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Urteil Verwaltungsgericht (AG - AGVE 2000 53)

Zusammenfassung des Urteils AGVE 2000 53: Verwaltungsgericht

H.S., eine Person mit paranoider Schizophrenie, wurde zwangsmediziert, isoliert und gegurtet, zusätzlich wurde ihm die Bibel entzogen und ein Besuchsverbot für die Seelsorgerin verhängt. Das Verwaltungsgericht entschied, dass die Fixierung mit einem Bauchgurt unverhältnismässig sei, da keine konkrete Gefahr von H.S. ausgehe. Das Gericht hob auch das Besuchsverbot für die Seelsorgerin auf, da es als unverhältnismässig angesehen wurde. Der Entzug der Bibel wurde ebenfalls als unverhältnismässig betrachtet, da er die persönliche Freiheit von H.S. übermässig beschränkte.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts AGVE 2000 53

Kanton:AG
Fallnummer:AGVE 2000 53
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Verwaltungsgericht
Verwaltungsgericht Entscheid AGVE 2000 53 vom 17.11.2000 (AG)
Datum:17.11.2000
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:AGVE 2000 53 S.191 2000 Fürsorgerische Freiheitsentziehung 191 [...] 53 Zwangsmassnahmen im Rahmen fürsorgerischer Freiheitsentziehung;...
Schlagwörter: ässig; Freiheit; Bibel; Zwangsmass; Beschwerdefüh; Zwangsmassnahme; Freiheits; Besuchsverbot; Beschwerdeführer; Beschwerdeführers; Isolation; Freiheitsentziehung; Recht; Eingriff; Ärzte; Massnahme; Entscheid; Klinik; Seelsorgerin; Gefahr; Schutz; Fürsorge; Verwaltungsgericht
Rechtsnorm: Art. 36 BV ;Art. 7 BV ;
Referenz BGE:113 Ia 305; 122 I 234; 123 I 118; 124 I 304; 126 I 114; 126 I 115; 126 I 119;
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts AGVE 2000 53

2000 Fürsorgerische Freiheitsentziehung 191

[...]

53 Zwangsmassnahmen im Rahmen fürsorgerischer Freiheitsentziehung; Fixierung mit Bauchgurt in Isolation; Besuchsverbot für die Seelsorgerin; Bibelentzug.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 17. November 2000 in Sachen H.S. gegen Entscheide der Klinik Königsfelden.
Sachverhalt

H.S. leidet an einer chronischen paranoiden Schizophrenie mit religiösem Wahn. Aufgrund möglicher Fremdgefährdung und Medi kamentenverweigerung wurde er anlässlich der fürsorgerischen Frei-
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heitsentziehung zwangsmediziert, isoliert und gegurtet. Zusätzlich wurde ein Bibelentzug und ein Besuchsverbot der Seelsorgerin ver fügt.

Aus den Erwägungen

4. a) Seit dem 14. November 2000 und erneut gestützt auf den Zwangsmassnahmen-Entscheid vom 17. November 2000 wird der Beschwerdeführer im Isolationszimmer mit dem Bauchgurt fixiert. An der Verhandlung beklagte er sich, dass er im Gurt ersticke, dass er nicht immer ans Bett gefesselt sein wolle. b) Das bis vor kurzem ungeschriebene verfassungsmässige Recht der persönlichen Freiheit, das in der am 1. Januar 2000 in Kraft getretenen Bundesverfassung vom 18. April 1999 (BV) aus drücklich in Art.10 und - hinsichtlich des Schutzes der Menschen würde - auch in Art. 7 gewährleistet ist, beinhaltet insbesondere das Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit, auf Bewegungs freiheit und Wahrung der Würde des Menschen sowie alle Freiheiten, die elementare Erscheinungen der Persönlichkeitsentfaltung darstel len (BGE 126 I 114 mit Hinweisen). Das Recht auf persönliche Frei heit gilt indessen, wie die übrigen Freiheitsrechte, nicht absolut. Ein schränkungen sind zulässig, wenn sie auf einer gesetzlichen Grund lage beruhen, im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sind; zudem dürfen sie den Kerngehalt des Grundrechts nicht beein trächtigen, das heisst, dieses darf weder völlig unterdrückt noch sei nes Gehalts als Institution der Rechtsordnung entleert werden (BGE 126 I 115). Eine Zwangsmassnahme ist namentlich dann unverhält nismässig, wenn eine ebenso geeignete mildere Anordnung für den angestrebten Erfolg ausreicht. Der Eingriff darf in sachlicher, räumli cher, zeitlicher und personeller Hinsicht nicht einschränkender sein als notwendig (BGE 126 I 119 f. mit Hinweisen).
