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Urteil Verwaltungsgericht 2. Kammer (AG - AG WPR.2024.81)

Zusammenfassung des Urteils AG WPR.2024.81: Verwaltungsgericht 2. Kammer

Das Amt für Migration und Integration des Kantons Aargau beantragt die Bestätigung einer Ausschaffungshaft für A._____, einen algerischen Staatsangehörigen, der wegen Straftaten verurteilt wurde und sich der Ausschaffung entziehen will. Der Einzelrichter bestätigt die Haftanordnung aufgrund von Haftgründen gemäss dem Ausländer- und Integrationsgesetz. Die Haft dauert bis zum 2. Dezember 2024 und wird im Zentrum für ausländerrechtliche Administrativhaft in Zürich vollzogen. Die Gerichtskosten betragen CHF 0,00. Die unterlegene Partei ist männlich.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts AG WPR.2024.81

Kanton:AG
Fallnummer:AG WPR.2024.81
Instanz:Verwaltungsgericht 2. Kammer
Abteilung:-
Verwaltungsgericht 2. Kammer Entscheid AG WPR.2024.81 vom 05.09.2024 (AG)
Datum:05.09.2024
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Schlagwörter: Gesuchsgegner; MI-act; Ausschaffung; Recht; Gesuchsgegners; Person; Urteil; Ausschaffungshaft; Schweiz; Vollzug; Aarau; Verhandlung; Behörde; Haftgr; Einzelrichter; Entscheid; Wegweisung; Anordnung; Haftanordnung; Migration; Integration; Behörden; Durchsetzungshaft; Protokoll; Ausländer; Anzeichen; ässlich
Rechtsnorm: Art. 10 StGB ;Art. 75 AIG ;Art. 76 AIG ;Art. 80 AIG ;Art. 90 AIG ;
Referenz BGE:127 II 174; 129 I 139; 130 II 377;
Kommentar:
-, Kommentar -7- Migrationsrecht, Art. 76 AIG SR, 2019

Entscheid des Verwaltungsgerichts AG WPR.2024.81

AG WPR.2024.81

WPR.2024.81 / Bu / sf ZEMIS [***]; N [***]

Urteil vom 5. September 2024

Besetzung

Verwaltungsrichter Busslinger, Vorsitz Gerichtsschreiberin i.V. Feusier

Gesuchsteller

Amt für Migration und Integration Kanton Aargau, Sektion Asyl und Rückkehr, Bahnhofstrasse 88, 5001 Aarau vertreten durch Samira Oppiller, Bahnhofstrasse 88, 5001 Aarau

Gesuchsgegner

A._____, von Algerien z.Zt. im Zentrum für ausländerrechtliche Administrativhaft, 8058 Zürich amtlich vertreten durch lic. iur. Martin Leiser, Rechtsanwalt, Bahnhofstrasse 24, 5000 Aarau

