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34 Wahl der richtigen Verfahrensart. - Die Vergabestelle hat vorgängig der Ausschreibung des Auftrags eine möglichst zuverlässige Schätzung der mutmasslichen Auftragssum- me nach sachlichen Kriterien und aufgrund allfälliger Erfahrungs- werte vorzunehmen.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 17. Dezember 2008 in Sa- chen E. AG gegen den Regierungsrat (WBE.2008.296)
Aus den Erwägungen
1. Gemäss § 8 Abs. 1 lit. a SubmD sind Aufträge im offenen selektiven Verfahren zu vergeben, wenn der geschätzte Wert des Ein zelauftrags bei Aufträgen des Bauhauptgewerbes Fr. 500'000.-- und bei Lieferungen, Dienstleistungen und Aufträgen des Bauneben gewerbes Fr. 250'000.-- übersteigt. Aufträge sind gemäss § 8 Abs. 2 lit. a bis c SubmD im Einladungsverfahren zu vergeben, wenn der geschätzte Wert des Einzelauftrags folgenden Betrag übersteigt:
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- Fr. 300'000.-- bei Aufträgen des Bauhauptgewerbes; - Fr. 150'000.-- bei Dienstleistungen und Aufträgen des Baune bengewerbes; - Fr. 100'000.-- bei Lieferungen. Erreicht der geschätzte Wert des Einzelauftrags den Betrag für das Einladungsverfahren nicht, kann der Auftrag freihändig vergeben werden (§ 8 Abs. 3 lit. a SubmD). Eine freihändige Vergabe erfolgt auch in den in § 8 Abs. 3 lit. b bis m SubmD genannten Fällen. In den Fällen von § 8 Abs. 3 SubmD kann die Vergabestelle eine Wettbewerbssituation dadurch schaffen, dass sie ohne öffentliche Ausschreibung verschiedene Anbietende nach ihrer Wahl zur Einreichung eines Angebots einlädt. Für die Wahl des richtigen Verfahrens massgebend ist einerseits die Art des zu vergebenden Auftrags (Bauauftrag, Lieferung, Dienstleistung) und anderseits der Wert des konkreten Auftrags bzw. das Auftragsvolumen. Massgebend ist der vor der Ausschreibung geschätzte Auftragswert und nicht der Wert des später bei der Verga be berücksichtigten Angebots. Die Vergabestelle hat somit vorgängig der Ausschreibung des Auftrags eine Schätzung der mutmasslichen Auftragssumme nach sachlichen Kriterien und aufgrund allfälliger Erfahrungswerte vorzunehmen. Es hat sich dabei um eine zuverläs sige und sorgfältige Schätzung zu handeln. Insbesondere darf dabei, um die Bestimmungen über die Schwellenwerte einzuhalten, nicht zu knapp kalkuliert werden; die Behörde hat sich eher an die obere Bandbreite der Schätzung zu halten (Peter Galli / André Moser / Elisabeth Lang / Evelyne Clerc, Praxis des öffentlichen Beschaf fungsrechts, 1. Band: Landesrecht, 2. Auflage, Zürich / Basel / Genf 2007, Rz. 180 ff.). Die eidgenössische Mehrwertsteuer wird bei der Berechnung des Auftragswerts nicht berücksichtigt (§ 8 Abs. 5 SubmD).
