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69 Beschwerdelegitimation. Zonenkonformität und Umweltverträglichkeit einer Mobilfunkantenne; Bedürfnisaspekt. - Legitimation der vom Bau einer Mobilfunkantenne Betroffenen (Erw. I/2). - Zonenkonformität von Mobilfunkantennen in einer Zone für öffentli- che Bauten und Anlagen (Erw. II/2).
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- Aus einer kommunalen Vorschrift, welche die Erstellung von Aussen- antennen aus ästhetischen Gründen beschränkt, kann nicht das Er- fordernis eines mit technischen Gegebenheiten begründeten Bedürf- nisnachweises hergeleitet werden (Erw. II/3). - Verfassungs- und Gesetzeskonformität der NISV (Erw. II/4/a). - Einhaltung des Anlage- und des Immissionsgrenzwerts, unter Berück- sichtigung des Anlageperimeters (Erw. II/4/b). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 11. November 2002 in
Sachen G. u. Mitb. gegen Regierungsrat.
Aus den Erwägungen
I. 2. a) Verfügungen und Entscheide kann jedermann mit Be schwerde anfechten, der ein schutzwürdiges eigenes Interesse gel tend macht (§ 38 Abs. 1 VRPG). Zur Auslegung dieser Bestimmung in Baubewilligungssachen besteht eine langjährige, gefestigte Praxis, die sich weitestgehend an die Rechtsprechung des Bundesgerichts zu Art. 103 lit. a OG anlehnt. (...) (siehe AGVE 2000, S. 365 ff. mit Hinweisen; Michael Merker, Rechtsmittel, Klage und Normenkontrollverfahren nach dem aargauischen Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege [Kommentar zu den §§ 38-72 VRPG], Zürich 1998, § 38 N 150 ff.). b) aa) In Fällen, welche die Anwendung der Verordnung über den Schutz vor nichtionisierender Strahlung (NISV; SR 814.710) vom 23. Dezember 1999 betreffen, bedient sich das Bundesgericht zur Bestimmung der Beschwerdelegitimation von Anwohnern neuer dings der folgenden Berechnungsformel:
In dieser Formel entspricht der Begriff ERP der äquivalenten Strahlungsleistung in Watt (Art. 3 Abs. 9 NISV). Entsprechend berücksichtigt die Berechnung ausschliesslich die maximal in der
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Hauptstrahlungsrichtung zu erwartende Strahlung. Aus diesem Hauptstrahl ergibt sich ein Radius d, welcher einen Perimeter be schreibt, ausserhalb dessen in jedem Fall ein tieferer Effektivwert der elektrischen Feldstärke als 10% des Anlagegrenzwerts (AGW) erzeugt wird. Alle Personen innerhalb dieses Radius werden zur Beschwerde zugelassen, auch wenn die konkrete Strahlung auf ihrem Grundstück, unter Berücksichtigung der Leistungsabschwächung gegenüber der Hauptstrahlrichtung (in vertikaler und horizontaler Richtung) weniger als 10% des AGW beträgt (siehe Bundesgericht, in: URP 16/2002, S. 111 f. mit Hinweisen; BGE vom 8. April 2002 [1A.196/2001] in Sachen X., Erw. 2). bb) Die geplante Mobilfunkantenne mit ihren drei Sendeanten nen soll im Frequenzbereich von 900 MHz senden, womit der AGW 4 V/m beträgt (Anhang 1 Ziff. 64 lit. a NISV), und eine ERP von 300 W pro Antenne aufweisen. Der legitimationsbegründende Radius beträgt also 303 m (d = [70 x 300] / 4 = 303.1 m). Die Wohnhäuser der Beschwerdeführer befinden sich ausnahmslos innerhalb dieses Bereichs, so dass die Legitimation durchwegs zu bejahen ist. Dies wird seitens der Beschwerdegegnerin auch nicht bestritten. II. 1. Die Beschwerdegegnerin beabsichtigt die Errichtung einer NATEL-D/GMS-Basisstation mit drei Antennenständern und zwei Outdoor-Geräten auf dem Gebäude Nr. 4161, das auf der Parzelle Nr. 471 der Sozialversicherungsanstalt des Kantons Aargau steht. Die Anlage besteht aus drei Sendeantennen mit einer ERP von je 300 W. Damit können Funksignale gesendet und empfangen werden. Die Sender sollen einzeln an je drei Meter hohen Stahlmasten an verschiedenen Orten auf dem Flachdach des Gebäudes montiert wer den. Die NATEL-D/GMS-Basisstation wird im 900 MHz-Frequenz band betrieben; die niedrigste Frequenz beträgt 935 MHz. Die Sen der werden zentral von dem ebenfalls auf dem Flachdach montierten Sendecontainer, bestehend aus zwei Outdoor-Geräten, gesteuert. 