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c) Beim Entscheid über die Zulässigkeit einer Zwangsmass nahme darf auch das Schutzbedürfnis Dritter einbezogen werden. Unter Würdigung aller Umstände gilt es somit zu prüfen, ob die Fi xierung mit Bauchgurt medizinisch indiziert und verhältnismässig sei. aa) Gemäss Aussage des Klinikarztes wurde die Fixierung not wendig, weil der Beschwerdeführer aggressiv sei und ihm bei jeder Gelegenheit die Faust zeige. Er äussere sich mit viel Wucht und wirke sehr bedrohlich. Er selber besuche ihn jeweils in Begleitung von zwei Personen im Isolationszimmer (Protokoll, S. 13 und 19). Der Pfleger sagte aus, dass sich die Aggressionen hauptsächlich ge gen die Ärzte richteten und das Pflegepersonal keine Probleme mit dem Beschwerdeführer habe. Der Beschwerdeführer sei im Gurt, weil die Gefahr bestehe, dass er jemanden schlagen könnte, den er nicht möge. Man habe zu wenig Personal auf der Abteilung (Proto koll, S. 9 f.). Der Zustand des Beschwerdeführers verlangt nach einer Be handlung mit Medikamenten, die notfalls zwangsweise - d.h. allen falls auch durch Festgurten zu diesem Zweck - verabreicht werden müssen. Da sich die verbalen und tätlichen Angriffe hauptsächlich gegen die Ärzte richten, ist ein Gurten somit zumindest während der Arztvisite zum Schutz Dritter indiziert. bb) Bei der Frage der Verhältnismässigkeit gilt es aber daran zu erinnern, dass der Eingriff in die persönliche Freiheit durch Fixie rung ans Bett in extremer Weise den Kerngehalt des Grundrechts betrifft und daher gemäss Art. 36 Abs. 4 BV grundsätzlich unzulässig ist. Ausnahmen sind nur denkbar, wenn in akuter Weise eine Gefahr für Leib und Leben von Menschen besteht. Dabei darf der Eingriff insbesondere in zeitlicher Hinsicht nicht einschränkender sein als zur Abwendung der Gefahr erforderlich (BGE 126 I 119f.). § 67ebis EG ZGB sieht Vorkehrungen vor, zu denen auch die Isolation und Gurtung zählen. Ziel und Zweck einer solchen Massnahme kann aber
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auch gemäss Darstellung in der Botschaft nur der Schutz der betroffenen Person deren Mitmenschen sein (Botschaft, S. 6). Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb der Beschwerdeführer, der aus Sicherheitsgründen bereits isoliert wird, zusätzlich die ganze Zeit im Gurt ans Bett gebunden sein muss. Ein Festgurten kann nur in akuten Notsituationen verhältnismässig sein. Wo ein Kampf mit dem Beschwerdeführer voraussehbar ist, wie vor einer Visite einer Zwangsmedikation, ist das Gurten zum Schutz der Betroffenen an gebracht. Unverhältnismässig ist dagegen, wenn ein Patient ausser halb von Notsituationen im Isolationszimmer in den Gurt gelegt wird. Der zuständige Pfleger hat denn auch bestätigt, dass es bei Toilettenbesuchen dem Duschen etc. mit dem Beschwerdeführer keine Probleme gebe. Auch anlässlich der Verhandlung konnte sich das Gericht davon überzeugen, dass vom Beschwerdeführer grund sätzlich keine konkrete Gefahr ausgeht. Wohl ist er - insbesondere den Ärzten gegenüber - verbal massiv bedrohlich, im übrigen aber anständig und wie Pfarrerin R. aussagte, anhänglich und Geborgen heit suchend. Unter diesen Umständen ist zu befürchten, dass diese extrem einschneidende Sicherheitsmassnahme die Aggression des Beschwerdeführers gegen die Ärzte noch steigert. Das Fixieren mit dem Bauchgurt betrifft den Kerngehalt der Bewegungsfreiheit als Aspekt der persönlichen Freiheit in extremster Form und kann nur bei einer konstanten akuten Gefahr für Leib und Leben verhältnis mässig sein. Da der Beschwerdeführer sich selber nicht gefährdet und seine Angriffe gegen Dritte sich grundsätzlich nur gegen die behandelnden Ärzte richten, ist ein Fixieren während des ganzen Tages offensichtlich unverhältnismässig. Die Beschwerde ist somit bezüglich des Fixierens mit dem Teilgurt in dem Sinne teilweise gutzuheissen, so dass die Klinik mit milderen Massnahmen einer latenten Gefahr zu begegnen hat. Es ist zweifellos sinnvoll, wenn Ärzte in der Regel - wie schon bisher praktiziert - nicht alleine zum Beschwerdeführer ins Isolationszimmer gehen. Solange sich der Beschwerdeführer nicht gleichzeitig mit Ärzten im Isolationszimmer