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2. 2.1.-2.2. (...) 2.3. Die Beschwerdeführerin macht in erster Linie geltend, die Ver gabebehörde habe zu Unrecht ein freihändiges Verfahren durchge führt. Sie sei ihrer Pflicht, eine sorgfältige und vorsichtige, d.h. grosszügige Kostenschätzung vorzunehmen, nicht nachgekommen. Dies müsse zur Aufhebung des erteilten Zuschlags und zur Neu durchführung eines offenen selektiven Vergabeverfahrens führen. Sodann weist die Beschwerdeführerin darauf hin, dass sie aufgrund der Tatsache, dass ein freihändiges Verfahren durchgeführt worden sei, bei der Einreichung ihrer Offerte davon ausgegangen sei, es werde eine IT-Lösung im Bereich bis zu Fr. 150'000.-- gesucht. Aus diesem Grund habe sie ein Angebot unter Fr. 150'000.-- einge reicht (bereinigt bzw. inklusive Zusatzwünsche der Vergabebehörde Fr. 190'000.--). Sie habe darauf vertrauen dürfen, dass die Vergabe behörde das von ihr gewünschte Produkt und dessen Kosten pflicht gemäss evaluiert habe und dabei zum Schluss gekommen sei, dass sie an einer eher einfachen - aber ohne Weiteres funktionstüchtigen und praktikablen - IT-Lösung unter Fr. 150'000.-- interessiert gewe sen sei. Demgegenüber ist die Vergabebehörde der Ansicht, aufgrund der getroffenen, detaillierten und sorgfältigen Abklärungen habe sie bei der Eröffnung des Verfahrens in guten Treuen davon ausgehen dürfen, dass die Angebote unter dem massgeblichen Schwellenwert von Fr. 150'000.-- liegen würden. Diese Annahme sei insbesondere auf den beiden vorliegenden Kostenschätzungen fundiert gewesen, die keine erheblichen betragsmässigen Differenzen aufgezeigt hätten. Die Verfahrenswahl sei aufgrund dieser Einschätzungen korrekt gewesen.
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2.4. 2.4.1. Zu prüfen ist, ob die Schätzung der mutmasslichen Kosten durch die Vergabebehörde richtig vorgenommen worden ist. Nach deren Darstellung in der Vernehmlassung waren im Vorfeld der Submission ab Mitte 2007 mit mehreren potentiellen Anbietern Gespräche geführt worden, um die vorhandenen informationstech nischen Möglichkeiten sowie die anfallenden Kosten der Implemen tierung einer IT-Lösung abzuschätzen. In diesem Kontext habe die Beschwerdeführerin am 30. Oktober 2007 eine Kostenzusammen stellung mit einmaligen Kosten von Fr. 119'200.-- (ohne optionale Spezialentwicklungen) präsentiert. Die A. habe an ihrer Präsentation vom 9. November 2007 Kosten in der Höhe von rund Fr. 110'000.- in Aussicht gestellt. Gestützt auf der Grundlage dieser summarischen Kostenschätzungen sowie auf weitere Abklärungen habe sich die Vergabebehörde für ein freihändiges Verfahren unter Einbezug der beiden genannten Anbieterinnen entschieden. 2.4.2. (...) Aufgrund dieser Angaben der beiden angefragten Unternehmen konnte die Vergabebehörde zwar darauf schliessen, dass eine Infor matiklösung mit (einmaligen) Kosten unterhalb des Schwellenwerts für das Einladungsverfahren, d.h. Fr. 150'000.--, grundsätzlich realisierbar ist. Zugleich musste ihr aber bewusst sein, dass es sich dabei nur um eine einfache Basis- bzw. Minimallösung handeln konnte. Dies ergibt sich insbesondere aus der Kostenzusammen stellung der Beschwerdeführerin: Die Kosten für die drei Basismo dule betragen Fr. 119'200.--. Mit den optional angebotenen Erwei terungen (automatische Synopsenerstellung, Fussnotenduplikations elimination, Konkordanzliste und Historie) belaufen sich die Kosten jedoch bereits auf Fr. 146'400.--, liegen also nurmehr knapp unter halb des Schwellenwerts für das Einladungsverfahren. Aber auch die Tatsache, dass das schliesslich für den Zuschlag berücksichtigte An gebot der A. Kosten von rund Fr. 260'000.-- nach sich zieht, während an der Präsentation von der A. noch Kosten von (lediglich) Fr. 110'000.-- genannt wurden, lässt einzig den Schluss zu, dass sich