2. Die Parzelle Nr. 471 befindet sich gemäss dem Zonenplan der Stadt Aarau vom 8. November 1981 / 11. September 1984 in der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen (OE). Diese ist für die baulichen Bedürfnisse der Öffentlichkeit bestimmt (§ 57 Abs. 1 der Bauordnung der Stadt Aarau [BO] mit den gleichen Beschluss- und
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Genehmigungsdaten wie der Zonenplan). Die Beschwerdeführer stel len die Zonenkonformität des Bauvorhabens nicht in Frage. Es ist denn auch offensichtlich, dass dahinter ein öffentlicher Zweck steht. Die Mobilfunkanbieter sind Inhaber von entsprechenden Konzessio nen, die diese nicht nur berechtigen, sondern auch verpflichten, im öffentlichen Interesse liegende Dienste für die entsprechende (Grund-)Versorgung der Bevölkerung zu erbringen. So haben die Mobilfunkbetreiber auf Grund der Konzessionen der Eidgenössi schen Kommunikationskommission u.a. innerhalb bestimmter Fris ten eine bestimmte prozentuale Versorgung der Bevölkerung und der Fläche der Schweiz zu erreichen (siehe den Entscheid der Eidgenös sischen Kommunikationskommission vom 23. März 2000, in: VPB 65-25, ferner Art. 1 des Fernmeldegesetzes [FMG; SR 784.10] vom 30. April 1997). Vor diesem Hintergrund muss ein Interesse der Öf fentlichkeit an der Realisierung der hierfür erforderlichen Antennen anlagen bejaht werden. 3. a) Die Beschwerdeführer berufen sich auf § 12 BO, der unter dem Randtitel "Antennen" wie folgt lautet:
"1Fernsehen und Radio sind über Innen- und Gemeinschaftsantennen (Regional- Quartierantennen) zu empfangen. (...) 3Für Funkamateure und öffentliche Dienste bleiben Ausnahmen
möglich." Aus diesen Bestimmungen leiten die Beschwerdeführer ab, dass die Beschwerdegegnerin einen Bedürfnisnachweis bzw. Beleg für die technische Bedingtheit der Anlage erbringen müsse. Es genüge nicht, dem entgegenzuhalten, dass unnötige Anlagen nur schon aus wirtschaftlichen Gründen nicht erstellt würden. Gerade die Tele kommunikationsbranche sei in rasanter Entwicklung begriffen. Es könne durchaus Strategie sein, ein über die Bedürfnisse hinausge hendes Netz zu erstellen mit dem Ziel, einzelne Teile aus aus schliesslich finanziellen Gründen zu veräussern. Eine andere, bereits praktizierte Möglichkeit bestehe in der Vermietung eigener Anlagen an Konkurrenzunternehmen. Dies habe dann nichts mehr mit der Er füllung öffentlicher Dienste zu tun. Auch "Gemeinschaftsantennen" unterstünden aus ästhetischen Überlegungen dem Gebot möglichst
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beschränkter Erstellung. § 12 BO verpflichte den Stadtrat im Hin blick auf den sich abzeichnenden Antennenwald zu einer planeri schen und koordinierenden Tätigkeit. Der Regierungsrat hat in diesem Zusammenhang erwogen, vorab liesse sich fragen, ob es sich bei der geplanten Antenne über haupt um eine Einzelantenne handle ob nicht vielmehr von einer Gemeinschaftsantenne auszugehen sei, da sie von einer Mehrzahl von Personen genutzt werde. Dies könne aber offen bleiben. Beim Mobilfunknetz der Beschwerdegegnerin handle es sich um einen konzessionierten öffentlichen Dienst, für den Ausnahmen vom Ver bot der Einzelantennen