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aufhält, muss er sich mindestens frei bewegen und so einen Teil sei ner Aggression abreagieren können. Demgegenüber sind kurze Fixie rungen mit dem Bauchgurt für die Zeiten der Arztvisiten und der Medikamentenverabreichung verhältnismässig, ebenso bleiben un vorhergesehene Notfallsituationen mit akuter Gefahr für Leib und Leben vorbehalten. 5. a) Der Zwangsmassnahme-Entscheid vom 17. November 2000 sieht zusätzlich ein Besuchsverbot betreffend die Anstaltspfar rerin R. vor. Es ist vorweg zu prüfen, ob ein solches Besuchsverbot überhaupt als Zwangsmassnahme gemäss § 67ebis EG ZGB qualifi ziert werden kann. b) Gemäss Abs. 1 der genannten Norm dürfen "Behandlungen und andere Vorkehrungen", die medizinisch indiziert sind, zwangs weise vorgenommen werden, sofern die notwendige Fürsorge auf andere Weise nicht gewährleistet werden kann. Die Botschaft nennt neben der Zwangsmedikation, Isolation und Gurtung als Beispiele für "andere Vorkehrungen" (Botschaft, S. 6). Eine Zwangsmass nahme ist nur innerhalb einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung zulässig und liegt immer dann vor, wenn durch eine ärztlich ange ordnete Vorkehr die persönliche Freiheit des Betroffenen noch stär ker eingeschränkt wird als durch den Zwangsaufenthalt in einer An stalt. Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, dass im Rahmen der fürsorgerischen Freiheitsentziehung bereits die Zwangsmass nahme der geschlossenen Isolation angeordnet wurde und seit dem 6. November 2000, und somit seit 11 Tagen, ununterbrochen voll zogen wird. Dies ist bereits ein massiver Eingriff in seine persönliche Freiheit. Das zusätzliche Verbot an den Beschwerdeführer, mit der Anstaltspfarrerin als seiner langjährigen Vertrauensperson und gleichzeitigen Seelsorgerin reden zu dürfen, bedeutet nochmals eine erhebliche Einschränkung der persönlichen Freiheit. Das Be suchsverbot muss vom psychisch kranken Beschwerdeführer als nicht nachvollziehbare, zusätzliche einschneidende Beschränkung
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oder gar als Strafe empfunden werden. Es handelt sich daher zweifellos um eine andere Vorkehr im Sinne von § 67ebis EG ZGB. Von der Klinik wurde das Besuchsverbot in formell korrekter Weise mittels Zwangsmassnahmen-Entscheid verfügt. c) Eine Zwangsmassnahme - und somit auch das vorliegend zu beurteilende Besuchsverbot - ist nur zulässig, wenn sie medizinisch indiziert und verhältnismässig ist. Beim Entscheid kann auch das Schutzbedürfnis Dritter in die Beurteilung miteinbezogen werden. aa) Der Arzt begründet die medizinische Indikation des Be suchsverbots der Seelsorgerin damit, dass er dem Beschwerdeführer, der unter einem religiösen Wahn leide, die "nährenden" Reize ent ziehen wolle. Es sei üblich, bei Wahn-Patienten einen Reizentzug anzuordnen. Durch den Entzug religiöser Einflüsse müsse sich der Beschwerdeführer auf Alltägliches konzentrieren. Der Arzt erhofft sich dadurch - zusammen mit weiteren Massnahmen - eine Beruhi gung des Patienten, so dass eine Medikation auf freiwilliger Basis möglich wird. Nach