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deren ursprüngliche Kostenschätzung ebenfalls (offenbar entspre chend dem ursprünglich geäusserten Wunsch der Vergabebehörde) auf eine Minimallösung bezog. 2.4.3. Als Zwischenergebnis durfte die Vergabebehörde aufgrund der beiden einverlangten Kostenschätzungen zwar davon ausgehen, dass eine Minimal- Basislösung zu unterhalb des Schwellenwerts lie genden einmaligen Anschaffungskosten erhältlich sein würde. Je doch musste ihr bereits zu jenem Zeitpunkt klar sein, dass zusätz liche Anforderungen und Wünsche sehr rasch dazu führen würden, dass der für eine freihändige Vergabe zulässige Schwellenwert über schritten wird. 2.5. 2.5.1. Die Vergabestelle erstellte in der Folge ein Pflichtenheft, in des sen Ziffer 5 die Anforderungen an das einzureichende Angebot detailliert umschrieben sind. Bestandteil des Pflichtenhefts war sodann ein "Anforderungskatalog", in dem diese Anforderungen wiederholt und als "Zuschlagskriterien" bezeichnet wurden. 2.5.2. Die Beschwerdeführerin reichte am 29. April 2008 ein Angebot ein mit einmaligen Kosten in Höhe von Fr. 171'600.--. (...) Das Angebot der A. vom 24. April 2008 nennt einmalige Kosten in der Höhe von Fr. 259'600.--. (...) Beide Angebote liegen deutlich über dem für die Zulässigkeit einer freihändigen Vergabe massgebenden Schwellenwert von Fr. 150'000.--. Das Angebot der A. überschreitet sogar den Schwel lenwert von Fr. 250'000.--, der eine öffentliche Ausschreibung des Auftrags in einem offenen selektiven Verfahren notwendig macht. Den Kostenunterschied zwischen den beiden Angeboten begründet die Vergabebehörde damit, dass die Beschwerdeführerin entgegen den Anforderungen im Pflichtenheft mit Fixpreisen arbeite, während die A. in Übereinstimmung mit dem Pflichtenheft von einem Kostendach bzw. maximalen Kosten ausgehe. Die auffällige Differenz bei den Kosten der Konvertierung liege in erster Linie darin begründet, dass bei E. die Datenkonvertierung maschinell
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vorgenommen werde, dabei aber ein massiv höherer Aufwand seitens der Auftraggeberin zur Kontrolle der konvertierten Daten notwendig sei. Der Einsatz interner Ressourcen bei der Konvertierung durch A. sei gering, da die Konvertierung durch A. manuell und mit juristischem Personal vorgenommen werde. Sodann hält die Vergabebehörde fest, das von der Beschwer deführerin vorgebrachte, aber effektiv nicht offerierte Angebot in der Höhe von Fr. 130'400.-- genüge den Anforderungen gemäss Pflich tenheft bei weitem nicht. Aber auch das um die Zusatzoptionen und Spezialentwicklungen erweiterte Angebot der Beschwerdeführerin genügt den Anforderungen des Pflichtenhefts nicht, stellt die Verga bebehörde diesbezüglich doch ausdrücklich fest, die Beschwerde führerin habe ausreichend Gelegenheit erhalten, ihr Angebot zu op timieren und nachzubessern. Spätestens zu diesem Zeitpunkt habe ihr klar sein müssen, dass ihre eher einfache und knapp funktions tüchtige Lösung nicht den Anforderungen der Staatskanzlei entspro chen habe. Mit diesen Ausführungen anerkennt die Vergabebehörde, dass die Anforderungen, wie sie im Pflichtenheft enthalten sind, über eine einfache Basislösung, wie sie den beiden Kostenschätzungen zugrunde lagen, deutlich hinausgehen. Folglich hätte ihr bereits bei der Ausarbeitung des