[...]
14 § 5a Abs. 1 StPO
Die Zuständigkeit für die gerichtliche Beurteilung wird durch den
Strafantrag in der Anklage und nicht durch das Urteil bestimmt.
Aus dem Entscheid des Obergerichts, 1. Strafkammer vom 17. November
2005 i.S. Staatsanwaltschaft gegen U.C.-L.
1. Die Staatsanwaltschaft hatte mit Anklage vom 12. November
2003 beim Bezirksgericht Bremgarten Anklage gegen die Angeklagte
erhoben und dabei eine Strafe von 18 Monaten Gefängnis beantragt.
Die Angeklagte liess in ihrem schriftlichen Plädoyer einen Frei-
spruch, eventualiter eine Strafe von weniger als 10 Monate Gefäng-
nis beantragen.
1.1. Der Gerichtspräsident von Bremgarten beurteilte den Fall
als Einzelrichter in Strafsachen, wobei er auf eine Strafe von 6 Mo-
naten Gefängnis und eine Busse von Fr. 5'000.-- erkannte. Hin-
sichtlich der sachlichen Zuständigkeit verweist das vorinstanzliche
Urteil auf § 5a Abs. 1 StPO ohne hierzu weitere Ausführungen zu
machen (Urteil S. 3). Mit Berufung macht die Staatsanwaltschaft gel-
tend, dass der Gerichtspräsident aufgrund der beantragten Strafe von
18 Monaten Gefängnis sachlich nicht zuständig gewesen sei.
1.2. Gemäss § 217 Abs. 2 StPO können mit der Berufung auch
Mängel am vorinstanzlichen Verfahren geltend gemacht werden.
Dies allerdings grundsätzlich nur dann, wenn nebst dem Verfahrens-
mangel auch ein materieller Antrag gestellt, das heisst eine Änderung
des Urteils verlangt wird (Brühlmeier, Aargauische Strafprozessord-
nung, Kommentar, 2. Aufl., Aarau 1980, S. 375). Vorliegend hat es
die Staatsanwaltschaft zwar versäumt, einen materiellen Antrag zu
stellen, da sie jedoch - anders als z.B. die Angeklagte - auch für die
richtige Durchführung des Verfahrens zu sorgen hat - kann es unter
gewissen Vorsaussetzungen genügen, wenn sich ihre Berufung auf
die Rüge eines Verfahrensmangels beschränkt, sofern dieser beson-
ders schwer ist (vgl. Dubach, in: Aargauisches Strafprozessrecht,
Festschrift zum 25-jährigen Bestehen des Aargauischen Juristenver-
eins, Aarau 1961, S. 193: Die Staatsanwaltschaft kann die nochmali-
ge Durchführung eines "tumultischen" Verfahrens verlangen).
Die Beurteilung durch die sachlich zuständige Behörde und
auch deren richtige Besetzung ist für ein korrektes Verfahren unent-
behrlich, weshalb auf die Berufung der Staatsanwaltschaft einzutre-
ten ist.
Im Folgenden ist daher zu prüfen, wie sich die sachliche
Zuständigkeit bei der Beurteilung von Straffällen bestimmt. Mit
anderen Worten ist zu prüfen, wer die Abgrenzung zwischen der
Kompetenz des Einzelrichters in Strafsachen gemäss § 5a StPO und
jener des Gesamtgerichtes gemäss § 6 StPO vorzunehmen hat.
2. Das Gesetz muss in erster Linie aus sich selbst heraus, das
heisst nach Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zugrunde liegen-
den Wertungen auf der Basis einer teleologischen Verständnismetho-
de ausgelegt werden. Gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung
im normativen Gefüge, ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis
aus der ratio legis. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist
hierbei keine der bekannten Auslegungsmethoden vorrangig anzu-
wenden, sondern diese sind nur in ihrer Gesamtheit massgebend und
im Einzelfall gegeneinander abzuwägen (BGE 124 IV 106 Erw. 3a,
121 III 219 Erw. 1 d/aa; Häfelin/Haller, Schweizerisches Bundes-
staatsrecht, 6. Aufl., Zürich 2005, § 3 N 130; Höhn, Praktische Me-
thodik der Gesetzesauslegung, Zürich 1993, S. 256). Die Regeln der
Gesetzesauslegung sind im Strafprozess die gleichen wie in den
übrigen Rechtsgebieten (Hauser/Schweri/Hartmann, Schweizerisches
Strafprozessrecht, 6. Aufl., Basel 2005, § 6 N 1).