Aussage der Seelsorgerin R. anlässlich der Verhandlung drehen sich die Gespräche zwar oft um religiöse Themen, eine Ver schlechterung des Zustandes des Beschwerdeführers nach Besuchen der Pfarrerin wurde jedoch weder behauptet noch nachgewiesen. So erklärte die Anstaltspfarrerin glaubwürdig, dem Beschwerdeführer immer wieder zu erklären, dass er die Bibel teilweise falsch auslege, weil er z.B. nicht der Jeremia sei, sondern der H.; so habe sie schon öfters erreicht, dass der Beschwerdeführer sich wieder beruhigt habe. Weiter spreche sie mit ihm auch häufig über das Problem der Sexua lität und der Masturbation. Der Fachrichter sieht in den 1 bis 2 Besuchen à ca. 30 Minuten pro Woche keine Anhaltspunkte für eine Verstärkung des psychoti schen Erlebens des Beschwerdeführers und nach seiner Ansicht ist es höchst unwahrscheinlich, dass sich die Wahngedanken des Be schwerdeführers durch ein Besuchsverbot auflösen auch nur reduzieren werden. Die heftigen verbalen Attacken an der Verhand-
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lung vom 17. November 2000, die sich ausschliesslich gegen die beiden anwesenden Ärzte richteten, lassen eher darauf schliessen, dass sich der Beschwerdeführer durch die erfolgten ärztlichen An ordnungen bestraft fühlt und deshalb noch aggressiver reagiert. Es bestehen somit erhebliche Bedenken, ob das verfügte Be suchsverbot überhaupt medizinisch indiziert sei. Da es jedoch offen sichtlich an der Verhältnismässigkeit dieser Zwangsmassnahme fehlt, kann diese Frage offen gelassen werden. bb) aaa) Das verfassungsmässige Gebot der Verhältnismässig keit verlangt, dass staatliche Hoheitsakte für das Erreichen eines im übergeordneten öffentlichen Interesse liegenden Zieles geeignet, notwendig und dem Betroffenen zumutbar sein müssen. Eine Zwangsmassnahme ist namentlich dann unverhältnismässig, wenn eine ebenso geeignete mildere Anordnung für den angestrebten Er folg ausreicht. Der Eingriff darf in sachlicher, räumlicher, zeitlicher und personeller Hinsicht nicht einschränkender sein als notwendig (BGE 126 I 119 f. mit Hinweisen). Je schwerer ein Eingriff wiegt, desto sorgfältiger ist er folglich zu begründen (BGE 124 I 304). In der Lehre wird überdies die Meinung vertreten, dass das Verhältnis mässigkeitsprinzip für eine Zwangsbehandlung voraussetzt, dass die Vorteile der Massnahme die Nachteile eindeutig überwiegen (Tho mas Geiser, Die fürsorgerische Freiheitsentziehung als Rechts grundlage für eine Zwangsbehandlung?, in: Familie und Recht, Fest gabe der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg für Bernhard Schnyder, Freiburg 1995, S. 311). Es stellt sich somit die Frage, ob die persönliche Freiheit durch das verfügte Besuchsverbot über das zulässige Mass hinaus verletzt wird. Die persönliche Freiheit, wie sie in der neuen Bundesverfas sung in Art. 10 ausdrücklich garantiert ist, beinhaltet insbesondere das Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit, auf Bewe gungsfreiheit sowie die elementare Persönlichkeitsentfaltung. Art. 7 BV schützt zudem die Würde des Menschen (BGE 126 I 114). Ge genüber spezifischen Grundrechtsgarantien, die Teilbereiche der