Gegenstand

Ausschaffungshaft gestützt auf Art. 76 AIG / Haftüberprüfung

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Der Einzelrichter entnimmt den Akten: A. Der Gesuchsgegner wurde am 20. März 2022 unter anderem wegen bandenmässigen Diebstahls festgenommen und mit Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts des Kantons Basel-Landschaft vom 23. März 2022 in Untersuchungshaft versetzt, welche bis zum Antritt des vorzeitigen Strafvollzugs am 21. Oktober 2022 mehrfach verlängert wurde (Akten des Amts für Migration und Integration [MI-act.] 1 f., 6 ff., 13 ff.). Am 11. November 2022 (datiert auf: 12. November 2022) reichte der Gesuchsgegner aus dem vorzeitigen Strafvollzug ein offenbar eigenhändig verfasstes Asylgesuch ein (MI-act. 24, 29). Mit Entscheid vom 17. Januar 2023 lehnte das Staatssekretariat für Migration (SEM) das Asylgesuch des Gesuchsgegners ab, wies ihn aus der Schweiz weg und ordnete an, er habe die Schweiz sowie den SchengenRaum per Ende der Haft zu verlassen und beauftragte den Kanton Aargau mit dem Vollzug der Wegweisung. Der Entscheid erwuchs am 27. März 2023 unangefochten in Rechtskraft (MI-act. 29 ff., 38). Anlässlich diverser Ausreisegespräche beim Amt für Migration und Integration Kanton Aargau (MIKA) gab der Gesuchsgegner mehrfach an, er sei nicht zur Rückkehr in seinen Heimatstaat Algerien bereit und verweigerte jegliche Mitwirkung bei der Papierbeschaffung, obwohl er vom MIKA darauf aufmerksam gemacht wurde, dass er mit den algerischen Behörden telefonieren sich im Heimatland um die Zustellung von Reise- Identitätsdokumenten kümmern solle (MI-act. 60 ff, 123 ff.). Am 18. April 2023 ersuchte das MIKA das SEM um Unterstützung bei der Identifizierung des Gesuchsgegners, worauf dieses am 25. April 2023 eine Identifizierungsanfrage an die algerischen Behörden stellte (MI-act. 64, 65 ff.). Am 26. Juli 2023 ersuchte das MIKA das SEM den hängigen Antrag betreffend die Identifizierung des Gesuchsgegners zu monieren, was das SEM sodann jeweils am 2. August 2023 und 7. November 2023 mittels Monierungsschreiben tat (MI-act. 64, 65 ff., 69 ff., 72 ff.). Mit Urteil des Bezirksgerichts Aarau vom 2. November 2023 wurde der Gesuchsgegner wegen diverser Delikte zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt und gestützt auf Art. 66a Abs. 1 lit. c und d des Schweizerischen Strafgesetzbuchs vom 21. Dezember 1937 (StGB; SR 311.0) für acht Jahre des Landes verwiesen (MI-act. 77 ff.). Das Urteil erwuchs unangefochten in Rechtskraft (MIact. 83, 99).

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Mit Schreiben vom 5. Dezember 2023 fragte das MIKA beim SEM nach, welche weiteren Schritte zum Erhalt eines Reisepapiers vorgeschlagen würden und ob eine LINGUA-Abklärung angezeigt sei (MI-act. 99). Im Januar 2024 stellte das SEM eine erneute Identifizierungsanfrage an die algerischen Behörden (MI-act. 129 f.). Mit E-Mail vom 26. Februar 2024 informierte das SEM das MIKA darüber, dass das Resultat der LINGUA feststehe und es sich beim Gesuchsgegner eindeutig um eine Person handle, die in Algerien sozialisiert worden sei (MI-act. 133). Anlässlich der Gewährung des rechtlichen Gehörs betreffend die Anordnung einer Ausschaffungs- bzw. Durchsetzungshaft gab der Gesuchsgegner an, auf keinen Fall eine Freiwilligkeitserklärung zu unterschreiben, nicht zur Rückkehr in seinen Heimatstaat bereit zu sein und nicht bei der Papierbeschaffung mitzuwirken. Er sei jedoch bereit, die Schweiz zu verlassen und nach Frankreich zu gehen (MI-act. 139 ff.). Die gleichentags durch das MIKA angeordnete Ausschaffungshaft für die Dauer von drei Monaten wurde mit Urteil des Einzelrichters des Verwaltungsgerichts vom 22. März 2024 (WPR.2024.28; MI-act. 157 f., 180 ff.) nicht bestätigt, wohl aber die eventualiter angeordnete Durchsetzungshaft für die Dauer von einem Monat bis zum 19. April 2024, 12.00 Uhr. Am 10. April 2024, am 10. Juni 2024 sowie am 8. August 2024 gewährte das MIKA dem Gesuchsgegner jeweils in Abwesenheit seines Rechtsvertreters das rechtliche Gehör betreffend Verlängerung der Durchsetzungshaft (MI-act. 193 ff., 255 ff., 282 ff.). Die durch das MIKA angeordneten Verlängerungen der Durchsetzungshaft wurden mit Urteil des Einzelrichter des Verwaltungsgerichts vom 17. April 2024 (WPR.2024.32; MI-act. 203 ff.) bzw. 17. Juni 2024 (WPR.2024.52; MI-act. 264 ff.) bzw. 15. August 2024 (WPR.2024.72; MI-act. 294 ff.) letztmals bis zum 19. Oktober 2024, 12.00 Uhr, bestätigt. Nachdem zunächst ein neuer Identitätsantrag an die algerischen Behörden gestellt werden musste (MI-act. 166, 192) und das SEM am 4. Juli 2024 bei der algerischen Vertretung in Bern die ausstehende Antwort moniert hatte (MI-act. 275 f., 280 f.), informierte das SEM das MIKA am 27. August 2024 darüber, dass der Gesuchsgegner unter seiner angegebenen Identität als algerischer Staatsangehöriger identifiziert worden sei (MI-act. 306 ff.). Das MIKA meldete den Gesuchsgegner am 31. August 2024 für eine konsularische Anhörung (sog. Counselling) an, woraufhin das SEM am

