D. Mietrecht
5 Art. 267 Abs. 1 OR.
Ungültigkeit einer Beweislastklausel. Eine vorformulierte allgemeine Ver-
tragsklausel, welche den Mieter verpflichtet, allfällige Mängel der Mietsa-
che innert 10 Tagen nach Mietantritt zu melden, andernfalls das Mietob-
jekt als in gutem Zustand übernommen gilt, ist ungültig.
Aus dem Entscheid des Obergerichts, 4. Zivilkammer, vom 12. November
2002 in Sachen S. AG gegen B. und G. R.
3. Will der Vermieter die Haftung des Mieters aus Art. 267
Abs. 1 OR in Anspruch nehmen, muss er beweisen, dass er einen
Schaden erlitten hat und dass der Schaden durch einen Mangel an der
Mietsache entstanden ist, der während der Mietdauer eingetreten ist
und für welchen der Mieter einzustehen hat (Peter Higi, Zürcher
Kommentar, N 119 zu Art. 267 OR). Der Vermieter muss somit nicht
nur beweisen, dass die Mietsache Mängel aufweist, für welche der
Mieter aufzukommen hat, sondern auch, dass diese Mängel bei Miet-
beginn noch nicht vorhanden waren, das heisst dass er die Mietsache
in einem guten bzw. mängelfreien Zustand übergeben hat
(Lachat/Stoll/Brunner, Mietrecht für die Praxis, 4. Aufl., Zürich
1999, S. 601 f.).
Die Klägerin verlangt im Gerichtsverfahren von den Beklagten
die Bezahlung von Malerarbeiten (Verhandlungsprotokoll der Vorin-
stanz S. 4). Diese umfassen einerseits das Streichen der Wände in der
Wohnung, anderseits das Streichen der Wände und des Bodens im
Luftschutzraum. Sie stützt sich für ihre Forderung auf die Malerrech-
nung und das Abnahme-/Übergabeprotokoll vom 11. Januar 2001,
welches von der Beklagten unterzeichnet wurde. Darin werden an
verschiedenen Wänden Dübellöcher und Flecken als übermässige
Abnutzung festgestellt und deren Beseitigung zu 80% den Mietern
angelastet.
Die Beklagten nahmen mit Schreiben vom 15. Januar 2001 Ab-
stand von der Unterzeichnung des Protokolls und bestritten die über-
mässige Abnutzung der Wände. Es seien keine Schmierereien der
Kinder vorhanden gewesen und die Dübellöcher seien von einem
Baufachmann zugefüllt worden. Zudem sei beim Einzug kein Proto-
koll verfasst worden. An diesen Ausführungen hielten sie im gericht-
lichen Verfahren fest.
Die Klägerin verwies in ihrem Antwortschreiben vom 18. Ja-
nuar 2001 auf Ziff. 9.1 des Mietvertrags, wonach der Mieter ver-
pflichtet ist, allfällige Mängel innert 10 Tagen zu melden, andernfalls
das Mietobjekt als in gutem Zustand übernommen gelte. Damit ist
die Frage gestellt, ob diese Vertragsklausel gültig ist.
