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86 Entschädigung mit Vorsorgecharakter (§ 34 Abs. 3 lit. e aStG).
- Der Umstand, dass ein Steuerpflichtiger nach dem Ausscheiden aus
einer Firma weiterhin einer gewissen (dauerhaft erheblich schlechter
entlöhnten) Erwerbstätigkeit nachgeht, schliesst den Vorsorge-
charakter einer Kapitalabfindung nicht aus, wenn diese den finan-
ziellen Schaden ausgleichen soll, welcher dem Steuerpflichtigen
durch die lebenslängliche Kürzung der Pensionskassenrente infolge
Ausscheiden vor dem reglementarischen Pensionsalter entsteht.
20. Februar 2003 in Sachen R. + A.B., RV. 2002.50056/K 7241
3. a) Der Rekurrent war seit mehr als 30 Jahren bei der X. tätig.
Anlässlich der Übernahme einer neuen Aufgabe innerhalb der X.
hatte er per 1. Januar 1999 vereinbart, den neuen Job noch bis zum
31. Oktober 2001 auszuüben und dann, nach 38 Dienstjahren mit
dem maximalen Rentenanspruch von 65 % in den vorzeitigen Ruhe-
stand zu treten. Anfangs Dezember 1999 ist ihm überraschend eröff-
net worden, dass der von ihm geleitete Geschäftsbereich per 1. Janu-
ar 2000 mit jenem der Y. zusammengelegt und von Deutschland aus
geführt werde. Es wurde dem Rekurrenten mangels einer passenden
andern Aufgabe nahegelegt, den vereinbarten Rücktritt auf den
31. März 2000 vorzuziehen. In diesem Zusammenhang haben die X.
und der Rekurrent die folgende Vereinbarung vom 23. Dezember
1999 abgeschlossen:
"Wie bereits mit Ihnen besprochen, werden Sie per 31. März 2000 von
der Möglichkeit der vorzeitigen Pensionierung Gebrauch machen. In diesem
Zusammenhang setzen wir voraus, dass Sie bei der Firma Z. das Arbeits-
verhältnis per 1. April 2000 aufnehmen werden.
Die Altersrente aus der Pensionskasse wird bei vorzeitiger Pensionie-
rung reglementarisch gekürzt. Als teilweisen Ausgleich für die Kürzung der
lebenslänglich geschuldeten Rente sind wir bereit, ihnen als einmalige
Zahlung den Betrag von Fr. 120'000.-- im April 2000 (abzüglich allfällig
geschuldete AHV/IV/ALV Arbeitnehmerbeiträge) auszuzahlen.
Ein provisorischer Leistungsausweis der Pensionskasse liegt diesem
Schreiben bei. Die definitive Leistungszusicherung erhalten Sie nach Vor-
liegen der definitiven Salärzahlen.
Der SUVA-Versicherungsschutz für Betriebs- und Nichtbetriebsunfall
fällt bei Pensionierung weg. Es ist deshalb unbedingt notwendig, ab dem
Datum der Pensionierung die Krankenversicherung zu ergänzen und das
Unfallrisiko zu versichern."
Am 25. April 2000 wurden dem Rekurrenten gestützt auf diese
Vereinbarung Fr. 116'401.-- ausbezahlt.
b) Der Rekurrent stellt den Antrag, die Fr. 116'401.-- seien als
Abgangsentschädigung mit Vorsorgecharakter im Sinne von § 34
Abs. 3 lit. e aStG zu 40 % des Tarifs B zu besteuern, weil die Zah-
lung von der Arbeitgeberin klar und eindeutig als Vorsorgekapital
definiert und ausbezahlt worden sei. Das Kapital bilde eine Teilkom-
pensation der aus dem vorzeitigen Rücktritt resultierenden, lebens-
langen Renteneinbusse von Fr. 7'764.-- pro Jahr. Zu jenem Zeitpunkt
sei es noch nicht möglich gewesen, Kapitalzahlungen zur Auf-
stockung des Rentenkapitals in die Pensionskasse der X. (nach Leis-
tungsprimat) einfliessen zu lassen. Damit sei nur der Weg einer Aus-
zahlung offen geblieben. Die Vorinstanz vertritt demgegenüber die
Auffassung, dass der Kapitalzahlung kein Vorsorgecharakter zu-
komme, weil der Rekurrent weiterhin einer Erwerbstätigkeit nachge-
he.
4. a) Zu entscheiden ist also, ob eine Entschädigung mit Vorsor-
gecharakter vorliegt. Fest steht, dass nicht jede Entschädigung bei
Beendigung eines Arbeitsverhältnisses Vorsorgecharakter im Sinne
von § 34 Abs. 3 lit. e aStG hat. Je nach den Umständen kann es sich
um eine Lohnnachzahlung für jahrelange Dienstleistungen handeln
(ein Hauptfall der Entschädigung für wiederkehrende Leistungen im
Sinne von § 34 Abs. 1 lit. b aStG) aber um Entschädigungen für
das Ausbleiben künftiger Lohnzahlungen. Bei den letzteren stellt sich
die Frage der Abgrenzung zu den Zahlungen mit "Vorsorgecharakter"
(Baur/Klöti/Koch/Meier/Ursprung, Kommentar zum Aargauer
Steuergesetz, Muri-Bern 1991, § 34 aStG N 13).
b) Bis Ende 1994 lautete der entsprechende § 34 Abs. 3 lit. c
aStG wie folgt:
"zu 40 % des Tarifs A:
a) ...
b) ...
c) Entschädigungen mit Vorsorgecharakter bei Beendigung des
Arbeitsverhältnisses."