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2. September 2024 die Teilnahme des Gesuchsgegners am nächsten Counselling bestätigte (MI-act. 323). B. Im Rahmen der Befragung durch das MIKA wurde dem Gesuchsgegner am 3. September 2024 das rechtliche Gehör betreffend die Anordnung einer Ausschaffungshaft gewährt (MI-act. 327 ff.). Im Anschluss an die Befragung wurde dem Gesuchsgegner die Anordnung der Ausschaffungshaft wie folgt eröffnet (act. 1): 1. Es wird eine Ausschaffungshaft angeordnet. 2. Die Haft begann am 3. September 2024,12:00 Uhr. Sie wird in Anwendung von Art. 76 AIG für drei Monate bis zum 2. Dezember 2024, 12.00 Uhr, angeordnet. 3. Die zuletzt am 8. August 2024 verlängerte und bis zum 19. Oktober 2024 bestätigte Durchsetzungshaft wird hiermit beendet. 4. Die Haft wird im Zentrum für ausländerrechtliche Administrativhaft Zürich (ZAA) vollzogen. Soweit für die Befragung Durchführung einer Haftverhandlung zwingend, erfolgt die Inhaftierung für die notwendige Dauer im Bezirksgefängnis Aarau.

C. Anlässlich der heutigen Verhandlung vor dem Einzelrichter des Verwaltungsgerichts, welche im Einverständnis des Gesuchsgegners und seines Rechtsvertreters via Videotelefonie durchgeführt wurde, wurden der Gesuchsteller und der Gesuchsgegner befragt. D. Der Gesuchsteller beantragte die Bestätigung der Haftanordnung (Protokoll S. 5, act. 32). Der Gesuchsgegner liess folgenden Antrag stellen (Protokoll S. 6, act. 33): 1. Die mit Verfügung vom 3. September 2024 vom MIKA angeordnete Ausschaffungshaft nach Art. 76 AIG sei nicht zu bestätigen.

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Der Einzelrichter zieht in Erwägung: I. 1. Das angerufene Gericht überprüft die Rechtmässigkeit und Angemessenheit einer durch das MIKA angeordneten Ausschaffungshaft aufgrund einer mündlichen Verhandlung spätestens nach 96 Stunden (Art. 80 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration vom 16. Dezember 2005 [Ausländer- und Integrationsgesetz, AIG; SR 142.20], § 6 des Einführungsgesetzes zum Ausländerrecht vom 25. November 2008 [EGAR; SAR 122.600]). Die Haftüberprüfungsfrist beginnt mit der ausländerrechtlich motivierten Anhaltung der betroffenen Person zu laufen (vgl. BGE 127 II 174, Erw. 2. b/aa). 2. Im vorliegenden Fall wurde der Gesuchsgegner am 3. September 2024, 12.00 Uhr, aus der Durchsetzungshaft entlassen. Die mündliche Verhandlung begann am 5. September,16.45 Uhr; das Urteil wurde um 17.15 Uhr eröffnet. Die richterliche Haftüberprüfung erfolgte somit innerhalb der Frist von 96 Stunden. II. 1. Wurde ein erstinstanzlicher Weg- Ausweisungsentscheid eröffnet wurde die betroffene Person mit einer Landesverweisung belegt, kann die zuständige kantonale Behörde die betroffene Person zur Sicherstellung des Vollzugs in Haft nehmen (Art. 76 AIG). Zuständige kantonale Behörde im Sinne von Art. 76 Abs. 1 AIG ist gemäss § 13 Abs. 1 EGAR sowie § 89 der Verordnung über den Vollzug von Strafen und Massnahmen vom 23. September 2020 (Strafvollzugsverordnung, SMV; SAR 253.112) das MIKA. Im vorliegenden Fall wurde die Haftanordnung durch das MIKA und damit durch die zuständige Behörde erlassen (act. 1 ff.). 2. 2.1. Das MIKA begründet seine Haftanordnung damit, dass es den Gesuchsgegner aus der Schweiz ausschaffen und mit der Haft den Vollzug sicherstellen wolle. Der Haftzweck ist damit erstellt. 2.2. Der Haftrichter hat sich im Rahmen der Prüfung, ob die Ausschaffungshaft rechtmässig ist, Gewissheit darüber zu verschaffen, ob ein erstinstanzlicher Weg- Ausweisungsentscheid eröffnet eine erstinstanzliche Landesverweisung ausgesprochen wurde (Art. 76 Abs. 1 AIG).

