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V. Enteignungsrecht
51 Festsetzung des Verkehrswerts bei formeller Enteignung (§ 143 Abs. 1 lit. a BauG). - Grundsatz der vollen Entschädigung gemäss Art. 26 Abs. 2 BV und § 21 Abs. 4 KV (Erw. 2/a). - Präferenz für die statistische Vergleichsmethode (Erw. 2/b). - Massgebender Zeitraum für die Heranziehung von Vergleichspreisen; Folgerungen aus dem Umstand, dass die Preisgestaltung im Regelfall vergangenheitsbezogen ist; Ausnahmen (Erw. 2/c). - Fehlende Gesetzmässigkeit zwischen den Preisen für Industrie- und jenen für Wohnbauland (Erw. 2/d). - Rechtsanwendung: Bejahung der Marktüblichkeit bei einem im Streite liegenden Grundstück; Bedeutung einer Unternehmerklausel im Kaufvertrag (Erw. 3/a). Festlegung der Kriterien für die Heranzie- hung von Vergleichsgrundstücken (Erw. 3/b). Erhebung von Ver- gleichspreisen in Gemeinden der nähern Region; Extrapolationsmög- lichkeiten (Erw. 3/c). Hochrechnung der vergleichbaren Landwerte auf den Stichtag; Festlegung der Preissteigerungsquote anhand kan- tonaler Bodenpreisstatistiken (Erw. 3/d).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 19. November 2003 in Sachen Erbengemeinschaft W. und Mitb. gegen Schätzungskommission nach Baugesetz.
Aus den Erwägungen
2. a) Bei Enteignungen ist volle Entschädigung zu leisten (Art. 26 Abs. 2 BV; § 21 Abs. 4 KV; Art. 5 Abs. 2 RPG; § 138 BauG). Dies bedeutet, dass dem Enteigneten der durch die Enteig- nung entstandene Schaden voll auszugleichen ist; er soll weder einen Verlust erleiden noch einen Gewinn erzielen, also nach der
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Enteignung wirtschaftlich gleichgestellt sein wie vorher (BGE 127 I 190 mit Hinweisen; Ulrich Häfelin / Georg Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Auflage, Zürich 2002, Rz. 2107). Bei einer materiellen Enteignung bemisst sich die Entschädigung nach dem Minderwert, wie er im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Ei- gentumsbeschränkung entstanden ist (BGE 119 Ib 233 mit Hinwei- sen). b) Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist der zu ent- schädigende Verkehrswert (§ 143 Abs. 1 lit. a BauG) primär anhand von Vergleichspreisen festzulegen (statistische Methode Ver- gleichsmethode). Was eine unbestimmte Vielzahl von Kaufinteres- senten auf dem freien Markt für das enteignete Grundstück bezahlt hätte, lässt sich am zuverlässigsten auf Grund der tatsächlich gehan- delten Preise für vergleichbare Liegenschaften ermitteln. Allerdings führt diese Methode nur dann zu richtigen Resultaten, wenn Ver- gleichspreise in genügender Zahl für Objekte ähnlicher Beschaffen- heit zur Verfügung stehen. An diese Voraussetzungen dürfen jedoch nicht zu hohe Anforderungen gestellt werden. So erfordert die Ver- gleichbarkeit nicht, dass in Bezug auf Lage, Grösse, Erschliessungs- grad und Ausnützungsmöglichkeiten praktisch Identität besteht. Un- terschieden der Vergleichsgrundstücke kann durch Preiszuschläge -abzüge Rechnung getragen werden. Auch braucht das Ver- gleichsgrundstück nicht im selben Quartier zu liegen, sofern es hin- sichtlich Lage, Umgebung, Ausnützungsmöglichkeit usw. dem Schätzungsobjekt ähnlich ist. In der Regel lässt sich selbst aus ver- einzelten Vergleichspreisen auf das allgemeine Preisniveau