Seit dem 1. Januar 1995 und damit auch im vorliegenden Fall
ist § 34 Abs. 3 lit. e aStG anwendbar, welcher neu ausdrücklich
festhält, dass unter Entschädigungen mit Vorsorgecharakter insbe-
sondere Abgangsentschädigungen bei vorzeitiger Pensionierung
fallen. Dazu kann den Materialien zur Teilrevision 1995 des Steuer-
gesetzes folgendes entnommen werden (Botschaft des Regierungs-
rates des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 11. November
1992, S. 23):
"In der Veranlagungspraxis führt die Abgrenzung von Kapitalzahlun-
gen nach § 34 Abs. 1 lit. a und § 34 Abs. 3 lit. c aStG bisweilen zu Abgren-
zungsproblemen. Oft wird eine solche Zahlung zum Teil als Über-
brückungsentschädigung (finanzielle Erleichterung bis zum Antritt einer
neuen Stelle) voll, zum andern Teil als Zahlung mit Vorsorgecharakter zu
40 % des Tarifs besteuert. Abgangsentschädigungen bei vorzeitiger
Pensionierung haben in der Regel Vorsorgecharakter, weshalb dem in den
Vernehmlassungen geäusserten Wunsch nach einer entsprechenden ge-
setzlichen Konkretisierung nachgekommen werden kann."
Der neue Zusatz in § 34 Abs. 3 lit. e aStG zeigt, dass der Ge-
setzgeber vor allem Abgangsentschädigungen bei vorzeitiger Pensio-
nierung steuerlich privilegieren will. Die Aufzählung der unter § 34
Abs. 3 lit. e aStG fallenden Tatbestände ist allerdings nicht abschlies-
send. Der Wortlaut des Zusatzes ("insbesondere") lässt auch bei an-
deren, mit einer vorzeitigen Pensionierung vergleichbaren Fällen
eine steuerliche Privilegierung zu. Anderseits ist aufgrund der oben
erwähnten Ausführungen in der Botschaft, wo sowohl die "Über-
brückungsentschädigungen" als auch die "Abgangsentschädigungen
bei vorzeitiger Pensionierung" erwähnt werden, und dem Umstand,
dass der Gesetzgeber in der Folge im Sinne einer Konkretisierung
(und nicht einer Änderung der [vom Gesetzgeber geschilderten] Pra-
xis) nur die "Abgangsentschädigungen bei vorzeitiger Pensionie-
rung" ausdrücklich ins Gesetz aufnahm, davon auszugehen, dass er
die "Überbrückungsentschädigungen" (weiterhin) steuerlich nicht
privilegieren will. Andernfalls hätte er letztere mit Sicherheit als
weiteres Beispiel in § 34 Abs. 3 lit. e aStG ebenfalls ausdrücklich
aufgeführt (RGE vom 30. Juni 1999 in Sachen K.B.).
c) Das Verwaltungsgericht hat sich diesen Ausführungen ange-
schlossen und folgendes hinzugefügt (VGE vom 28. Februar 2000 in
Sachen K. + R.B.):
"Nach der zuvor geltenden Rechtsprechung kam denjenigen Zahlun-
gen 'Vorsorgecharakter' zu, die dazu dienten, 'im Vorsorgefall (Tod, Alter,
Invalidität) dem Empfänger die Fortsetzung seiner gewohnten Lebenshal-
tung in angemessener Weise sicherzustellen', also namentlich den bei Ein-
stellung der Erwerbstätigkeit bei dauerhafter Einschränkung der Leis-
tungsfähigkeit der Einkommenserzielung ausgerichteten Zahlungen
(vgl. Koch, a.a.O., § 34 N 40 ff.), nicht aber blossen 'Überbrückungsent-
schädigungen' für die Zeit der Suche nach einer neuen Stelle. Hätte der
Gesetzgeber beabsichtigt, neu auch die Letzteren dem günstigeren Steuer-
satz des § 34 Abs. 3 StG zu unterstellen, so müsste dies in den Materialien
zur Gesetzesänderung seinen Ausdruck gefunden haben. Dies gilt umso
mehr, als sich eine derartige Privilegierung von Überbrückungsentschädi-
gungen sachlich keineswegs aufdrängt."
5. Vorweg ist festzuhalten, dass sich der vorliegende Fall sach-
verhaltsmässig mit keinem der vom Steuerrekursgericht bisher beur-
teilten Fällen direkt vergleichen lässt, so dass aus diesen Entscheiden
nichts für den vorliegenden Fall abgeleitet werden kann.
