug auf das zur Evaluierung der
Sprachkenntnisse der Beschwerdeführerin 1 mit dem Gemeindeam-
mann und einem Gemeinderat geführte Gespräch mehrere gravieren-
de Verfahrensmängel vor:
· Es fehlen jegliche Hinweise darauf, dass das mit der Be-
schwerdeführerin 1 geführte Gespräch sich von seinem
Inhalt und Wortmaterial her eignete, um das Niveau ihrer
Sprachkenntnisse auch nur halbwegs zuverlässig zu eva-
luieren. Es wurde auch nicht etwa geltend gemacht, dass die
Gesprächsteilnehmer seitens der Einwohnergemeinde (oder
zumindest einer von ihnen) im Hinblick auf die Aufgabe
2010 Verwaltungsgericht 250
der Evaluierung des Niveaus der Sprachkenntnisse eine
besondere Schulung durchlaufen hätten.·
Das Gespräch wurde mit Bezug auf das entscheidende
Thema des Niveaus der Deutschkenntnisse der Beschwer-
deführerin 1 nicht dokumentiert (Die als Protokoll bezeich-
nete Aufzeichnung vom 17. April 2009 enthält keinerlei
Angaben, die diesbezügliche Rückschlüsse erlauben). Es
lässt sich daher auch nicht feststellen, ob die Beschwerde-
führerin 1 allenfalls über derart schlechte Deutschkennt-
nisse verfügt, dass auch für ein nur aus Laien zusammenge-
setztes Gremium das Ungenügen der Sprachkenntnisse klar
erkennbar war.·
Das Gespräch wurde als Gruppengespräch mit der Be-
schwerdeführerin 1 und ihren Kindern bzw. in deren An-
wesenheit geführt ohne individuelle "Prüfung" der Be-
schwerdeführerin 1. Es eignete sich auch aus diesem Grund
nicht, ausreichenden Aufschluss über das Niveau der
Deutschkenntnisse der Beschwerdeführerin 1 zu liefern.
6.4.3.
Entgegen den Ausführungen im angefochtenen Entscheid lassen
auch die schriftlichen Äusserungen der Beschwerdeführerin 1 in der
von ihr bestandenen Staatskundeprüfung keine zuverlässigen
Schlüsse auf ihr Niveau in der Beherrschung der deutschen Sprache
zu; dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass an die schriftlichen
Sprachkenntnisse eines Bürgerrechtsbewerbers wie dargelegt (Erw.
6.3.1.) nicht zu hohe Anforderungen gestellt werden dürfen.
6.4.4.
Zusammenfassend erweisen sich die Abklärungen der Gemein-
de über die Sprachkenntnisse der Beschwerdeführerin 1 sowohl in-
haltlich (fehlende Definition des erwarteten Sprachniveaus) als auch
im Hinblick auf das Verfahren (keine vorgängige Mitteilung an die
Bewerberin über das erwartete Sprachniveau, kein definiertes
brauchbares Testverfahren, keine Beteiligung einer Fachperson bzw.
eines entsprechend geschulten Sachbearbeiters, fehlende Aufzeich-
nungen über den Sprachtest, kein individueller Test) als ungenügend.
7. (...)
2010 Einbürgerungen 251
8.
Diese Erwägungen führen zur Gutheissung der Beschwerde und
zur Rückweisung der Angelegenheit zur weiteren Untersuchung an
die Einwohnergemeinde. Sie wird insbesondere die Sprachkenntnisse
der Beschwerdeführerin 1 unter Beachtung der vom Verwaltungs-
gericht aufgestellten materiellen und verfahrensmässigen Anforde-
rungen (Erw. 6.3.) zu evaluieren haben. (...)
(Hinweis: Eine gegen dieses Urteil wegen Verletzung der Ge-
meindeautonomie erhobene Beschwerde hat das Bundesgericht mit
Urteil vom 13. April 2011 [10_1/2011; zur Publikation vorgesehen]
abgewiesen, soweit es darauf eintrat.)
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