Es handelt sich bei dieser Klausel um einen Beweislastvertrag,
mit welchem die aus Art. 8 ZGB bzw. Art. 256 OR folgende Beweis-
last des Vermieters für den Zustand der Mietsache bei Übergabe auf
den Mieter überwälzt wird. Die Zulässigkeit solcher Verträge ist um-
stritten. Im Allgemeinen wird sie unter Vorbehalt von Art. 27 ZGB
bzw. Art. 20 OR bejaht, soweit die Parteien über das fragliche
Rechtsverhältnis disponieren können (BGE 85 II 504; Hans Schmid,
Basler Kommentar, N 91 zu Art. 8 ZGB mit Hinweisen). Max Kum-
mer führt dagegen in seinem Kommentar zu Art. 8 ZGB aus, der die
Beweislast Übernehmende wolle nicht auf ein Recht verzichten, son-
dern setze sich vielmehr einem erhöhten Prozessrisiko aus, dessen
Bedeutung er meist gar nicht zu überschauen, geschweige denn zu
ermessen vermöge und dessen Verwirklichung er nicht erwäge, weil
er weder mit einem Prozess und noch weniger mit einer Beweislosig-
keit rechne. Solche Verträge seien daher höchst bedenklich und ihre
Gültigkeit sei abzulehnen. Zudem habe die vom Gesetz getroffene
Beweislastverteilung nicht bloss die Qualität ergänzenden Vertrags-
rechts inhaltlicher Festlegung der gegenseitigen Rechte und
Pflichten, die in weitem Rahmen ausgehandelt werden könnten. Sie
stehe ungleich höher und müsse privater Willkür überhoben sein,
weil sie die allein angemessene und gerechte Regelung zu sein bean-
spruche und beanspruchen könne und weil jede Beweislastumkehr
unbegründeten Ansprüchen zum Prozesssieg verhelfen könne (Max
Kummer, Berner Kommentar, N 376 zu Art. 8 ZGB). Weiter führt er
aus, auf dem Boden der herrschenden Meinung sei jedenfalls zu be-
achten, dass das Zuschieben der Beweislast sehr bald in unsittliche
Knebelung ausarte. Die Unsittlichkeit sei evident, wenn der eine
Partner kraft seines sozialen Übergewichts, seines Marktmonopols
oder seiner verbandsmässig geschützten Stellung dem andern die Ge-
schäftsbedingungen diktieren könne und sich hierbei Beweislastvor-
teile erwirke. Diktierte Abkehr von der gesetzlichen Beweislastver-
teilung zum Nachteil des in der Verhandlung Schwächeren sei aus
den vorgenannten Gründen schlechthin untragbar, was BGE 85 II
504 völlig verkenne (Kummer, a.a.O., N 377 zu Art. 8 ZGB).
Ob diesen gewichtigen Argumenten von Max Kummer für eine
generelle Unzulässigkeit von Beweislastverträgen zu folgen ist, mag
hier offen bleiben. Im Bereich des Mietrechts kann davon ausgegan-
gen werden, dass wegen der beschränkten Möglichkeiten der Mieter,
auf wirtschaftlichen und anderen Druck zu reagieren, zwischen den
Mietvertragsparteien ein starkes Ungleichgewicht zu Ungunsten der
Mieter besteht, sodass die Vermieter dazu verleitet werden, ihre Vor-
machtstellung gegenüber den Mietern missbräuchlich auszunutzen
(Botschaft des Bundesrats zur Revision des Miet- und Pachtrechts
vom 27. März 1985, BBl 1985 I 1398). Deshalb ist das geltende
schweizerische Mietrecht wesentlich Sozialrecht mit dem hauptsäch-
lichen Ziel eines verstärkten staatlichen Schutzes der Mieter vor
missbräuchlichen Forderungen der Vermieter (BBl 1985 I 1397;
Lachat/Stoll/Brunner, a.a.O., S. 2 mit Hinweisen; SVIT-Kommentar
Mietrecht II, N 29 zu Art. 256 OR). Die fragliche Vertragsklausel im
Mietvertrag der Parteien ist nun aber nachgerade ein Paradebeispiel
für die "diktierte Abkehr" von der gesetzlichen Beweislastverteilung
zum Nachteil der schwächeren Vertragspartei und aus diesem Grund
nicht zu schützen.
Dabei ist zu beachten, dass der Gesetzgeber bei der letzten Re-
vision des Mietrechts im Jahre 1989 die altrechtliche Vermutung,
dass der Mieter die Mietsache in gutem Zustand empfangen habe,
gestrichen hat. In der Botschaft wird zu Recht darauf hingewiesen,
dass es Aufgabe des Vermieters sei, die Mietsache in gutem Zustand
zu übergeben und sie während des Mietverhältnisses in demselben zu
erhalten. Es sei deshalb nicht vertretbar, wenn dem Mieter die Be-
weislast für eine Verpflichtung auferlegt werde, die den Vermieter
treffe (BBl 1985 I 1455). Wenn aber der Gesetzgeber mit guten
Gründen auf eine Umkehr der Beweislast, welche durch die altrecht-
liche Vermutung herbeigeführt worden war, ausdrücklich verzichtet,
geht es nicht an, diese durch Vertrag wieder einzuführen (a.M. SVIT-
Kommentar Mietrecht II, N 32 zu Art. 267 - 267a OR). Vielmehr hat
der Vermieter die Folgen zu tragen, wenn der ursprüngliche Zustand
der Mietsache nicht mehr bewiesen werden kann (BBl 1985 I 1456).