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Mit Urteil vom 2. November 2023 wurde der Gesuchsgegner durch das Bezirksgericht Aarau gestützt auf Art. 66a Abs. 1 lit. c und d StGB für acht Jahre aus der Schweiz verwiesen (MI-act. 77 ff.). Das Urteil erwuchs in der Folge unangefochten in Rechtskraft (MI-act. 77, 99). Damit liegt eine rechtsgenügliche Landesverweisung vor. 2.3. Gemäss Art. 80 Abs. 6 lit. a AIG ist die Haft zu beenden, wenn sich erweist, dass der Vollzug der Wegweisung aus rechtlichen tatsächlichen Gründen undurchführbar ist. Nachdem der Gesuchsgegner inzwischen durch die algerischen Behörden identifiziert wurde, sind keine Anzeichen vorhanden, die an der Ausschaffungsmöglichkeit in tatsächlicher rechtlicher Hinsicht Zweifel aufkommen lassen würden. 3. 3.1. Das MIKA stützt seine Haftanordnung auf Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 AIG, wonach ein Haftgrund dann vorliegt, wenn konkrete Anzeichen befürchten lassen, dass sich die betroffene Person der Ausschaffung entziehen will, insbesondere, weil sie der Mitwirkungspflicht nach Art. 90 AIG und Art. 8 Abs. 1 lit. a Abs. 4 des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 (AsylG, SR 142.31) nicht nachkommt. Ob im Sinne dieser Gesetzesbestimmung konkrete Anzeichen befürchten lassen, dass sich eine Person der Ausschaffung entziehen will, ist aufgrund des ganzen bisherigen Verhaltens, insbesondere auch gegenüber den Behörden, sowie ihrer eigenen Aussagen zu beurteilen. Auch wenn einzelne Fakten für sich eine Ausschaffungshaft nicht rechtfertigen, kann dies aufgrund der Gesamtheit der Vorkommnisse der Fall sein. Erforderlich sind gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass die betroffene Person sich der Ausschaffung entziehen und untertauchen will. Die blosse Vermutung, dass sie sich der Wegweisung entziehen könnte, genügt nicht; deren Vollzug muss erheblich gefährdet erscheinen (vgl. BGE 129 I 139, Erw. 4.2.1). Von einer Untertauchensgefahr und damit von einem Haftgrund ist zudem auch dann auszugehen, wenn das bisherige Verhalten der betroffenen Person darauf schliessen lässt, dass sie sich behördlichen Anordnungen widersetzt (Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 4 AIG). Eine klare Trennung der beiden genannten Haftgründe ist in der Praxis kaum möglich. Vielmehr ist Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 4 AIG wohl als Präzisierung von Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 AIG zu verstehen, womit die beiden Bestimmungen

als einheitlicher Haftgrund zu betrachten sind (vgl. ANDREAS ZÜND, in: MARC SPESCHA/ANDREAS ZÜND/PETER BOLZLI/CONSTANTIN HRUSCHKA/FANNY DE WECK [Hrsg.], Kommentar