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Persönlichkeit schützen, kommt dem verfassungsmässigen Persön lichkeitsschutz die Funktion einer subsidiären Garantie zu (Jörg Paul Müller, Grundrechte in der Schweiz, Im Rahmen der Bundesverfas sung von 1999, der UNO-Pakte und der EMRK, 3. Auflage, Bern 1999, S.8). Sie tritt deshalb zurück, wenn die Persönlichkeitsentfal tung des Einzelnen unter einem durch ein spezifischeres Freiheits recht geschützten Aspekt wie die Glaubens- und Gewissensfreiheit beeinträchtigt wird (BGE 123 I 118). Gegenüber Personen in einem Sonderstatus wie Haft fürsorgerische Freiheitsentziehung, die dem staatlichen Machtmonopol nahezu vollständig ausgeliefert sind, hat der Staat den verbleibenden Freiraum des Einzelnen aktiv zu schützen. Bei der konfessionellen Betreuung von Personen in Son derstatusverhältnissen hat der Staat sicherzustellen, dass der Kontakt mit Gleichgläubigen und eine glaubenskonforme Lebensführung möglich sind (ZBl 1994, S. 398). Das öffentliche Interesse an einer Beschränkung der Glaubens- und Gewissensfreiheit kann sich aus dem Zweck einer Institution, wie z.B. einer Klinik einer Straf anstalt, ergeben. Solche Beschränkungen sind jedoch durch sachge rechte Anstaltsordnungen in engen Schranken zu halten (BGE 113 Ia 305). Gemäss § 6 PD hat die Klinik den Patienten angemessen Gele genheit für vertrauliche Gespräche mit ihren Seelsorgern zu gewäh ren. Im Unterschied zu § 7 Abs. 2 PD, gemäss welcher Norm der Arzt im medizinischen Interesse des Patienten ausnahmsweise ein Verbot des allgemeinen Besuchsrechts anordnen kann, sieht § 6 PD keine entsprechende Ausnahmereglung betreffend vertraulichen Ge sprächen vor. Ein entsprechendes Verbot kann somit nur in ganz akuten Notfällen verhältnismässig sein. So ist selbst bei Strafgefan genen ein Besuchsverbot unzulässig, wenn ein Priester von sich aus eine seelsorgerliche Betreuung anbietet (ZBl 1994, S. 398). bbb) An der Verhandlung vom 17. November 2000 hat sich ge zeigt, dass die Seelsorgerin R. seit Jahren eine der vertrautesten Be zugspersonen des Beschwerdeführers ist, die mit ihm höchstens ein bis zwei mal pro Woche eine halbe Stunde spricht. Dabei mischt sie
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sich offensichtlich nicht in Fragen der ärztlichen Therapie ein, son dern bespricht mit dem Beschwerdeführer persönliche Lebens- und Glaubensfragen. Der behandelnde Arzt hofft auf eine positive Wirkung durch den Entzug sämtlicher religiöser Einflüsse. Demgegenüber zeigte sich eindrücklich, dass der Beschwerdeführer sich nahezu konstant mit seinen Glaubensüberzeugungen beschäftigt und sowohl dem Gericht wie auch den Ärzten gegenüber häufig mit Bibelzitaten ant wortete. Es ist denn auch erstellt, dass er seit Jahren an einer chroni schen paranoiden Schizophrenie mit religiösem Wahn leidet. Die Befragung der Klinikpfarrerin ergab keine Anhaltspunkte dafür, dass sie die seelsorgerlichen Besuche dazu missbrauchen könnte, den Beschwerdeführer im Hinblick auf ärztliche Anordnungen und Me dikamenteneinnahme irgendwie negativ zu beeinflussen. Da es sich beim Besuchsrecht eines Seelsorgers um ein grundlegendes Recht handelt, kann die ungewisse Hoffnung auf einen zusätzlichen thera peutischen Effekt keinesfalls genügen, diesen massiven Eingriff in die persönliche Freiheit bzw. in die Glaubens- und Gewissensfreiheit des Beschwerdeführers zu rechtfertigen. Das verfügte Verbot der üblichen ein bis zwei Besuche pro Woche erweist sich daher als un verhältnismässig und ist aufzuheben. 6. Der Zwangsmassnahmen-Entscheid vom 17. November 2000 sieht den Entzug der Bibel vor. a) Wie beim Besuchsverbot der Seelsorgerin stellt sich auch hier die Frage, ob es sich dabei um eine Zwangsmassnahme im Sinne von § 67ebis Abs. 1 EG ZGB handelt. Für den Beschwerdeführer ist die Bibel zweifellos ein wichtiges Buch, mit dem er sich häufig und intensiv beschäftigt. Indem dem Beschwerdeführer, der sich bereits im verschlossenen Isolationszimmer aufhält, das Lesen seiner Bibel verunmöglicht wird, wird ihm die persönliche Freiheit zusätzlich beschränkt, weshalb eine Zwangsmassnahme im Sinne der genannten Norm vorliegt.