schlies- sen. Sind nur wenige Kaufpreise bekannt, müssen diese besonders sorgfältig untersucht werden; sie können nur insoweit zur Entschädi- gungsbestimmung verwendet werden, als dem Vertragsabschluss nicht - wie etwa bei Verkäufen unter Verwandten sowie bei Arrondie- rungs- und ausgesprochenen Spekulationskäufen - unübliche Ver- hältnisse zu Grunde liegen. Nur wenn überhaupt keine Vergleichs- preise vorhanden sind, dürfen sich die Schätzungsbehörden auf die ausschliessliche Anwendung von Methoden beschränken, die - wie die Lageklassemethode die Methode der Rückwärtsrechnung - auf blosse Hypothesen abstellen, auf heute nicht mehr durchwegs
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geltenden Rentabilitätsüberlegungen beruhen und bei denen das Er- gebnis selbst durch kleinere Erhöhungen Reduktionen der Aus- gangswerte fast beliebig verändert werden kann (siehe zum Ganzen: BGE 122 I 173 f. mit Hinweisen; BGE vom 1. Juli 1997, in: ZBl, 99/1998, S. 142). Das Bundesgericht zieht also die statistische Methode allen andern Wertermittlungsmöglichkeiten vor. Wenn irgend möglich soll der Verkehrswert anhand von Vergleichspreisen bestimmt werden. Dabei wird auch in Kauf genommen, dass unter Umständen auch Vergleichskäufe in benachbarten Gemeinden in die Betrachtung ein- bezogen werden müssen. Allerdings kommt dies nur in Frage, wenn sich die fraglichen Grundstücke mit dem Schätzungsobjekt hinsicht- lich Lage, Erschliessung, Nutzungsmöglichkeiten und weiteren preis- bestimmenden Faktoren tatsächlich vergleichen lassen. Diese Vor- aussetzung dürfte in relativ homogenen, mehrheitlich ländlich ge- prägten Verhältnissen eher gegeben sein als in Gebieten mit einer starken Bautätigkeit (ZBl 99/1998, S. 143). c) Sind für die Wertbestimmung in erster Linie schlüssige Ver- gleichspreise heranzuziehen, so stellt sich als nächstes die Frage, welcher Zeitraum dafür massgebend ist. Die bisherige Rechtspre- chung des Verwaltungsgerichts geht dahin, dass Vergleichspreise, denen bedeutende zeitliche räumliche Abstände zu Grunde lie- gen, nicht in die Beurteilung einbezogen werden (VGE I/77 vom 9. Dezember 1993 [BE.1992.00118] in Sachen Einwohnergemeinde Schwaderloch, S. 12; siehe auch Erich Zimmerlin, Baugesetz des Kantons Aargau, Kommentar, 2. Auflage, Aarau 1985, § 194 N 1a). Massgebender Zeitpunkt für die Verkehrswertermittlung war in die- sem Urteil der 21. März 1991 (Datum des angefochtenen Entscheids der Schätzungskommission). Herangezogen zum statistischen Ver- gleich wurden Verkäufe mit den Abschlussdaten vom 13. März 1989, 9. November 1989, 20. Dezember 1989 und 22. November 1990. Unberücksichtigt blieb ein am 6. Juni 1991 getätigter Verkauf, weil für die Ermittlung des Verkehrswerts in der Regel die Verhältnisse im Zeitpunkt des Entscheids der Schätzungskommission massgebend seien und sich nach den allgemeinen Grundsätzen über die Einzel- fallausnahmen keine Abweichung vom gesetzlichen Regelfall auf-