2.1. Mit der Revision der StPO vom 2. Juli 2002 (Inkrafttreten
am 1. Januar 2003) wurde der Einzelrichter in Strafsachen einge-
führt. § 5a Abs. 1 StPO lautet seither:
Der Präsident des Bezirksgerichts kann als Einzelrichter eine Freiheits-
strafe von höchstens sechs Monaten, allenfalls verbunden mit einer
Busse eine Busse allein aussprechen und ambulante oder, mit Ein-
verständnis des Verurteilten, stationäre Massnahmen gemäss Art. 43
Ziff. 1 Abs. 1 und Art. 44 Ziff. 1 Abs. 1 StGB anordnen.
Ausgangspunkt jeder Auslegung ist der Gesetzeswortlaut (BGE
105 Ib 49 Erw. 3a). § 5a Abs. 1 StPO bestimmt zwar, dass der Einzel-
richter eine Strafe von höchstens 6 Monaten aussprechen kann, legt
somit die Höhe seiner Strafkompetenz fest, die Bestimmung sagt
aber nichts darüber aus, wer darüber entscheidet, ob ein Fall dem Ge-
samtgericht dem Einzelrichter in Strafsachen zum Entscheid
vorgelegt wird.
2.2. Bei der systematischen Auslegung wird der Sinn einer
Rechtsnorm bestimmt durch ihr Verhältnis zu anderen Rechtsnormen
und durch den systematischen Zusammenhang, in dem sie sich in ei-
nem Gesetz präsentiert (Häfelin/Haller, a.a.O., § 3 N 97).
Abgesehen von hier nicht weiter interessierenden Kompetenzen
der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Übertretungsstrafen
(§ 4 StPO) sind in der aargauischen Strafprozessordnung (neben dem
Obergericht als Berufungsinstanz und dem Jugendgericht) drei ver-
schiedene strafrichterliche Behörden vorgesehen: Zunächst der Straf-
befehlsrichter, dessen Kompetenzen in § 5 StPO geregelt sind, dann
der bereits erwähnte Einzelrichter in Strafsachen (§ 5a StPO) und
schliesslich sieht § 6 StPO im Sinne einer Generalnorm vor, dass alle
nicht in die Zuständigkeit einer anderen Behörde fallenden Strafsa-
chen, durch das Bezirksgericht zu beurteilen sind (vgl. auch § 99
KV).
Es ist festzustellen, dass der Gesetzgeber für die Kompetenzum-
schreibung des Strafbefehlsrichters und für jene des Einzelrichters
nicht den gleichen Wortlaut gewählt hat: Der Strafbefehlsrichter ist
zuständig im Strafbefehlsverfahren strafbare Handlungen abzuwan-
deln, wenn eine Freiheitsstrafe von höchstens neunzig Tagen, die
Verbindung einer Freiheitsstrafe von höchstens neunzig Tagen mit ei-
ner Busse eine Busse allein in Betracht fällt (§ 5 Abs. 1 StPO).
Bei der Umschreibung der Kompetenz des Einzelrichters in Strafsa-
chen hingegen wurde nicht diese Formulierung gewählt, sondern
stattdessen bestimmt, dass der Einzelrichter eine Freiheitsstrafe von
höchstens sechs Monaten aussprechen kann (§ 5a Abs. 1 StPO). Die
Formulierung für den Strafbefehlsrichter in § 5 Abs. 1 StPO umfasst
neben der Kompetenzbeschränkung auf neunzig Tage Freiheitsstrafe,
d.h. der Strafbefehlsrichter darf nur eine solche bis 90 Tage ausspre-
chen, auch ein wertendes Element, d.h. es ist am Strafbefehlsrichter
zu entscheiden, ob er eine Strafe von maximal 90 Tagen für ange-
messen hält und daher die Kompetenz zur Verhängung derselbigen
hat ob er die Sache der Staatsanwaltschaft zur Anklageerhebung
überweisen will. Wie ausgeführt wurde für die Umschreibung der
Einzelrichterkompetenz nicht die gleiche Formulierung gewählt, son-
dern eine, die eben kein wertendes Element enthält, sondern lediglich
eine Beschränkung der Strafkompetenz.