möglich seien. Auf Grund der technischen Gegebenheiten eines zellenartig aufgebauten Mobilfunk-Netzes sei eine lückenlose Versorgung nur mit Antennen der vorliegenden Art möglich. Ausserdem treffe es nicht zu, dass die Bewilligung von Antennen für öffentliche Dienste eine planerische Tätigkeit bedinge. Deren Auswirkungen auf Raum und Umwelt liessen sich ohne weite res auf Grund eines einzelnen Baugesuchs beurteilen. Die von den Beschwerdeführern verlangte Koordination und Konzentration komme weitgehend nur für Antennenstandorte ausserhalb der Bau zonen zum Tragen, wo es darum gehe, das raumplanerische Grund konzept der klaren Trennung zwischen Bau- und Nichtbaugebiet sowie den Schutz der Landschaft optimal in Einklang mit der Er richtung von Antennenanlagen zu bringen. Innerhalb der Bauzonen sei die Konzentration von Sendeanlagen oft schon darum verfehlt, weil gerade dadurch unzulässige Emissionen bzw. Immissionen entstehen könnten. Im jetzigen Zeitpunkt sei eine Planung auch im Hinblick auf die künftig zu erstellenden UMTS-Sendeanlagen nicht möglich; hierzu fehlten die konkreten örtlichen Bedürfnisse der je weiligen Anbieter. b) Die Beschwerdegegnerin und der Stadtrat Aarau sind der Meinung, Mobilfunkantennen würden von § 12 BO gar nicht erfasst. Das Verwaltungsgericht teilt diese Ansicht nicht. Zwar trifft es zu, dass die Mobilfunkantennen in § 12 BO nicht ausdrücklich erwähnt sind. Sinn und Zweck der Vorschrift ist es aber offensichtlich, die Erstellung von Aussenantennen aus ästhetischen Gründen einzu dämmen. Diese Zielsetzung legt den Schluss nahe, dass grundsätz-
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lich alle nach aussen in Erscheinung tretenden Antennenarten von ihr umfasst werden. Bei einer zeitgemäss-teleologischen Auslegung der aus dem Jahr 1981 stammenden Vorschrift fallen daher auch die Mo bilfunksendeantennen in den Anwendungsbereich von § 12 BO. c) Die Zwecksetzung von § 12 BO, die Erstellung von Aussen antennen mit den Anliegen des Ortsbildschutzes in Einklang zu brin gen (vorne Erw. b), verbietet es, daraus ein mit technischen Gege benheiten begründetes Bedürfnis herzuleiten. Nicht von ungefähr lässt Art. 53 Abs. 1 des Bundesgesetzes über Radio und Fernsehen (RTVG; SR 784.40) vom 21. Juni 1991 kantonale Antennenverbote nur zum "Schutz bedeutender Orts- und Landschaftsbilder, von ge schichtlichen Stätten von Natur- und Kunstdenkmälern" zu. Weitergehende Einschränkungen - im vorliegenden Falle geht es um das Grundrecht der Medienfreiheit (Art. 17 Abs. 1 BV) -, für welche nach Art. 36 Abs. 1 BV eine gesetzliche Grundlage erforderlich ist (siehe auch BGE 121 I 120 und AGVE 1990, S. 241, je mit Hinwei sen), sind im RTVG nicht enthalten. Zwar fallen Mobilfunkanlagen nicht in den Geltungsbereich des RTVG, sondern in jenen des FMG, dessen Zweck darin besteht, der Bevölkerung und der Wirtschaft vielfältige, preiswerte, qualitativ hochstehende sowie national und international konkurrenzfähige Fernmeldedienste anzubieten (Art. 1 Abs. 1). Dieses Bundesgesetz enthält aber überhaupt keine Vorbe halte zu Gunsten des kantonalen Rechts. Der Argumentation der Beschwerdeführer, welche einen Bedürfnisnachweis und eine Standort-Evaluation fordern, kann somit nicht gefolgt werden. Der artige Anforderungen können und müssen bei Standorten ausserhalb der Bauzonen gestellt werden, da dort das Erfordernis der (positiven) Standortgebundenheit erfüllt sein muss (Art. 24 RPG in der Fassung vom 20. März 1998, in Kraft seit dem 1. September 2000), was kon kret eine Reduktion auf das Notwendige und eine Optimierung der Standorte bedeutet (siehe im Einzelnen den n.p. BGE vom 24. Okto ber 2001 [1P.264/2001] in Sachen M. u. M., S. 13 ff.). Bei Standor ten innerhalb der Bauzonen gelten wie gesagt andere Rechtsgrundla gen. Der Stadtrat Aarau hat im Baubewilligungsentscheid vom 7. August 2000 (S. 4) festgehalten, es könne "nicht im Ernst be-