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dränge. Das Gleiche galt für einen am 14. November 1988 abge- schlossenen Kaufvertrag; ein Zeitraum von mehr als zwei Jahren zwischen Verkaufs- und Stichtag sei zu gross. Die Schätzungs- kommission zog im Sinne dieser Praxis grundsätzlich weder Preise, die mehr als zwei Jahre vor dem Stichtag liegen, noch solche, die nach dem Stichtag erzielt wurden, zum Vergleich heran. Die Beschwerdeführerinnen vertreten die Auffassung, in Zeiten markanter Landpreisbewegungen müsse beim Vergleich der zeitlich zurück- und nachliegenden Handänderungsfälle strikte zeitliche Symmetrie beachtet werden; beim massgebenden Stichtag 11. Juni 1988 seien also die Vergleichsfälle zwei Jahre vorher und zwei Jahre nachher zu betrachten. Diese Betrachtungsweise ist bezüglich der später erfolgten Handänderungen verfehlt. Der Enteignete soll so gestellt werden, wie wenn er sein Grundstück im Zeitpunkt der Ent- eignung freihändig veräussert hätte. Nun ist die Preisgestaltung in aller Regel vergangenheitsbezogen, d.h. der Landhandel richtet sich an früher erzielten Preisen mit vergleichbaren Objekten aus, unter Berücksichtigung der seither eingetretenen Wertsteigerung - abnahme. Wie sich die Zukunft gestaltet, ist rein spekulativ und kann sich deshalb bei der Verkehrswertbestimmung auch nicht direkt aus- wirken. Vorbehalten mag hier der Fall sein, dass eine künftige Ent- wicklung, welche die Preise ansteigen sinken lässt, bereits jetzt klar erkennbar ist, wie dies etwa bei Bauerwartungsland im Vorfeld einer beabsichtigten Einzonung zutreffen kann. Bei Beachtung der von den Beschwerdeführerinnen propagierten zeitlichen Symmetrie dagegen würde der auf diese Weise ermittelte Verkehrswert den am Stichtag im freien Handel erzielbaren Preis nicht mehr widerspie- geln, und es käme zu Verzerrungen. An der im zitierten VGE in Sachen Einwohnergemeinde Schwaderloch eingeschlagenen Linie ist somit grundsätzlich festzuhalten. Ein Ausblick in die auf den Stichtag folgende Zeitperiode er- weist sich noch unter einem andern, besondern Aspekt als sachge- recht. Namentlich wenn längere Zeit vor dem Stichtag keine Ver- gleichspreise verfügbar sind, kann es hilfreich sein, Vergleichspreise, die innerhalb eines gut überblickbaren Zeitraums nach dem Stichtag erzielt wurden, in die Beurteilung mit einzubeziehen, um den Verlauf
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der Preiskurve in der Spanne zwischen dem letzten Vergleichswert vor dem Stichtag und dem per Stichtag festzulegenden Verkehrswert zu interpretieren. Über eine Interpretationshilfe geht indessen der Einbezug solcher Vergleichspreise nicht hinaus. Es bleibt dabei, dass für die Bestimmung des Verkehrswerts ausschliesslich in der Vergan- genheit erzielte Vergleichspreise unmittelbar massgebend sind; sie bilden die Beurteilungsgrundlage. Ist die zeitliche Nähe zum Stichtag ausreichend, bzw. sind die Vergleichspreise unter diesem Aspekt ge- eignet, den Verkehrswert am Stichtag zu indizieren, muss es dabei ohne Ausblicke auf die Zeit nach dem Stichtag sein Bewenden ha- ben. d) Die Schätzungskommission hat festgestellt, innerhalb der massgebenden Zeitperiode finde sich in der Gemeinde Niederlenz - abgesehen von einem am 16. Mai 1989 auf der Parzelle Nr. 1642 im "Oberen Lenzhardfeld" begründeten selbständigen und dauernden Baurecht - kein einziges Grundstück, das in der Industriezone liege und diesbezüglich zum Vergleich tauglich sei. In dieser Situation komme auch den für Bauland in der Wohnzone bezahlten Preisen eine Bedeutung zu. Wie die Fachrichter der Schätzungskommission aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung wüssten, entspreche der Preis von Bauland in der Industriezone bei normaler Konjunkturlage etwa der Hälfte des Preises, der für Wohnbauland erzielt werde. In Phasen mit grossen Schwankungen erreiche der Industrielandpreis dagegen oft nur noch einen Drittel des Wohnbaulandpreises, was gegen Schluss der Immobilienpreishausse Ende der Achtzigerjahre wohl der Fall gewesen sei. Der hier relevante Stichtag liege zu Beginn dieser durch fast exponentiell ansteigende Immobilienpreise gekenn- zeichneten Endphase. Es sei deshalb davon auszugehen, dass sich die Industrielandpreise noch immer auf ungefähr der Hälfte des Preises für Wohnbauland belaufen hätten. Im Weitern könne unter Zugrunde- legung der Preise, die zuletzt für die im Streit liegenden Grundstücke bezahlt worden seien, der Verkehrswert für Industrieland im Sinne einer Kontrollrechnung zur "Hälfteregel Wohnzone", angelehnt an die prozentuale Preissteigerung in den andern Bauzonen, extrapoliert werden. Dabei würden die früher bezahlten Preise um die um die
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Hälfte reduzierte prozentuale Wertsteigerung der Vergleichszonen erhöht. Die Beschwerdeführerinnen bezeichnen die "Regel", wonach der Baulandpreis in der Industriezone etwa der Hälfte bis einem Drit- tel des Wohnbaulandpreises entspreche, unter Berufung auf einen von ihnen konsultierten "erfahrenen und renommierten Immobilien- treuhänder" als nicht haltbar, und sie unterlegen diesen Einwand mit Vergleichswerten aus der Gemeinde Niederlenz und verschiedenen Nachbargemeinden. Das Verwaltungsgericht teilt diese Bedenken. Die angeführte Gesetzmässigkeit zwischen den Preisen für Industrie- und Wohnbauland gibt es namentlich darum nicht, weil die Nachfrage nach derartigem Land von gänzlich unterschiedlichen Faktoren abhängt. Die Schätzungskommission weist selber zu Recht darauf hin, dass bei Bauland für Wohnzwecke nicht nur ökonomische Faktoren wie die Ausnützungsziffer, sondern auch ideelle Aspekte wie die Lage des Grundstücks die persönliche Situation der Interessenten die Preisbildung massgeblich beeinflussten. Bei Industrieland spielen derartige Gesichtspunkte praktisch keine Rolle. Zudem sind die Nutzungsmöglichkeiten und die lagemässigen Gegebenheiten von Gemeinde zu Gemeinde anders. Die der Ver- kehrswertbestimmung zugrunde zu legende Preisstatistik hat sich deshalb auf die Industriezone zu beschränken, und eine Auswertung der in den Wohnzonen erzielten Landpreise kann unterbleiben. 3. Die Anwendung der vorstehend aufgeführten Grundsätze auf den vorliegenden konkreten Einzelfall ergibt Folgendes: a) In der massgebenden Zweijahresperiode vor dem Stichtag (11. Juni 1988) gab es, wie dies bereits die Schätzungskommission angemerkt hat, in der Gemeinde Niederlenz keinen eigentlichen Han- del für Industriezonenland. Die einzige diesbezügliche Handände- rung betrifft die Parzelle Nr. 1026, welche mit Kaufvertrag vom 12. Juni 1986 von der Beschwerdeführerin 2 an die N. AG zu einem Preis von Fr. 177.--/m2 veräussert wurde. (...). Sofern es sich um einen marktüblichen Preis handelt, steht nichts entgegen, das Rechtsgeschäft vom 12. Juni 1986 hier zu be- rücksichtigen, auch wenn es sich um ein im Streite liegendes Grund- stück handelt. Die Frage der Marktüblichkeit ist dabei zu bejahen.