Da sich aber das Strafbefehlsverfahren von jenem des ordentli-
chen Strafverfahrens vor dem Einzelrichter teilweise stark unter-
scheidet, kann aus dem Umstand der unterschiedlichen Formulierung
nicht einfach der Schluss gezogen werden, dass der Gesetzgeber dem
Strafbefehlsrichter die Kompetenz zum Entscheid über die sachliche
Zuständigkeit im Bereich der Strafen bis neunzig Tage zukommen
lassen wollte und wegen der anderslautenden Formulierung beim
Einzelrichter, diesem nicht.
2.3. Die historische Auslegung stellt auf den subjektiven Willen
des Gesetzgebers ab. Anhaltspunkte für diesen liefern Entwürfe, amt-
liche Berichte, die Botschaft, Protokolle der Ratsverhandlungen etc.
(Häfelin/Haller, a.a.O., § 3 N 102 f.).
In der Botschaft des Regierungsrates vom 21. März 2001 über
die Teilrevision der Kantonsverfassung und des Gesetzes über die
Strafrechtspflege (Bericht und Entwurf zur ersten Beratung) wird auf
S. 14 vorgeschlagen, dass der Einzelrichter Freiheitsstrafen bis höch-
stens sechs Monate aussprechen dürfe, wobei für die Bestimmung
der Zuständigkeit nicht auf den Antrag der Anklagebehörde abge-
stellt werde, da sonst diese allein mit einem entsprechenden Antrag
die Zuständigkeit des Bezirksgerichts bestimmen könne.
Weiter äussert sich die Botschaft zu dieser Thematik nicht. Es
wird also nicht erwähnt, wie sich bzw. wer die sachliche Zuständig-
keit bestimmen soll. Auch in den beiden Beratungen im Grossen Rat
war dieses Problem nicht diskutiert worden (vgl. Protokolle der Sit-
zung des Grossen Rates vom 18. Dezember 2001, vom 8. Januar
2002 [1. Beratung] und 25. Juni 2002 [2. Beratung]).
Allerdings ist festzuhalten, dass der oben zitierte Auszug aus
der Botschaft des Regierungsrates keinen Eingang in die gesetzliche
Bestimmung gefunden hat. Den Materialien kommt aber grundsätz-
lich nur dort entscheidendes Gewicht zu, wo sie im Gesetzeswortlaut
einen Niederschlag gefunden haben (BGE 114 Ia 191, Erw. 3b/bb).
Für den Richter verbindlich können die Gesetzesmaterialien schon
deshalb nicht sein, weil die Motive in den gesetzgebenden Gremien
oft divergieren und weil im Bund (und auch im Kt. Aargau, vgl.
Art. 62 f. KV) die Stimmbürger die oberste gesetzgebende Instanz
sind, die das Gesetz entweder stillschweigend - wenn das Referen-
dum nicht ergriffen wird - ausdrücklich, wenn das Referendum
ergriffen, aber verworfen wurde - genehmigen. Aus welchen Grün-
den die Mehrheit ja gestimmt hat aus welchen Gründen das
Referendum nicht ergriffen wurde, lässt sich kaum je für eine einzel-
ne Gesetzesbestimmung und deren Formulierung feststellen (Trech-
sel/Noll, Schweizerisches Strafrecht, AT I, 6. Aufl., Zürich 2004,
S. 50).
2.4. Da die auszulegende Bestimmung erst seit knapp drei Jah-
ren in Kraft ist, es sich demzufolge um eine sehr neue Bestimmung
handelt, erübrigt sich eine zeitgemässe Auslegung, welche im Gegen-
satz zur historischen Auslegung auf die Verhältnisse abstellt wie sie
gegenwärtig, d.h. im Rechtsanwendungszeitpunkt bestehen, da sich
seit dem Zeitpunkt der Gesetzgebung kaum etwas geändert hat. Statt-
dessen ist im Rahmen der teleologischen Auslegung zu prüfen, wel-
che Zweckvorstellung § 5a StPO innewohnt, d.h. welche Zielvorstel-
lungen der Gesetzgeber damit verfolgte (Häfelin/Haller, a.a.O., § 3
N 120). Bei § 5a StPO ging es in erster Linie darum, den Einzel-
richter in Strafsachen einzuführen, weil man sich vom Wegfall der
Aktenzirkulation im Richtergremium eine wesentliche Beschleuni-
gung des Strafverfahrens versprach und der schon länger bestehende
Einzelrichter in Zivilsachen sich in der Praxis sehr bewährt hatte
(Botschaft, a.a.O., S. 9, 14).