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hauptet werden, dass die kaum sichtbaren Antennen das Quartier und Strassenbild beeinträchtigen". Die Beschwerdeführer sind ande rer Meinung, haben ihren Standpunkt aber nicht weiter begründet. In der Tat steht der Bewilligung der Antennenanlage auch der Orts bildschutz nicht entgegen. § 57 BO enthält diesbezüglich keine spezifischen Einschränkungen. Anlässlich des verwaltungsgerichtli chen Augenscheins ist auch nicht erkennbar geworden, inwiefern das Bauvorhaben dem Einordnungsgebot der ästhetischen Generalklausel (§ 42 BauG) zuwiderlaufen sollte. (...). d) Die bundesgerichtliche Rechtsprechung zur Planungspflicht (siehe BGE 124 II 254 f. mit Hinweis) bezieht sich ausschliesslich auf Bauvorhaben ausserhalb der Bauzonen, nicht aber auf Bauten und Anlagen, welche innerhalb der Bauzonen geplant und dort zo nenkonform sind (BGE vom 21. September 2001 [1P.772/2000] in Sachen B. und J., S. 7). Gegenstand dieses Entscheids bildete eine Mobilfunkanlage. Im Übrigen hat das Bundesgericht erwogen, von einer einzelnen Mobilfunkanlage gingen keine so wichtigen Auswir kungen auf die Nutzungsordnung aus, dass eine Änderung der Zo nenplanung hiefür erforderlich wäre (a.a.O., S. 7). 4. Die Beschwerdeführer bestreiten auch die Verfassungs- und Gesetzmässigkeit der NISV und ziehen die Richtigkeit der Berech nungen gemäss Standortdatenblatt in Zweifel. a) aa) Die nichtionisierende Strahlung (Elektrosmog) zählt zu den schädlichen lästigen Einwirkungen, vor denen Menschen, Tiere und Pflanzen, ihre Lebensgemeinschaften und Lebensräume zu schützen sind (Art. 1 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 USG). Zu diesem Zweck ist die Emission nichtionisierender Strahlen zu begrenzen (Art. 11 USG). Die Emissionsbegrenzung kann u.a. durch die Festle gung von Grenzwerten in einer Verordnung erfolgen (Art. 12 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 USG). Der Bundesrat hat ausserdem zur Beurteilung der schädlichen lästigen Einwirkungen durch Verordnung Immissionsgrenzwerte festzulegen (Art. 13 USG). Seit der Inkraftsetzung auf den 1. Februar 2000 ist für den Schutz des Menschen vor schädlicher lästiger nichtionisierender Strahlung die NISV massgebend (Art. 1). Diese Verordnung setzt ei nerseits vorsorgliche Emissionsbegrenzungen (AGW), anderseits Im-
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missionsgrenzwerte (IGW) fest (Art. 4 Abs. 1 mit Anhang 1, Art. 13 mit Anhang 2 NISV). Bei den IGW von Anhang 2 handelt es sich um die von der Internationalen Kommission zum Schutz vor nichtioni sierender Strahlung (ICNIRP) im April 1998 publizierten Grenzwerte für die (allgemeine) Bevölkerung. Die ICNIRP-Grenzwerte sind Gefährdungswerte und nicht Vorsorgewerte. Dem Vorsorgeprinzip (Art. 1 und 11 USG) tragen die (tieferen) AGW des Anhangs 1 Rechnung (siehe dazu ausführlich den Erläuternden Bericht des Bundesamts für Umwelt, Wald und Landschaft [BUWAL] zur NISV vom 23. Dezember 1999, S. 4 ff. [im Folgenden: Erläuternder Bericht]). bb) Das Bundesgericht hat in einem Entscheid vom 30. August 2000 (BGE 126 II 404 ff.) die NISV vorfrageweise auf ihre Geset zes- und Verfassungsmässigkeit überprüft. Es kam dabei zum Ergeb nis, dass sich das Konzept der Verordnung an den von Art. 13 USG vorgezeichneten