V. Gerichtsorganisation
25 §§ 28 Abs. 1, 30 GOG
Ein Bezirksrichter darf erst dann als Stellvertreter des Gerichtspräsiden-
ten zum Einsatz kommen, wenn der Gerichtspräsident aus zwingenden
Gründen (z.B. Krankheit, Ausstandspflicht) an der Ausübung seines Am-
tes verhindert ist und wenn auch der Vizepräsident sein Amt als Vertreter
des Gerichtspräsidenten infolge Verhinderung nicht wahrnehmen kann.
Eine Vertretung des Gerichtspräsidenten durch einen Bezirksrichter ein-
zig zur Entlastung wurde vom Gesetzgeber nicht vorgesehen.
Aus dem Entscheid des Obergerichts, 3. Strafkammer, vom 14. November
2003 in Sachen Staatsanwaltschaft gegen D.B.
1. In formeller Hinsicht rügt der Angeklagte in der Berufung,
die Verhandlung vor Vorinstanz sei weder vom Gerichtspräsidenten
noch vom Vizepräsidenten geführt worden. Ein Bezirksrichter sei
aber nur dann für die Verhandlungsführung zuständig, wenn der Ge-
richtspräsident und der Vizepräsident aus zwingenden Gründen an
der Ausübung des Amtes verhindert seien. Derartige Gründe lägen
nicht vor.
2. a) Gemäss Art. 30 Abs. 1 BV hat jede Person, deren Sache in
einem gerichtlichen Verfahren beurteilt werden muss, Anspruch auf
ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und un-
parteiisches Gericht, wobei Ausnahmegerichte untersagt sind. Art. 30
Abs. 1 BV verlangt somit die generell-abstrakte Regelung der Zu-
ständigkeiten, Kompetenzen und der Organisation von den Gerichten
im formellen Gesetz. Die Gewährleistung des ordentlichen Richters
im Einzelfall erfordert darüber hinaus, dass auch die Besetzung des
Gerichts jedem Verdacht der Manipulation irgendwie gearteter
unsachlicher Beeinflussung entzogen ist (Jörg Paul Müller, Grund-
rechte in der Schweiz, 3. A., Bern 1999, S. 573).
b) Gemäss § 5a StPO amtet als Einzelrichter der Präsident des
Bezirksgerichts. § 28 Abs. 1 GOG sieht vor, dass wenn der Ge-
richtspräsident aus zwingenden Gründen an der Ausübung des Amtes
verhindert ist, ihn der Vizepräsident vertritt. Ist auch dieser verhin-
dert, tritt an seine Stelle ein Bezirksrichter. Unter den "zwingenden
Gründen" gemäss § 28 Abs. 1 GOG sind insbesondere gesundheitli-
che Gründe die Ausstandspflicht zu verstehen (vgl. dazu § 27
Abs. 1 im Entwurf des Regierungsrats zum Gesetz über die Organi-
sation der ordentlichen richterlichen Behörden vom 5. Dezember
1983). Gemäss § 30 GOG ist eine Vertretung des Gerichtspräsidenten
durch den Vizepräsidenten des Bezirksgerichts auch dann zulässig,
wenn sie bloss zur Entlastung des Gerichtspräsidenten nötig ist.
3. a) Bereits aus dem Gesetz ergibt sich mit hinreichender Deut-
lichkeit, dass ein regelmässiger und ständiger Einsatz von Bezirks-
richtern als Stellvertreter des Gerichtspräsidenten vom Gesetzgeber
nicht beabsichtigt war und die Ausnahme bilden sollte. So wird in
§ 28 Abs. 1 GOG ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein Bezirks-
richter erst dann als Stellvertreter des Gerichtspräsidenten zum Ein-
satz kommen soll, wenn der Gerichtspräsident aus zwingenden
Gründen an der Ausübung seines Amtes verhindert ist und wenn
auch der Vizepräsident sein Amt als Vertreter des Gerichtspräsiden-
ten infolge Verhinderung nicht wahrnehmen kann. Eine Vertretung
des Gerichtspräsidenten durch einen Bezirksrichter einzig zur Entlas-
tung wurde vom Gesetzgeber nicht vorgesehen, andernfalls er in § 30
GOG diese Konstellation speziell noch hätte regeln müssen. § 30
GOG weist aber einzig darauf hin, dass der Gerichtspräsident den
Vizepräsidenten auch zu seiner eigenen Entlastung einsetzen darf.
b) Im Übrigen macht es auch Sinn, dass ein Bezirksrichter im
Sinne einer Ausnahme erst dann als Vertreter des Gerichtspräsidenten
amten soll, wenn sowohl der Gerichtspräsident wie auch der - in der
Regel - erfahrene Vizepräsident ihr Amt nicht wahrnehmen können;
ebenso macht es Sinn, dass eine Stellvertretung des Gerichts-
präsidenten einzig zu seiner Entlastung von einem erfahrenen Rich-
ter, dem Vizepräsidenten, wahrgenommen werden soll.
c) Setzt also der Gerichtspräsident einen Bezirksrichter nach
Belieben auch bloss zu seiner Entlastung ein, ohne dass ein
zwingender Grund gemäss § 28 Abs. 1 GOG vorliegt, kommt dies
einer Unterlaufung der gesetzlichen Regelung gleich.
4. a) Der Stellungnahme vom 11. November 2003 des Präsiden-
ten des Bezirksgerichts X. zur Frage, weshalb die Verhandlung vom
27. August 2003 im vorliegenden Fall von Bezirksrichter Y. präsi-
diert worden ist, lässt sich entnehmen, dass dies einzig zur Entlas-
tung des Gerichtspräsidenten vorgekehrt wurde.
b) Im Lichte der oben angeführten gesetzlichen Kriterien er-
scheint die Einsetzung von Bezirksrichter Y. als Einzelrichter in
Strafsachen im konkreten Fall als nicht haltbar. Da die Entscheid-
kompetenz im konkreten Fall nicht bei dem gesetzlich vorgesehenen
und demokratisch legitimierten Funktionsträger, nämlich dem Ge-
richtspräsidenten, ev. dem Vizepräsidenten, verblieben ist, ist das
vorinstanzliche Urteil vom 27. August 2003 aufzuheben. Die Sache
ist zur korrekten Durchführung des Verfahrens im Sinne der Erwä-
gungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.