2.5. Nach der Erörterung von § 5a Abs. 1 StPO im Lichte der
einzelnen Auslegungsmethoden, ist festzustellen, dass sich anhand
der Materialien, konkret der Botschaft des Regierungsrates, zwar er-
gibt, dass für die Bestimmung der Zuständigkeit nicht auf den Antrag
der Anklagebehörde abgestellt werden soll (vgl. oben Ziff. 2.3.), dass
diese Anmerkung in der Botschaft indessen erstens keinen Nieder-
schlag im Gesetz selber fand und zweitens im Gesetz auch nichts
darüber ausgesagt wurde, wer sonst über die sachliche Zuständigkeit
bestimmen soll. Wenn es der Wille des Gesetzgebers gewesen wäre,
dass der Gerichtspräsident trotz Generalnorm von § 6 StPO selber
darüber bestimmt, in wessen Zuständigkeit ein angeklagter Sachver-
halt fällt, wäre § 5a Abs. 1 StPO analog der Bestimmung betreffend
Strafbefehlsrichter zu formulieren eine andere Abfassung zu
wählen gewesen, die ausdrücklich dem Gerichtspräsidenten die
Kompetenz zur Bestimmung über die sachliche Zuständigkeit zuge-
wiesen hätte.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Auslegung von
§ 5a Abs. 1 StPO zu keinem Ergebnis führt bzw. die Frage, wem die
Kompetenz zur Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit zukommt,
nicht beantwortet werden kann.
Da es sich bei der gestellten Frage um eine wichtige organisa-
torische Frage handelt, kann nicht von einem qualifizierten Schwei-
gen des Gesetzgebers ausgegangen werden. Vielmehr ist anzuneh-
men, dass der Gesetzgeber die Regelung dieser Frage schlicht
vernachlässigt hat. Demnach ist von einer Gesetzeslücke ge-
mäss neuerer Terminologie von einer planwidrigen Unvollständigkeit
des Gesetzes auszugehen, welche vom Richter zu beheben ist
(Schmid, Strafprozessrecht, 4. Aufl., Zürich 2004, N 68; Häfelin/
Haller, a.a.O., § 3 N 137 ff.).
3. Lücken im Gesetz sind nach dem Sinn des entsprechenden
Erlasses im Gefüge der gesamten Rechtsordnung von der rechts-
anwendenden Behörde auszufüllen und zwar in analoger Anwendung
von Art. 1 Abs. 2 und 3 ZGB (BGE 98 Ia 226 Erw. 4b; Häfelin/
Haller, a.a.O., § 3 N 147; Schmid, a.a.O., N 68; Hauser/Schweri/
Hartmann, a.a.O., § 6 N 6).
3.1. Es kommen gestützt auf die StPO und die behördliche
Organisation zwei Möglichkeiten in Frage: Entweder entscheidet die
Staatsanwaltschaft mit ihrem Antrag über die sachliche Zuständig-
keit, d.h., bei einem Antrag der Staatsanwaltschaft von über 6 Mona-
ten Freiheitsstrafe ist das Gesamtgericht, bei einem Strafantrag bis
und mit 6 Monaten Freiheitsstrafe (allenfalls) verbunden mit einer
Geldstrafe einer Geldstrafe allein der Gerichtspräsident als
Einzelrichter zur Beurteilung zuständig. Oder aber der Gerichtspräsi-
dent entscheidet selber und unabhängig vom Strafantrag der Staats-
anwaltschaft über die sachliche Zuständigkeit.
3.1.1. Wie bereits ausgeführt war mit ein Grund zur Einführung
des Einzelrichters in Strafsachen, dass sich der Einzelrichter in
Zivilsachen in der Praxis sehr gut bewährt hatte. Der Gesetzgeber
hatte somit die Vorstellungen über den Einzelrichter in Zivilsachen
vor Augen, als er den Einzelrichter in Strafsachen einführte. Es er-
scheint daher nahe liegend, die beiden Regelungen betreffend Einzel-
richter miteinander zu vergleichen:
Organisatorisch betrachtet geht es darum, durch den Einsatz der
Einzelrichter das Gesamtgericht zu entlasten und die Verfahren zu
beschleunigen. Mit anderen Worten sollen ,,kleinere" Verfahren
durch den Einzelrichter erledigt werden. Zur Abgrenzung, was ein
,,kleiner" Fall ist und was nicht, wird beim Einzelrichter in Zivilsa-
chen bei Streitsachen mit einem Streitwert auf die Höhe des
Streitwertes abgestellt (§ 11 lit. a ZPO). Der Streitwert bestimmt sich
aufgrund der beim erstinstanzlichen Richter angehobenen Klage
(§ 16 ZPO). Der Einzelrichter in Zivilsachen ist zur Beurteilung von
vermögensrechtlichen Streitigkeiten mit einem Streitwert von weni-
ger als Fr. 20'000.-- zuständig, sofern sie nicht einem besonderen Ge-
richt zugewiesen sind (§ 11 lit. a ZPO). Somit bestimmt der Kläger
mit seiner Klage und nicht etwa der Einzelrichter über die sachliche
Zuständigkeit.