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b) Der Entzug der Bibel als Zwangsmassnahme gestützt auf § 67ebis EG ZGB ist nur zulässig, wenn er medizinisch indiziert und verhältnismässig ist. aa) Nach Ansicht des behandelnden Arztes verstärkt die Aus einandersetzung mit der Bibel den religiösen Wahn. Wie schon beim Besuchsverbot der Seelsorgerin beabsichtigt er mit der Massnahme einen Reizentzug und damit eine Hinwendung des Beschwerdefüh rers zum Alltäglichen. Es soll damit verhindert werden, dass er noch mehr in seine Wahnwelt abtauchen könne. Nach seiner Einschätzung habe der Entzug der Bibel die Aggressionen des Beschwerdeführers nicht verstärkt. Er habe das Buch auch kampflos hergegeben. Ziel der flankierenden Massnahmen (Besuchsverbot und Bibelentzug) sei ein erzieherisches, das aber nur erreicht werden könne, wenn der Lernprozess längere Zeit andaure. Das Gericht zweifelt - wie schon beim Besuchsverbot der Seel sorgerin - aufgrund des seit Jahren anhaltenden chronischen Zu standsbildes des Beschwerdeführers an den Erfolgschancen der ver fügten Massnahme. Aufgrund der Tatsache, dass der Beschwerdefüh rer in erregtem Zustand gewisse für ihn wichtige Bibelzitate even tuell nicht sofort findet und durch das Suchen und Blättern noch erregter wird, kann ein gewisser Beruhigungseffekt und damit die medizinische Indikation dieser Anordnung allerdings nicht ausge schlossen werden. bb) Der Bibelentzug ist unverhältnismässig, wenn damit die persönliche Freiheit des Beschwerdeführers über das notwendige Mass hinaus beschränkt wird. Bereits die Isolierung stellt einen schweren Eingriff in die persönliche Freiheit dar und betrifft deren Kerngehalt (BGE 126 I 115). Die Tatsache, dass der im Isolations zimmer eingeschlossene Beschwerdeführer zusätzlich nicht in sei nem Lieblingsbuch lesen darf, stellt einen noch tiefgreifenderen Ein griff in seine persönliche Freiheit dar und kann daher nur verhältnis mässig sein, wenn diese Massnahme zur Gewährung der nötigen persönlichen Fürsorge unumgänglich ist, d.h. wenn ohne diese An-
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ordnung eine mögliche Heilung verhindert eine akute Gefahr für Leib und Leben eintreffen würde. Zum Vergleich sei darauf hin gewiesen, dass gemäss Bundesgericht Untersuchungsgefangene und ausländerrechtliche Administrativhäftlinge gestützt auf die persönli che Freiheit und auf Art. 10 Ziff. 1 EMRK sogar ein Recht auf die Zustellung von Zeitungen, Zeitschriften und Büchern haben. Einzig bei Untersuchungshäftlingen gilt bei Kollusionsgefahr die Beschrän kung, dass Drucksachen nur über Verlage Buchhandlungen bezogen werden können (BGE 122 I 234). Umso mehr muss ein isolierter, geisteskranker Patient die Möglichkeit haben, in seiner Bibel zu lesen. Das Recht in der eigenen Bibel zu lesen berührt zu dem den Kerngehalt der Glaubens- und Gewissensfreiheit und ist daher grundsätzlich unantastbar (Art. 36 Abs. 4 BV). So verbietet die Garantie der Glaubens- und Gewissensfreiheit auch, dass Strafgefan genen religiöse Bücher, die ihnen von Dritten zur Verfügung gestellt werden, entzogen werden (ZBl 1994, S. 398). Wie bereits mehrfach ausgeführt wurde, besteht die primäre ärztliche Behandlung des Beschwerdeführers in einer medikamentö sen Therapie mit Neuroleptika. In der akut psychotischen Phase ist zusätzlich eine gewisse Reizabschirmung sinnvoll und auch zum Schutz der übrigen Patienten und des Personals verhältnismässig. Mit diesen Massnahmen ist zwar keine Heilung der chronischen Schizophrenie zu erwarten, jedoch eine Verbesserung des Zustands bildes, so dass der Beschwerdeführer in einigen Wochen wieder in einem freieren Rahmen in der Klinik leben kann. Selbst wenn der Entzug der Bibel einen kleinen Beitrag zur Beruhigung des Be schwerdeführers leisten kann, ist die damit verbundene tiefgreifende Einschränkung der Freiheitsrechte des Beschwerdeführers unverhält nismässig. Der angestrebte Erfolg ist nach ärztlicher und fachrichter licher Meinung mit den angeordneten medizinisch indizierten Mass nahmen der medikamentösen Behandlung und der - vorübergehen den - Isolation anzustreben und selbst gewisse Nachteile wie eine zeitliche Verzögerung, die durch das Bibellesen entstehen könnten,
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rechtfertigen diesen massiven Eingriff in den Kerngehalt des Grund rechts des Beschwerdeführers nicht. Zum Schutz von Leib und Le ben ist diese Zwangsmassnahme jedenfalls klarerweise nicht erfor derlich. Der angeordnete Entzug der Bibel ist demzufolge nicht verhält nismässig.
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