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Zunächst können die Auszonungsbestrebungen, welche damals in der Gemeinde Platz griffen und darin gipfelten, dass am 22. Dezember 1986 eine Initiative auf Zuweisung u.a. der Parzelle Nr. 1026 zum übrigen Gemeindegebiet eingereicht wurde, kaum auf den Kaufpreis abgefärbt haben, da sich die Käuferin mit der im Kaufvertrag verein- barten Rücktrittsklausel für den Fall, dass ihr eine Baubewilligung für den geplanten Industrieneubau rechtskräftig verweigert werden sollte, eines entsprechenden Risikos entledigte. Zudem hatte die Gemeindeversammlung noch am 30. November 1984 einen Antrag auf Auszonung der Industriezone 2 nördlich des Lenzhardwegs deutlich abgelehnt. Die Beschwerdeführerinnen weisen sodann in diesem Zusammenhang darauf hin, dass sich die Verkäuferin (und Beschwerdeführerin 2) das Recht ausbedungen habe, bei der Über- bauung der Parzelle Nr. 1026 sämtliche Erd-, Baumeister- und Zimmereiarbeiten ausführen zu können; sie habe also den Verkauf nicht nur nach dem Preis, sondern auch unter dem Blickwinkel der Auftragsbeschaffung bewertet. Es mag sein, dass der Kaufpreis ohne die Unternehmerverpflichtung etwas höher vereinbart worden wäre, aber von erheblicher Relevanz kann dieser Umstand auch nicht ge- wesen sein, wurde doch die Übertragung der Arbeiten an "ortsübli- che, mittlere Konkurrenzpreise und Bedingungen" geknüpft. b) Es versteht sich von selbst, dass beim Vorliegen eines einzi- gen Vergleichspreises, der zudem ganz am Anfang der Beurtei- lungsperiode erzielt wurde, ohne weitere schlüssige Indikatoren kein repräsentatives Bild entsteht. Der Blick auf die Verhältnisse in den Nachbargemeinden bzw. der näheren Region erweist sich deshalb als unumgänglich. Vorgängig muss festgelegt werden, nach was für Kri- terien allfällige Vergleichsgrundstücke heranzuziehen sind. Dies wie- derum hängt von der Qualität der Grundstücke ab, für welche die Enteignungsentschädigung festzulegen ist. In den vorangegangenen Entscheiden hat das Verwaltungsge- richt die im "Lenzhardfeld" gelegenen Grundstücke der Beschwer- deführerinnen als für eine allfällige Überbauung geeignet und ins- besondere als groberschlossen qualifiziert. Sie seien eben, rechteckig geformt und genügend gross. Die verkehrsmässige Anbindung er- folge über den Lenzhardweg, der ein Teil der um die Industriezone 1
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herumführenden Ringstrasse sei; die kanalisationsmässige Entwässe- rung sowie Wasser- und Energieversorgung seien ebenfalls gewährleistet. Zulässig waren in der Industriezone 2, in welcher sich die fraglichen Grundstücke befanden, Industrie-, Gewerbe- und Dienstleistungsbetriebe (Art. 45 Abs. 1 der Bauordnung der Ge- meinde Niederlenz vom 30. November 1984 / 31. Mai 1988 [BO 84]). Störende Betriebe waren zugelassen, soweit benachbarte Wohngebiete keinen übermässigen Einwirkungen ausgesetzt waren (Art. 45 Abs. 2 BO 84). Der für die Industriezone 2 geltende Immissionsgrad 3 ("störend") galt für Betriebe, von denen starke Beeinträchtigungen ausgehen (Art. 38 lit. c i.V.m. Art. 39 Abs. 2 BO 84). Im Zusammenhang mit der Immissionsproblematik führte