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126 Gemeindeversammlung; die Informationstätigkeit der Gemeindebehör- den hat sich im Vorfeld einer Gemeindeversammlung grundsätzlich auf die gesetzlich vorgesehenen Abstimmungserläuterungen des Gemeindera- tes zu beschränken.
Entscheid des Departements Volkswirtschaft und Inneres vom 29. Novem- ber 2005 in Sachen X. gegen den Gemeinderat Y.
Aus den Erwägungen
2. Der Beschwerdeführer beanstandet die Informationsaktivitä ten von Gemeindebehörden im Hinblick auf ein an der Gemeindever sammlung traktandiertes Geschäft. Insbesondere werden die von der Schulpflege und der Schulleitung eingesetzten Mittel, wie etwa die über die Schüler verteilten Schreiben an die Eltern und das E-Mail vom Schulleiter an das Lehrerkollegium, als unerlaubte Einfluss nahme der Behörden in einem Abstimmungskampf bezeichnet. Der Gemeinderat hingegen erachtet diese als zulässige Informationsmittel (bezüglich des Schreibens und der Pressemitteilung) als schulin terne Angelegenheit (E-Mail) und räumt Schulpflege wie auch Schul leitung das Recht ein, sich zum Projekt zu äussern und dieses gegen aussen zu vertreten. a.) Das vom Verfassungsrecht des Bundes gewährleistete politi sche Stimmrecht gibt jeder Bürgerin und jedem Bürger einen An spruch darauf, dass kein Abstimmungsresultat anerkannt wird, das nicht den freien Willen der Stimmberechtigten zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck bringt (BGE 114 Ia 43). Daraus folgt, dass jeder Stimmbürger seine Entscheidung gestützt auf einen mög-
lichst freien und umfassenden Prozess der Meinungsbildung soll tref fen können. Die Freiheit der Willensbildung schliesst grundsätzlich jede direkte Einflussnahme der Behörden aus, welche geeignet wäre, die freie Willensbildung der Stimmbürgerschaft im Vorfeld von Wah len und Abstimmungen zu verfälschen. Eine solche Beeinflussung liegt etwa dann vor, wenn die Behörde, welche zu einer Sachabstim mung amtliche Erläuterungen verfasst, ihre Pflicht zur objektiven In formation verletzt sowie über den Zweck und Tragweite der Vorlage falsch orientiert. Eine unerlaubte Beeinflussung der Stimmberechtig ten kann ferner vorliegen, wenn die Behörde in unzulässiger Weise in den Abstimmungskampf eingreift und entweder positive, zur Siche rung der Freiheit der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger aufge stellte Vorschriften missachtet sich sonst wie verwerflicher Mit tel bedient (BGE 112 Ia 335). b.) In ihrer bisherigen Praxis hat die Beschwerdeinstanz es als unzulässig erachtet, dass eine Behörde neben dem erläuternden Be richt noch mit anderen Mitteln in den Abstimmungskampf eingreifen darf (Entscheid vom 4. September 1991 i.S. J. K. gegen Einwohner gemeinde A.; Entscheid vom 4. Juni 1997 i.S. U. S. gegen Gemein derat S.; Entscheid Referendumskomitee O. gegen Gemeinderat O. in Aargauische Gerichts- und Verwaltungsentscheide [AGVE] 1996, S. 469 ff.). Ausnahmsweise lassen aber Lehre und Rechtsprechung eine zusätzliche Information der Stimmberechtigten in den Fällen zu, in denen triftige Gründe eine amtliche Intervention erfordern (vgl. Werner Stauffacher, Die Stellung der Behörden im Wahl- und Ab stimmungskampf, in: ZBl 68/1967, S. 361 ff.). Solche Gründe liegen etwa dann vor, wenn die Behörde krassen Verzerrungen und Verfäl schungen in der gegnerischen Abstimmungspropaganda entgegenzu treten grobe Fehler richtig zu stellen hat (BGE 112 Ia 337). c.) Im vorliegenden Fall hat der Gemeinderat die gesetzlich vor gesehenen Abstimmungserläuterungen abgegeben. Daneben liess auch die Schulpflege ein Schreiben über die Schülerinnen und Schü ler verteilen und den Inhalt zusätzlich noch in der regionalen Presse publizieren. Damit hat die Schulpflege unzulässigerweise in den Ab stimmungskampf eingegriffen. Der Gemeinderat verkennt hier die Tragweite der erlaubten Aktivitäten von Gemeindebehörden. Die In-