6. Der Rekurrent war im Zeitpunkt, als er aus der X. ausschied
und die Vereinbarung vom 23. Dezember 1999 über die Kapitalab-
findung abgeschlossen wurde, gut 56 Jahre alt. Gemäss dem Wortlaut
der Vereinbarung ging die X. davon aus, dass sich der Rekurrent
noch nicht vollständig aus dem Erwerbsleben zurückziehen, sondern
ab dem 1. April 2000 bei der Firma Z. ein Arbeitsverhältnis beginnen
werde (der Rekurrent hat sich dann entschieden, bei der Z. ein Bera-
tungsmandat auf Honorarbasis zu übernehmen [er hat per 8. Februar
2000 eine GmbH gegründet; am 25. Mai 2000 hat er eine Einzel-
firma im Handelsregister eintragen lassen]). Sie rechnete also damit,
dass der Rekurrent auch nach dem Ausscheiden aus der X. weiterhin
ein gewisses Erwerbseinkommen erzielt. Weil durch das Ausschei-
den des Rekurrenten vor dem reglementarischen Pensionierungsalter
eine lebenslängliche Kürzung der Pensionskassenrente resultiert (und
dem Rekurrenten überdies ab dem 1. April 2000 bis zum Zeitpunkt
der vom Rekurrenten beabsichtigten Pensionierung mit voller Rente
im Umfang der Differenz zwischen dem theoretisch erzielten Lohn
und der ausbezahlten Pensionskassenrente ein Einkommensausfall
entsteht), hat die X. dem Rekurrenten als teilweisen Ausgleich dieses
finanziellen "Schadens" einen Betrag von brutto Fr. 120'000.-- zuge-
sprochen (der Rekurrent hatte im Zeitpunkt der Kapitalauszahlung
eine mittlere Lebenserwartung von ca. 26 Jahren [vgl. Stauf-
fer/Schätzle, Barwerttafeln, Zürich 2001, Tafel 42], so dass sich der
"Schaden" infolge Rentenkürzung aufgrund der statistischen Lebens-
erwartung auf total Fr. 201'864.-- [26 x Fr. 7'764.--] beläuft). Gemäss
der Stellungnahme der Personalvorsorgestiftung der X. vom 3. De-
zember 2002 hat die Arbeitgeberin die netto Fr. 116'401.-- direkt dem
Rekurrenten ausbezahlt, weil im Zeitpunkt des Ausscheidens des
Rekurrenten ein Einkauf in die Pensionskasse eine Aufstockung
der durch die Frühpensionierung erfolgten Kürzung der Altersrente
(noch) nicht möglich war (nach dem heute gültigen Reglement kann
eine Einlage in der Höhe, wie sie dem Rekurrenten zugesprochen
wurde, in die Pensionskasse eingebracht werden). Einer unter diesen
Umständen und in der vorliegenden Höhe bei Beendigung eines
Arbeitsverhältnisses ausgerichteten Kapitalzahlung kommt Vor-
sorgecharakter zu, auch wenn der Rekurrent weiterhin einer gewissen
(im Vergleich zum vorherigen Lohn [Bruttolohn 1999: Fr. 188'705.--]
erheblich schlechter entlöhnten) Erwerbstätigkeit nachgeht (der
Rekurrent weist die folgenden Erwerbseinkünfte aus: 1. April bis
31. Dezember 2000: Fr. 26'316.--; 2001: Fr. 68'893.--]) und daher
fraglich ist, ob (trotz Fliessen einer Pensionskassenrente seit dem
1. April 2000) von einer vorzeitigen Pensionierung im Sinne von
§ 34 Abs. 3 lit. e aStG gesprochen werden kann; es liegt auf jeden
Fall eine mit einer vorzeitigen Pensionierung vergleichbare Situation
vor. Der Umstand, dass der Rekurrent nach dem Ausscheiden aus der
X. weiterhin erwerbstätig ist, schliesst entgegen der Auffassung der
Vorinstanz den "Vorsorgecharakter" der Kapitalabfindung nicht aus,
weil aufgrund des Alters des Rekurrenten und der Höhe seines von
ihm bei der X. zuletzt erzielten Lohnes davon auszugehen ist, dass er
bis zur endgültigen Erwerbsaufgabe kein ähnlich hohes
Erwerbseinkommen mehr erzielen wird. Es ist von einer dauerhaften
Einschränkung der Einkommenserzielung auszugehen (vgl.
Ausführungen im VGE vom 28. Februar 2000 in Sachen K. + R.B.).
Da die dem Rekurrenten von der X. ausgerichtete Kapitalabfindung
nicht den Charakter einer "Überbrückungsentschädigung" im Sinne
des Gesetzgebers (finanzielle Erleichterung bis zum Antritt einer
neuen Stelle) hat und auch nicht der Abgeltung der durch die Auf-
nahme der neuen Erwerbstätigkeit eingetretenen Lohneinbusse dient,
sind folglich in Gutheissung des Rekurses der Einspracheentscheid
vom 26. Februar 2002 und die Veranlagungsverfügung vom 17. De-
zember 2001 aufzuheben und die Vorinstanz ist anzuweisen, auf den
Fr. 116'401.-- eine Jahressteuer zu 40 % des Tarifs B zu erheben.