das Verwaltungsgericht aus, die Parzellen Nrn. 1026, 1580, 1581 und 1582 lägen weit von den Wohnzonen der Gemeinde Niederlenz entfernt, weshalb sie ohne Störungspotential auf Anwohner überbaut werden könnten; dieser Vorteil werde allerdings durch die häufige Westwindlage sowie den Umstand relativiert, dass der motorisierte Verkehr entweder über Lenzburg - von Norden her kommend - durch das Dorf Niederlenz fahren müsse, um zur Industriezone zu gelangen. Gestützt auf diese - nie bestrittenen - Ausführungen dürfen Lage und Nutzungsmöglichkeiten der umstrittenen Grundstücke als gut bezeichnet werden. Die Lagequalität wird zudem durch die nahe Autobahn erhöht (vom "Lenzhardfeld" zum Autobahnanschluss Aarau-West sind es etwa 4.5 km, zum Autobahnanschluss Lenzburg etwa 3.8 km). Bei der Heranziehung von Vergleichspreisen aus an- dern Gemeinden ist auf ähnlich situierte, zumindest groberschlossene Grundstücke von ungefähr gleicher Fläche abzustellen. Vergleichbar sind sodann nur unüberbaute Grundstücke. Zu berücksichtigen ist ferner, dass die dienstbarkeitsvertraglich gesicherte Möglichkeit zur Realisierung eines Bahnanschlusses den Wert von Industrieland eher erhöht. Vernachlässigbar ist dagegen - entgegen der Meinung der Schätzungskommission -, dass auf der westlich angrenzenden Par- zelle Nr. 666 eine Schiessanlage betrieben wird; auf eine Industrie- baute wirkt sich deren Konfliktpotential schon deshalb nicht
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nennenswert aus, weil der Schiesslärm erfahrungsgemäss grössten- teils ausserhalb der ordentlichen Arbeitszeiten anfällt. c) aa) Bereits die Schätzungskommission hat für die Jahre 1986 bis 1989 Industrielandpreise in den vier Gemeinden Dintikon, Hun- zenschwil, Schafisheim und Seon erhoben. Das Verwaltungsgericht hat seinerseits von den Gemeinden Birr, Brunegg, Dintikon, Eglis- wil, Hendschiken, Hunzenschwil, Lenzburg, Lupfig, Mägenwil, Mö- riken-Wildegg, Othmarsingen, Rupperswil, Schafisheim und Seon die vollständigen Grundstücksmutationen in der Industriezone im Zeitraum vom 1. Juni 1986 bis 30. Juni 1989 einverlangt. Die tabellarische Übersicht zeigt dabei das folgende Bild (berücksichtigt sind ausschliesslich unüberbaute Grundstücke): (...) bb) Im Folgenden ist zu prüfen, welche dieser Vergleichspreise bei der Festsetzung des Verkehrswerts per 11. Juni 1988 schlüssige Anhaltspunkte liefern können. aaa) (...) bbb) Unter den verbleibenden Handänderungsgeschäften, wel- che innerhalb der Vergleichsperiode getätigt wurden, sind naturge- mäss in erster Linie jene relevant, welche möglichst nahe beim Stichtag (11. Juni 1988) liegen, weil dann bei der Extrapolation auf diesen Tag am wenigsten Ungenauigkeiten in Kauf genommen wer- den müssen. (...). Zu den Extrapolationsmöglichkeiten (vorne Erw. 2/c) ergibt sich was folgt: · Der Verkauf der 12'407 m2 haltenden Parzelle Nr. 570 in Dintikon ist am 22. Januar 1988 zu einem Preis von Fr. 2'605'470.-- bzw. umgerechnet Fr. 210.--/m2 erfolgt. Am 5. Juli 1989 ist dasselbe Grundstück zum Preis von Fr. 3'722'100.-- bzw. umgerechnet Fr. 300.--/m2 weiterver- äussert worden. Geht man von einer linearen Preissteigerung zwischen dem 22. Januar 1988 und dem 5. Juli 1989 aus, betrug der Wert der Parzelle Nr. 570 am Stichtag somit rund Fr. 240.--/m2. · Die Veräusserung der 9'574 m2 haltenden Parzelle Nr. 1005 in Hunzenschwil ist am 22. Juni 1987 zu einem Preis von