Pflichtenhefts bewusst sein müssen, dass die vorhandenen Kostenschätzungen für die Bestimmung des tatsächlich massgeblichen Auftragswerts von keiner bzw. nur noch von sehr beschränkter Bedeutung sein konnten und zwar einzig dahingehend, dass wegen der deutlich umfangreicheren Anforderungen an die zu beschaffende Informatiklösung zwangsläufig auch mit deutlich höheren Kosten zu rechnen sein musste. Der Argumentation der Ver gabebehörde, sie habe bei der Eröffnung des Verfahrens in guten Treuen davon ausgehen dürfen, dass die Angebote unter dem mass geblichen Schwellenwert von Fr. 150'000.-- liegen würden, kann deshalb nicht gefolgt werden. Vorliegend ist die Vergabebehörde auch keineswegs durch im Vergleich zu den Kostenschätzungen un erwartet hohe Offertpreise (bei in etwa gleichgebliebenen Leistungs anforderungen) "überrascht" worden. Vielmehr liegt der Grund für die deutlich höheren Kosten darin, dass die Vergabebehörde im Ver gleich zu den Grundlagen der Kostenschätzungen eben auch we-
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sentlich höhere Anforderungen an die zu offerierende Lösung gestellt hat. Mithin musste sie davon ausgehen, dass die Offertpreise zwangsläufig wesentlich höher ausfallen würden als die Kosten schätzungen. Die Beschwerdeführerin weist durchaus zu Recht dar auf hin, es gehe nicht an, "dass die Vergabebehörde (...) eine Kosten schätzung für einen Kleinwagen erstellt, gestützt darauf das freihändige Verfahren wählt und dann - ohne 'Wechsel' in die zutref fende Verfahrensart - einen Luxuswagen im überschwelligen Be reich beschafft, da dieser ihre Bedürfnisse noch besser abdeckt". Die Vergabestelle hätte im vorliegenden Fall bereits anlässlich der Er stellung des Pflichtenhefts die Schätzung der mutmasslich anfallen den Kosten aufgrund ihrer zwischenzeitlich gesteigerten Anforde rungen an die Informatik-Lösung entsprechend anpassen bzw. neu festlegen müssen. Die Offerte der A. beläuft sich auf Fr. 259'600.-- und diejenige der Beschwerdeführerin auf Fr. 171'600.-- (inkl. Zusatzoptionen und Spezialentwicklungen). Letzterer Betrag erhöhte sich im Nachgang an die von der Vergabebehörde geäusserten Optimierungswünsche um weitere Fr. 10'000.-- auf Fr. 183'000.--, entsprach aber - laut Vergabestelle - dennoch nicht den funktionalen und technologischen Anforderungen. Hingegen erfüllt das Angebot der A. gemäss Verga bebehörde die gestellten Anforderungen vollumfänglich, weist aber einmalige Kosten von Fr. 260'000.-- aus, d.h. liegt sogar über dem Schwellenwert, der die Durchführung eines offenen selektiven Verfahrens mit öffentlicher Auftragsausschreibung erforderlich macht. Eine sachgerechte Schätzung des Auftragswerts (für den im Pflichtenheft umschriebenen Auftrag) hätte somit davon ausgehen müssen, dass der massgebende Schwellenwert zumindest des Einla dungsverfahrens, wenn nicht sogar des offenen selektiven Ver fahrens, erreicht würde und ein freihändiges Verfahren mit höchster Wahrscheinlichkeit nach nicht zulässig sein konnte. In Bezug auf den Beschaffungsgegenstand, wie er sich im Pflichtenheft dokumentiert, lag somit keine zuverlässige Kostenschätzung vor. 2.6. Damit steht fest, dass sich die freihändige Vergabe vorliegend nicht auf § 8 Abs. 3 lit. a SubmD stützen lässt. Andere Ausnahme-
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tatbestände i.S.v. § 8 Abs. 3 lit. b bis m SubmD, die eine freihändige Vergabe zulässig erscheinen lassen, werden von der Vergabebehörde nicht geltend gemacht und sind auch nicht ersichtlich. (...)
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