Rahmen halte und sowohl die im Anhang 2 NISV festgesetzten IGW als auch die gemäss Art. 4 NISV und Anhang 1 Ziffer 6 NISV massgebende vorsorgliche Emissionsbegrenzung bun desrechtskonform seien. Der Bundesrat habe mit dem Erlass der fraglichen Grenzwerte seinen Ermessensspielraum nicht überschrit ten. Sobald jedoch eine sachgerechte und zuverlässige Quantifizie rung der nicht-thermischen Wirkungen nichtionisierender Strahlen auf Grund neuer Erkenntnisse möglich sei, müssten die IGW und AGW überprüft und soweit nötig angepasst werden. Diese Recht sprechung ist in der Zwischenzeit - unter Würdigung des soge nannten "Salzburger Modells" - ausdrücklich bestätigt worden (Bun desgericht, in: URP 16/2002, S. 429 ff.; siehe auch den BGE vom 13. Juni 2002 [1P.562/2001], Erw. 4.2). Das Verwaltungsgericht hat in einem kürzlich gefällten Urteil (VGE III/15 vom 8. Februar 2001 [BE.1998.00045] in Sachen G. u. M. [S. 19 ff.]) ebenfalls ausführlich zur Frage der Verfassungs- und Gesetzmässigkeit der NISV Stellung genommen und ist auf Grund einer eingehenden Auseinandersetzung mit den von den dortigen Be schwerdeführern vorgebrachten Argumenten und unter Einbezug ak tueller Forschungsergebnisse (siehe Christopher Müller / Christoph Schierz [Hrsg.]: Projekt NEMESIS, Niederfrequente elektrische und
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magnetische Felder und Elektrosensibilität in der Schweiz [Problem stellung, Methode, Ergebnisse], Tagungsband, Zürich 2000) zu fol gender Schlussfolgerung gelangt (siehe auch den VGE III/42 vom 29. Mai 2002 [BE.2000.00208/211] in Sachen S. u. M., S. 11):
"Alles in Allem bleibt es somit dabei, dass das in der NISV verankerte Schutzkonzept vor Verfassung und Gesetz standhält, wie dies auch das Bundesgericht festgestellt hat (BGE 126 II 406). Die Beschwer- deführer relativieren dies mit dem Hinweis darauf, dass das Verwal- tungsgericht über viel umfangreicheres und qualifizierteres Tatsachen- und Beweismaterial verfüge als das Bundesgericht (Warnungen renommierter unabhängiger Wissenschafter und Ärzte, zunehmende Klagen aus der Bevölkerung); gestützt darauf sei das Verwaltungsge- richt verpflichtet, die heute nicht mehr gesetzes- und ver- fassungskonformen Grenzwerte gemäss NISV zu verschärfen (...). Damit wird (...) übersehen, dass der Kausalzusammenhang zwischen den geschilderten gesundheitlichen Störungen und der nicht-thermi- schen Strahlung, welche unterhalb der Anlagegrenzwerte liegt, nach wie vor nicht wissenschaftlich erhärtet ist, sondern lediglich auf Ver- mutungen beruht. Diese Tatsache wird durch keinen einzigen der von den Beschwerdeführern eingereichten Belege umgestossen. In dieser Situation erscheint es zweckmässig, mit den vorsorglichen Emissions- begrenzungen gemäss NISV zur Vermeidung noch unüberschaubarer Risiken eine Sicherheitsmarge zu schaffen, welche die Unsicherheit über längerfristige Wirkungen nichtionisierender Strahlen berücksichtigt (vgl. BGE 124 II 232). Die Anlagegrenzwerte sind derart tief angesetzt, dass nach menschlichem Ermessen und dem derzeitigen Stand der Wissenschaft bei ihrer Einhaltung gesundheitli- che Schäden auszuschliessen sind. Die Beschwerdeführer streben demgegenüber offenkundig eine Grenzwertschwelle an, unter der kein Effekt mehr beobachtet wird (vgl. Helmut Krueger, Umweltschutz zwischen Grenzwert und Vorsorgewert, in: Bericht NEMESIS, S. 15). Eine solche Extremposition ist mit Sinn und Zweck der Umweltschutzgesetzgebung nicht zu vereinbaren. Das USG ist kein Verhinderungs-, sondern ein Massnahmengesetz, das seinem Konzept nach die Quellen der Umweltbelastung nicht als solche in Frage stellen will; die Nachfrage soll nicht untersagt, sondern befriedigt