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Fr. 1'972'244.-- bzw. umgerechnet Fr. 206.--/m2 erfolgt. Am 28. September 1988 ergab der Verkauf der - im gleichen Ge- biet ("Neuland") gelegenen - Parzelle Nr. 1006 im Halte von 8'043 m2 den Preis von Fr. 2'091'180.-- bzw. umgerechnet Fr. 260.--/m2. Geht man wiederum von einer linearen Preis- steigerung aus, ergibt sich für den Stichtag ein Wert von knapp Fr. 250.--/m2. · Der Verkauf der 20'443 m2 haltenden Parzelle Nr. 1943 in Seon ist am 6. Januar 1988 zu einem Preis von Fr. 3'986'385.-- bzw. umgerechnet Fr. 195.--/m2 erfolgt. Ebenfalls zum Preis von Fr. 195.--/m2 ist am 15. Januar 1988 die im gleichen Gebiet ("Birren") gelegene Parzelle Nr. 3437 im Halte von 2'508 m2gehandelt worden, wobei die Einwoh- nergemeinde Seon als Verkäuferin auftrat. An sich drängt sich hier die Überlegung auf, ob der Umstand, dass die Gemeinde mit Kaufvertrag vom 6. Januar 1987 dasselbe Grundstück zum Preis von Fr. 72.--/m2 erworben hatte, eine Hochrechnung des diesbezüglichen Preissteigerungsfaktors auf den Stichtag erlaubt. Davon ist nun freilich abzusehen, weil der Vergleich der beiden Erwerbspreise vom 6. Januar 1987 und vom 15. Januar 1988 eine mit Sicherheit unrealisti- sche Steigerungsquote von (auf das Jahr umgerechnet) 71% ergibt (siehe dazu hinten Erw. d/cc). d) aa) Ausgangspunkt für die Bestimmung des Verkehrswerts bildet der am 12. Juni 1986 erzielte Preis von Fr. 177.--/m2 für die Parzelle Nr. 1026 (vorne Erw. a). Von einer Hochrechnung auf den Stichtag anhand von Vergleichspreisen in der Gemeinde selber muss hier abgesehen werden. Aktenkundig ist zwar die Begründung eines selbständigen und dauernden Baurechts auf der Parzelle Nr. 1642 im "Oberen Lenzhardfeld", öffentlich beurkundet am 16. Mai 1989. Rein von der zeitlichen Situierung her könnte der dem Baurechtszins zugrunde gelegte Bodenpreis von Fr. 150.--/m2 im Rahmen der Preiskurvenbestimmung herangezogen werden (vorne Erw. 2/c). Dies verbietet sich aber, weil ein Bodenwert, der bei tendenziell steigen- den Landpreisen unter einem rund drei Jahre vorher für ein Grund- stück im gleichen Gebiet erzielten Preis liegt, von vornherein nicht
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relevant sein kann. Mit der Schätzungskommission ist das Verwal- tungsgericht im Übrigen der Ansicht, dass ein in einem Baurechts- vertrag angenommener Bodenpreis nicht ohne weiteres einem ge- handelten Marktwert gleichgestellt werden kann, weil die Rahmen- bedingungen anders sind als bei einem Kaufvertrag. bb) Insgesamt stehen somit vier Vergleichspreise für die Fest- setzung des Verkehrswerts am Stichtag (11. Juni 1988) zur Verfü- gung. Das Verwaltungsgericht geht dabei davon aus, dass bezüglich der Eignung zur Überbauung (Lage, Form, Beschaffenheit) und des Erschliessungsgrads keine hier ins Gewicht fallenden Unterschiede bestehen. Näher zu betrachten ist lediglich die Qualität der Anbin- dung an die