3.1.2. Als nächstes ist der Ablauf des Strafverfahrens vor Augen
zu halten: In der Regel überweist das Bezirksamt nach abgeschlosse-
ner Untersuchung einen Fall der Staatsanwaltschaft, wenn es zum
Schluss kommt, dass eine Freiheitsstrafe von über 90 Tagen in Be-
tracht fällt und die Staatsanwaltschaft ihrerseits erhebt dann, wenn
zureichende Gründe vorliegen, Anklage (§§ 2, 5, 135 und 143 StPO).
Der Gerichtspräsident prüft danach die Prozessvoraussetzungen und
bestimmt Ort und Zeit der Gerichtsverhandlung (§§ 146 und 148
StPO).
Im Zeitpunkt der Anklageerhebung hat sich der betreffende
Staatsanwalt mit dem Fall eingehend auseinander gesetzt und ge-
stützt darauf einen ihm angemessen erscheinenden Strafantrag ge-
stellt. Würde nun dem Gerichtspräsidenten die Kompetenz zukom-
men, über die sachliche Zuständigkeit zu entscheiden, so müsste er
jeweils sogleich nach Eingang der Anklage den gesamten Fall einge-
hend studieren und Tatbestandsmässigkeit sowie Strafzumessung
prognostizieren, um über die sachliche Zuständigkeit befinden zu
können, bevor überhaupt die Gerichtsverhandlung stattgefunden hat,
in welcher nicht selten aufgrund des persönlichen Eindruckes über
den Angeklagten der Zeugen Änderungen bei der Sachverhalts-
feststellung und/oder der Strafzumessung möglich sind. Zwar könnte
der Gerichtspräsident in einem Fall, wo er die sachliche Zuständig-
keit des Einzelrichters bejaht hat und nach während der
Verhandlung zum Schluss kommt, dass eine Freiheitsstrafe von mehr
als sechs Monaten in Betracht fallen könnte, den Fall noch dem Be-
zirksgericht überweisen (§ 5a Abs. 5 StPO). Daraus würde jedoch ein
enormer Mehraufwand resultieren, was dem gesetzgeberischen
Zweck der Verfahrensbeschleunigung bei der Einführung des Einzel-
richters in Strafsachen widerspräche. Entscheidet aber die Staatsan-
waltschaft mit ihrem Strafantrag über die Zuständigkeit, so hat sich
eine juristisch geschulte Person (vgl. § 3 Abs. 2 StPO) mit dem Fall
auseinander gesetzt und einen ihrer Meinung nach angemessenen
Strafantrag gestellt, sodass die Gefahr der oben erwähnten
Doppelspurigkeit (Überweisung vom Einzelrichter ans Gesamtge-
richt) sehr klein ist, zumal das Bezirksgericht als Gesamtgericht auch
Freiheitsstrafen unter sechs Monaten aussprechen kann.
Anzufügen bleibt, dass es für die Staatsanwaltschaft keine Rolle
spielt, ob ein Fall dem Einzelrichter dem Bezirksgericht als Ge-
samtgericht vorgelegt wird, da die Staatsanwaltschaft nach Einrei-
chung der Anklage mit dem erstinstanzlichen Verfahrensgang eigent-
lich nichts mehr zu tun hat, also insbesondere grundsätzlich nicht an
der Verhandlung zu erscheinen hat, ausser bei einer beantragten Frei-
heitsstrafe von über 18 Monaten wenn es der Gerichtspräsident
ausdrücklich verlangt, was erfahrungsgemäss selten vorkommt
(§ 149 Abs. 2 StPO). Dem Gesagten zufolge ist die Staatsanwalt-
schaft in ihrer Entscheidung, ob sie einen Fall dem Einzelrichter oder
dem Gesamtgericht zur Beurteilung vorlegt, unabhängig.