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werden, wobei aber gleichzeitig - mit dem Ziel einer Risi- kominimierung - die den Umweltschutzanforderungen entsprechenden Vorkehren getroffen werden sollen (Praxis des Bundesgerichts [Pra] 80/1991, S. 179; BGE 124 II 233)." cc) Die Beschwerdeführer bringen in ihrer Beschwerde keine
neuen Erkenntnisse und Argumente vor, die ein Abrücken von der bisherigen Rechtsprechung zu begründen vermöchten. Insbesondere der Einwand, ein bundesgerichtliches Präjudiz dispensiere die geset zesanwendenden Behörden nicht davon, die Verfassungsmässigkeit von Verordnungen zu überprüfen, stösst im vorliegenden Fall ange sichts der inzwischen - auf Grund des derzeitigen Wissensstandes und stets vorbehältlich neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse gefestigten Rechtsprechung sowohl des Bundesgerichts als auch des Verwaltungsgerichts zur Frage der Verfassungs- und Gesetzmässig keit der NISV ins Leere. Der nachfolgenden Einzelfallbeurteilung sind deshalb die geltenden IGW und AGW der NISV zugrunde zulegen. b) aa) Bei der geplanten Anlage handelt es sich um eine neue ortsfeste Anlage im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. a und Art. 3 Abs. 2 NISV, die im Frequenzbereich von 900 MHz sendet. Die von dieser Anlage allein erzeugte Strahlung darf an Orten mit empfindlicher Nutzung (siehe Art. 3 Abs. 3 NISV) den AGW von 4 V/m nicht über schreiten (Art. 4 NISV i.V.m. Anhang 1 Ziff. 64 lit. a NISV). Der fre quenzabhängige IGW für den Effektivwert der elektrischen Feldstärke beträgt für die vorliegende Anlage mit einer Frequenz von 935 MHz nach Anhang 2 Ziffer 11 NISV (Frequenzband 400 - 2'000 MHz) 42.04 V/m. Diese Grenzwerte müssen im massgebenden Betriebszustand eingehalten werden, d.h. bei maximalem Gesprächs und Datenverkehr und maximaler Sendeleistung (Anhang 1 Ziff. 63 NISV). bb) Die Beschwerdegegnerin hat ihrem Baugesuch das Stand ortdatenblatt des BUWAL vom 20. Oktober 1998 für das detaillierte Verfahren beigelegt, worin sie die Immissionen an sechs Orten (zwei Orte für den kurzfristigen Aufenthalt von Personen im Antennenab stand von 18.4, 17.4 und 17.9 m [Ort Nr. 2, Zugang] bzw. 21.0, 33.9 und 16.0 m [Ort Nr. 3, Eingang]; vier Orte mit empfindlicher Nut-
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zung im Abstand von 3.7, 24.8 und 25.8 m [Ort Nr. 1, Büro] bzw. 50.8, 60.7 und 25.7 m [Ort Nr. 4, Wohnen] bzw. 12.1, 20.4 und 19.5 m [Ort Nr. 5, Büro] bzw. 9.3, 13.9 und 18.1 m [Ort Nr. 6, Büro]) berechnete. Danach ist der IGW an allen untersuchten Orten einge halten, und es befindet sich kein Ort mit empfindlicher Nutzung im Freihaltebereich. Dies wird vom Baudepartement (Abteilung für Um welt) im (neusten) Amtsbericht vom 12. September 2002 bestätigt. Danach erfüllt die Sendeanlage die Vorgaben der NISV; die Grenz werte sind an den kritischen Orten, insbesondere bei den benach barten Gebäuden, eingehalten. (...). Die Beschwerdeführer haben diese aktuellen Berechnungser gebnisse nicht mehr in Frage gestellt. Auch das Verwaltungsgericht sieht keinen Anlass, an ihnen zu zweifeln. Dass derartige Berech nungen für Laien ohne entsprechende naturwissenschaftliche Ausbil dung nicht nur schwer nachvollziehbar und überprüfbar sind, liegt in der Natur der Sache begründet. Immerhin ist die zuständige Behörde verpflichtet, die Einhaltung der Emissionsbegrenzungen zu überwachen und zur Kontrolle der Einhaltung des AGW nach An hang 1 Messungen Berechnungen durchzuführen zu ver anlassen (Art. 12 Abs. 1 