Autobahn. Diesbezüglich hat die Schätzungskommission erwogen, die Industriezone von Hunzenschwil liege ungleich besser als die Grundstücke der Beschwerdeführerinnen. Während jene direkt am Autobahnanschluss Aarau-Ost gelegen sei, führten die Wege vom "Lenzhardfeld" zur Autobahn durch Lenzburg hindurch. Dieser Unterschied müsse sich in einer deutlichen Preisdifferenz auswirken. Unter dem Erschliessungsaspekt sei Niederlenz eher mit Seon vergleichbar, dessen Industriezone ebenfalls nicht direkt an der Autobahn liege, wobei die Distanz zum Autobahnanschluss aber län- ger sei. Das Verwaltungsgericht misst diesem Kriterium hier weniger Bedeutung bei; Distanzunterschiede von 1 - 4 km zur Autobahn sind in der Regel für einen Industriebetrieb irrelevant. cc) Die Anwendung der statistischen Methode (vorne Erw. 2/b) kann somit auf vier vergleichbaren Landwerten basieren. Die beiden Werte aus den Gemeinden Dintikon und Hunzenschwil von Fr. 240.-- /m2 bzw. Fr. 250.--/m2 sind dabei bereits anhand von Vergleichsprei- sen in den betreffenden Gemeinden selber auf den Stichtag hochge- rechnet. Bei den beiden Werten aus den Gemeinden Niederlenz (Veräusserungsdatum: 12. Juni 1986) und Seon (Veräusserungsda- tum: 6./15. Januar 1988) rechtfertigt es sich, die Extrapolation auf- grund der allgemeinen Preissteigerung vorzunehmen, welche im damaligen Zeitraum bei den Industrielandpreisen zu verzeichnen war. Aus den von den Beschwerdeführerinnen ins Recht gelegten Bodenpreisstatistiken der Kantone und Zürich und Basel-Landschaft
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(gemäss Auskunft des Chefs des Statistischen Amts führt der Kanton Aargau keine derartige Statistik) lässt sich herauslesen, dass · im Kanton Zürich (ohne Stadt Zürich) seit dem Jahr 1983,
als die Preise nach einer Stabilisierungsphase deutlich anzu- ziehen begannen, die durchschnittliche jährliche Zuwachs- rate auf den Gewerbe- und Industriebaulandpreisen bis 1988 24% (Schnitt = Preise je m2 mit m2-Gewicht), 20% (Mittel = arithmetisches Mittel der m2-Preise) und 15% (Median = Wert, unter und über dem jeweils die Hälfte der Werte liegt) betrug sowie zwischen 1987 und 1988 die Preise um 21% (Schnitt), 26% (Mittel) und 12% (Median) stiegen, · im Kanton Basel-Landschaft die durchschnittliche jährliche
Zuwachsrate auf den Baulandpreisen in den Industriezonen zwischen 1985 und 1990 22% betrug. Dem entsprechen in etwa auch die Preissteigerungen, welche die Parzelle Nr. 570 in Dintikon (auf das Jahr umgerechnet 29%) und die Parzelle Nr. 1005 in Hunzenschwil (auf das Jahr umgerechnet 21%) mitgemacht haben. Die Annahme einer jährlichen Steigerungs- quote von 20% dürfte der damaligen Realität im Kanton Aargau bzw. in Niederlenz und seiner Region am nächsten kommen. Demzufolge betragen die Landwerte per Stichtag für die Parzelle Nr. 1026 in Niederlenz Fr. 248.--/m2 (+ 40%) und für die Parzellen Nrn. 1943 und 3437 in Seon Fr. 215.--/m2 (+ 10%). Das arithmetische Mittel der vier Werte ergibt für die Parzellen Nrn. 1026, 1580, 1581 und 1582 einen Verkehrswert per 11. Juni 1988 von Fr. 238.--/m2 bzw. gerundet Fr. 240.--/m2.
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