formationspflicht ist bereits durch die Abstimmungserläuterungen abgedeckt. Daran ändert auch nichts, dass in diesem Schreiben die Eltern nicht direkt aufgefordert wurden, für die Vorlage zu stimmen. Die Schulpflege bringt darin jedenfalls einzig ihre Position zum Aus druck, indem sie die Vorteile des Neubaus schildert und die Vorlage zur Annahme empfiehlt. Gleiches gilt auch für das vom Schulleiter an die Lehrkräfte gesandte E-Mail. Ganz generell ist es unzulässig über die offiziellen Abstimmungserläuterungen hinaus, staatliche Mittel und Wege für den Abstimmungskampf einzusetzen, sei dies nun über Publikationen in Zeitungen, über die Abgabe von Schreiben an die Schüler sei dies über schulinterne Mailnachrichten. Es ist nicht ersichtlich und wird vom Gemeinderat auch nicht vorgebracht, dass diese Aktivitäten der Schulpflege und des Schulleiters notwen dig gewesen wären, um krassen Verzerrungen und Verfälschungen in der gegnerischen Abstimmungspropaganda entgegenzutreten grobe Fehler richtig zu stellen. Damit widerspricht dieses Vorgehen der heute geltenden Praxis. Demzufolge bleibt festzustellen, dass die Gemeindebehörden im vorliegenden Falle über das zulässige Mass hinaus in den Abstimmungskampf eingegriffen haben. 3. Zu prüfen bleibt, welche Folgen der unzulässigen Einfluss nahme zu geben sind. Nachdem sich die Auswirkungen nicht ziffern mässig ermitteln lassen, muss aufgrund der Umstände ein Einfluss auf das Abstimmungsergebnis im Bereich des Möglichen liegen. Da bei ist insbesondere auf die Grösse des Stimmenunterschiedes, die Schwere des konstatierten Fehlers und dessen Bedeutung im Rahmen der gesamten Abstimmung abzustellen. Kann die Möglichkeit, dass die Beschlussfassung ohne den Mangel anders ausgefallen wäre, als derart gering eingestuft werden, dass sie nicht mehr ernsthaft in Be tracht kommt, so wird von einer Kassation abgesehen (AGVE 1992, S. 499). In Würdigung aller Umstände erscheint ein anderer Ausgang der Abstimmung über das Kreditbegehren für den Neubau der Turn halle Dorf als ausgeschlossen. Einerseits kann die Beeinflussung als nicht allzu gross eingestuft werden. So ist etwa die These, dass die Eltern aufgrund zu befürchtender Nachteile für ihre Kinder die Lehrerschaft aufgrund des Abhängigkeitsverhältnisses von der Schule ohne weiteres für Schulanliegen eingespannt werden könnten,
etwas sehr konstruiert bzw. lebensfremd. Zudem wurde das für die Eltern gedachte Schreiben nicht von allen Lehrkräften an die Schüle rinnen und Schüler verteilt. Dies schränkt den Kreis der möglicher weise beeinflussten Eltern von vornherein ein. Die Einflussnahme durch die Publikation in der Zeitung darf ebenfalls nicht überschätzt werden, da die Leserinnen und Leser auch ohne diese Mitteilung da von haben ausgehen können, dass die Schulpflege die Vorlage unter stützt. Schliesslich spricht selbst die Teilnehmerzahl von 254 Stimmberechtigten nicht dafür, dass gerade für dieses Schulanliegen aussergewöhnlich viele Leute zusätzlich hätten mobilisiert werden können. Diese liegt nur leicht über dem Durchschnitt und entspricht aufgrund der traktandierten Geschäfte vielmehr den Erwartungen. Andererseits liegt ein klares Abstimmungsergebnis vor. Die Nein Stimmen machen lediglich einen Anteil von 10 % der Anwesenden aus, wogegen die überwiegende Mehrheit sich für den Kredit ausge sprochen hat. Demnach lässt eine realistische Einschätzung der ge samten Umstände nur den Schluss zu, dass die Vorlage auch ohne die unerlaubte Einflussnahme angenommen worden wäre. Das angefoch tene Abstimmungsergebnis bringt daher den wirklichen Willen der Stimmberechtigten zum Ausdruck, weshalb eine Kassation der Ab stimmung zu unterbleiben hat.