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Migrationsrecht, 5. Aufl., Zürich 2019, N. 7 zu Art. 76 AIG und JANINE SERT, in: MARTINA CARONI/DANIELA THURNHERR [Hrsg.], Stämpflis Handkommentar zum Ausländer- und Integrationsgesetz [AIG], 2. Aufl., Bern 2024, N. 17 zu Art. 76). Der Gesuchsgegner ist aufgrund des rechtskräftigen Wegweisungsentscheids des SEM (MI-act. 29 ff., 38) sowie aufgrund der rechtskräftigen Landesverweisung gemäss Art. 66a Abs. 1 lit. c und d StGB (MI-act. 77 ff.) verpflichtet, die Schweiz zu verlassen. Er äusserte sich wiederholt, zuletzt anlässlich der heutigen Verhandlung, dahingehend, er sei nicht bereit, die Schweiz in Richtung Algerien zu verlassen (MI-act. 60; 123, 140; Protokoll S. 4, act. 31). In der stetigen Weigerung, der Ausreisepflicht nachzukommen, ist ein klares Anzeichen dafür zu erkennen, dass sich der Gesuchsgegner der Ausschaffung entziehen will. Weiter hat sich der Gesuchsgegner durchgehend geweigert, bei der Beschaffung von Ausweispapieren bei der Feststellung seiner Identität mitzuwirken (MIact. 194, 255, 283). Der Gesuchsgegner hat damit seine Mitwirkungspflicht nach Art. 90 lit. c AIG sowie Art. 8 Abs. 4 AsylG verletzt, was ein weiteres Anzeichen dafür ist, dass sich der Gesuchsgegner der Ausschaffung entziehen will (vgl. BGE 130 II 377, Erw. 3.2.2). Damit ist der Haftgrund von Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 und 4 AIG erfüllt. 3.2. Weiter stützt das MIKA seine Haftanordnung auf Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 1 i.V.m. Art. 75 Abs. 1 lit. h AIG, wonach eine Person in Haft genommen werden kann, wenn sie wegen eines Verbrechens verurteilt worden ist. Verbrechen sind gemäss Art. 10 Abs. 2 StGB Taten, die mit einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren bedroht sind. Für den Haftgrund nach Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 1 i.V.m. Art. 75 Abs. 1 lit. h AIG ist erforderlich, dass eine rechtskräftige Verurteilung vorliegt (Zünd, a.a.O., N. 12 zu Art. 75 AIG). Gemäss konstanter bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist keine Prognose darüber erforderlich, ob sich der Ausländer dem Vollzug der Wegweisung tatsächlich entziehen wird. Vielmehr besteht aufgrund der schweren Straffälligkeit eine gesetzliche Vermutung, dass sich eine wegen eines Verbrechens verurteilte Person behördlichen Anordnungen widersetzen und versuchen wird, sich der Ausschaffung zu entziehen (Urteile des Bundesgerichts 2C_455/2009 vom

5. August 2009, Erw. 2.1 und 2C_312/2018 vom 11. Mai 2018, Erw. 3.2). Das Bezirksgericht Aarau hat den Gesuchsgegner mit Urteil vom 2. November 2023 unter anderem wegen gewerbs- und bandenmässigen Diebstahls nach Art. 139 Ziff. 1, 2 und 3 StGB (in der damals geltenden Fassung) rechtskräftig verurteilt (MI-act. 77 ff.). Nach der damals geltenden Fassung von Art. 139 Ziff. 2 und 3 StGB war die Höchststrafe für gewerbs-