und 2 NISV; siehe auch den erwähnten VGE in Sachen S. u. M., S. 14). Der Stadtrat Aarau behält sich entspre chende Kontrollmessungen denn auch ausdrücklich vor. Im Übrigen hat sich die Beschwerdegegnerin anlässlich der verwaltungsgericht lichen Augenscheinsverhandlung dazu bereit erklärt, bei jenen Ge bäuden, bei denen 50% des AGW erreicht werden, eine Abnahme messung durchzuführen; eine entsprechende ergänzende Auflage ist in das Urteilsdispositiv aufzunehmen. cc) Die Beschwerdeführer wiederholen vor Verwaltungsgericht die Rüge der fehlenden Gesamtbeurteilung aller Immissionen. Dazu wird im Amtsbericht des Baudepartements (Abteilung für Umwelt) vom 12. September 2002 u.a. was folgt ausgeführt (S. 3 f.):
"Vor Beginn der NIS-Beurteilung muss bestimmt werden, welche Sendeantennen zur Anlage gehören. Nicht jede Sendeantenne ist nämlich automatisch Teil der Anlage. Nach Anhang 1 Ziffer 61 NISV gehören nur diejenigen Sendeanten- nen zur Anlage, welche für zellulare Mobilfunknetze (Netze GSM,
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UMTS, Tetrapol, WLL) eingesetzt werden. Antennen für alle übrige Funkdienste (Rundfunk, Telepage Amateurfunk) bilden nach Anhang 1 Ziffer 7 NISV eine eigene Antennenkategorie. Richtfunkantennen gehören grundsätzlich nicht zur Anlage und sind wegen ihrer geringen Sendeleistung für die NIS-Belastung nicht relevant. Nach Anhang 1 Ziffer 62 NISV gehören diejenigen Sendeantennen für zellularen Mobilfunk auf jeden Fall zur Anlage, welche auf dem gleichen Mast auf dem gleichen Dach angebracht sind. Benach- barte Sendeantennen - nicht auf dem gleichen Mast Dach - für zellularen Mobilfunk zählen ebenfalls zur Anlage, wenn sie in einem engen räumlichen Zusammenhang zu den erstgenannten Antennen stehen. Der Begriff 'enger räumlicher Zusammenhang' ist in der NISV nicht abschliessend festgelegt. Er wird mit Hilfe des sogenannten Anlage- perimeters präzisiert. Der Anlageperimeter ist eine kreisförmige aus mehreren überlagerten Kreisen bestehende Fläche um die Anten- nen auf dem Mast Dach. Sein Radius hängt von der Sendeleis- tung ab und liegt bei den heute eingesetzten Sendeleistungen im Be- reich zwischen 40 und 75 m. Befinden sich weitere Sendeanlagen für zellularen Mobilfunk in diesem Perimeter, dann stehen sie in 'engem räumlichen Zusammenhang' und gehören ebenfalls zur Anlage. Im Falle des Standortes der Anlage der Beschwerdeführerin an der Kyburgerstrasse befinden sich in diesem relevanten Perimeter keine weiteren Mobilfunkanlagen." Die Distanz zu den nächstgelegenen Mobilfunkantennen beträgt rund 650 m (AEW-Gebäude), 1'150 m (Telefonzentrale beim Bahn hof), 920 m ("Kern"-Areal) und 810 m ("Oberholz" [bewilligt, aber noch nicht erstellt]). Ein enger räumlicher Zusammenhang im Sinne von Ziffer 62 Abs. 1 des Anhangs 1 NISV besteht somit nicht, was auch die Beschwerdeführer nicht mehr in Frage stellen. Keine Rolle spielt in diesem Kontext die in der Nähe auf der Entfelderstrasse zirkulierende Wynental- und Suhrentalbahn (WSB); diese wird, weil sie mit Gleichstrom beitrieben wird, gestützt auf Ziffer 51 des An hangs 1 von den Bestimmungen in der NISV ausgenommen. 5. Weitere öffentlichrechtliche Hindernisse, welche einer Be willigungserteilung entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich
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und werden auch nicht geltend gemacht. Die geplante Anlage erweist sich am vorgesehenen Standort somit als bewilligungsfähig (siehe AGVE 2000, S. 247 mit Hinweis), und die Beschwerde ist als unbe gründet abzuweisen.
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