3.1.3. Weiter ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber auch
in anderen wichtigen Belangen der Staatsanwaltschaft Kompetenzen
zum Entscheid übertragen hat: So schreibt § 59 Abs. 2 StPO vor, dass
der Gerichtspräsident dem Angeklagten einen amtlichen Verteidiger
zu bestellen hat, wenn die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von
mindestens 12 Monaten eine freiheitsentziehende Massnahme
beantragt hat. Ebenso hat es die Staatsanwaltschaft mit ihrem Straf-
antrag grundsätzlich in der Hand, darüber zu entscheiden, ob sie an
der Verhandlung teilnimmt nicht (vgl. § 149 StPO).
3.1.4. Rechtsvergleichend ist festzustellen, dass ein grosser Teil
der Kantone, welche den Einzelrichter in Strafsachen in ihrer Straf-
prozessgebung überhaupt kennen, die sachliche Zuständigkeit da-
hingehend regelt, dass der Staatsanwalt mit seinem Strafantrag dar-
über bestimmt (so Zürich [§ 24 GVG], Solothurn [§ 12 Abs. 1 lit. c
GO], Baselland [§ 3 StPO], St. Gallen [§ 18 StP, vgl. hierzu: Ober-
holzer, Grundzüge des Strafprozessrechts, 2. Aufl., Bern 2005, S. 71]
und wohl auch Zug [§ 30 GOG]). Auch der Vorentwurf für eine
eidgenössische StPO vom Juni 2001 (...) sieht die Schaffung eines
Einzelgerichtes vor, wobei für die Bestimmung der sachlichen
Zuständigkeit auf den Strafantrag der Staatsanwaltschaft abgestellt
werden soll (vgl. Art. 24 Vorentwurf).
3.1.5. Abschliessend ist festzustellen, dass gerade ein Fall wie
der vorliegende, die grundlegende Problematik aufzeigt, wenn der
Entscheid über die sachliche Zuständigkeit beim Gerichtspräsidenten
liegt: Im konkreten Fall hatte nämlich nicht nur die Staatsanwalt-
schaft einen Strafantrag von 18 Monaten Gefängnis gestellt, sondern
auch die Verteidigung ging mit dem Eventualantrag auf Verurteilung
zu einer Gefängnisstrafe von ,,nicht mehr als 10 Monaten" im Falle
eines Schuldspruches offensichtlich von einer Freiheitsstrafe von
über sechs Monaten aus.
3.2. Zusammenfassend ergibt sich, dass § 5a Abs. 1 StPO eine
Gesetzlücke aufweist, da sich dieser Gesetzesnorm auch mittels
Auslegung keine Antwort auf die Frage entnehmen lässt, wem zur
Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit die Kompetenz zukommt.
Im Rahmen der richterlichen Lückenfüllung ist das Obergericht nach
umfassender Prüfung zum Schluss gelangt, dass diese Kompetenz
der Staatsanwaltschaft obliegt, da es üblicher prozessualer Ordnung
entspricht, dass der Antrag einer Partei über die sachliche Zuständig-
keit entscheidet und nicht der Gerichtspräsident. Im Übrigen wären
durch die vorweggenommene Prüfung des Gerichtspräsidenten die
Leitplanken, innerhalb welcher die Strafe zu ergehen hätte, bereits
vor Durchführung der Hauptverhandlung gesteckt. Kommt hinzu,
dass bei anderen wichtigen Entscheidungen auch auf den Strafantrag
der Staatsanwaltschaft abgestellt wird. Zudem lässt ein Blick auf die
anderen Kantone keinen Zweifel daran, dass die vom Obergericht ge-
wählte Lösung auch der Regelung in einem grossen Teil der Kanto-
ne, welche die Figur des Einzelrichters in Strafsachen kennen, ent-
spricht.
4. Unter Berücksichtigung der obigen Erwägungen ist festzu-
stellen, dass der Gerichtspräsident von Bremgarten, als er den vor-
liegenden Fall selbst beurteilte statt ihn dem Gesamtgericht zur Beur-
teilung vorzulegen, obschon der Strafantrag auf 18 Monate Gefäng-
nis lautete, sachlich unzuständig war. Dies ist als schwerer Verfah-
rensmangel zu betrachten, weshalb das Urteil aufzuheben und die
Sache an das Bezirksgericht Bremgarten (Gesamtgericht) zur neuen
Beurteilung zurückzuweisen ist (§ 223 StPO; vgl. auch Hau-
ser/Schweri/Hartmann, a.a.O., § 99 N 26).
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