Dafür spricht auch, dass es sich bei Art. 256 OR, welcher die
Hauptverpflichtung des Vermieters statuiert, um eine zwingende Be-
stimmung des Mietrechts handelt, welche zum Nachteil des Mieters
nicht vertraglich eingeschränkt gar wegbedungen werden darf,
d.h. der Parteidisposition entzogen ist (Higi, a.a.O., N 4 zu Art. 256
OR; SVIT-Kommentar Mietrecht II, N 6 und 7 zu Art. 256 OR), und
dass sich das Verbot der abweichenden Bestimmungen zum Nachteil
der Mieter nicht nur auf die eigentliche Hauptleistungspflicht des
Vermieters, sondern auf alle vertraglichen und gesetzlichen Bestim-
mungen, die an die Hauptleistungspflicht des Vermieters anknüpfen,
auswirken (Higi, a.a.O., N 68 zu Art. 256 OR; SVIT-Kommentar
Mietrecht II, N 30 zu Art. 256 OR), d.h. auch für die entsprechende
Beweislastverteilung gelten muss.
Im Übrigen ist höchst unwahrscheinlich, dass die Mieter vor
Vertragsunterzeichnung alle vorformulierten Vertragsbestimmungen
lesen und in ihrer Tragweite erfassen. Sie können sich deshalb auch
auf die Ungewöhnlichkeitsregel berufen, da die Beweislastumkehr in
Ziff. 9.1 des Mietvertrags der Parteien derart aus dem zu erwartenden
Rahmen fällt, dass sie damit nach Treu und Glauben nicht rechnen
mussten (Guhl/Koller, Das Schweizerische Obligationenrecht,
9. Aufl., Zürich 2000, S. 117 mit Hinweisen).
Im vorliegenden Fall wurde kein Antrittsprotokoll erstellt. Die
Klägerin vermag deshalb nicht zu beweisen, dass die von ihr im Ab-
nahme-/Übergabeprotokoll beanstandeten übermässigen Abnützun-
gen der Wohnungswände nicht bereits bei Mietantritt durch die Be-
klagten bestanden. Zwar handelte es sich um eine Erstvermietung,
doch schliesst dies nicht aus, dass zumindest die festgestellten Fle-
cken und geflickten Löcher durch Bauhandwerker verursacht, von
den Beklagten aber nicht gerügt worden waren, weil diese das Miet-
objekt als in einem zum vereinbarten Gebrauch tauglichen Zustand
angesehen haben. Die im Entrée, Zimmer 1 und 3 festgehaltenen Dü-
bellöcher, deren Verursachung die Beklagten nicht bestreiten, müssen
als ordentliche Abnutzung des Mietobjekts betrachtet werden, die
auch bei normalem und sorgfältigen Gebrauch der Mietsache entste-
hen und von den Mietern deshalb lediglich fachgerecht ausgebessert
werden müssen (Higi, a.a.O., N 92 zu Art. 267 OR;
Lachat/Stoll/Brunner, a.a.O., S. 598, SVIT-Kommentar Mietrecht II,
N 11 zu Art. 267 - 267a OR).
Nach dem Gesagten vermochte die Klägerin nicht zu beweisen,
dass die Beklagten für das Streichen der Wände haftbar sind. Sie
muss sich deshalb die entsprechende Versicherungsleistung von
Fr. 1'601.60 auf die Kosten für das Streichen des Bodens und des So-
ckels im Luftschutzraum von Fr. 1'083.10 bzw. Fr. 128.35 und den
Selbstbehalt von Fr. 200.-- anrechnen lassen, so dass sie von den Be-
klagten nichts mehr zu fordern hat und ihre Klage deshalb abzuwei-
sen ist.
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