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mässigen Diebstahl Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren Geldstrafe nicht unter 90 Tagessätzen bzw. für bandenmässigen Diebstahl Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, weshalb diese beiden Straftatbestände ein Verbrechen nach Art. 10 Abs. 2 StGB darstellen. Liegt ein Haftgrund vor, weil die betroffene Person wegen eines Verbrechens verurteilt wurde, kann sich die Anordnung einer Haft allenfalls dann als nicht notwendig und damit unverhältnismässig erweisen, wenn sich die betroffene Person proaktiv um eine Rückkehr in ihr Heimatland bemüht und so ihre Ausreisebereitschaft untermauert. Ein derartiges Verhalten ist beim Gesuchsgegner jedoch nicht erkennbar. Nach dem Gesagten ist der Haftgrund von Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 1 i.V.m. Art. 75 Abs. 1 lit. h AIG ebenfalls erfüllt. 3.3. Zusammenfassend steht fest, dass die Haftgründe gemäss Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 und Ziff. 4 AIG (Untertauchensgefahr) sowie gemäss Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 1 i.V.m. Art. 75 Abs. 1 lit. h AIG (Verurteilung wegen eines Verbrechens) erfüllt sind. 4. Bezüglich der Haftbedingungen liegen keine Beanstandungen vor, die geeignet wären, die Haft als unverhältnismässig zu bezeichnen (Protokoll S. 5, act. 32). 5. Es liegen auch keine Anzeichen dafür vor, dass das MIKA dem Beschleunigungsgebot (Art. 76 Abs. 4 AIG) nicht ausreichend Beachtung geschenkt hätte. 6. Das MIKA ordnete die Ausschaffungshaft für drei Monate an. Nachdem der Vollzug der Rückführung massgeblich vom Verhalten des Gesuchsgegners abhängig ist und es diesbezüglich zu Verzögerungen kommen kann, ist die beantragte Haftdauer nicht zu beanstanden. Im Übrigen ist festzuhalten, dass das MIKA bisher stets bemüht war, Ausschaffungen so rasch wie möglich zu vollziehen. Sollte das MIKA entgegen seiner bisherigen Gewohnheit das Beschleunigungsgebot verletzen, besteht die Möglichkeit, ein Haftentlassungsgesuch zu stellen. 7. Abschliessend stellt sich die Frage, ob die Haftanordnung deshalb nicht zu bestätigen sei, weil sie im konkreten Fall gegen das Prinzip der Verhältnismässigkeit verstossen würde.

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Der Rechtsvertreter des Gesuchsgegners macht geltend, dass auch eine Eingrenzung des Gesuchsgegners auf ein bestimmtes Gebiet genügen würde, um den Vollzug der Wegweisung sicherzustellen. Es sei davon auszugehen, dass sich der Gesuchsgegner an eine solche Eingrenzung halten würde (Protokoll S. 6, act. 33). Dem ist nicht zu folgen. So bekundete der Gesuchsgegner wiederholt seine Absicht, zuletzt anlässlich der heutigen Verhandlung, die Schweiz umgehend zu verlassen, sobald er aus der Haft entlassen würde (MI-act. 124, 140, 194; Protokoll S. 4, act. 31). Er gibt diesbezüglich an, nach Frankreich ausreisen zu wollen, da er dort gemäss eigenen Aussagen Verwandte sowie einen unbefristeten Arbeitsvertrag habe (MI-act. 124, 140). Vor dem Hintergrund dieser wiederholten, eindeutigen Absichtsbekundungen sowie seiner mehrfachen Straffälligkeit in der Vergangenheit (vgl. MI-act. 79) erscheint das Risiko als beträchtlich, dass sich der Gesuchsgegner einer behördlich angeordneten Eingrenzung widersetzen würde und nach einer allfälligen Haftentlassung, die Schweiz umgehend auf illegale Weise in Richtung Frankreich verlassen würde. Eine Eingrenzung vermag somit den Vollzug der Ausschaffung des Gesuchsgegners in sein Heimatland nicht sicherzustellen. Andere mildere Massnahmen, welche den Vollzug der Wegweisung sicherstellen könnten, sind nicht ersichtlich. Bezüglich der familiären Verhältnisse ergeben sich keine Anhaltspunkte, welche gegen eine Haftanordnung sprechen würden. Der Gesuchsgegner macht auch nicht geltend, er sei nicht hafterstehungsfähig. Insgesamt sind folglich keinerlei Gründe ersichtlich, welche die angeordnete Haft als unverhältnismässig erscheinen liessen. III. 1. Gemäss § 28 Abs. 1 EGAR ist das Verfahren betreffend Haftüberprüfung unentgeltlich. Demgemäss werden keine Kosten erhoben. 2. Dem Gesuchsgegner ist gemäss § 27 Abs. 2 EGAR zwingend ein amtlicher Rechtsvertreter zu bestellen, da der Gesuchsteller eine Haft für eine Dauer von mehr als 30 Tagen anordnete. Der Vertreter des Gesuchsgegners wird aufgefordert, nach Haftentlassung des Gesuchsgegners seine Kostennote einzureichen. IV. 1. Der Gesuchsgegner wird darauf hingewiesen, dass ein Haftentlassungsgesuch frühestens einen Monat nach Haftüberprüfung gestellt

