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16 § 113 ZPO; Verteilung Gerichts- und Parteikosten
Bei Entmündigungsverfahren rechtfertigt es sich aufgrund der besonde-
ren Interessenlage den Kläger nicht das gesamte Prozessrisiko tragen zu
lassen. Bei der Abweisung der Entmündigungsklage bestehen daher be-
sondere Umstände, die in der Regel die Halbierung der erstinstanzlichen
Gerichtskosten und die Wettschlagung derselben Parteikosten als billig
erscheinen lassen (§ 113 lit. d ZPO), es sei denn der Kläger habe die Klage
leichtfertig voreilig eingereicht.
Aus dem Entscheid des Obergerichts, 3. Zivilkammer, vom 8. September
2003, i.S. Gemeinde Z. ca. J.L.
2. a) Mit Urteil vom 5. Dezember 2002 wies das Bezirksgericht
Z. die Klage auf Entmündigung der Beklagten nach Art. 369 ZGB ab
und hielt gestützt auf das psychiatrische Gutachten vom 29. Mai
2002 fest, die Beklagte leide zwar an einer anhaltenden wahnhaften
Störung, sie vermöge aber trotz Geistesschwäche ihre Angelegen-
heiten selber zu besorgen. Die Kosten wurden der Beklagten unter
Hinweis auf § 113 lit. c ZPO auferlegt.
b) Im Entmündigungsverfahren bestimmt sich die Verlegung
der Verfahrenskosten nach kantonalem Recht (BGE 82 II 283 E. 5).
Massgebend sind daher die §§ 112 ff. der aargauischen Zivilprozess-
ordnung. Nach § 112 Abs. 1 ZPO werden die Gerichtskosten und die
Parteikosten des Gegners in der Regel der unterliegenden Partei auf-
erlegt. Von der Regel des § 112 ZPO kann der Richter in besonderen
Fällen abweichen und über die Tragung der Kosten nach Ermessen
entscheiden, so namentlich, wenn sich die unterliegende Partei in
guten Treuen zur Prozessführung veranlasst sehen konnte die
Höhe der Forderung von der Ausmittlung durch Sachverständige
bzw. vom richterlichen Ermessen abhängig war (§ 113 lit. b ZPO), in
personen-, familien- und erbrechtlichen Streitsachen sowie in andern
Streitsachen zwischen Verwandten und Verschwägerten (§ 113 lit. c
ZPO) wenn andere Umstände vorliegen, die eine Abweichung
von den Regeln des § 112 ZPO als billig erscheinen lassen (§ 113
lit. d ZPO).
c) Das schweizerische Zivilgesetzbuch ist in vier Teile geglie-
dert und umfasst die Kapitel Personen-, Familien-, Erb- und Sachen-
recht. Bestandteil des zweiten Teils, d.h. des Familienrechts, bildet
als dritte Abteilung die Vormundschaft (Art. 360 ff. ZGB). Aufgrund
der vom Zivilgesetzbuch vorgegebenen Systematik ist eine abwei-
chende Kostenregelung in vormundschaftsrechtlichen Streitsachen
unter Hinweis auf das Vorliegen einer familienrechtlichen Streitigkeit
(§ 113 lit. c ZPO) grundsätzlich nicht ausgeschlossen. Stehen sich
wie bei der Entmündigungsklage Behörde und Privater gegenüber, ist
die Notwendigkeit für ein Abweichen von der allgemeinen Kosten-
regelung aber nicht ersichtlich. Insbesondere bestehen bei diesen
Prozessparteien keine innerfamiliären Spannungsverhältnisse, die
durch den Kostenentscheid entlastet werden könnten. Ebenso wenig
kann die unterschiedliche ökonomische Leistungsfähigkeit zu einem
Abweichen zu Ungunsten des mit der Entmündigungsklage belaste-
ten Beklagten führen, weshalb die vorinstanzliche Begründung des
Kostenentscheides einer Überprüfung nicht Stand hält.
d) Bei Entmündigungsverfahren besteht indessen die Besonder-
heit, dass der Kläger nicht in eigenem, sondern im Interesse des zu
entmündigenden Beklagten tätig wird und das Verfahren einleiten
, sobald nach seiner vorläufigen Beurteilung das Bedürfnis nach
einer Entmündigung besteht (Schnyder/Murer, Berner Kommentar,
3. A, Bern 1984, N 185 zu Art. 373 ZGB; Geiser, Basler Kommentar,
2. A., Basel 2002, N 22 zu Art. 373 ZGB; ARGVP 1997 S. 41 ff.).
Diese Interessenlage rechtfertigt es, den Kläger nicht das gesamte
Prozessrisiko tragen zu lassen. In solchen Verfahren bestehen daher
besondere Umstände, die bei der Abweisung der Entmündigungs-
klage ein Abweichen von der allgemeinen Regel nach § 112 ZPO als
billig erscheinen lassen (§ 113 lit. d ZPO), es sei denn, der Kläger
habe die Klage voreilig leichtfertig eingereicht. Um auch den
Interessen des in den Entmündigungsprozess eingebundenen Be-
klagten gerecht zu werden, können entgegen der vorinstanzlichen
Auffassung im Regelfall aber nicht die gesamten Kosten dem Be-
klagten auferlegt werden. Ein Ausgleich wird erreicht, indem die
Verfahrenskosten den Parteien je zur Hälfte aufzuerlegen und die
Parteikosten wettzuschlagen sind.
e) Aufgrund der Akten ergibt sich, dass der Kläger die Klage
nicht voreilig leichtfertig eingereicht hat, nachdem er bereits
über mehrere Jahre erfolglos versucht hatte, auf einvernehmlicher
Basis eine Lösung zu finden, und selbst das Gutachten der Psychia-
trischen Dienste des Kantons Aargau vom 29. Mai 2002 zum Schluss
kam, die bei der Beklagten anhaltende wahnhafte Störung entspreche
einer Geistesschwäche im Sinne des Gesetzes, welche sie allerdings
nicht wesentlich daran hindere, ihre persönlichen Angelegenheiten zu
besorgen, zumal sich die Situation durch die inzwischen erfolgte
Hofübergabe entschärft habe. Damit hatte der Kläger ernsthafte An-
haltspunkte zur Klageinreichung, weshalb es sich rechtfertigt, die
erstinstanzlichen Verfahrenskosten in Anwendung von § 113 lit. d
ZPO den Parteien je zur Hälfte aufzuerlegen und die Parteikosten
wettzuschlagen. Der Anteil des Klägers an den Gerichtskosten ist
nach § 118 ZPO auf die Staatskasse zu nehmen, da dieser die Klage
in amtlicher Eigenschaft eingereicht hat.