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werden kann (Art. 80 Abs. 5 AIG) und beim MIKA einzureichen ist (§ 15 Abs. 1 EGAR). 2. Soll die Haft gegebenenfalls verlängert werden, ist nicht zwingend eine Verhandlung mit Parteibefragung durchzuführen (Aargauische Gerichtsund Verwaltungsentscheide [AGVE] 2009, S. 359 Erw. I/4.3 ff.). Im Rahmen der Befragung zwecks Gewährung des rechtlichen Gehörs hat das MIKA dem Gesuchsgegner daher die Frage zu unterbreiten, ob er die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wünscht und ob er in diesem Fall eine Präsenzverhandlung verlangt mit einer Verhandlung via Videotelefonie einverstanden ist (Urteil des Bundesgerichts 2C_846/2021 vom 19. November 2021). Die Anordnung einer allfälligen Haftverlängerung ist dem Verwaltungsgericht spätestens acht Arbeitstage vor Ablauf der bewilligten Haft einzureichen. 3. Der vorliegende Entscheid wurde den Parteien zusammen mit einer kurzen Begründung anlässlich der heutigen Verhandlung mündlich eröffnet. Das Dispositiv wurde den anwesenden Parteien ausgehändigt und den per Videotelefonie zugeschalteten Parteien im Anschluss an die Verhandlung per IncaMail zugestellt.

Der Einzelrichter erkennt: 1. Die am 3. September 2024 angeordnete Ausschaffungshaft wird bis zum 2. Dezember 2024, 12.00 Uhr, bestätigt. 2. Die Haft ist im Zentrum für ausländerrechtliche Administrativhaft Zürich zu vollziehen. Für die Dauer der Befragung die Durchführung einer Haftverhandlung kann die Inhaftierung, soweit zwingend notwendig, im Bezirksgefängnis Aarau erfolgen. 3. Es werden keine Kosten auferlegt. 4. Als amtlicher Rechtsvertreter wird lic. iur. Martin Leiser, Rechtsanwalt, Aarau, bestätigt. Der Rechtsvertreter wird aufgefordert, nach Haftentlassung des Gesuchsgegners seine detaillierte Kostennote einzureichen.

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Zustellung an: den Gesuchsgegner (Vertreter, im Doppel) das MIKA (mit Rückschein) das Staatssekretariat für Migration, 3003 Bern

Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten Dieser Entscheid kann wegen Verletzung von Bundesrecht, Völkerrecht, kantonalen verfassungsmässigen Rechten sowie interkantonalem Recht innert 30 Tagen seit der Zustellung mit Beschwerde in öffentlichrechtlichen Angelegenheiten beim Schweizerischen Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, angefochten werden. Die unterzeichnete Beschwerde muss das Begehren, wie der Entscheid zu ändern sei, sowie in gedrängter Form die Begründung, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt, mit Angabe der Beweismittel enthalten. Der angefochtene Entscheid und als Beweismittel angerufene Urkunden sind beizulegen (Art. 82 ff. des Bundesgesetzes über das Bundesgericht [Bundesgerichtsgesetz; BGG; SR 173.110] vom 17. Juni 2005).

Aarau, 5. September 2024 Verwaltungsgericht des Kantons Aargau 2. Kammer Der Einzelrichter: Die Gerichtsschreiberin i.V.: i.V. Busslinger

Feusier

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